Palästina

Das letzte Kapitel des Völkermordes

Israel hat die letzte Phase seines Völkermordes eingeleitet. Die Palästinenser:innen werden gezwungen, zwischen Tod oder Deportation zu wählen. Was wir hier erleben, stellt alle historischen Angriffe auf die Palästinenser:innen in den Schatten.

Chris Hedges

Dies ist das letzte Kapitel des Völkermordes. Es ist die blutige Schlussoffensive, um die Palästinenser aus Gaza zu vertreiben. Kein Essen. Keine Medizin. Keine Unterkunft. Kein sauberes Wasser. Kein Strom. Israel verwandelt den Gazastreifen in Windeseile in ein danteskes Inferno menschlichen Elends, in dem Palästinenser zu Hunderten und bald wieder zu Tausenden und Zehntausenden getötet werden, oder sie werden gewaltsam für Immer vertrieben.

Dieses Schlusskapitel markiert zugleich das Ende der israelischen Lügen. Die Lüge von der Zweistaatenlösung. Die Lüge, dass Israel das Kriegsrecht respektiert, das Zivilisten schützt. Die Lüge, dass Israel Krankenhäuser und Schulen nur deshalb bombardiert, weil sie von der Hamas als Stützpunkt genutzt werden. Die Lüge, dass die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt, während Israel gefangene Palästinenser regelmäßig dazu zwingt, vor den israelischen Truppen in potenziell verminte Tunnel und Gebäude zu gehen. Die Lüge, dass die Hamas oder der Palästinensische Islamische Dschihad (PIJ) für die Zerstörung von Krankenhäusern, UN-Gebäuden oder für die massenhaften palästinensischen Opfer verantwortlich sind – wobei der Vorwurf häufig lautet, dass palästinensische Raketen fehlgeleitet wurden. Die Lüge, dass die humanitäre Hilfe für Gaza blockiert wird, weil die Hamas die Lastwagen entführt oder Waffen und Kriegsmaterial einschmuggelt. Die Lüge, dass israelische Babys geköpft wurden oder Palästinenser Massenvergewaltigungen an israelischen Frauen begingen. Die Lüge, dass 75 Prozent der Zehntausende von Opfern in Gaza „Terroristen“ der Hamas waren. Die Lüge, dass die Hamas für den Bruch des Waffenstillstandsabkommens verantwortlich ist, weil sie angeblich aufrüstet und neue Kämpfer rekrutiert.

Israel stellt seine nackte Völkermörderfratze zur Schau. Es hat die Evakuierung des nördlichen Gazastreifens angeordnet, wo verzweifelte Palästinenser:innen inmitten der Trümmer ihrer Häuser kampieren. Was jetzt kommt, ist der massenhafte Tod durch Verhungern – das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) erklärte am 21. März, dass es nur noch Mehlvorräte für sechs Tage hat –, durch Krankheiten, die durch verseuchtes Wasser und verdorbene Lebensmittel verursacht werden, und Dutzende von Toten und Verwundeten jeden Tag unter dem unerbittlichen Beschuss mit Bomben, Raketen, Granaten und Kugeln. Nichts funktioniert mehr, weder Bäckereien, Wasseraufbereitungs- und Kläranlagen, Krankenhäuser – Israel sprengte am 21. März das ohnehin beschädigte türkisch-palästinensische Krankenhaus – noch Schulen, Verteilzentren für Hilfslieferungen oder Ambulanzen. Weniger als die Hälfte der dreiundfünfzig Rettungsfahrzeuge des Palästinensischen Roten Halbmonds sind aufgrund des Treibstoffmangels einsatzbereit. Bald wird es gar keine mehr geben.


Israels unmissverständliche Botschaft: Verschwindet aus Gaza oder sterbt!


Seit Dienstag, als Israel den Waffenstillstand mit schweren Bombardements brach, wurden über 700 Palästinenser:innen getötet, darunter 200 Kinder. Allein in den ersten 24 Stunden wurden 400 Palästinenser getötet. Dies ist erst der Anfang. Keine westliche Macht, auch nicht die Vereinigten Staaten, die die Waffen für den Völkermord liefern, hat die Absicht, ihn zu stoppen. Die Bilder aus Gaza während der fast sechzehn Monate andauernden Angriffe waren schrecklich. Aber was jetzt kommt, wird noch schlimmer sein. Es wird mit den grausamsten Kriegsverbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts konkurrieren, einschließlich des massenhaften Aushungerns, des Massenmords und der Plünderung des Warschauer Ghettos 1943 durch die Nazis.

Der 7. Oktober markiert die Trennlinie zwischen einer israelischen Politik, die für die Entmenschlichung und Unterjochung der Palästinenser steht, und einer Politik, die ihre Ausrottung und Vertreibung aus dem historischen Palästina fordert. Was wir hier erleben, ist das historische Äquivalent zu den Folgen der Vernichtung von etwa 200 Soldaten unter der Führung von George Armstrong Custer im Juni 1876 in der Schlacht am Little Bighorn. Nach dieser demütigenden Niederlage sollten die amerikanischen Ureinwohner getötet und die Überlebenden in Kriegsgefangenenlager, die später Reservate genannt wurden, gezwungen werden, wo Tausende an Krankheiten starben, von den bewaffneten Besatzern schikaniert wurden und ein elendes und verzweifeltes Dasein führten. Erwarten Sie dasselbe für die Palästinenser im Gazastreifen, die, wie ich vermute, in eines der Höllenlöcher der Welt verbannt und vergessen werden.

„Bewohner des Gazastreifens, dies ist eure letzte Warnung“, drohte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz: „Der erste Sinwar hat Gaza zerstört und der zweite Sinwar wird es vollständig zerstören. Die Angriffe der Luftwaffe auf die Hamas-Terroristen waren nur der erste Schritt. Es wird noch viel härter werden und Ihr werdet den vollen Preis dafür zahlen. Die Evakuierung der Bevölkerung aus den Kampfgebieten wird bald wieder beginnen … Gebt die Geiseln frei und verjagt die Hamas, und es werden sich andere Möglichkeiten für Euch eröffnen, einschließlich der Ausreise an andere Orte in der Welt für diejenigen, die das wollen. Die Alternative ist die absolute Zerstörung.“

Das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas sollte in drei Phasen umgesetzt werden. In der ersten Phase von 42 Tagen sollten die Feindseligkeiten eingestellt werden. Die Hamas würde 33 israelische Geiseln freilassen, die am 7. Oktober 2023 gefangen genommen worden waren – darunter Frauen, über 50-Jährige und Kranke – und Israel im Gegenzug mehr als 2000 palästinensische Männer, Frauen und Kinder, die von Israel inhaftiert worden waren (bis zum 18. März wurden rund 1900 palästinensische Gefangene von Israel freigelassen). Die Hamas hat insgesamt 147 Geiseln freigelassen, darunter acht tote. Nach israelischen Angaben werden noch 59 Israelis von der Hamas festgehalten, von denen 35 nach israelischer Auffassung nicht mehr am Leben sind.

Die israelische Armee sollte sich am ersten Tag des Waffenstillstands aus den bewohnten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen. Am siebten Tag würden die vertriebenen Palästinenser:innen in den nördlichen Gazastreifen zurückkehren dürfen. Israel würde täglich 600 Hilfstransporte mit Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern nach Gaza passieren lassen.

In der zweiten Phase, die am sechzehnten Tag der Waffenruhe ausgehandelt werden sollte, würden die restlichen israelischen Geiseln freigelassen. Israel würde seinen Rückzug aus dem Gazastreifen abschließen und in einigen Teilen des Philadelphi-Korridors, der sich entlang der acht Meilen langen Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten erstreckt, weiterhin präsent sein. Aber es würde die Kontrolle über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten aufgeben.

In der dritten Phase sollten Verhandlungen über eine dauerhafte Beendigung des Krieges und den Wiederaufbau des Gazastreifens geführt.

Israel unterzeichnet gewöhnlich Abkommen, einschließlich der Abkommen von Camp David und Oslo, die Zeitpläne und Phasen beinhalten. Nachdem es in der ersten Phase bekommen hat, was es will – in diesem Fall die Freilassung der Geiseln – verstößt es anschließend gegen die Folgevereinbarungen. Dieses Muster ist nie durchbrochen worden.

Israel weigerte sich, die zweite Phase des Abkommens einzuhalten. Vor zwei Wochen blockierte es humanitäre Hilfe für den Gazastreifen und verstieß damit gegen die Vereinbarung. Außerdem tötete Israel während der ersten Phase des Waffenstillstands mindestens 137 Palästinenser, darunter neun Menschen am 15. März – davon drei Journalisten – als israelische Drohnen eine Rettungsmannschaft in Beit Lahiya im nördlichen Gazastreifen angriffen.

Israels massive Bombardements und der Beschuss des Gazastreifens wurden am 18. März wieder aufgenommen, während die meisten Palästinenser schliefen oder ihr Sahur vorbereiteten, die Mahlzeit, die während des heiligen Monats Ramadan vor dem Morgengrauen eingenommen wird. Israel wird seine Angriffe auch jetzt nicht einstellen, selbst wenn die verbleibenden Geiseln freigelassen werden – der angebliche Grund für die Wiederaufnahme der Bombardierung und Abriegelung des Gazastreifens.

Das Weiße Haus unter Trump bejubelt das Gemetzel und bezeichnet Kritiker des Völkermords als „Antisemiten“, die zum Schweigen gebracht, kriminalisiert oder deportiert werden sollten, während zugleich Waffen in Milliardenhöhe nach Israel geliefert werden.

      
Mehr dazu
Joseph Daher: Die Revolution im Nahen Osten und die „Achse des Widerstands“, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025).
Qassam Muaddi: Die ethnische Säuberung des Westjordanlands, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025).
Groupe communiste révolutionnaire (GCR-Libanon): Für einen säkularen, demokratischen und revolutionären Staat im historischen Palästina, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025).
Orly Noy und Amos Brison: Israels „Hüterin der Demokratie“, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025).
18. Weltkongress der IV. Internationale: Ein imperialistischer Angriff auf den gesamten Nahen Osten, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025). Auch bei intersoz.org.
 

Israels völkermörderischer Angriff auf Gaza ist die logische Konsequenz aus seinem Selbstverständnis als kolonialer Siedlerstaat und seiner Apartheidpolitik. Die Annexion des gesamten historischen Palästinas – mit dem Westjordanland, das voraussichtlich bald von Israel annektiert wird – und die Vertreibung aller Palästinenser waren schon immer das Ziel der Zionisten.

Die schlimmsten Exzesse Israels fanden in den Kriegen von 1948 und 1967 statt, als große Teile des historischen Palästinas beschlagnahmt, Tausende von Palästinensern getötet und Hunderttausende im Zuge der ethnischen Säuberung vertrieben wurden. Zwischen diesen beiden Kriegen wurden fortgesetzt Landraub, Morde und ethnische Säuberungen im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, in Zeitlupe verübt.

Dieses abgestufte Vorgehen ist für immer vorbei. Was wir gerade erleben, stellt alle historischen Angriffe gegen die Palästinenser in den Schatten. Israels wahnsinniger völkermörderischer Traum – ein Albtraum für Palästina – steht kurz vor seiner Verwirklichung. Dies wird für immer den Mythos zerstören, dass wir (die USA) oder irgendeine westliche Nation die Rechtsstaatlichkeit respektieren oder als Beschützer der Menschenrechte, der Demokratie und der sogenannten „Tugenden“ der westlichen Zivilisation agieren. Die Barbarei Israels ist unsere eigene. Wir mögen das nicht verstehen, aber der Rest der Welt schon.

Aus mondoweiss vom 23.3.2025
Übersetzung: MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz