Faschismus

Die AfD verbieten?

Kein Vertrauen in Verfassungsschutz und bürgerliche Justiz

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) erlebt gerade ein Allzeithoch in den Umfragen zu Parlamentswahlen, bei kommunalen Wahlen zu exekutiven Ämtern und auch bei der Mitgliederrekrutierung.

Thies Gleiss

In einigen Wahl-Umfragen erreicht die AfD mittlerweile den Spitzenplatz. Zusammen mit denen, die CDU/CSU wählen, erreichen die Wählerinnen und Wähler der AfD mehr als die Hälfte aller Stimmen.

 

"AfD-Verbot prüfen, JETZT!"

Übergabe der Unterschriften einer Petition, 2024 (Foto: innn.it e.V., CC BY-NC)

In einem Beschluss der „Internationalen Sozialistischen Organisation“ (ISO), der Organisation der Vierten Internationale in Deutschland, vom Sommer 2023 heißt es:

„Der Aufschwung der Rechten geht einher mit einer Zunahme an rassistischen Übergriffen und Anschlägen gegen Migrant:innen und Einrichtungen für Migrant:innen, sowie mit Attacken gegen Linke und Menschen­rechts­initiativen ebenso wie gegen queere Menschen und Personen mit Behinderungen. Er stellt eine große Bedrohung und Herausforderung für die gesamte Linke dar. Wir sind mit allen Opfern dieser rechten Politik solidarisch und setzen uns für gemeinsame Schutzabkommen unter linken und gewerkschaftlichen Kräften ein. Der gesellschaftliche politische Diskurs wird insgesamt nach rechts verschoben.“

Das wurde in allen Parlamentswahlen seitdem bestätigt, einschließlich der Bundestagswahl vom Februar 2025. In der konkreten Politik versuchen die bürgerlichen Parlamentsparteien CDU, CSU, SPD, GRÜNE, FDP und als jüngste Parteigründung die Rechtsabspaltung von der LINKEN das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ der AfD dadurch Stimmen wegzunehmen, dass sie deren politischen Forderungen und Ziele zu ihren eigenen machen. Das trifft vor allem auf die Vertreibungs- und Begrenzungs­politik gegenüber Migrantinnen und Migranten sowie geflüchteten Menschen zu. In den – auch von der Europäischen Union verfolgten – migrationspolitischen Maßnahmen gibt es die ganz große Koalition in Deutschland, allein die LINKE steht gegen diese Politik.

Die AfD ist mit ihrer Zielsetzung, die alten bürgerlichen Parteien vor sich herzutreiben, sehr erfolgreich, was ihr immer neuen Zustrom an Wählerinnen, Wählern und auch Mitgliedern verschafft.

Im Beschluss der ISO heißt es weiter: „Die Debatte über Integration der AfD in das Regierungsgeschäft wird beständig zunehmen. Die Zusammenarbeit der bürgerlichen Parteien mit der AfD auf kommunaler und bald auch Landesebene wird von der heutigen Ausnahme immer mehr zu einer Regel werden. Das muss von der ISO regelmäßig entlarvt und bekämpft werden.“

Auch das ist bis heute Realität. Es gibt höchstens noch eine taktische „Brandmauer“ zur AfD, die bei weiter wachsenden Problemen, arbeitsfähige Regierungen auf Landes- und Bundesebene zustande zu bringen, immer wieder in Frage gestellt wird.

Und schließlich fasst die ISO ihre Taktik so zusammen: „Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen der AfD und der Linken. Die ISO lehnt jedes Zusammengehen mit der AfD in gemeinsamer Propaganda gegen die Regierungspolitik ab. Wir unterschreiben keine gemeinsamen Appelle, wir unterstützen nicht parlamentarische Initiativen und Anträge. Wir lehnen ebenso eine Taktik ab, gemeinsame linke Aufrufe und Initiativen so zusammenzustreichen und zu entpolitisieren, dass angeblich auch rechte Kräfte mitmachen können. Auch mit Organisationen, die zu Propagandablöcken mit AfD bereit sind, arbeitet die ISO nicht zusammen.

Wir treten für breite Aktionseinheiten ein, die unzweideutig keinen Widerspruch zu unseren Positionen erzeugen. Wir rufen dazu in der Regel mit eigenen Aufrufen der ISO oder uns sehr nahe verbundener Partner:innen auf.

Kommen zu diesen Aktionen auch Unterstützer:innen der AfD, so werden wir verhindern, dass sie AfD-Banner und -Materialien verteilen. Das muss über Ordnerdienste und ähnliche Absprachen im Vorfeld geklärt werden.

Ohne solche Erkennungs­merkmale werden wir keine Ausschluss­maßnamen oder Gesinnungsprüfungen bei Teilnehmer:innen an von uns mitorganisierten Aktionen durchführen.“


Eine Großpartei mit Masseneinfluss verbieten?


Als zusätzliche Maßnahme gegen die AfD wird verstärkt über ein Verbot der Partei diskutiert. Die Regierungsparteien verlassen sich dabei auf konspirativ zusammengetragene Informationen, ob die AfD „rechtsextrem“ ist. Eine durch das sogenannte Parteienprivileg geschützte Organisation kann in Deutschland nicht per Order des Innenministers, sondern nur durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden. In der Vergangenheit hat dieses Gericht wiederholt entschieden, dass geheimdienstliche Erkenntnisse, insbesondere dann, wenn sie durch V-Leute des Verfassungsschutzes in den Reihen der betreffenden Partei gesammelt wurden, nicht ausreichen, um ein Verbot zu erlassen. Dennoch setzten die Regierungsparteien überwiegend nur auf solche Vorermittlungen des Verfassungsschutzes.

Der hat jetzt in einem 1200 Seiten umfassenden Bericht, der mittlerweile auf illegalen Wegen veröffentlich wurde, aber eigentlich als Verschlusssache gilt, festgestellt, dass die AfD „gesichert rechtsextrem“ ist. Hauptelement dieses „Rechtsextremismus“ ist laut Verfassungsschutz-Dossier ein „völkischer Begriff von Nation“, der grundgesetzwidrig sei. Es würde dadurch eine dauerhafte Bedrohung gegenüber nicht-deutschen Bürgern geschaffen.

Grundlage dieser Erkenntnis des Verfassungsschutzes sind detaillierte Auswertungen von Artikeln, Flugblättern und Reden aus den Reihen der AfD – also alles öffentlich zugängliches Material.

Auf diesem Wege wurden bisher schon einzelne Gruppen innerhalb der AfD (vor allem ihr Jugendverband, der inzwischen aufgelöst und neugegründet wurde) und Landesverbände als „rechtsextrem“ eingestuft. Diese Einstufung ist noch nicht ausreichend für ein Verbot, wohl aber für Maßnahmen unterhalb des Verbotes wie Beschneidung von öffentlichen Geldern, Räumen, Werbezeit usw.

Nach dem Scheitern des zweiten Verbotsverfahrens gegen die NPD (was vorrangig wegen der mittlerweile gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit der NPD verworfen wurde) wurde das Grundgesetz dahingehend geändert, dass die staatliche Parteienfinanzierung für als „verfassungswidrig“ eingestufte und entsprechend gerichtlich eingeordnete Parteien zeitweilig begrenzt werden darf.

Einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht können Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat einreichen. Es gibt eine Initiative für einen entsprechenden Antrag an den Bundestag, der von genügend Abgeordneten aus SPD, CDU, GRÜNEN und LINKEN unterstützt wird, dass er behandelt werden muss. Offiziell sind die Parteiführungen von SPD und CDU/CSU gegen einen solchen Verbotsantrag.


Eine Massenpartei verbieten?


Eine Partei mit 15–20 Millionen Wähler:innen und 52 000 Mitgliedern lässt sich nicht per Verbot bekämpfen. Nur eine breite Kampagne, die den rechten Inhalten und Praktiken eine linke Gegenkultur und -politik entgegenstellt, wird die rechte Gesinnung aus den Köpfen und Herzen der Menschen vertreiben können.

Wenn es eine glaubwürdige und politisch nützliche Referenzinstanz zur Bewertung der „Alternative für Deutschland“ gibt, dann ist es ganz sicher nicht der bundesdeutsche Verfassungsschutz. Dessen bis in jüngste Tage dokumentierte Geschichte zeigt deutlich: Dieser Inlands­geheim­dienst ist nicht die Lösung zur Bekämpfung der AfD und des Aufschwungs der Rechten, sondern ein gravierender Teil des Problems.

Es ist kaum zu glauben, aber in den digitalen Foren gibt es tatsächlich Leute, die meinen, der Verfassungsschutz sei eine demokratisch legitimierte Institution, ja sogar solche, die vermuten, der VS wäre eine Unterabteilung des Verfassungsgerichtes in Karlsruhe.

Der Verfassungsschutz ist ein schnöder Geheimdienst, der im Verborgenen schnüffelt, um die gesellschaftliche Herrschaft der Herrschenden abzusichern. Er hat ein strukturelles Problem mit Rassismus, er ist gewerkschaftsfeindlich und Gegner der sozialistischen und Arbeiter:innen­bewegung. Er ist auf dem rechten Auge blind und sieht auf dem linken wahlweise doppelt oder nur sein Spiegelbild. Er lebt von seiner Unkontrollier­barkeit, man kann ihm nicht – so wie es einige Regierungs­sozialist:innen der LINKEN mal versprachen – das Geheime nehmen. Man kann ihn nur auflösen, und tut der Gesellschaft in jeder Hinsicht damit einen Gefallen.

Um den politischen Charakter der AfD und anderer rechter Formationen einzuschätzen, zu beobachten und zu bekämpfen, braucht es den Verfassungsschutz nicht. Er stört dabei nur. Es braucht eine breite aufgeklärte Zivilgesellschaft, wachsame demokratische Selbstorganisationen und auch Selbstschutz­einrichtungen für die Linke und Arbeiter:innenbewegung. Es braucht ein lebendiges Geschichtsbewusstsein und eine Wissenschaft, die ihm dient.

In diesem Sinne ist das 1200 Seiten dicke „Gutachten“ des Verfassungsschutzes, das die AfD als „gesichert rechtsextrem“ einschätzt, weniger wert als die „Kundenreferenzen“ am Ende der Produktdarstellung bei Amazon oder Zalando im Internet.

Im schlechten Fall wird dieses „Gutachten“, zu dem „Schlechtachten“, das sich die AfD wünscht, um ihre Märtyrerrolle und Prozesshanselei zu zelebrieren, und das die „Gemeinschaft der Demokrat:innen“, die heute nichts anderes kennt, als die von der AfD geforderte Politik vorauseilend schon mal umzusetzen, als Gewissensberuhigung ebenfalls gut gebrauchen kann.

Die AfD ist in ihrer Kernabsicht der parlamentarische Arm einer breiten gesellschaftlichen neofaschistischen Bewegung. Da, wo es schon geht, wird die außerparlamentarische Praxis, die Politik gegen Linke, Gewerkschafter:innen, Feministinnen, queere Leute, verschärft und mit dem parlamentarischen Auftreten verzahnt. Da, wo das noch nicht geht, oder wo taktische Zurückhaltung erforderlich ist, ist die gesamte Partei – nicht nur ein „Höcke-“ oder anderer „Flügel“ – in einer präfaschistischen Wartestellung.

      
Mehr dazu
Johann-Friedrich Anders: "Faschisierung"?, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Helmut Born und Thies Gleiss: Der aufhaltsame Aufstieg der AfD, die internationale Nr. 5/2024 (September/Oktober 2024).
H. Neuhaus: Faschismus bekämpfen, Grundrechte verteidigen, Widerstand organisieren, die internationale Nr. 5/2024 (September/Oktober 2024).
Jakob Schäfer: Zu den Ursachen der Rechtsentwicklung, die internationale Nr. 5/2024 (September/Oktober 2024).
Thies Gleiss: Gegen Rechts hilft nur Links, die internationale Nr. 5/2023 (September/Oktober 2023). Auch bei intersoz.org.
Ernest Mandel: Zu Trotzkis Analyse des Faschismus, Inprekorr Nr. 230 (September/Oktobber 1990).
 

Die AfD – und zwar gleichermaßen Mitgliedschaft und Wähler:innen – ist schon lange keine Gemeinschaft von Enttäuschten, Protestierenden, Wutbürger:innen, verlorenen Schafen usw. mehr. Sie ist mittlerweile die strategisch und organisatorisch wahrscheinlich meist gefestigte Partei in Deutschland. Sie ist nicht Abfallprodukt des Rechtrucks, sondern sie ist der gesellschaftliche Rechtsruck.

Gegen Rechts hilft nur Links! – der Aufbau einer politischen Einheitsfront gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck, eine wirklich alternative Politik der sozialen Gerechtigkeit und der internationalen Solidarität. Eine Politik, die dem Klassenkampf von oben und seiner Unterstützung durch ihre Deklassierung fürchtende Mittelschichten einen konsequenten Klassenkampf von unten entgegenstellt.

Eine Verbotskampagne gegen die AfD bindet viele Kräfte und lenkt die Auseinandersetzung immer auf juristische Expertenkreise und in geschlossene Zirkel. Jahrelang wird auf Abwarten und Hin-und-her-Abwägen orientiert.

Aber es gibt viele Institutionen und Personen, die sich eine andere Ebene der Auseinandersetzung mit der AfD nicht vorstellen können. Dann soll eine solche Verbotskampagne halt geschehen, ein Verkämpfen lohnt sich an dieser Frage nicht. Aber die gesellschaftliche Linke sollte sie immer mit ihrer eignen Kampagne „Gegen Rechts hilft nur Links“ unterstützen. Das gilt vor allem für die Gewerkschaften, in denen eine breite und intensive Debatte über die AfD geführt werden muss, damit die erschreckende Tatsache, dass überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder die AfD wählen, ein Ende findet.

07.06.2025



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz