Faschismus

Auf dem Weg zu Brauner Internationale?

Seit Ende des letzten Weltkrieges war die Bedrohung, die von einer aktiven, aggressiven und fast überall wachsenden extremen Rechten ausgeht, noch nie wieder so aktuell wie heute. Warum? Weil diese Bedrohung anders als in den letzten 6 bis 7 Jahrzehnten jetzt nicht mehr von einigen kleinen Gruppen oder auch kleinen Parteien von Nostalgiker*innen der Zwischenkriegszeit kommt, sondern von einer neuen, ungehemmten Rechten, die sogar Länder regiert oder sich anschickt, sie zu regieren, die zu den größten Mächten der Welt gehören!

Giorgos Mitralias

Das Indien von Modi, das Russland von Putin, das Brasilien von Bolsonaro, das Ungarn von Orban und […] das Italien von Giorgia Meloni und vielleicht die Vereinigten Staaten von Trump II – die Liste ist alles andere als erschöpfend, aber sie gibt doch eine Vorstellung davon, wie ernst und umfassend die Bedrohung ist. Zwar sind diese Führer*innen alles andere als ausgewiesene Nostalgiker oder „Erben“ des Faschismus und des Nazismus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, aber sie teilen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Autoritarismus, Islamophobie und Antisemitismus, offene Ablehnung der parlamentarischen (bürgerlichen) Demokratie, Frauenfeindlichkeit, Verherrlichung fossiler Brennstoffe und Klimaskepsis, Militarismus, Missachtung demokratischer Rechte und Freiheiten, Vorstellung einer von bösen Mächten gesteuerten Geschichte und Komplottismus [Glaube an Verschwörungstheorien], Hass auf die LGBTQ-Menschen, Obskurantismus und tiefe Verbundenheit mit dem Dreiklang „Familie-Vaterland-Religion“.

 

D. Trump auf der CPAC, 2020

Foto: Weißes Haus

Sie „Populisten“ zu nennen, wie es systematisch alle europäischen Medien tun, ist ein völlig unangebrachter Euphemismus, zumal dieselben Medien auch die Linke „populistisch“ nennen, wenn sie es wagt, den neoliberalen Kapitalismus in Frage zu stellen. Denn wenn Bolsonaro, Meloni oder Abascal von der spanischen Vox „Populisten“ sind, warum dann nicht auch Mussolini, Hitler oder Franco? Warum nicht die ganze Geschichte der letzten 100 Jahre umschreiben und jeden Hinweis auf die braune Pest auslöschen und sie auf einen fast harmlosen „Populismus“ reduzieren? Offensichtlich sind in der Nacht der neoliberalen Konterrevolution alle Rassisten, Frauenhasser, Pogromisten, Neofaschisten und andere Rechtsextremisten nicht mehr braun, sondern … grau. Kurz gesagt, alles fast harmlose „Populisten“ …

Aber es liegt uns fern, der ganzen weiten Welt ohne Unterschied das Etikett des (Neo-) Faschisten oder des (Neo-) Nazis aufzukleben. In Wirklichkeit sind sie nicht alle gleich, sondern sie haben auch Differenzen, was übrigens ihre Rivalitäten und die Kämpfe um Einfluss erklärt, die sie traditionell austragen. Kurz gesagt, die europäische (und globale) extreme Rechte ist nicht homogen, und obwohl sie als Ganzes stetig voranschreitet, ist es ihr härtester und gewalttätigster Flügel, der derzeit am stärksten zulegt und auf dem Vormarsch ist.


Madrider Forum


G. Meloni auf der CPAC, 2022

Foto: Vox

 

Von diesem harten und gewalttätigen Flügel kommen auch die Initiativen zur Strukturierung und Koordinierung dieser extremen Rechten auf internationaler Ebene. Vox zum Beispiel, die durch ihren spektakulären Durchbruch in Spanien gestärkt wurde, startet mit einigem Erfolg ihr „Madrider Forum“, um in Lateinamerika alles einzusammeln, was es an faschistischen Putschisten sowie rechtsextremen Parteien und Persönlichkeiten gibt. Es ist erwähnenswert, dass der Grundklang der „Charta von Madrid“, die die Mitglieder dieses offen faschistischen Forums unterzeichnen, der tiefe Hass auf die Indigenen ist, deren Genozid (bei weitem der größte in der Geschichte der Menschheit) durch die spanischen Konquistadoren als Akt der … „Befreiung vom blutrünstigen und terroristischen Regime der Azteken“ gefeiert wird!

Was auf den ersten Blick an dieser an die spanischsprachigen Länder gerichteten „Charta von Madrid“ merkwürdig erscheint, ist, dass sie auch von rechtsextremen Parteien und Persönlichkeiten unterzeichnet ist, die nichts mit Lateinamerika oder dem Kastilischen [der „spanischen“ Sprache] zu tun haben. So finden wir unter ihren Anhänger*innen prominente Trumpisten der nordamerikanischen Republikanischen Partei, die Partei Griechische Lösung (etwa 5 % bei den letzten Wahlen) von Kyriakos Velopoulos, einem Teleshopping-Betrüger, der berühmt wurde, als er monatelang sogar „authentische Manuskripte“ von Jesus Christus verkaufte, oder die postfaschistische Partei Fratelli d'Italia der künftigen [inzwischen amtierenden, A. d. Red.] italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, die übrigens sehr privilegierte Beziehungen zu ihren „Kameraden“ von der Vox unterhält.

Dies ist also ein erster Versuch, die harten Kräfte der extremen Rechten zu vereinen, was ein erster Schritt zur Bildung einer wirklichen Braunen Internationale sein könnte, die viele rechtsextreme Parteien anscheinend ins Leben rufen wollen. Dass es derzeit keine solche Internationale gibt, bedeutet jedoch nicht, dass es keine begrenzte Zusammenarbeit zwischen mehreren dieser extremistischen Kräfte gäbe. Schon jetzt gibt es zahllose Treffen und andere „Gipfel“ ihrer Führer*innen. Ebenso viele Manifeste und gemeinsame Erklärungen, mit denen sie enden. Ihre finanziellen Unterstützungen, von der die bekannteste die der Banken des putinschen Russlands an die Partei von Marine Le Pen ist, sind kein Geheimnis mehr. Und manchmal überquert diese Finanzierung sogar den Atlantik, wenn es darum geht, einen allzu lästigen Feind zu besiegen.


Kampf gegen Greta – und die ganze Jugend


Zum Beispiel, wenn dieser Feind Greta Thunberg heißt, die Inspiratorin der radikalen, weltweiten Jugendbewegung gegen die Klimakatastrophe. Dies schrieben wir schon vor drei Jahren in einem Text mit dem mehr als deutlichen Titel „Der Hass auf Greta: hier sind Namen und Adressen derjenigen, die ihn finanzieren!“, in dem wir diejenigen präsentierten, die jenseits des Atlantiks rechtsextreme europäische Parteien finanzierten, die gegen Greta kämpften:

      
Mehr dazu
Helmut Dahmer: 100 Jahre „Faschismus“: 1922–2022, die internationale Nr. 1/2023 (Januar/Februar 2023)
Christophe Aguiton: Europas extreme Rechte erstarkt, intersoz.org (17. November 2022)
Sinistra anticapitalista: Die alten sind auch die neuen Feinde der Arbeiterklasse, die internationale Nr. 6/2022 (November/Dezember 2022). Auch bei intersoz.org
Stathis Kouvelakis: Zemmour - das Produkt einer Rechtsentwicklung, die internationale Nr. 1/2022 (Januar/Februar 2022)
Ugo Palheta: Noch immer aktuell, die internationale Nr. 4/2021 (Juli/August 2021)
Alain Bihr: Ist der Faschismus eine aktuelle Gefahr?, die internationale Nr. 4/2021 (Juli/August 2021)
Interview mit Michael Löwy: Ist die Regierung Bolsonaro faschistisch?, die internationale Nr. 6/2019 (November/Dezember 2019)
Miguel Urbán Crespo: Rechtsextremismus im Spanischen Staat, die internationale Nr. 3/2019 (Mai/Juni 2019)
Thies Gleiss: Wie wird der neue Nationalsozialismus geschlagen?, die internationale Nr. 2/2017 (März/April 2017)
Bernard Schmid: Die extreme Rechte in Frankreich, die internationale Nr. 1/2017 (Januar/Februar 2017)
Jean Batou: Der Faschismus des 21. Jahrhunderts, Inprekorr Nr. 4/2014 (Juli/August 2014)
 

„Erstens haben die europäischen Rechtsextremen oder zumindest einige ihrer Schwergewichte enge Verbindungen zu – wenn nicht gar Abhängigkeiten von –einem politischen und wirtschaftlichen Zentrum/Stab in den USA, genauer gesagt zum Weißen Haus und zu den Finanziers und Unterstützer*innen von Präsident Trump! Dann ist es kein Zufall, dass diese ‚Braune Internationale‘ zu dem Schluss gekommen zu sein scheint, dass die Frage der Klimakatastrophe und insbesondere die – immer breitere und radikalere – Jugendbewegung, die dagegen kämpft, die größte Bedrohung für ihre Interessen und für die Herrschaft des kapitalistischen Systems in den kommenden Jahren darstellt. Und schließlich ist es kein Zufall, dass diese ‚Braune Internationale‘, genauer gesagt ihre europäische ‚Sektion‘, ihre Angriffe heute vorrangig auf die Person von Greta Thunberg konzentriert, der unbestreitbaren Leitfigur, Theoretikerin und Koordinatorin der Jugendmobilisierungen fast überall in Europa und darüber hinaus.“


„Wir müssen die Bewegung unserer Truppen koordinieren, weil wir alle vor der gleichen Aufgabe stehen“


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verbindungen zwischen den bestehenden rechtsextremen Gruppierungen stark sind und sich ebenso schnell entwickeln wie ihr Wahleinfluss. Wird es dazu kommen, dass die extreme Rechte in Europa und in der Welt an Fahrt gewinnt und die ersten Ansätze in eine eigene ehrgeizige, gut strukturierte und gefährliche Internationale umwandelt? Es mangelt nicht an Wünschen, und die kommen jetzt öffentlich zum Ausdruck, wie bei Victor Orban, der am 4. August von Tausenden von Trump-Republikaner*innen der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Dallas (Texas) stehenden Applaus erhält, als er sagt: „Wir müssen die Bewegung unserer Truppen koordinieren, weil wir alle vor der gleichen Aufgabe stehen … Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass wir unsere Kräfte bündeln müssen!“

Zweifellos könnte der […] Sieg der extremen Rechten bei den italienischen Wahlen vom 25. September die politische Landschaft und die politischen Machtverhältnisse auf unserem Kontinent erheblich verändern. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass ein solches Ereignis den Aufstieg der einen und die Krise der anderen beschleunigt. In Erwartung dieses Wahlsiegs der Fratelli d 'Italia und ihrer Verbündeten schwenkten bereits Führer wie Orban oder Abascal – und sogar Putin – zu einer viel roheren und offensiveren Sprache, während auf der anderen Seite die Europäische Kommission es vorzog, „konziliant“ zu sein und schon im Dezember 2021 sogar ihren Vizepräsidenten, den Griechen Margaritis S'chinas, schickte, um sie bei einem jährlichen Festival der italienischen Jugend zu vertreten: dem der extremen Rechten!

Das Ergebnis der italienischen Wahlen und die reale Aussicht, dass Putin in zwei Jahren mit einem ins Weiße Haus zurückgekehrten Trump II eine Verbindung aufbauen könnte, sollte daher von Antifaschist*innen und Demokrat*innen auf der ganzen Welt, die ihre Antwort so schnell wie möglich vorbereiten müssen, sehr ernst genommen werden. Ob mit oder ohne Braune Internationale, die extreme Rechte stellt heute eine existenzielle Bedrohung für uns alle dar.

30. August 2022
Der Journalist Giorgos Mitralias ist einer der Gründer und Moderatoren des griechischen Komitees gegen Schulden, Mitglied des internationalen CADTM-Netzwerks und der griechischen Kampagne für Schuldenprüfung. Mitglied der Wahrheitskommission für die griechischen Schulden und Initiator des Aufrufs zur Unterstützung dieser Kommission.
Quelle: www.cadtm.org
Übersetzung aus dem Französischen, Zwischentitel und [Anmerkungen]: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2023 (Januar/Februar 2023). | Startseite | Impressum | Datenschutz