Rechtsextremismus

Wie wird der neue Nationalsozialismus geschlagen?

Die Antwort auf rechte Erfolge ist linke Politik – sonst nichts.

Die letzten Wahlen zu kommunalen Parlamenten und Landtagen in Deutschland haben ein überragendes Ergebnis: Rechte Parteien, allen voran die Alternative für Deutschland, aber nicht nur die, haben so großen Zulauf erhalten, dass in allen Wahlanalysen zu Recht von einem breiten Rechtsruck in Deutschland gesprochen wird.

Thies Gleiss

Es ist der AFD, der NPD und anderen rechts-populistischen Parteien und Listen bei allen Wahlen gelungen, einen großen Teil der bisherigen Nichtwähler*innen zu mobilisieren. Die Wahlbeteiligung 2016 stieg entgegen dem Trend aller vorhergehenden Wahlen (mit dem Sonderfall 2011 wegen des Fukushima-Unglücks, das den Grünen unverhofften Zulauf brachte) noch einmal deutlich um 5-10 Prozent an. Die AFD konnte erfolgreich das Thema Geflüchtete nutzen, um ihr Wählerpotenzial voll zu mobilisieren.

Eine oberflächliche Betrachtung, die leider dennoch sehr verbreitet ist, könnte zu der Annahme verleiten, das Thema Flucht und Migration nach Deutschland hätte die seit 1990 fast kontinuierlich wachsende Legitimationskrise der etablierten Parteien CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne – die ja gerne auch als die Neoliberale Einheitspartei Deutschlands zusammengefasst werden – in einem Punkt auf die Spitze getrieben. Oder, wie es auch in den Reihen der LINKEN viel zu hören ist: Die herrschenden Parteien haben in der Geflüchtetenfrage die Quittung für ihre Politik des Sparens und des Sozialabbaus erhalten. Oder ganz platt: Die Wahl der AFD ist eine von der LINKEN positiv aufzugreifende Kritik an der Regierung. Eine Protestwahl mit antikapitalistischem Teilgehalt.

Diese Schlussfolgerung ist falsch und gefährlich, weil die Politik leider nicht so einfach funktioniert.

Die Wahl der AFD ist aus der Sicht der bisherigen Regierungsparteien natürlich so etwas wie eine Protestwahl. Aus der Sicht der AFD ist das allerdings ein ernstzunehmender inhaltlich eigenständiger Wahlakt und keineswegs ein von anderen Motiven gelenkter „Denkzettel“ an die da oben, eventuell gar von fehlgeleiteten armen Schäfchen, die eigentlich was Gutes und Antikapitalistisches tun wollten.

Die Unterstützung bei den Wahlen für die AFD ist aber auch kein Bruch mit der herrschenden Politik. Wer Programm und Auftreten der AFD – oder der mit ihr zusammengehenden Pegida- und sonstigen Kundgebungen – untersucht, stellt sofort fest, sie sind nichts als eine etwas rigidere Zusammenfassung der neoliberalen Zielsetzungen: Leistung muss sich lohnen, Familien- und deutsche Werte müssen gepflegt und erneuert werden; die Faulen und Sozialschmarotzer müssen ausgegrenzt werden; bürokratische und gewerkschaftliche Regulierungen und Einspruchsrechte müssen abgebaut werden; Sozialleistungen sollen minimiert und vom Wohlverhalten abhängig gemacht werden; das ehrliche und schaffende Kapital muss gestärkt werden und deutsche Interessen sollen uneingeschränkt Vorrang haben. Die „versifften 68er“ – so der Originalton der AfD – sind der Hauptfeind für eine konsequente Politik und dieser Feind hätte alle so genannten „Altparteien“ unterwandert und verunstaltet.

Allein beim Thema Europäische Union beruft sich die AFD auf Positionen, die nur eine Minderheit der bisherigen politischen Vertretung des deutschen Kapitals einnimmt. In allen anderen Fragen ist die AFD sofort kompatibel mit CDU und CSU und der SPD sowie mit der Mehrheit der Grünen. In allen Parteien – von Duisburger SPD-Mann Duda oder Thilo Sarrazin über die CSU-Granden bis zum Tübinger Grünen-Bürgermeister Palmer – werden ähnliche Positionen vertreten. Die AFD verkauft sich lediglich als eine unverbrauchte Kraft, die weniger Rücksicht nehmen muss, und fordert eine Politik, die mehr der direkte Vollzug der Regierung und Verwaltung, wenn nicht gar einer einzelnen Führungsfigur ist. Ein schlanker, aber starker Staat soll den Rahmen einer solchen reinen Marktwirtschaft bewahren und als Kitt dient ein breiiger deutscher Nationalismus mit völkischen Einschlägen.

Es handelt sich damit um eine klassische rechts-nationalistische Mobilisierung, wer will, kann auch gerne „vor-faschistisch“ sagen. Sie speist sich aus der politischen und personalen Zerstritten- und Verschlissenheit der etablierten Parteien, ihrem Scheitern in der zentralen politischen Orientierung, dem Aufbau der EU, und bedient sich hemmungslos an der Saat, die von diesen etablierten Parteien seit Jahren in der Sozial- und Bildungspolitik gelegt wurde. Mit dem Scheitern der EU ist dem deutschen Kapital das wichtigste, vielleicht einzige Projekt flöten gegangen, mit dem es auch der breiten Bevölkerung Hoffnung auf neue Perspektiven und Wohlstand geben wollte. Die EU hat sich von einer Hoffnung zu einer monströsen, bürokratischen Bedrohung gewandelt. Eine bürgerliche Regierung jedoch, die kein Projekt der Hoffnung mehr aufzubieten hat, zersetzt sich und wird von den schmutzigen, vulgären und tumben Schreihälsen in den Niederungen ihrer eigenen Politik teilweise überrollt. Dieses bittere Schauspiel erleben wir heute, in Deutschland, Frankreich, Britannien, den Niederlanden und anderswo.

Gleichzeitig ist dieses von rechts aufgegriffene Scheitern der EU ein Aufleben des Nationalismus und des Nationalstaats-Getöses in den Mitgliedstaaten, das die EU, weil sie von Beginn an nur ein Unternehmer-Pakt und eine Markt-Union ist, niemals hat überwinden können.

Wo die Hoffnung schwindet, entsteht der Boden für eine politische Mobilisierung mit der Angst – das ist auf eine kurze Formel gebracht, das Erfolgsrezept der AfD.

Der Aufschwung der Rechten ist untrennbar mit der Politik der Regierung verbunden, egal ob als „rot-grüne“, „schwarz-gelbe“ oder „schwarz-rote“ Koalition umgesetzt. Die Politik der Umverteilung und der kompromisslosen Förderung der Profitinteressen der Reichen polarisiert auch das Denken der Menschen. Die Rechten entstehen in der Mitte der Gesellschaft. Getragen wird die AFD und der rechte Mob von Pegida, Hogesa und wie er sich immer nennt, von Angehörigen der Mittelschicht, die Angst vor Absturz und Verarmung haben und auf der Suche nach Sündenböcken für ihre Krisenängste sind – das dürfen mal die muslimischen Migrant*innen, mal die Kriegsopfer aus den zerstörten Teilen der Welt, mal die Erwerbslosen, sexuellen Minderheiten oder auch Behinderten im eigenen Land sein. Diese Teile der Gesellschaft erleben den Aufschwung von obszönem Reichtum auf der einen Seite und einen wachsenden Abgrund an Armut und Prekarisierung auf der anderen. Ihnen ist der Aufstieg nach Oben verwehrt, sie fühlen sich zu kurz gekommen und der Aufschwung ist an ihnen vorbeigegangen. Gleichzeitig wird die Angst vor einem Absturz konkreter und wird ihnen an vielen Beispielen in der Familie, im Bekanntenkreis oder in der Nachbarschaft vorgeführt, oft auch nur erzählt.

Leider sind die Rechten aktuell sehr erfolgreich, auch größere Teile der Arbeiter*innenklasse, vor allem der Jung- und Erstwähler*innen für sich zu gewinnen und ihnen ihre einfache Sündenbock-Geschichte zu erzählen.

Das organisatorische Gewicht der AfD besteht nicht nur aus den etwa 27 000 Mitgliedern, sondern auch aus den zahlreichen Straßenaktionen eines rechten, nationalistischen Mobs und den in ihrem Schatten stattfindenden physischen Angriffen auf Geflüchtete, Linke, Andersdenkende, Obdachlose, Homosexuelle und Behinderte.

Auch bei den gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen, also bei dem am wenigsten prekarisierten Teil der Arbeiter*innenklasse, soll die AfD noch gut 13 Prozent der Wähler*innen für sich mobilisiert haben. Mit Auflehnung gegen die Regierungsparteien hat das nichts zu tun, eher mit Enttäuschung, dass ihrer bisherigen entpolitisierten und entpolitisierenden Treue zu diesen Parteien nicht gedankt wurde.

Das politische Selbstverständnis der AFD und ihrer vulgären Anhänger*innen ist also nicht Kritik an der Regierungspolitik, sondern vielmehr der Wunsch nach deren brutaleren Vollstreckung.


CDU, CSU, SPD, Grüne: Alle auf dem Weg nach rechts


Es ist vor dem Hintergrund dieser Analyse kein Zufall, dass CDU, CSU, Grüne und FDP − neben ihrer wahltypischen Phraseologie und Trauerarbeit angesichts der Verluste an Zuspruch − in der Praxis nur eine Handlungsrichtung kennen: Wir müssen der AFD das Wasser abgraben, indem wir die schmutzige Arbeit zum Abschotten Europas vor den Geflüchteten und die rücksichtslose soziale Ausgrenzungspolitik gegenüber Armen und Schwachen und noch konsequenter durchführen. Sie reden nicht mehr nur von Obergrenzen und Kapazitätsbeschränkungen, sondern sie führen sie durch. Das gängige Schema ist schon aus früheren Zeiten bekannt, auch bei den vorherigen Beschneidungen des Asylrechts: Wir müssen den Forderungen der AFD entgegenkommen, „um Schlimmeres zu verhüten“. CDU und CSU haben sich mittlerweile fast vollständig darauf verständigt, auch bei den Wahlen 2017, insbesondere bei der Bundestagswahl im Herbst, hauptsächlich auf das Thema „Innere Sicherheit“ und „starker Staat“ zu setzen. Sie eröffnen, auch vor dem Hintergrund „islamistischer Anschläge“ (wer immer die im Konkreten veranlasst und durchgeführt hat), ihrerseits einen Wahlkampf mit der Angst.

Eine solche Kampagne ist für die herrschende Klasse immer heikel. Müssen ihre politischen Agenten doch über die Marktplätze und durch die Talkshows ziehen, um dem Volk zu verkünden, dass die Lage unsicher und gefährlich ist. Die Gefahr, damit der rechten Propaganda geradezu Bestätigung zu verschaffen, ist groß. Aber die Unionsparteien kalkulieren damit, dass der wirkliche gesellschaftliche Einfluss der AfD noch so klein ist und ihre eigene Sicherheits- und Angstkampagne den AfD-Wähler*innen zeigen wird, dass die wirkliche Kompetenz in diesen Fragen bei CDU und CSU liegt. Die Rechnung kann aufgehen (so wie bei früheren Aufschwüngen rechter Parteien in Deutschland), sie kann bei Umfrageergebnissen für die AfD von bis zu 20 Prozent allerdings auch schnell dahin umkippen, dass noch mehr WählerInnen sich für das Original AfD entscheiden.

Der Niedergang der SPD von einer, wie es im fast sechzig Jahre alten Godesberger Programm angelegt wurde, linken Volkspartei zu einer x-beliebigen bürgerlichen Partei, die sich nach den Pfründen der Machtbeteiligung sehnt und dafür jeden Preis bezahlt, um als Geschäftsführerin des Kapitals angenommen zu werden, schreitet unermüdlich fort. Die letzten Wahlen betrafen ein gutes Fünftel aller Wähler*innen in der Bundesrepublik. Die SPD erreichte bei ihnen nicht mehr als das 20-Prozent-Ghetto. Der qualitative Sprung im Niedergang der SPD liegt jetzt schon über zwölf Jahre zurück, es ist die Politik von Hartz IV und der Agenda 2010. Und immer noch wird die Partei von der gleichen Personalriege dominiert, auch wenn fast die Hälfte der Mitglieder der SPD erst nach 2004 eingetreten ist, also sich bewusst für eine bürgerliche Hartz-IV-Partei entschieden hat. Die SPD hat keine sozialpolitischen Ideen mehr und zerschlägt weiterhin die sozialen Sicherungssysteme, statt ihre verheerenden „Reformen“ zurückzunehmen.

Der gesellschaftliche Gegner einer humanen Sozialpolitik – also die Kapitalseite, deren Geschäfte die SPD so brav erledigen möchte – hat schon seit langem den Weg der „Sozialpartnerschaft“ und der Verteilung wenigstens kleiner Rosinen an die unteren Klassen verlassen. Ohne eine solche integrative Verteilungspolitik wird es aber keine Wiederbelebung des Sozialdemokratismus geben.

Die SPD widersetzte sich allerdings bisher selbst der Minimalvoraussetzung einer solchen Wiederbelebung: dem Austausch der für diese katastrophale Politik verantwortlichen Führungsriege. Jetzt hat sie versucht, dies optisch zu korrigieren, indem sie mit Martin Schulz einen Spitzenkandidaten aufgestellt hat, der „von außen“ kommt und seine soziale Rhetorik nicht gleich beim ersten Mal mit seiner eigenen Verantwortung für die gegenteilige Politik konterkariert. Das hat für einen kleinen Aufschwung in den Umfragen von 5-10 Prozentpunkten geführt. Ob dieses „demoskopische Wunder“ anhält oder wieder zurückgeht, wird sich zeigen. Sollte die SPD in die von CDU und CSU gestellte Falle tapsen und selbst einen Wahlkampf mit der Angst und um „innere Sicherheit“ führen, wird sie sicher verlieren. Einiges spricht dafür, dass dies passiert, weil neben Martin Schulz nur sozialdemokratisches Personal herumläuft, das in Sachen gerechter Sozialpolitik nur Dreck an den Fingern hat und Schulz sicher in die Parade fährt, wenn er öffentlich verkünden sollte (was er müsste, um langfristig Stimmen zu gewinnen), die Agenda 2010 und alles, was sie angerichtet hat, waren von Übel und müssen zurückgenommen werden.

Martin Schulz kleidet seine neue soziale Demagogie auf jeden Fall schon einmal in Begriffe, die einen Schwenk nach rechts nicht verunmöglichen. Sein in jeder Rede benutztes Bild des „hart arbeitenden Menschen, der sich an die Regeln hält,“ ist absolut mit dem Prä-Faschismus der AfD kompatibel.


Die LINKE und der Kampf gegen Rechts


Wie schon in der großen weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2007-2009 gelingt es der LINKEN auch heute nicht, die tiefe Krise des Kapitalismus für eine politische Generalabrechnung mit diesem System aufzugreifen und sich als die systematische sozialistische Opposition aufzustellen, die in ihrem Grundsatzprogramm angelegt und gefordert wird. Es gibt – im Übrigen nicht nur auf dem rechten Flügel der Partei, dem das Erfurter Gründungsprogramm schon viel zu links ist – wichtige politische Kräfte und Führungsleute in der Partei, die gerade in Zeiten, wo nicht die Systemreparatur, sondern die harte Systemkritik erforderlich wäre, in eine reale Beißhemmung verfallen. Ein beträchtlicher Teil der LINKEN ist im Wunsch erstarrt, der Kapitalismus möge sich doch wieder selbst aufrappeln, so dass eine neue links-sozialdemokratische Verteilungspolitik möglich wird. Das wird aber nicht passieren.

Die weltweite Geflüchtetenbewegung und ihre Fokussierung auf Deutschland hat noch einmal und verstärkt die Notwendigkeit einer sozialistischen und systemalternativen Lösung auf die Tagesordnung gesetzt. Weltneuordnungskriege, failed states in Folge dieser Kriege, Umweltzerstörung und Freihandel, der ganze Volkswirtschaften ruiniert, sind keine Unfälle oder Irrtümer der Politik, sondern systematisches Ergebnis der kapitalistischen Produktionsweise. Niemand anderes als die LINKE hätte dies zum Thema machen können und die politischen Forderungen daraus auf die Tagesordnung setzen müssen:

Für eine neue sozialistische Weltwirtschaftsordnung. Für den sofortigen Stopp der Kriegseinsätze und der sie fütternden Waffenlieferungen. Für eine radikale weltweite Umverteilung zugunsten der armen Länder, mindestens in Höhe der Billionen, die heute für das Kriegsgeschäft investiert werden. Für einen neuen sozialistischen Internationalismus als Alternative zu dem Muff der Nationalisten und Rassisten. Für eine menschenwürdige Aufnahme aller Geflüchteten und Beendigung der Abschiebungen. Für eine geregelte Einwanderung und ein sofortiges Ende des Sterbens im und am Mittelmeer.

Die Flüchtenden haben ein Recht, nach Deutschland und in das reiche Europa zu kommen und hier nur einen Bruchteil dessen zurückzuverlangen, was ihnen die kapitalistische Weltwirtschaftsordnung geraubt hat. Dieses Wirtschaftssystem tötet, hat selbst der Papst verkündet, und wir müssen allen Bedrohten Schutz geben. Es gibt in Deutschland viele Ansätze einer politischen Geflüchtetenbewegung, die daran arbeitet, den Flüchtenden ein solches politisches Selbstbewusstsein zu geben – leider beteiligt sich die LINKE an dieser konkreten Gestaltung eines neuen Internationalismus nicht besonders.

Stattdessen ist die LINKE nicht aus den dunklen Schatten der angeblichen Sachzwänge herausgetreten; viele, auch führende Mitglieder der LINKEN, haben sich sogar voll in die kapitalistische Logik einer so genannten „Flüchtlingskrise“ hineinziehen lassen. Ist es im Falle der Abwehr der Erpressung der griechischen Bevölkerung völlig richtig, darauf zu beharren, dass die Defizite der kapitalistischen EU nur durch nationale Schutzpolitik, durch Währungssouveränität und Kapitalverkehrskontrollen, zu beantworten sind, so ist im Falle der Fluchtmigration die nationale Option verheerend, öffnet nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch in der praktischen Politik alle Schleusen für den Vormarsch der Rechten und Rassisten.

Es gibt kein „Flüchtlingsproblem“ oder eine „Flüchtlingskrise“. Führende LINKE übernehmen trotzdem immer wieder die übelsten Begriffe wie „Gastrecht“, „Belastungsgrenze“, „Obergrenzen“, um sie links zu begründen.

Selbst die in der Regel zurückhaltenden DGB-Gewerkschaften waren in dieser Hinsicht klüger als viele LINKE in den letzten Wochen. Sie haben schlicht festgestellt, dass „Deutschland“ selbstverständlich alle Geflüchteten menschenfreundlich aufnehmen kann. Das Geld dafür muss noch nicht einmal erst mittelfristig durch Umverteilung, etwa eine Millionärssteuer, wie sie die LINKE fordert, aufgetrieben werden. Es wäre sofort verfügbar. Allein die Milliardenpolster, die das Haus Schäuble zurzeit besitzt, würden dafür allemal ausreichen.

Die LINKE ist zurzeit an Regierungen beteiligt, stellt in Thüringen den Ministerpräsidenten. Es ist eine Schande, dass diese Positionen nicht dafür genutzt werden, sich beispielhaft für eine andere Geflüchtetenpolitik, ohne Abschiebungen und Massenlager, ohne Rücksicht auf Schuldenbremsen und angebliche Wähler*innen der AFD einzusetzen. Die „Systemfrage“ kommt zuweilen sehr schnell auf die Tagesordnung auch von Minister- und Staatskanzleien – die Geflüchtetenbewegung von heute ist so ein Fall.

      
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Eine Korrektur im Umgang mit der Geflüchtetenfrage in den Auftritten vieler LINKER und in der Politik vieler Kreisverbände ist die erste Voraussetzung, um sich dem Rechtsruck in Deutschland und Europa entgegen zu stellen.

Die LINKE müsste gleichzeitig zu den Architekten breiter Einheitsfrontbündnisse gegen die AFD und ihre Auftritte gehören. Ob das immer und unbedingt in Schlachten zur Verhinderung von rechten Aufmärschen stattfinden muss, kann und muss in diesen Bündnissen diskutiert werden. Ohne solche Blockadeaktionen wird die nötige Kraft aber wohl nicht mobilisierbar sein. Aber wichtiger noch ist die Präsenz der LINKEN als eigenständige politische Kraft mit einem sicht- und hörbaren Programm an sozialen und politischen Forderungen. Die LINKE sollte selbstverständlich auch SPD und Grüne auffordern und einladen, sich dieser konkreten Mobilisierung gegen Rechts anzuschließen – was in vielen Städten und Gemeinden auch schon seit langem passiert. Das wird allerdings nicht dadurch erleichtert, sondern eher erschwert, dass weiterhin von gemeinsamen Regierungen mit SPD und Grünen geschwätzt wird. Schon gar nicht ist eine solche Regierungsoption Voraussetzung für Einheitsfrontbündnisse gegen Rechte und Rassisten.

Eine Angstkampagne der Rechten wie auch der offiziellen Regierungskampagne zu „Innerer Sicherheit“ kann nur mit einer linken Kampagne der Hoffnung beantwortet werden. Hoffnung verbindet sich aber immer mit großen politischen Zielsetzungen nach sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Sozialismus, nach einem „Mehr“ gegenüber dem „Weniger“ von heute. Die müssen thematisiert werden. Die kleinen tagespolitischen Forderungen nach mehr Lohn, höherer Rente, niedrigerer Miete und kürzeren Arbeitszeiten bekommen dadurch erst die heute unerlässliche Perspektive einer neuen, zukunftsfähigen Gesellschaft.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 2/2017 (März/April 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz