Welche Haltung soll die internationalistische Linke in der Kosovo-Krise einnehmen? Soll sie der – eventuell auch militärischen – Intervention des Westens kritische Unterstützung geben oder umgekehrt Milosevic als Garanten des Antiimperialismus? Oder soll sie zu allen Beteiligten gleichen Abstand wahren, da alle mehr oder weniger nationalistische Ideen verfolgen? Der folgende Artikel versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu geben. [1]
Andreas Kloke
Die albanische Bevölkerungsmehrheit des Kosovo wird seit Beginn des jugoslawischen Staates Titos unterdrückt und hatte nie die Freiheit der Wahl im Sinn der nationalen Selbstbestimmung. Die Unterdrückung lockerte sich mit der Verfassung von 1974, die den KosovarInnen die Autonomie und bestimmte Rechte gewährte, kulminierte aber 1989 mit der Aufhebung der Autonomie und der Institutionalisierung eines Apartheid-Systems, in dem alle demokratischen Rechte der KosovarInnen konsequent mißachtet werden. Seitdem befindet sich der Kosovo faktisch unter fremder Besatzung, d. h. unter der Herrschaft der Repressionsorgane des serbischen Staates.
Milosevic und sein Regime versuchten mit der Abschaffung der Autonomie des Kosovo, die nationalistisch-serbische Herrschaft im früheren Jugoslawien durchzusetzen, provozierten damit aber nur die Auflösung des jugoslawischen Bundesstaates und stürzten das Land durch die Zerstörungskriege in Kroatien (1991) und in Bosnien-Herzegowina (1992-95), dort mit Unterstützung der einheimischen serbisch-nationalistischen Kräfte, in die Katastrophe. Die gleiche Strategie verfolgten später auch das Tudjman-Regime und die Kräfte des kroatischen Chauvinismus.
Die NATO-Staaten unter der unbestrittenen Führung der USA begannen seit 1995, sich auch militärisch in die Konflikte einzumischen. Das wurde bei der Eroberung der sog. Kraijna durch die Truppen Tudjmans und danach durch die Bombardierung von Stellungen der serbischen Nationalisten in Bosnien und den Vertrag von Dayton deutlich, der den Konfliktparteien aufgenötigt wurde.
Die „Befriedungs“-Strategie der NATO und Washingtons war jedoch zum Scheitern verurteilt, weil sie im wesentlichen die gewaltsamen und mörderischen Eroberungen vor allem der serbischen, aber auch der kroatischen Nationalisten in Bosnien-Herzegowina absegnete und auf diese Weise die chauvinistischen und diktatorischen Regime in Belgrad und Zagreb stabilisierte.
Als ebenso zynisch hat sich die Politik des Westens gegenüber der barbarischen Unterdrückung der KosovarInnen erwiesen. Seit 1995 besteht praktisch ein unverhülltes Einverständnis zwischen den imperialistischen Staaten und dem Milosevic-Regime, das der großen Mehrheit der Bevölkerung das Recht auf nationale Selbstbestimmung verweigert. Die „Realpolitik“ des Westens zielt vorrangig auf die Stabilität bestimmter Regime und die Ausbalancierung gegebener Kräfteverhältnisse in der Region ab, wobei sie auch die kurz- und mittelfristigen Beziehungen des Westens mit Rußland berücksichtigt, und schert sich nicht sonderlich um die legitimen Ansprüche ganzer Nationen.
Seit Jahren war es offensichtlich, daß der offene und bewaffnete Konflikt zwischen dem serbischen Repressionsapparat und den Kräften der nationalen Befreiung des Kosovo nur eine Frage der Zeit war. Die KosovarInnen waren mit dem tragischen Dilemma konfrontiert, entweder die Unterjochung passiv hinzunehmen oder den bewaffneten Aufstand vorzubereiten, der aber wegen der sich immer weiter verschlechternden innenpolitischen Szenerie in Serbien, wo der offen als Faschist auftretende Seselj an der Machtausübung beteiligt ist, keine großen Aussichten auf Erfolg haben würde.
Schließlich wählte das Regime der erprobten Schlächter Milosevic und Seselj den Zeitpunkt (März 1998), den Widerstand der sich formierenden UCK mit militärischen Mitteln zu unterdrücken und das Land mit seiner Kriegsmaschine zu terrorisieren, Kämpfer der UCK und deren Familien zu „liquidieren“, Dörfer mit der Luftwaffe und anderen schweren Waffen zu bombardieren, 250 000 Menschen zu Flüchtlingen zu machen und ihre Häuser zu zerstören, all dies in einem Land, das vom Belgrader Regime als ureigenstes serbisches Territorium betrachtet wird.
In dieser kritischen Phase beschränkten sich die Regierungen der imperialistischen Staaten auf eine Zuschauerrolle und ließen es zu, daß die serbischen Einheiten den Widerstand der UCK zerschlugen. Danach hielten sie zu beiden Seiten gleiche Distanz und forderten sie gleichermaßen auf, die „Gewalttätigkeiten zu beenden“ und „Verhandlungen“ aufzunehmen.
Die Regierungen der USA und Westeuropas präsentieren sich auf diese Weise nach dem Blutbad als entscheidenden Faktor, der das letzte Wort bei der angeblichen Stabilisierung der gesamten Region haben soll. Die „6 Bedingungen“, die dem Belgrader Regime unter der Androhung von NATO-Bombardierungen serbischer Stellungen aufgezwungen wurden, betonen erneut den Willen der imperialistischen Staaten, weltweit und besonders in Europa auch mit militärischen Mitteln in allen „regionalen Krisen“, wo immer sie auftauchen, zu intervenieren.
Die „6 Bedingungen“ kranken an dem Widerspruch, einerseits gewisse Garantien für die Rechte der KosovarInnen bieten zu wollen, andererseits die gesamte Staatsmacht in den Händen der serbischen Unterdrücker zu belassen. Daher ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß die Politik der „6 Bedingungen“ früher oder später scheitert.
Die Annahme der „6 Bedingungen“ gab dem Milosevic/Seselj-Regime die Gelegenheit, sich als Retter sowohl der serbischen Oberhoheit im Kosovo als auch „des Friedens“ aufzuspielen.
Erneut hat sich gezeigt, daß die großserbische Aggressionspolitik die Völker des früheren Jugoslawiens, und besonders auch das serbische, in jeder Hinsicht immer tiefer in die Katastrophe treibt und das Haupthindernis für die Lösung der entscheidenden Probleme darstellt. Der Prozeß der kapitalistischen Restauration unter der Führung banausenhafter und diktatorischer bürokratischer Cliquen und der Armee bei fortgesetzter Vergewaltigung der demokratischen Rechte der Völker einschließlich des serbischen können nur mit einer radikalen Demokratisierung der inneren sozialpolitischen Verhältnisse besonders in Serbien gestoppt werden.
Die erste Voraussetzung für die Herausbildung wirklich demokratischer Verhältnisse bildet die Anerkennung des Rechts der KosovarInnen, vollständig frei über die Zukunft ihres Landes und die Form seiner staatlichen Existenz (Vereinigung mit Albanien, Gründung eines unabhängigen Staates oder was auch immer) zu entscheiden, wobei gleichzeitig klare Garantien für die Rechte der serbischen Minderheit gegeben werden müssen.
Nur so, sowie mit der Beendigung der Zerstückelung Bosnien-Herzegowinas, wird sich der Weg für die einzige Perspektive de Völker des früheren Jugoslawiens und des Balkans öffnen, nämlich die sozialistische Föderation, die die Völker auf der Basis tatsächlich freier Entscheidungen einigen und von jeder Form chauvinistischer und diktatorischer Unterdrückung befreien wird.
Nur so werden die Völker die Fähigkeit erlangen, sich gemeinsam gegen die Katastrophen und die Verelendung zu wehren, die die Kriege und die kapitalistische Restauration mit sich bringen, sowie gegen die ökonomische und politische Herrschaft, die die imperialistischen Staaten zu etablieren versuchen.
Aus dieser Perspektive sind die Aktivitäten und die Verhaltensweisen der verschiedenen am Konflikt beteiligten Parteien einzuschätzen.
Das Belgrader Regime ist nicht nur wegen der Verbrechen, die es begangen hat und für die es direkt verantwortlich ist, zu verurteilen, sondern auch dafür, daß es den westlichen Regierungen die Möglichkeit eröffnet hat, als Schiedsrichter und „Friedensstifter“ aufzutreten und sich aktiv, auch militärisch, im Balkan einzumischen.
Ebenso wenden wir uns entschieden gegen alle militärischen Bedrohungen Serbiens durch die NATO. Dieses imperialistische Militärbündnis unserer Zeit schlechthin ist am Frieden nur soweit interessiert, wie er den Interessen des weltweiten kapitalistischen Systems dient, und kümmert sich herzlich wenig um den demokratischen Willen der Nationen, die dazu genötigt werden, die diversen „Befriedungs“-Aktionen zu akzeptieren.
Insbesondere bekämpfen wir die Pläne zur Bombardierung serbischer Ziele, da sie in keiner Weise zur Verbesserung der Situation der KosovarInnen beitragen und nur eine weitere Verschärfung des serbischen Nationalismus und der hohlen antiimperialistischen Propaganda nach sich ziehen würde.
Es ist verständlich, daß viele KosovarInnen, auch aus den Reihen der UCK, die Regierungen der NATO-Staaten auffordern, die serbischen Besatzertruppen zu bombardieren. Dennoch müssen wir diese Haltung zurückweisen, da sie auf Illusionen über die Absichten und die Rolle des Westens beruht, die tatsächlichen Folgen eventueller Bombardierungen nicht richtig einschätzt und sich in einem überzogenen und einseitigen Nationalismus verrennt.
Dennoch ist es wahr, daß der Kampf der KosovarInnen in dieser Phase hauptsächlich von der Notwendigkeit der nationalen Befreiung gekennzeichnet ist und daß die KosovarInnen jedes Recht haben, sich den serbischen Repressionskräften auch bewaffnet zu widersetzen. Dies gilt auch unabhängig davon, wie man die von der UCK gewählte Kampfesweise und -taktik beurteilen mag. Tatsache bleibt, daß es das Milosevic/Seselj-Regime war, das den KosovarInnen den Krieg aufgezwungen hat.
Im bewaffneten Zusammenstoß zwischen den serbischen Einheiten und der UCK stehen wir daher ohne Einschränkung auf Seiten der letzten, während wir gleichzeitig die beschränkte nationalistische Orientierung der Kampfziele und das Fehlen einer internationalistischen Perspektive kritisieren, die allein den Ausweg aus den Sackgassen aufweisen könnte, in die die Völker des früheren Jugoslawien geraten sind.
Alle, die die demokratischen Prinzipien ernstnehmen, und besonders alle, die sich auf den revolutionären Marxismus berufen, sind verpflichtet, für die unterdrückten KosovarInnen und im militärischen Konflikt Partei zu ergreifen. Es ist die Sache der KosovarInnen, selbst darüber zu entscheiden, wie der Befreiungskampf fortgesetzt werden soll (bewaffnet oder nicht), welche Methoden dabei angewandt werden und was seine Ziele sind.
Nach dem Scheitern der offiziellen europäischen „Linken“ der sozialdemokratischen, grünen und (post-) stalinistischen Parteien in der Frage der Auflösung Jugoslawiens und der Zerstörung Bosnien-Herzegowinas, wo es diese Parteien in ihrer großen Mehrheit einfach „versäumt“ haben, sich mit den unterdrückten Völkern und den von „nationalen Säuberungen“ betroffenen Menschen zu solidarisieren, überrascht niemanden die lauwarme, verworrene und opportunistische Haltung derselben Parteien heute in der Kosovo-Frage. Statt den Unterdrückten politische und praktische Unterstützung zu geben, richten sie sich gewöhnlich mehr oder weniger nach der „Befriedungs-“ Politik der amerikanischen Regierung.
Aufschlußreich war in dieser Hinsicht die Diskussion im Bundestag über den eventuellen Einsatz deutscher Kampfflugzeuge im Kosovo. Außer der PDS stimmte natürlich die große Mehrheit der Abgeordneten aller Parteien einschließlich der Grünen für die deutsche Beteiligung (Okt. 98).
Während es bisher als allgemeiner Konsens galt, daß deutsches Militär wenigstens nicht in Gebiete geschickt werden sollte, die im Krieg unter den Schrecken der deutschen Besatzung zu leiden hatten, drehte Schröder das Argument mit der Bemerkung um, daß gerade dort das heutige „demokratische“ Deutschland seine „Verantwortung“ übernehmen müßte.
Der neue Außenminister J. Fischer begründete seine Unterstützung und die der Mehrheit der grünen Abgeordneten für die Beteiligung der Bundeswehr mit einigen völlig aus der Luft gegriffenen Behauptungen, wie z. B. der, Serbien stelle eine Bedrohung für ganz Europa dar, und begrub damit noch vor seiner Amtsübernahme und vermutlich endgültig die antimilitaristische Vergangenheit der Grünen.
Aber auch die Argumentationen der linkeren grünen Abgeordneten und der PDS-Führung führten zum Teil in die Irre. Vor allem wurde kritisiert, für eventuelle NATO-Bombardierungen fehle die „gesetzliche Grundlage“, weil der UN-Sicherheitsrat sie nicht gebilligt hatte. Das würde aber bedeuten, daß Bombardierungen Serbiens durch die NATO „gesetzlicher“ und besser gerechtfertigt wären, wenn aus irgendwelchen Gründen Tschetschenen-Schlächter Jelzin und das Pekinger Regime zu derartigen Unternehmungen ihren Segen gäben. Solche „diplomatischen“ Einwände erzeugen nur Illusionen in die wirkliche Rolle der UN, in denen die imperialistischen Staaten ihren Einfluß nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutend erhöht haben.
Auch die griechische Regierung sprach sich unter Berufung auf die fehlende gesetzliche Grundlage gegen Bombardierungen aus. Die Gründe für diese Haltung sind offensichtlich, da die Athener Regierung keine Veranlassung hat, mit ihren imperialistischen Partnern in Washington und Westeuropa, aber ebensowenig mit ihrem wichtigsten Bündnispartner auf dem Balkan, nämlich Serbien, auf Konfrontationskurs zu gehen.
Die Führung der griechischen KP dagegen, ihrer seit vielen Jahren verfolgten stalino-chauvinistischen Linie getreu, unterstützt konsequent alle Horrortaten des Belgrader Regimes, anstatt, wie es ihre elementare Pflicht wäre, dem Volk des Kosovo und dem serbischen antimilitaristischen Widerstand wie den Frauen in Schwarz beizustehen. Ihre antiimperialistische Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich im wesentlichen um eine Anpassung an grundlegende Optionen der herrschenden Klasse Griechenlands sowie um extremen und aggressiven griechischen Sozialpatriotismus auf außenpolitischem Gebiet handelt.
Die wirkliche, internationalistische Linke ist verpflichtet, mit den KosovarInnen auf der Basis folgender Prinzipien Solidarität zu üben:
Uneingeschränkte Anerkennung des Rechts der KosovarInnen auf nationale Selbstbestimmung einschließlich des Rechts auf staatliche Abtrennung
Solidarität mit der sich gegen Krieg und Chauvinismus richtenden serbischen Opposition
Vollständiger und bedingungsloser Rückzug der serbischen Polizei und des Militärs aus dem Kosovo
Kategorische Ablehnung und Bekämpfung aller Drohungen und Interventionspläne der NATO
Unterstützung aller Initiativen für die Zusammenarbeit der Nationen des früheren Jugoslawien und des Balkans auf Grundlage der demokratischen Prinzipien und des Antimilitarismus, des Aufbaus staatsunabhängiger Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung in der Perspektive der sozialistischen Balkanföderation.
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Die internationalistische Linke muß ebenso Initiativen in den Gewerkschaften ergreifen und mit anderen Organisationen die praktische Hilfe für die KosovarInnen und besonders die Opfer der Gewalt und all die, die im eigenen Land Flüchtlinge geworden sind, in Gang bringen.
Gleichzeitig muß sie die heuchlerische Haltung der westeuropäischen Regierungen bloßstellen und die Unterstützung der NATO-Pläne bekämpfen.
Diese Pflichten, die Ziele der sofortigen praktischen Hilfe, aber auch des internationalen politischen Kampfes umfassen, erfordern die sofortige internationale Koordinierung der Aktivitäten, vielleicht nach dem Vorbild der International Workers Aid für Bosnien. Eine solche internationale Initiative müßte so breit wie möglich sein, ohne auf die politischen Inhalte zu verzichten.
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Athen, Nov. 1998 |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 326 (Dezember 1998). | Startseite | Impressum | Datenschutz