Griechenland/Zypern

Zypern im Würgegriff der Nationalismen

An der Insel Zypern entzündet sich der griechische Nationalismus von neuem. Wir betrachten hier die Haltung der griechischen und griechisch-zypriotischen Linken zu diesem Thema.

Andreas Kloke

Nachdem sich die Aufregung in der Mazedonienfrage vorübergehend gelegt hat, erlebt der griechische Nationalismus hauptsächlich wegen der verbrecherischen Rolle der Massenmedien und gewisser Kreise in den Parteien seit der Imia-Krise (Jan. 96) einen neuen Aufschwung. Wie schon 1991-94 in der Mazedonienfrage spielen auch heute Teile der PASOK-Führung und letztlich die PASOK insgesamt eine Vorreiterrolle bei der Aufputschung des Nationalismus und in der Konfrontationspolitik gegenüber den Nachbarstaaten. Nur bergen diesmal die Entscheidungen der Regierung zugunsten der wahnwitzigen Aufrüstung – 1996 wurde ein 5-Jahresprogramm im Umfang von ca. 37,5 Milliarden DM (!) verabschiedet – und die Mobilisierung der öffentlichen Meinung für eine „Politik der Stärke“ gegenüber der Türkei unvergleichlich höhere Risiken, weil die Möglichkeit eines griechisch-türkischen Krieges nicht mehr auszuschließen ist.

Besonders erschreckend ist, daß viele Politiker und Journalisten offen über die Wahrscheinlichkeit eines Krieges debattieren, ohne daß sich gegen diese Bedrohung in der Gesellschaft bisher breiterer Widerstand formiert.

Ministerpräsident K. Simitis zeigte sich nicht bereit, den chauvinistisch-militaristischen Flügel von PASOK, der von G. Arsenis [1] und A. Tsochatzopoulos [2] geführt wird, zu stoppen. Die PASOK-Populisten machen eifrig Stimmung und spielen nicht ohne Erfolg die sog. „nationalen Themen“ hoch. Obwohl dieser Flügel keinerlei konkrete Alternativen zur gegenwärtig betriebenen Außenpolitik aufzeigen kann, da die Ausrichtung der griechischen Bourgeoisie auf NATO- und EU-Mitgliedschaft grundsätzlicher Natur und unwiderruflich ist, propagiert er dennoch den nationalistischen „Widerstand“ gegen die tatsächliche oder angebliche Bevorzugung der Türkei durch die Bündnispartner.

Simitis vermeidet nicht nur den Konflikt mit diesen innerparteilichen Kräften, sondern weicht auch immer wieder vor ihnen zurück wie z.B. beim Rücktritt von Rozakis [3]. Seine Haltung erklärt sich wahrscheinlich durch die Leidenschaftlichkeit, mit dem er seinen Kreuzzug gegen die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten im Sinne der Prinzipien des Neoliberalismus und von Maastricht führt. Simitis legt auf die Geschlossenheit der Regierung in diesem Bereich besonderen Wert, und tatsächlich gibt es hier praktisch keine innerparteiliche Opposition.

Wenn man zum chauvinistischen Flügel von PASOK die Kräfte des „Politischen Frühling“ [4], von DIKKI [5] und des ultranationalistischen Flügels von ND hinzurechnet, erhält man ein Bild von der Stärke des nationalistischen Lagers. Da die innenpolitische Szenerie in der Türkei kaum besser aussehen dürfte, wird klar, daß die Sache des Friedens und der internationalen Verständigung eine besonders schwierige Etappe durchmacht.


„Einheitliches Verteidigungsdogma“ und Aufrüstung


Besondere Bedeutung für die griechisch-türkischen Beziehungen hat die Zypernfrage. Die Regierungen der Republik Zypern im Südteil der Insel, der nach der fast vollständigen Vertreibung der griechisch-zypriotischen Bevölkerung 1974 aus dem Norden und des „freiwillig“ erzwungenen Bevölkerungsaustausches fast ausschließlich von griechischen Zyprioten bewohnt ist, haben nach 1990 systematisch aufgerüstet. Während die Bewaffnung vorher ungefähr der des Vatikans entsprach, wurden seitdem hochmoderne Waffensysteme verschiedener Art angeschafft, wie z. B. MM40-Raketen und Panzerfahrzeuge BMP 3 aus Frankreich bzw. Rußland. Die Regierungen von Athen und Nikosia beschlossen 1993 das „einheitliche Verteidigungsdogma“, mit dem Zypern in die griechische Strategie für den Fall eines griechisch-türkischen Krieges eingegliedert wurde. Als Vorwand dient das angebliche „Sicherheitsbedürfnis“ Zyperns, eine reine Chimäre im Kriegsfall.

Das Dogma kommt praktisch der Preisgabe der zypriotischen Unabhängigkeit auf dem Gebiet der Militärpolitik gleich, da die Republik Zypern in die strategischen Planungen des Athener „Verteidigungs“-Ministeriums miteinbezogen ist. Andererseits ist klar, daß die Einheiten der Republik Zypern in keinem Fall einen „Befreiungskrieg“ gegen die türkischen Besatzertruppen führen können, so stark sie auch immer aufgerüstet werden. Allerdings könnten sie einen nicht unbedeutenden Beitrag im Falle eines griechisch-türkischen Krieges leisten, wenn auch jetzt bereits feststeht, daß die Folgen für die Zyprioten auf beiden Seiten der Demarkationslinie absolut verheerend wären.

Unter diesem Aspekt ist auch der geplante Kauf der russischen Flugabwehrraketen S-300 zu bewerten, der im Jan. 97 bekanntgegeben wurde. Die Kommentatoren der Athener Massenmedien rechtfertigten die Entscheidung durchweg unter Berufung auf das Recht der unabhängigen Republik Zypern, sich mit zu ihrer Verteidigung notwendigen Waffensystemen zu versorgen. Derartige Behauptungen sind aber nur formal zutreffend. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Entscheidung, die von Athen und Nikosia gemeinsam getroffen wurde, und der zypriotische Regierungssprecher erklärte mit erfrischender Aufrichtigkeit: „Mit der griechischen Regierung haben wir die Rüstungsentscheidungen gemeinsam geplant und gebilligt.“ [6]

Abgesehen von den katastrophalen Konsequenzen der Politik der fieberhaften Aufrüstung für den sozialen Bereich, das Erziehungswesen, die Ökologie usw., abgesehen von der zusätzlichen Vergiftung der Beziehungen zur Türkei, rückt auch eine mögliche Lösung des Zypernkonflikts in immer weitere Ferne.

Die Politik der militärischen Stärke kann auf der Gegenseite nur einen gleichgearteten Reflex auslösen, den türkischen Militarismus stärken wie auch den Willen der türkischen Nationalisten, Nordzypern vom türkischen Staat annektieren zu lassen. Die simple Mechanik dieser Entwicklungen dürfte auch den Athener Politikern bekannt sein; daher ist der Schluß zulässig, daß die griechische Regierung mit einer derartigen Unterstützung Nikosias die „doppelte Vereinigung“ der beiden Teile mit Griechenland und der Türkei bewußt anstrebt oder wenigstens die Entwicklung in diese Richtung treiben läßt. Hauptgrund dafür ist das Bemühen, die griechische Front im Kriegsfall zu stärken.

Mit dieser Politik wird nicht nur die griechisch-türkische Feindschaft verewigt, sondern auch eine Lösung des Zypernproblems verhindert und der Versuch unternommen, die beiden Volksgruppen auf böswillige Weise gegeneinanderzuhetzen.


„Doppelte Vereinigung“ und Lösung im Stil von Dayton


Unter den gegenwärtig vorherrschenden Bedingungen kann eine dauerhafte Lösung nur dann erzielt werden, wenn nicht nur die türkischen Besatzertruppen abziehen, sondern auch das berechtigte Bedürfnis der türkischen Zyprioten nach Sicherheit berücksichtigt wird, damit sich nicht Ereignisse wie die von 1974 vor der türkischen Invasion wiederholen können, als durch einen Putsch das rechtsradikale Sampson-Regime an die Macht kam und die Sicherheit und das Überleben der türkischen Volksgruppe, 18 % der Bevölkerung, in unmittelbare Gefahr gerieten. [7]

Eine Entschärfung der Situation und die Wiedervereinigung der Insel sind nur im Rahmen einer mittel- bis langfristigen Strategie zu verwirklichen. Es sind Maßnahmen zu ergreifen, die auf die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den beiden Volksgruppen abzielen. Der erste Schritt in diese Richtung kann nur in der möglichst vollständigen Demilitarisierung bestehen, und die Republik Zypern müßte zu diesem Zweck kühne und wirksame Initiativen ergreifen.

Nur auf diesem Weg ist die weitere Vereinigung zuerst als bizonale Föderation zu erreichen und wäre später mit der Beseitigung der inneren Grenze zu vollenden.

Die gegenwärtige Politik Athens und Nikosias geht genau in die entgegengesetzte Richtung. Es ist eine Unverschämtheit und reiner Rassismus, wenn der Athener Minister Arsenis bei seinem jüngsten Zypern-Besuch erklärt, Griechenland und Zypern verkörperten die beiden Staaten des Hellenismus, und damit die türkische Volksgruppe ignoriert.

Gleichzeitig handelt es sich aber auch um ein klares Kalkül; je mehr Mißtrauen und Haß zwischen den beiden Seiten angestachelt werden, desto eher werden beide Volksgruppen „freiwillig“ die doppelte Vereinigung im Sinne der herrschenden Klassen Griechenlands und der Türkei sowie der entsprechenden chauvinistischen Politiker vom Schlage Arsenis akzeptieren.

Die lügnerische Rhetorik von Arsenis gipfelte in der Behauptung, daß „unter dem Mantel der Föderation, die in den Verhandlungen diskutiert werden wird, sich der Vorschlag oder Vorschläge für eine Konföderation verbergen werden, was im wesentlichen auf eine Teilungslösung „ [8] hinausliefe. Das bedeutet, daß einer der entschiedensten Verfechter des alten Traums der „Enosis“, d. h. des Anschlusses ganz Zyperns an den griechischen Staat, anderen „Teilungspläne“ unterstellt!

Die Propaganda der Nationalisten richtet sich auch gegen die USA und die EU, und einige PASOK-Abgeordnete beginnen bereits, wegen der angeblichen Brisanz „nationaler Themen“ über einen Austritt aus der EU nachzudenken. Diese Art von Propaganda ist jedoch durch und durch hohl.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, daß die USA die Teilung als einzige dauerhafte Lösung betrachten und unter dem Vorwand der erforderlichen Befriedung die NATO-isierung der Insel anstreben. Der in vielerlei Hinsicht ähnliche Fall Bosniens zeigt, daß die USA mit Unterstützung der EU angeblich stabile und „endgültige“ Lösungen durch innere Grenzziehungen bevorzugen, womit gleichzeitig die Herrschaft der jeweiligen nationalistischen Cliquen gefestigt wird. USA und NATO übernehmen dann mit um so größerem Erfolg die „objektive“ Schiedsrichterfunktion. Es versteht sich von selbst, daß solche „Lösungen“ den Rechten und den wirklichen Interessen der betroffenen Völker diametral zuwiderlaufen.

Die Perspektive der „doppelten Vereinigung“ und die der NATO-isierung nach dem Vorbild von Dayton schließen sich keineswegs einander aus, sondern ergänzen einander. Diese Lösung würde auf eine offizielle und definitive Teilung hinauslaufen und die griechisch-türkischen Beziehungen dauerhaft am Rande des Kriegsausbruchs halten.

Mit einer solchen Abwicklung hätten insbesondere die chauvinistischen Politiker auf allen Seiten keinerlei Probleme, da sie mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen würden. Sie werden so immer das Schreckgespenst des „Feindes“ benutzen können, um von „zweitrangigen Problemen“ wie Verelendung, Sparpolitik, und Arbeitslosigkeit abzulenken, und gleichzeitig können sie permanent die „Ungerechtigkeit“ der Großmächte verbal attackieren, die „unsere Nation“ benachteiligen, was gerade den „antiimperialistischen“ Nationalisten ein Herzensanliegen ist. Für den griechischen Nationalismus wäre eine solche Lösung die teilweise Verwirklichung der Ideale von General Grivas. Mehr war unter den gegebenen Umständen nicht drin.


Die Notwendigkeit antinationalistischen Widerstands


Der nicht-chauvinistische Flügel der Regierung, d.h. vor allem der stellvertretende Außenminister G. Papandreou, versucht, die Unterstützung der EU für die Aufnahme Zyperns in die EU zu gewinnen und eine Entspannung der griechisch-türkischen Beziehungen zu erreichen. Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich, daß diese Aktivitäten zum Ziel führen, da die EU den Beitritt Zyperns neuerdings von einer vorhergehenden Lösung der bekannten Probleme abhängig macht. Im übrigen scheint die EU entschlossen zu sein, alle zukünftigen amerikanischen Initiativen zu unterstützen und zu allen beteiligten Parteien gleichen Abstand zu wahren.

Hoffnung auf eine wirklich friedliche Lösung besteht nur im Willen des zypriotischen Volkes auf beiden Seiten. Es ist bezeichnend, daß bei der Unabhängigkeit 1959/60 und danach die Menschen selbst nie die Möglichkeit hatten, ihre Vorstellungen vom Zusammenleben zu artikulieren und zu verwirklichen. Alle Entscheidungen wurden von den „Garantiemächten“ Großbritannien, Griechenland und der Türkei und später indirekt, aber massiv von der amerikanischen Regierung und dem CIA im Zusammenspiel mit den chauvinistischen Hardlinern beider Seiten aufoktroyiert, bis Putsch und türkische Invasion 1974 das Zusammenleben der beiden Volksgruppen und die Unabhängigkeit der Republik weitgehend zum Erliegen brachten.

Notwendig ist heute eine neue Bewegung für die Unabhängigkeit gegen die Nationalismen und für die Wiedervereinigung. Ob eine solche Bewegung Erfolg haben kann, hängt von der Entwicklung gleichgesinnter Kräfte in Griechenland und in der Türkei ab, deren Ziel es sein muß, den Konfrontationskurs auf beiden Seiten zu stoppen.

Die einzige Perspektive und die Pflicht der Arbeiterbewegung in allen drei Ländern ist es, den Kriegstreibern das Handwerk zu legen und die Nationalismen zu entwaffnen. Das geht nur durch eine breite Aufklärungskampagne und die Mobilisierung des Widerstands.

Die Arbeiterbewegung und alle die, die sich der Kriegsgefahr widersetzen, müssen gleichzeitig jeden Versuch der anderen imperialistischen Mächte bekämpfen, unter dem Vorwand der Friedenserhaltung zusätzliche militärische Einheiten auf Zypern zu stationieren. Jede ausländische imperialistische Intervention ist zurückzuweisen und die Menschen in Zypern selbst müssen Initiativen ergreifen, um die Selbstbestimmung über ihr Land zu erlangen.

Den Schlüssel für eine solche Wende bildet die Demilitarisierung der Insel, die auf den Abzug nicht nur der türkischen, sondern auch der griechischen Truppen und die sofortige Auflösung der beiden britischen Militärbasen abzielen muß. Die britischen Stützpunkte könnten schon bald als Hebel weiterer NATO-isierung benutzt werden.

Es ist die Pflicht aller Parteien und Organisationen der Linken, der Befürworter der internationalen Verständigung und der Friedensbewegung, sich mit allen Kräften für die Verwirklichung der oben angeführten Ziele einzusetzen. Die Haltung der verschiedenen Parteien der griechischen und zypriotischen Linken während der jüngsten Entwicklungen ist unter diesem Aspekt einzuschätzen.

Die Parteien, die ihre grundsätzliche Ablehnung des „einheitlichen Verteidigungsdogmas“ der fortgesetzten Teilung der Insel und der schwindelerregenden Aufrüstung zum Ausdruck gebracht haben, sind in Zypern AKEL [9] und in Griechenland die Mehrheitsströmung des SYN [10].


D. Christophias (AKEL)


Der AKEL-Vorsitzende D. Christophias hat kürzlich seine Auffassung in einem Interview  [11] erläutert, das sich wie folgt zusammenfassen läßt:

Die Zypernfrage ist ein Thema von Invasion und Besatzung und damit einer Verletzung des internationalen Rechts, aber nicht Bestandteil der griechisch-türkischen Differenzen. Die Republik Zypern hat das Recht, ihre Verteidigung zu sichern, wenn aber „Zypern zum zu verteidigenden Territorium Griechenlands wird“, dann befindet sich dies „im Widerspruch zur internationalen Dimension und im Widerspruch zum Sicherheitsbedürfnis der Republik Zypern, das sich auf die Insel insgesamt erstreckt“. Das Dogma erzeugt „die Illusion, daß es die Sicherheit Zyperns“ gewährleistet, während es zusammen mit der Aufrüstung hauptsächlich der Popularität von Klerides diene.

Christophias bemerkt hinsichtlich des inzwischen für 16 Monate aufgeschobenen Kaufs der russischen Raketen, daß „die Zypernfrage mit friedlichen Mitteln gelöst werden muß“, andererseits aber könne „Zypern kein wehrloser Staat sein.“ Es bestehe aber keine Möglichkeit, daß „wir angreifen, um unsere Heimat zu befreien. Wenn wir das könnten, würden wir es tun. (…) Wir sind keine Pazifisten.“

Des weiteren betont er: „AKEL hat sich nicht gegen den Kauf der Raketen ausgesprochen, und ich denke, daß es sich in keinem Fall gegen den Kauf einer Verteidigungswaffe sperren wird. Was uns Sorgen bereitet, ist der Zeitpunkt des Kaufs und (…) ich fürchte, daß er für den Wahlkampf bestimmt ist.“

AKEL hat auch beschlossen, dem Beitritt Zyperns zur EU zuzustimmen, wenn dieser „in erster Linie unsere nationalen Zielsetzungen fördert, d.h. die Befreiung von der Besatzung und die Wiedervereinigung des Landes und der Menschen.“ Christophias befürchtet auch, daß alle Bemühungen in der Sackgasse enden, „wenn es keine Fortschritte in der Zypernfrage gibt“, die er aber für unwahrscheinlich hält, bevor die Beitrittsverhandlungen zur EU beginnen.

Schließlich ist er der Auffassung, der türkische Wunsch nach Annäherung an die EU müsse von Athen und Nikosia als „Schlüssel“ zur Lösung der Zypernfrage benutzt werden.

Es wird somit deutlich, daß die Haltung von AKEL und Christophias zwischen dem griechisch-zypriotischen Nationalismus und einer Auffassung, die dem griechischen Nationalismus entgegengesetzt ist, schwankt. Sie könnte als gemäßigt nationalistisch bezeichnet werden. Ob so der notwendige Widerstand gegen die Nationalismen und die formlose oder offizielle „doppelte Vereinigung“ organisiert werden kann, bleibt zweifelhaft.

In den Kreisen der griechischen Linken ist ein Vorurteil weit verbreitet, demzufolge die Athener Regierungen bisher keine Strategie gegen den „türkischen Expansionismus“ entwickelt hätten, eine Auffassung, der sich auch Christophias anschließt. Es ist klar, daß es in der griechischen Regierung mehr oder weniger offene Auseinandersetzungen über die Handhabung der einen oder anderen Frage gibt. Wer sich jedoch über den „Mangel an Strategie“ beklagt, verkennt völlig die Bedeutung des griechischen Nationalismus, der eine höchst aktive Rolle spielt.


Die beiden Flügel des SYN


Die Mehrheitsströmung des SYN hält eine Lösung nur „auf politisch-diplomatischem Weg“ für möglich und betont die Notwendigkeit von Initiativen, um die Situation zu entspannen. [12] Sie bemerkt auch, daß in den kommenden 15 Monaten die Gefahr besteht, „daß wir in Richtung vollendeter Tatsachen in Form von institutionalisierter Teilung oder sogar der doppelten Vereinigung marschieren.“ Der SYN spricht sich für „die Aufnahme des bizonalen Dialogs“ und „die Demilitarisierung ganz Zyperns“ aus sowie für die „Ausnutzung der Beitrittsverhandlungen Zyperns zur EU, um das Zypernproblem einer Lösung zuzuführen.“

Sie verurteilt auch das „einheitliche Verteidigungsdogma“, das „die Zypernfrage in einen griechisch-türkischen Differenzpunkt“ verwandelt. Der SYN attackiert die Regierung wegen ihrer „babylonischen Sprachverwirrung“ und der „völlig undurchsichtigen Funktionsweise“ der Regierung, die es systematisch vermeide, die Öffentlichkeit über ihre Zypernpolitik zu informieren.

Die Richtung der gesamten Argumentation kann man als korrekt bezeichnen. Der SYN präsentiert das Thema aber so, als handele es sich ausschließlich um diplomatische und parlamentarische Prozeduren. Z. B. schlägt er wieder die Einsetzung eines Ausschusses zu Fragen der Außenpolitik vor, dem alle im Parlament vertretenen Parteien angehören sollen. Dabei ist klar, daß ein solcher Ausschuß den Lauf der Ereignisse kaum beeinflussen könnte.

Da sich der SYN darauf beschränkt, die Ereignisse aus der Warte parlamentarischer Routine zu kommentieren, kommt ihm der einzig mögliche Ausweg nicht in den Blick: der sofortige Beginn einer breiten Kampagne zur Mobilisierung sowohl in Griechenland als auch in Zypern gegen die Aufrüstung, gegen die Gefahr der „doppelten Vereinigung“, Aktionseinheit all derer, die sich der Militarisierung und dem Nationalismus widersetzen möchten, sofortige Gründung von Aktionskomitees im ganzen Land und ihre Koordinierung auf Landesebene in Griechenland und in Zypern, sofortige Initiativen für die Aktionseinheit der griechischen, der bizonalen zypriotischen und entsprechender türkischer Komitees, Aktivierung der Arbeiterbewegung in allen drei Ländern u.a.

Nur so ist der Vormarsch der Nationalismen zu stoppen, diese Perspektive fehlt aber weitgehend in der Herangehensweise der Führung des SYN.

Die Minderheit der SYN-Führung, vertreten u.a. vom Europarlamentarier A. Alavanos, rechtfertigt den Kauf der russischen Raketen aus Gründen des strategischen Gleichgewichts, aber auch aus „antiimperialistischen“ Erwägungen. Die Minderheit hält die Einschaltung Rußlands in die Zypernfrage für wünschenswert, um „das Monopol der USA, den Verlauf der Ereignisse zu diktieren, zu erschüttern.“

Obwohl derartige Ideen praktisch außerhalb der Realität liegen, finden sie doch wärmste Unterstützung aus den Reihen von DIKKI, KPG, „Politischem Frühling“, PASOK u. a. In der Türkei wird das Gerede vom „russischen Faktor“ von nationalistischen Politikern als weiterer Beweis für die Existenz der „orthodoxen Achse“ angeführt, die versuche, die Türkei zu umzingeln.

Es steht außer Frage, daß die Minderheit den nationalistischen Flügel des SYN bildet, der sich mit der Aufrüstungspolitik der Regierungen einverstanden erklärt und gleichzeitig einige linke Parolen vorbringt.


O. Kolosof (KPG)


O. Kolosof, Außenpolitikexperte der KPG, hat kürzlich seine Ansichten über die griechisch-türkischen Beziehungen und die Zypernfrage in einem Zeitungsinterview unter dem bezeichnenden Titel „Sie (gemeint ist die griechische Regierung, A.K.) unterminieren die nationale Oberhoheit!“ dargelegt. [13]

Er ist der Auffassung, daß die USA die Teilung Zyperns vorbereiten, „während auch für die Ägäis eine Teilung vorbereitet wird.“ Auf diese Weise „werden einige unserer (griechischen, A.K.) Hoheitsrechte mißachtet werden“, wie es sich schon in der Imia-Krise und der Frage der 10 Luftmeilen gezeigt habe.

Kolosof zufolge hat die Regierung die amerikanische Dominanz bereits akzeptiert und verfolgt eine „schrittweise Annäherung an die Türkei.“ So geht z. B. der mögliche Streitfall der Meeresgrenzen zwischen Festland und Inseln „vors Gericht von Den Haag, wie auch der Fall Imia.“ Statt dieses servilen Verhaltens sollte „Widerstand gegen den Versuch geleistet werden, unsere nationalen und Hoheitsrechte zu mißachten“, und Kolosof schlägt vor, eine Politik zu betreiben, die auf die Herausbildung „eines kollektiven Sicherheitssystems auf dem Balkan unter Einbeziehung aller seiner Länder“ abzielt, das „unser Land vor dem amerikanischen Druck“ abschirmen soll. Gemeint ist hier wahrscheinlich die häufig zitierte Achse Moskau-Belgrad-Athen.

Des weiteren wird nach Kolosofs Einschätzung das Moratorium, das Kontrollflüge der griechischen Luftwaffe über Nordzypern verbietet, die Verhandlungsposition Griechenlands verschlechtern. Für einen Dialog mit der Türkei „müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein“ wie die gegenseitige Anerkennung der bestehenden Grenzen. Was das „Gerede über Kriegsgefahr“ betrifft, das in letzter Zeit in den USA und in Europa aufgekommen ist, meint Kolosof, daß „niemand ein solches Vorgehen (nämlich einen kriegerischen Konflikt zu provozieren, A.K.) seitens der Türkei ausschließen kann“, besonders weil sie das Wohlwollen der „Bündnispartner“ genießt.

Bezüglich der Zypernfrage konstatiert er die „absolute Übereinstimmung des UNO-Generalsekretärs mit der amerikanischen Auffassung“, die in der „Anerkennung zweier gleichberechtigter Seiten „besteht, ohne daß die USA „berücksichtigen, daß es eine legitime Regierung gibt, die die ganze Insel vertritt.“ Die USA streben also die Existenz „zweier Staatsgebilde an, wenn auch eventuell unter dem Pseudoetikett einer Föderation.“

Kolosof erwähnt mit keiner Silbe die Notwendigkeit einer Annäherung der beiden zypriotischen Volksgruppen oder der Völker Griechenlands und der Türkei. Er identifiziert sich in jeder Hinsicht mit der Ideologie der militärischen „Abpanzerung“ und somit direkt oder indirekt mit der Aufrüstung Athens und Nikosias.

Indem er den Dialog mit der Türkei ablehnt, ergreift Kolosof Partei für den chauvinistischen Flügel der Regierung sowie aller rechten bis rechtsradikalen Kreise. Er unterstützt damit vorbehaltlos den griechischen Nationalismus, nur daß im Falle der KPG als Rechtfertigung dieser Haltung eine besonders dicke antiimperialistische Soße dient.


G. Delastik (Prin)


Auf der gleichen Wellenlänge wie die KPG funkt auch G. Delastik in der Zeitschrift Prin von NAR. [14] Die Entscheidung Athens und Nikosias, den Kauf der russischen Raketen für 16 Monate aufzuschieben, um die Zeit für Verhandlungen zu nutzen, wird als „spektakulärer Rückzug Athens und Nikosias“ bezeichnet, der der „heutigen Form des einheitlichen Verteidigungsdogmas einen gefährlichen Schlag versetzt.“ Außerdem „wird nunmehr auf internationaler Ebene offen sogar das nur unvollständig wahrgenommene Recht Zyperns bestritten, sich Waffen zu besorgen, die die zügellose Willkür der türkischen Besatzertruppen eindämmen könnten.“

Der Artikel Delastiks beginnt wie folgt: „Das einheitliche Verteidigungsdogma Griechenlands und Zyperns hat dem Druck der Realität nicht standgehalten.“ Etwas rätselhaft bleibt, wie der Verfasser zu dieser weitreichenden Schlußfolgerung gelangt.

In der Folge läßt er seinen militärstrategischen Phantasien freien Lauf und führt aus, „daß die eventuelle Stationierung der russischen Raketen, vor allem im griechischen Luftstützpunkt Paphos (Zypern), in Kombination mit dem Kauf hochmoderner russischer Panzer T-80 durch Zypern die militärischen Verhältnisse auf der Insel beträchtlich verändern würde.“

      
Mehr dazu
Emil Ansker: Nationalistische Fallstricke für die Linke, die internationale Nr. 4/2018 (Juli/August 2018).
Interview mit Alek Atevik: Für eine sozialistische Bewegung auf dem Balkan, die internationale Nr. 4/2018 (Juli/August 2018).
Andreas Kloke: Die Kosova-Frage und der Ahtisaari-Plan, Inprekorr Nr. 438/439 (Juni/Juli 2008).
Stavros Tombazos: Ein unlösbares Problem, Inprekorr Nr. 394/395 (September/Oktober 2004).
Andreas Kloke: Nationale Frage und Marxismus, Inprekorr Nr. 335/336 (September/Oktober 1999).
 

Des weiteren heißt es in dem Artikel: „Die neue Bewaffnung auf griechisch-zypriotischer und griechischer (!) Seite schafft die Voraussetzungen für eine mögliche Revision der Demarkationslinie zugunsten der Griechen!“

Der Artikel gipfelt in folgender Aussage: „Zum ersten Mal seit 1974 erscheint es nicht mehr völlig utopisch, daß sie (die griechisch-zypriotischen Flüchtlinge) etwas von ihrem Besitz zurückerlangen, und zwar nicht durch Verhandlungen, sondern durch einen zeitlich begrenzten militärischen Konflikt.” (Unterstreichungen im Original, A.K.)

Mit anderen Worten: der Verfasser besingt den Ruhm des kommenden Krieges auf Zypern!! Beim Lesen solcher Artikel fragt man sich, inwieweit sie die Auffassung des NAR insgesamt widerspiegeln. Bisher sind kritische Stimmen zu der hier vorgestellten Ansicht nicht in die Öffentlichkeit gedrungen.

Die Linke und die Arbeiterbewegung Griechenlands und Zyperns befinden sich am Scheideweg: Entweder akzeptieren sie die vom Nationalismus vorgegebene Orientierung, passen sich auf diese Weise an und verlieren schrittweise jeden eigenständigen Einfluß, oder sie entwickeln die Fähigkeit, gesellschaftlichen Widerstand gegen Nationalismus und Militarismus zu mobilisieren und zu organisieren und so ihre Alternativen zur Geltung zu bringen. Tertium non datur! [15]

Aus: Spartakos, März 1997



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 308 (Juni 1997). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] G. Arsenis ist der innerparteiliche Hauptrivale von Simitis und wurde im Herbst nach den Wahlen vom „Verteidigungs“-Minister zum Erziehungsminister „degradiert“.

[2] A. Tsochatzopoulos gehört ebenfalls innerparteilich zu den Gegenspielern von Simitis, wird von diesem aber offenbar als nicht so gefährlich eingestuft. Übernahm an Stelle von Arsenis das „Verteidigungs“-Ministerium.

[3] Rozakis war bis Dez. 96 Stellvertretender Außenminister und mußte zurücktreten, u. a. weil er für eine Politik des Dialogs mit der Türkei eingetreten war. Von Parlamentsabgeordneten der rechten ND war ihm vorgeworfen worden, seine Vorfahren hießen eigentlich Rosenstein und er sei jüdischer Abstammung, unter Anspielung darauf, daß er damit für die Vertretung griechischer Interessen nicht in Frage komme …

[4] „Politischer Frühling“, Rechtsabspaltung von ND unter Führung des früheren Außenministers A. Samaras.

[5] DIKKI, neugegründete Partei des früheren PASOK-Finanzministers D. Tsovolas.

[6] Eleftherotypia, 8.1.97, S. 5

[7] Zur Vorgeschichte der Problematik und besonders zu den Ereignissen von der Unabhängigkeit 1959/60 bis zum Putsch und der Invasion 1974 siehe die ausgezeichnete Studie: N. Kadritzke/ W. Wagner, Im Fadenkreuz der NATO – Ermittlungen am Beispiel Cypern, Rotbuch Verlag Berlin, 1976.

[8] Eleftherotypia, 21.1.97, S. 4

[9] AKEL, Fortschrittspartei des werktätigen Volkes, identisch mit der traditionellen KP Zyperns. Bei den Wahlen 1991 wurde sie hinter der rechtskonservativen DISY unter G. Kleridis zweitstärkste Partei.

[10] SYN, ehemals eurokommunistisch orientierte Partei, seit 1991 von der KPG (KKE) getrennt.

[11] „Das Dogma erzeugt Illusionen“, Eleftherotypia, 11.2.97, S. 14. Alle folgenden Zitate sind aus diesem Interview.

[12] Dieses und die folgenden Zitate stammen aus: K. Poulakidas, SYN: Kaltblütigkeit allein genügt nicht – nötig sind Initiativen zum Abbau der Spannungen; Avgi, 12.1.97, S. 5

[13] Risospastis, Organ des ZK der KPG, 16.2.97, S. 6-7. Die folgenden Zitate stammen aus diesem Interview.

[14] NAR (Neue Linke Strömung), Linksabspaltung von der KPG 1989 und damals hauptsächlich ihres Jugendverbandes. Neben SEK, das der englischen SWP entspricht, eine der größten Organisationen der radikalen Linken. Die folgenden Zitate stammen aus: Prin, 19.1.97, S. 1 und 3.

[15] „Ein Drittes ist nicht gegeben”, eine andere Möglichkeit gibt es nicht – d.Red.