Mazedonien/Griechenland

Für eine sozialistische Bewegung auf dem Balkan

Das Onlinemagazin LeftEast befragt Alek Atevik in dem folgenden Interview mit einem besonderen Interesse am griechisch-mazedonischen Streit um den Namen der nachjugoslawischen Republik Mazedonien und das Verhältnis der Linken beider Länder zueinander. Die zurückhaltenden Antworten des Befragten stimmen nachdenklich …

Interview mit Alek Atevik

 LeftEast Angesichts der wechselseitigen Beeinflussung der Linken beider Länder in der Vergangenheit stellt sich die Frage, wie sich die politische Degeneration von Syriza im Nachbarland Griechenland auf die Linke in Mazedonien ausgewirkt hat? Hat dies Einfluss auf Eure organisationspolitischen und politisch-strategischen Debatten?

Alek Atevik: Zwischen den linken Bewegungen in diesen beiden Ländern während der jüngeren Vergangenheit muss strikt unterschieden werden. Die mazedonische Linke ist entstanden, nachdem Jugoslawien auf alptraumhafte Weise auseinandergebrochen ist und sich der Kapitalismus dort wieder vollständig entfalten konnte. Bei diesem Prozess spielte der ehemalige Bund der Kommunisten Jugoslawiens eine entscheidende Rolle, indem er den „freien Markt“ zwar nicht initiiert, aber doch befördert hat und damit der Arbeiterklasse eine authentische politische Massenorganisation genommen hat. Die Linke in Mazedonien befindet sich noch in ihrer Entstehungsphase, ohne dass es eine breite Arbeiterpartei oder einflussreiche Gewerkschaften gibt. Die Gründung von Levica ist insofern ein Schritt nach vorn, weil dadurch die aktiven Kräfte aus ihrer Lethargie gerissen wurden. Allerdings warf dies zugleich ein Schlaglicht auf die Verfasstheit der Linken und deren mangelnde ideologische und organisatorische Verankerung in der Bevölkerung, die sowohl auf objektive wie auf subjektive Gründe zurückzuführen ist. Natürlich stehen wir und die hiesige Arbeiterklasse auch unter dem Einfluss der Linken in Griechenland, aber diese äußeren Einflüsse sind nicht entscheidend für das Fortbestehen der mazedonischen Linken.

 In jüngster Zeit ist wieder der Disput über die Bezeichnung Mazedonien entbrannt. Beispielsweise wurden besetzte Häuser in Thessaloniki im Zuge nationalistischer Demonstrationen angesteckt. Auch in Athen demonstrierten kürzlich zehntausende Nationalisten. Warum kocht dieser Nationalismus ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt hoch?

Formal liegt die Verantwortung dafür auf mazedonischer Seite, wo die neu gewählte sozialdemokratische Regierung unter Zaev den Beitritt zur NATO anstrebt und dafür eine Einigung mit Griechenland im Namensstreit herbeiführen muss. Allein um an der Macht zu bleiben, ist Zaev in dieser Angelegenheit äußerst kompromissbereit gegenüber den griechischen Nationalisten und den Westmächten.

 Wie gehen die verschiedenen linken Organisationen in deiner Region mit dem Wiedererstarken des Nationalismus und der Etablierung neonazistischer und faschistischer Kräfte in der laufenden nationalistischen Kampagne um den Namensstreit um?

Streng genommen kann man nicht von einer aktuellen Zunahme des Nationalismus in Mazedonien sprechen. Vielmehr ist er ein Produkt der gewaltsamen Zerschlagung der Sozialistischen Republik Jugoslawien und spielte bei der Entstehung aller politischen Parteien eine starke Rolle. Ich würde sogar behaupten, dass die Nationalisten im Abwind sind und die Menschen ihre Propaganda satt haben. Natürlich hat die Wahlniederlage der vormals regierenden nationalkonservativen VMRO-DPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit) die nationalistische Rhetorik innerhalb der Partei befördert, in der Hoffnung, so den Popularitätsverlust wieder auffangen zu können. Dafür jedoch sind sie durch ihre unterwürfige Haltung gegenüber dem westlichen Imperialismus und ihre hochgradige Korruptheit während der letzten 11 Jahre politisch viel zu sehr diskreditiert. Die klerikalfaschistischen Gruppierungen, die es seit dreißig Jahren gibt, sollten uns nicht weiter beunruhigen, da sie organisatorisch zu schwach sind, um zu einer ernsthaften gesellschaftlichen Bedrohung zu werden. Es versteht sich von selbst, dass sie nur durch den Aufbau einer starken und disziplinierten Partei der Arbeiterklasse bekämpft werden können.

 Worin liegen die Differenzen innerhalb der Linken in Bezug auf den Namensstreit, so es welche gibt?

Die politische Linke in Mazedonien ist strikt gegen eine Namensänderung, weil sie für das Prinzip der Selbstbestimmung der Nationen eintritt. Diejenigen, die das Ultimatum Griechenlands und der Westmächte anerkennen, stehen unter dem Einfluss der regierenden Sozialdemokratie und folgen dabei der Logik, dass es zum Eintritt in die EU keine Alternative gäbe und Staat und Nation sich fügen müssten.

 Es hat zahlreiche Solidaritätsaktionen über die Grenzen hinweg gegeben, in denen eine linke Kritik am neoliberalen Kapitalismus in Theorie und Praxis zum Ausdruck kamen, etwa in Bezug auf die Memorandumspolitik in Griechenland oder die Flüchtlingskrise oder kürzlich im grenzübergreifenden Engagement gegen die umweltzerstörerischen Bergbauvorhaben. Wie verläuft die Zusammenarbeit bei der Frage des Namensstreits?

Die genannten Beispiele illustrieren die Zusammenarbeit unter den Aktivist*innen sehr gut. Auf die Bevölkerung jedoch hat dies kaum Einfluss, da unsere Bewegung zu schwach dafür ist. Hinzu kommen objektive Gründe, nämlich dass die mazedonische Linke aufgrund der gemeinsamen Geschichte eher Verbindungen zu dem weiter entfernten Slowenien unterhält und es hier viel größere Gemeinsamkeiten gibt. Das soll nicht heißen, dass es künftig keine Zusammenarbeit zwischen mazedonischen und griechischen Sozialisten*innen oder Kommunist*innen geben wird.

 Worin siehst du das Hauptproblem bei diesem Namensstreit und wie kann dies positiv „gelöst“ werden?

Das Hauptproblem hinter diesem Streit ist der Kapitalismus, d. h. die schwache griechische Bourgeoisie und ihre „kleinimperialistischen“ Ambitionen, die Überbleibsel aus dem Griechischen Bürgerkrieg und dem Sieg der Konterrevolution und die nationale Frage auf dem Balkan. Insofern fordert Levica die Linke auf, ihren Kampf gegen Kapitalismus und Nationalismus fortzuführen.

 In welche Richtung entwickelt sich die gesellschaftspolitische Lage in den beiden Ländern?
      
Mehr dazu
Emil Ansker: Nationalistische Fallstricke für die Linke, die internationale Nr. 4/2018 (Juli/August 2018)
Angélique Kourounis: Ein Jungbrunnen für die Faschisten, die internationale Nr. 4/2018 (Juli/August 2018)
 

Mazedonien hat sich von einem peripheren zu einem hochentwickelten kapitalistischen Staat weiterentwickelt, in dem Klassenantagonismen, Massenarbeitslosigkeit, beständige Immigration und Abbau des Gesundheits- und Erziehungswesens weit vorangeschritten sind. Die Frustration hierüber hat das autoritäre VMRO-Regime unter Gruevski zu Fall gebracht und zugleich hohe Erwartungen an die Folgeregierung befördert. Die Gewerkschaften befinden sich auf Tauchstation. Die VMRO bleibt weiterhin die stärkste Oppositionspartei, obwohl ihre Unterstützung ebenfalls abbröckelt. Die Regierung Zaev wiederum betreibt trotz der linken Töne im Wahlkampf nahezu dieselbe Wirtschaftspolitik wie ihre Vorgängerin und wirkt offen planlos. Ihre unübersehbar prokapitalistische Politik führt zu schwindender Akzeptanz unter ihren Wähler*innen.

 Worin liegt die Zukunft der Linken in der Region?

Der Kapitalismus wird die aktive Linke vor neue Herausforderungen stellen und die gegenwärtige Krise wird letztlich zu einer Politisierung unter der Bevölkerung führen, von der der Balkan nicht ausgespart bleiben wird. Für die organisierte Linke wird es dabei um die Glaubwürdigkeit ihrer Demokratiefähigkeit und um die richtige Strategie gehen. Wer diesen Test besteht, wird künftig auch prädestiniert sein, politische Kader und Netzwerke zu organisieren. Wir brauchen internationalistisch orientierte Arbeiterparteien in all den Ländern unserer Region und wir brauchen sie jetzt. Die allfällige Parole sollte lauten: „Für eine sozialistische Föderation des Balkans, für eine sozialistische EU“.

Alek Atevik gehört zu den Herausgebern von Nova Iskra und ist Mitglied der marxistischen Organisation Crveni (Rot) sowie Gründungsmitglied der „Levica“ (Die Linke), wo er für den Bereich Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik programmatisch arbeitet.

Übersetzung: MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2018 (Juli/August 2018). | Startseite | Impressum | Datenschutz