Neues aus der historischen Kommunismusforschung

Nachruf auf Hermann Weber

Peter Berens

Am 29. Dezember 2014 starb Hermann Weber im Alter von 86 Jahren. Angefangen mit seiner bahnbrechenden Arbeit „Die Wandlungen des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik“ (1969) schaffte es Weber ab Ende der 1960er Jahre, eine von der SED-Geschichtsschreibung unabhängige Historische Kommunismusforschung in Westdeutschland zu begründen. Wer die Wirkungsmöglichkeiten kritisch-wissenschaftlicher Tätigkeit eines Einzelnen ermessen will, wird kaum ein besseres Beispiel als das Webers finden, dem es im Alleingang gelang, das Deutungsmonopol der SED, die einen umfangreichen Partei-, Staats- und damit Universitätsapparat zur Verfügung hatte und den Zugang zu den Archiven (d. h. den Quellen) kontrollierte und blockierte, über die Geschichtsschreibung der KPD aufzubrechen. Die Blockaden für die Forschung fielen, als nach 1989 die DDR-Archive öffentlich zugänglich wurden.

„Pravda vítèzi“ heißt nach Erich Fried, dass nicht die Prawda, sondern die Wahrheit siegen wird. Um sie ans Licht zu bringen, musste Weber der „Linie“ der hagiografischen SED-Erforschung der KPD-Geschichte eine eigene „Linie“ gegenüberstellen. Dafür bot sich ein programmgeschichtlicher, die Abhängigkeit der KPD von der Sowjetunion/ RKP(b) betonender Ansatz an. Schon frühzeitig war es Hermann Weber über Rosa Meyer-Leviné gelungen, bis dahin in Westdeutschland unzugängliche KPD-interne Materialien aus dem Privatarchiv ihres zeitweiligen Vorsitzenden Ernst Meyer zu erhalten. Die Wiederentdeckung und Publikation von Dokumenten zur KPD-Geschichte war eines von Webers größten Verdiensten. Vor allem die Herausgabe der sechsbändigen Sammlung „Archive des Kommunismus“, die in enger Zusammenarbeit mit HistorikerInnen in Deutschland und in Russland erfolgte, brachte Hunderte bisher unveröffentlichter Dokumente ans Licht, die das Verhältnis KPD-Sowjetunion-Komintern beleuchteten, wenn auch Weber keine seiner Thesen änderte. Webers Leistung konnte auch dadurch nicht geschmälert werden, dass er für die Herausgabe leider die Unterstützung des Innenministeriums in Anspruch nahm oder zu seinem Lebensende meinte, dass die SPD demokratischer als die KPD gewesen sei. [1] Hermann Weber war nun einmal kein Trotzkist, sondern ein Sozialdemokrat mit kommunistischen Wurzeln.

Als ehemaliges KPD-Mitglied und Stalinkritiker gab sich Hermann Weber bei seiner Historischen Kommunismusforschung nicht „neutral“, sondern versuchte, eine demokratisch-kommunistische und „realistische“ Position einzunehmen. In der KPD-Geschichte fand er sie von den moderaten KommunistInnen der „Versöhnler“ um Ernst Meyer und Arthur Ewert, auch „Mittelgruppe“ genannt, vertreten; er behandelte sie als völlig eigenständige Strömung gegenüber „rechten“, „linken“ und „ultralinken“ KommunistInnen. In ihrem Kern betonte Webers Theorie der „Stalinisierung“ die starke Abhängigkeit der KPD von der Komintern, der RKP(b) und der Sowjetunion. Weber hielt die „Stalinisierung“ der KPD erst für Ende 1928 mit dem Thälmann-Skandal und dem Ausschluss der „rechten“ Kommunisten um Brandler/Thalheimer als vermeintlich letzter oppositioneller Fraktion in der KPD für abgeschlossen. Dieses Herangehen hat Weber bis zu seinem Tode verteidigt.

Hermann Weber begründete eine ganze „Schule“ der Historischen Kommunismusforschung, die bis heute seine Theorie der „Stalinisierung“ und seine Sympathien für die moderaten Kommunisten teilt.

Webers Ansatz wurde 1996 von Klaus-Michael Mallmann vehement in Frage gestellt, der in seiner Studie „Kommunisten in der Weimarer Republik“ z. B. darauf verwies, dass die KPD schon Ende 1919 unter Paul Levi Zehntausende ihrer Mitglieder ausgeschlossen hatte, was mit einer „Stalinisierung“ wohl kaum erklärt werden könne. Dagegen übernahmen auch TrotzkistInnen gerne Webers Ansatz der „Stalinisierung“, der leicht dazu verführte, die Differenzen zur Kritik der linken Kommunisten Mitte der 1920er Jahre am „Stalinismus“ zu übersehen.

      
Mehr dazu
Manfred Behrend: Vom Vermittler humanistischen Wissens zur „Waffenschmiede“ (Hermann Weber: Damals, als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Die SED-Parteihochschule „Karl Marx“ bis 1949), Inprekorr Nr. 368 (Juni 2002).
Für eine vollständige Rehabilitierung der KPD-Opfer des Stalinismus, Inprekorr Nr. 220 (November 1989).
Hans-Jürgen Schulz: Neue Literatur zu Osteuropa (darin: Hermann Weber: „Weisse Flecken“ in der Geschichte: die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung), Inprekorr Nr. 215 (Mai 1989).
 

Einige oppositionelle linkskommunistische Fraktionen in und außerhalb der KPD gingen bereits Mitte 1926 – noch vor Trotzki und der Vereinigten Linken Opposition in der Sowjetunion – von einem „stalinistischen System“ in der Sowjetunion und der Komintern aus. Zur linksoppositionellen Theorie des „Stalinismus“ gehörte die Abhängigkeit der KPD von der Sowjetunion und der Komintern; der „ideologische Terror“ (Hans Weber, Sprecher der Weddinger Opposition) und der „Belagerungszustand“ (Karl Korsch) in der KPD, der wiederum eine tiefgehende Analyse des bürokratischen Parteiapparates und der strukturellen Veränderungen innerhalb der KPD beinhaltete; der Verzicht auf die Weltrevolution durch die Übernahme der Theorie vom Sozialismus in einem Land, aber auch die Ent-Revolutionierung der KPD durch die Wendung zum moderaten Kommunismus zwischen 1925 und 1928 unter dem Fraktionsblock Thälmann-Meyer. Dieser konnte die stalinistische Politik, die auch die außenpolitische Isolation der Sowjetunion durch ein Bündnis mit den reformistischen Trade Unions in England zu durchbrechen suchte, in der KPD nur mit Hilfe der Zerlegung ihrer Organisationsstruktur in kleinste Zellen gegen den Willen der Mehrheit ihrer (linkskommunistischen) Mitglieder durchsetzen, weshalb die KPD von den meisten oppositionellen linken Kommunisten inner- und außerhalb ihrer Reihen als unreformierbar angesehen wurde. Die Kritik der oppositionellen linken KommunistInnen am Stalinismus unterschied sich von der Trotzkis, der die strukturellen Veränderungen in der KPD gar nicht und den „Thermidor“ in der Sowjetunion erst mit großer Verspätung wahrnahm. Im Bunde mit der Thälmann-Fraktion war für die Durchsetzung des „Stalinismus“ in der KPD genau jene Meyer-Ewert-Fraktion verantwortlich, auf die sich Hermann Weber politisch in seinem Werk bezog. Webers Theorie der „Stalinisierung“ befreite die moderaten Kommunisten der Fraktion Meyer-Ewert von der historischen Last, zum Kernbestandteil der stalinistischen Fraktion in der KPD gehört zu haben. Nicht von ungefähr haben nach 1945 moderate Kommunisten aller Couleur in der DDR das führende Personal gestellt.

Spätestens seit Mallmanns Kritik dürfte klar geworden sein, dass sich die Historische Kommunismusforschung gegenüber neuen Ansätzen öffnen musste. Dazu war die Webersche Schule kaum in der Lage, obwohl sie auf ihrem Gebiete bis heute Hervorragendes leistet. Während sie sich in den letzten Jahren immer mehr den Biographien ehemals führender KPD-FunktionärInnen zuwandte, dürfte eine vergleichende Forschung über die KPD der 1920er Jahre mit Geschichte und Strukturen von Kommunistischen Parteien anderer europäischer Länder ebenso zu neuen Erkenntnissen führen wie eine Verwirklichung von Isaac Deutschers Postulat, die Geschichte einer Kommunistischen Partei auch aus den Klassenkämpfen zu erklären. Was Hermann Weber als Einzelner für die Historische Kommunismusforschung geleistet hat, sollte durch eine Vielfalt der wissenschaftlichen Ansätze und Standpunkte fortgesetzt werden, die auch in der Lage ist, kontroverse Debatten loszutreten.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 2/2015 (März/April 2015). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Wer diese Ansicht teilt, sollte in Paul Frölichs Autobiografie das Kapitel über die Geheimstruktur der „Korpore“ lesen, die die linke Leipziger SPD vor 1914 beherrschte, vgl. Paul Frölich: Im radikalen Lager. Politische Autobiographie 1890‒1921, Berlin 2013, S. 67f. und das Nachwort von Reiner Tosstorff, S. 331f.