Griechenland

Die Zukunft der europäischen ArbeiterInnen steht in Griechenland auf dem Spiel

Erklärung des Exekutivbüros der Vierten Internationale

Seit zwei Jahren kämpft das griechische Volk gegen die Sparpolitik, die ihm von der „Troika“ (dem Interna­tionalen Währungsfonds, der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank) aufgezwungen wird. Nach siebzehn Tagen Generalstreiks, nach den massiven Demonstrationen und den Platzbesetzungen der aganaktismeni (Empörten), nach den Betriebsbesetzungen hat das griechische Volk bei den Wahlen vom 6. Mai die Parteien, die den Griechenland aufgezwungenen „Memoranden“ zugestimmt haben, mit über 60 % der abgegebenen Stimmen zurückgewiesen und den Parteien links vom antisozialen Liberalismus der PASOK 37 % gegeben.

Seit zwei Jahren ist Griechenland, das von der öffentlichen Verschuldung, die der Überakkumulation des Finanzkapitals als Absatzmöglichkeit gedient hat, an die Wand gedrückt wird, zum Laboratorium für die Politik geworden, die darauf abzielt, die Bevölkerung für die kapitalistische Krise zahlen zu lassen. Die Griechenland aufgezwungenen „Rettungspläne“ haben nur ein Ziel: die Zahlung der Schulden des griechi­schen Staats an die Banken sicherzustellen, um das Spekulationskapital vor der Finanzblase zu retten, die es geschaffen hat. Die „Memoranden“, die diese Pläne begleiten, zielen darauf ab, in Griechenland zu testen, wie weit das Kapital den von den Arbeitenden geschaffenen Reichtum an sich reißen kann, indem sie in Armut gestürzt werden.

Die Auswirkungen dieser Politik sind die brutale Kürzung der Löhne und Renten, die Aushöhlung des Ar­beitsrechts, ein brutaler Anstieg der Arbeitslosigkeit (die in Griechenland bereits 21,2 % der erwerbsfähi­gen Bevölkerung, fast 30 % der Frauen und 50 % der Jugendlichen erreicht), eine ähnliche Rezession wie 1929/30 (Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6,9 % 2011, 2012 schätzungsweise um weitere 5,3 %; Verminderung der industriellen Produktion um 4,3 % im März 2012 gegenüber März 2011 …), die Zerstö­rung des Gesundheitssystems (Schließung von 137 Krankenhäusern, Streichung eines Fünftels der Stellen im Gesundheitswesen, Fehlen von Medikamenten, da die unbezahlten Rechnungen sich auf 1,1 Milliarden Euro belaufen) und Zerstörung des Wohnungsmarkts (200 000 unverkäufliche Wohnungen, während die Zahl der Obdachlosen in die Höhe schießt), Mangelernährung …

Eine derartige Politik, die Willkür, Geheimhaltung und Angst zu einer Art des Regierens macht, konnte nur Reaktionen des Zorns, der Verunsicherung, der Wut auslösen. Ein Teil dieser Wut wurde von einer finsteren rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Kraft aufgefangen, der Neonazi-Gruppe Goldene Morgendämmerung, die auf der Welle der Regierungspolitik der Repression gegen die Demonstrierenden und der Jagd auf MigrantInnen reitet und die Polizei infiltriert hat. Das muss uns alarmieren und dazu veranlassen, die Politik der Repression und des Rassismus seitens der Griechenland von der „Troika“ aufgezwungenen Regierung anzuprangern.

In Anbetracht dieser Politik vertritt die griechische radikale Linke und insbesondere Syriza, die zur Zeit eine zentrale Stellung hat, einen Sofortplan mit fünf Punkten:

  1. Beseitigung der „Memoranden“, aller Sparmaßnahmen und der Gegenreformen im Arbeitsrecht, die das Land zerstören;

  2. Nationalisierung der Banken, an die mit den öffentlichen Hilfeleistungen viel gezahlt worden ist.

  3. Moratorium der Schuldenzahlung und ein Audit, das es ermöglichen wird, die illegitimen Schulden anzuprangern und zu streichen;

  4. Abschaffung der Immunität der MinisterInnen;

  5. Abänderung des Wahlrechts, durch das es der PASOK und der Nea Dimokratia möglich war, zum Schaden der griechischen Bevölkerung zu regieren und das Land in die Krise zu stürzen.

Die Vierte Internationale ruft die gesamte internationale Arbeiterbewegung, alle Empörten, alle diejenigen, die sich für die Ideale der Linken einsetzen, dazu auf, solch ein Sofortprogramm zu unterstützen.

Wir wünschen, dass es dem griechischen Volk mit an der Wahlurne und auf der Straße gelingt, eine Regierung der gesamten politischen und sozialen Linken durchzusetzen, die die Sparpolitik ablehnt, eine Regierung, die dazu imstande ist, die Schuldenstreichung durchzusetzen. Mit dieser Perspektive rufen wir dazu auf, dass alle Kräfte, die gegen die Sparpolitik kämpfen – Syriza, Antarsya, KKE, die Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen –, auf der Basis eines Sofortplans zusammengehen.

      
Mehr dazu
François Sabado: Einige Anmerkungen zur Regierungsfrage, Inprekorr Nr. 3/2013 (Mai/Juni 2013).
Im Auftrag des Zentralkomitees von OKDE-Spartakos: Erwiderung der OKDE auf die Erklärung des Exekutivbüros der IV. Internationale, Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012).
Erklärung des Exekutivbüros der Vierten Internationale: Antwort an das Zentralkomitee von OKDE-Spartakos (griechische Sektion der IV. Internationale), Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012).
Für ein Kampfprogramm gegen den Kapitalismus und für eine unabhängige antikapitalistische und revolutionäre Partei, Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012).
Andreas Kloke: Worum geht es in der Diskussion über Griechenland?, Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012).
Ein Dossier von Tassos Anastassiadis und Andreas Sartsekis: Griechenland – die Krise im Alltag, Inprekorr Nr. 3/2012 (Mai/Juni 2012).
ANTARSYA: Die Gipfelbeschlüsse bringen neue Memoranden und neue mittelfristige Programme, Inprekorr Nr. 5/2011 (September/Oktober 2011).
 

Die Krise ist nicht die Krise Griechenlands, sondern der Europäischen Union, die dem Willen des Kapi­tals und der ihm dienenden Regierungen unterworfen ist. Es ist die Krise der kapitalistischen Produktions­weise auf der ganzen Welt. Nicht die Troika, sondern das griechische Volk hat über die Politik zu entscheiden, die in seinem Land gemacht wird. Die Versuche der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, den GriechInnen bei den Wahlen am 17. Juni ein „Referendum“ über den Euro aufzudrücken – eine gewaltsame Einmischung in die Wahlen – müssen zurückgewiesen werden. Nicht der Euro, sondern die Diktate der Troika müssen jetzt bekämpft werden.

Mehr denn je ist es bei den Kämpfen gegen die Sparpolitik erforderlich, für den Bruch mit der Politik und den Verträgen zu streiten, die die Grundlagen des Aufbaus der Europäischen Union darstellen. Mehr denn je bedeutet Kampf gegen die Sparpolitik nicht nationalistischen Rückzug, sondern die Entwicklung einer Bewegung für ein anderes Europa, das für die souveränen demokratischen und sozialen Rechte eines jeden Volkes eintritt, sowie für die Perspektive der Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa.

Griechenland ist zu einem Laboratorium für Europa geworden. Man testet an menschlichen Versuchs­karnickeln Methoden, die anschließend auf Portugal, Spanien, Irland, Italien usw. angewendet werden. Das griechische Volk hat in den Betrieben, auf den Straßen und an den Urnen gegen diese barbarische Politik revoltiert. Der Widerstand der GriechInnen ist unser Widerstand, ihre Kämpfe sind unsere Kämpfe. Ihr Widerstand zeigt, dass das Eintreten für die vitalen Interessen der unteren Klassen auf eine Konfrontation mit den herrschenden Klassen auf nationaler und auf europäischer Ebene hinausläuft. Die gemeinsamen Initiativen zur Unterstützung der Kämpfe des griechischen Volks und seiner radikalen Linken müssen vervielfacht werden. Die beste Solidarität mit dem griechischen Volk ist es aber, ihr Beispiel in allen Ländern nachzuahmen, dadurch dass der Widerstand gegen die unmenschliche Spar- und Zerstörungspolitik ausgedehnt und koordiniert wird. Genau dies fürchtet das Kapital, das für die Krise verantwortlich ist: dass die Kämpfe ansteckend sein könnten!

24. Mai 2012
Übersetzung: Wilfried Dubois



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012). | Startseite | Impressum | Datenschutz