Ökologie

Gestaltet die kränkelnde Autoindustrie um!

Infolge der ökonomischen Rezession und der Umweltkrise sind alternative Entwürfe für eine sozial nützliche, nachhaltige Produktion aktuell wie nie zuvor. Als letztes Jahr die Finanzkrise mit voller Wucht aufkam, wurde die Überproduktion in der Autoindustrie unübersehbar.

Lars Henriksson

Vor allem die schwedische Autoindustrie war überproportional betroffen. Die Krise traf dort zwei der kleinsten Massenproduzenten der Welt, die kriselnden US-Firmen gehören und große, verbrauchsintensive Autos der luxuriöseren Kategorie produzieren. In einem Land, in dem 9 Millionen Menschen leben, ist dies so, als ob in London zwei Autohersteller mitsamt ihren Zulieferern bankrott gingen und zwei LKW-Produzenten krisengeschädigt wären.

Die Autokrise wurde natürlich zum Politikum, und ist es noch immer. Wie im Rest der Welt wurde die offizielle Diskussion von zwei Argumentationslinien darüber beherrscht, wie mit der Krise umzugehen sei.

Die Einen halten die Entwicklung für eine „kreative Zerstörung“ in dem Sinn, dass der Markt sein „Urteil“ abgegeben habe und einige Firmen eben zum Tode verurteilt worden seien. Und Eingriffe in das Marktgeschehen würden die Lage nur noch verschlimmern. Die „grüne“ Variante dieser Position lautete, „dass Autos ohnehin dem Klima schaden. Wir brauchen sie oder die Herstellerfirmen nicht. Es ist gut, wenn die Autoindustrie verschwindet.“

Die Gegenposition in der öffentlichen Debatte reklamiert Unterstützung für die Autoindustrie. Die Regierung müsse die Firmen subventionieren und ihnen über diese schlechten Zeiten hinweg helfen, damit die Autoindustrie anschließend wieder wachsen könne, wenn sich die Lage wieder normalisiert hat. Dafür würden Kredite, Verschrottungsprämien, vorübergehende Steuererleichterungen u. ä. benötigt. In Schweden war dies die Position der Sozialdemokratie, der betroffenen Industrie, vieler Analysten und der Gewerkschaften. Die Führer meiner Gewerkschaft leisteten ihren „Beitrag“, indem sie einen Vertrag unterschrieben, wonach für ihre Mitglieder vorübergehend eine Reduzierung von Löhnen und Arbeitszeit gilt.

Beide Herangehensweisen an die Krise sind desaströs. Die Position „Unterstützt die Industrie“ geht von einer grundlegend falschen Annahme aus. Es wird kein „Zurück zur Normalität“ mehr geben, oder zumindest nicht eine endlos wachsende Produktion von Autos.

Der Straßenverkehr ist verantwortlich für circa 20 % der Emissionen an Treibhausgasen in der EU, wobei in diesem Sektor die Emissionen am schnellsten zunehmen. Auch ohne die Notwendigkeit, den Klimawandel zu stoppen, läuft die Zeit des Autos ab. Die Ölförderung wird schon in naher Zukunft ihren Höhepunkt überschritten haben und als billige Energie nicht länger zur Verfügung stehen. Ein Verkehrssystem, das auf massenhaftem Autoverkehr beruht, stellt überhaupt keine Option dar. Und die Position der Industrie dazu – das grüne Auto, verbrauchsarm und betrieben mit erneuerbaren Energien – ist eine Illusion.

Es stimmt zwar, dass sich die durchschnittlichen CO2- Emissionen pro Kilometer bei neuen Autos verringert haben, aber während zwar in der Zeit 1995–2002 der durchschnittliche Treibstoffverbrauch für neue Autos in den EU-Ländern um 13 % abgenommen hat, ist der Verbrauch insgesamt aufgrund der Verkehrszunahme um 7 % gestiegen. [1]

Biosprit ist keine Lösung. Im waldreichen Schweden beispielsweise wird die Herstellung von synthetischem Dieseltreibstoff (DME) aus Holz als die neue Zukunft angepriesen. Aber wollte man nur den Benzinverbrauch der aktuell zugelassenen Autos durch DME ersetzen, müssten allein dafür jährlich 6 Milliarden Hektar abgeholzt werden. Andere Arten von Biotreibstoffen, die als Alternative zum Öl propagiert werden, wie Äthanol, benötigen zuviel Ackerland und Wasser. Außerdem kollidiert die Herstellung von Äthanol aus Getreide oder von Diesel aus Soja unmittelbar mit der Produktion von Nahrungsmitteln für die ärmsten Völker dieser Welt.

Sind Elektroauto oder wasserstoffbetriebene Motoren eine Alternative? Weder Wasserstoff noch Elektrizität sind Energiequellen, sondern sie sind Energieträger, die auf irgendeine Art Energiezufuhr benötigen. Heutzutage werden zwei Drittel des elektrischen Stroms auf der ganzen Welt in Kohlekraftwerken produziert. Daraus folgt, dass der Umfang des Verkehrs an sich und des Straßenverkehrs im Besonderen an ein umweltverträgliches Maß langfristig angepasst werden muss. Und das würde das Ende der gegenwärtigen Autoindustrie bedeuten.

Schlussendlich wird die Wirtschaftskrise, die noch lange nicht vorbei ist, die Autoindustrie komplett umgestalten.

Das Argument, dass das Aus für nicht wettbewerbsfähige Autohersteller hingenommen werden sollte, ist momentan aus sozialer, praktischer und politischer Sicht das schlechteste. In Schweden kamen und gingen die Industrien. In den 60ern verschwand die Textilindustrie, in den 70ern und 80ern die Werft und andere Sektoren wuchsen: die Autoindustrie und vor allen Dingen der öffentlichen Dienst. Dieser „strukturelle Wandel“ entsprach der offiziellen politischen Linie der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei.

Heutzutage gibt es jedoch keine anderen Wachstumsindustrien und der öffentliche Sektor erlebt Einschnitte. In einer vom Automobil abhängigen Wirtschaft wie der schwedischen bedeutet dies ein Desaster.

Zweitens besteht eine Industrie wie die Autoindustrie nicht einfach aus einem Haufen Maschinen und Gebäuden. Sie besteht vielmehr aus den Menschen, die in dieser Industrie arbeiten. Denn im Moment steht die Menschheit vor ihrer schwersten Herausforderung überhaupt: eine Wirtschaft und Produktion umzugestalten, die schon seit 250 Jahren auf fossiler Energie beruht. Und dafür brauchen wir alle verfügbaren Ressourcen, um dies zu bewältigen. Es wäre eine komplett unverantwortliche Verschwendung, wenn wir einen Industriekomplex vernichten würden, der fast über ein ganzes Jahrhundert hinweg aufgebaut und entwickelt worden ist.

Die Automobilindustrie verfügt über fachliches Wissen in Logistik, Produktentwicklung, Produktdesign und Qualitätskontrolle, das an Produktionen jeglicher Art angepasst werden kann. Eine effiziente Massenproduktion ist genau das, was wir brauchen, wenn wir die Nutzung fossiler Energien ersetzen wollen. Dies würde komplizierte technische Geräte billiger machen und könnte bei der Produktion von Windturbinen und anderer Ausrüstung zur Erzeugung erneuerbarer Energie genutzt werden, wie z. B. für Bahnnetze, Züge und andere Fahrzeuge eines nachhaltigen Verkehrssystems.

Für die ArbeiterInnen der Autoindustrie sind Wandel und Konversion durchaus nichts Neues. In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer neue Modelle in einem absurden Tempo auf den Markt gebracht, mit dem Resultat, dass Umrüstungen, Umbauten und Umschulungen Gang und Gäbe wurden.

Es gibt historische Präzedenzfälle für industrielle Konversion. In den Monaten nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor 1941 verbot die amerikanische Regierung die Produktion von Privatautos und befahl der Autoindustrie, zur Kriegsproduktion zu wechseln. Ford und andere Hersteller kamen dem nach (und verdienten gut daran), indem sie ihre Kenntnisse in der Massenproduktion auf Bomber und Panzer anwandten. Das Gleiche geschah in Großbritannien.

Um es zusammenfassend zu sagen: Die Autoindustrie ist ein fantastischer und vielseitig einsetzbarer Betrieb, der nicht daran gebunden ist, Autos zu produzieren. Sie kann eine wichtige Rolle dabei spielen, unsere Gesellschaften in nachhaltige und Kohlendioxid-neutrale Gesellschaften zu verwandeln. Aber letztendlich geht es in der Klimafrage nicht um Technologie. Es geht um Politik, d. h. um Klassenkampf. Und das ist der Punkt, wo die ArbeiterInnen der bedrohten Industrie ins Spiel kommen.

Und das ist auch der Zeitpunkt, wo wir, die ArbeiterInnen der bedrohten Autoindustrie ins Spiel kommen. Wir müssen zusammenstehen und für unsere Jobs kämpfen, jedoch ist es ein sehr harter Kampf und es ist fast unmöglich, ihn zu gewinnen. Aus diesem Grund müssen wir uns an die breite Öffentlichkeit wenden, um Unterstützung und aktive Teilnahme zu erreichen.

Wir müssen so argumentieren, dass die Manager, die den Staat nun um Hilfe angehen, ihr Recht auf die Führung der Autoindustrie verwirkt haben. Der Staat darf ihre Macht und anhaltend destruktive Produktionsweise nicht noch alimentieren, sondern muss stattdessen die ganze Industrie verstaatlichen und konvertieren, um sichere Jobs und eine Produktion zu schaffen, die uns helfen kann, von der fossilen Wirtschaft wegzukommen. Dies wäre eine Plattform für ein breites gesellschaftliches Bündnis, um die Jobs, zugleich aber auch den Planeten zu retten.

Ist es möglich, ein solches Bündnis zu bilden, das sich für den Wechsel zu einer alternativen Produktion stark macht und das vom einfachen Arbeiter bis nach oben reicht? Wenn ja, wie?

Der erste Schritt wird sein, das Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen zu stärken, indem sie lernen, gemeinsam für alles zu kämpfen. Wenn wir jedoch nur über den großen Entwurf reden, ohne uns im alltäglichen Kampf aktiv zu engagieren, werden wir als windige Erbauer von Luftschlössern abgestempelt werden.

Der zweite Schritt wäre, konkrete Pläne zu entwickeln, wie man die verschiedenen Sektoren konvertieren könnte.

1980 gab es ein Referendum über Atomenergie in Schweden, und eine der wichtigsten Initiativen die Umweltbewegung bestand darin, einen alternativen Energieplan zu entwickeln, der bis ins letzte Detail aufzeigte, wie man Atomenergie abschaffen und durch erneuerbare Energie ersetzen kann. Dies war ein sehr wichtiger Schritt in der Kampagne, der zur Schulung von AktivistInnen beitrug und den Menschen innerhalb der Bewegung Selbstvertrauen gab.

Im Mai diesen Jahres trafen sich UmweltaktivistInnen, Bürgerinitiativen, WissenschaftlerInnen und GewerkschaftsvertreterInnen aus verschiedenen europäischen Ländern (inklusive Bob Crow von der RMT aus Großbritannien) in Köln, um ein umweltfreundliches Verkehrssystem zu diskutieren. Die Konferenz verabschiedete die Kölner Erklärung gegen die Bahnprivatisierung und für ein umweltfreundliches Verkehrssystem. Ein konkreter Plan, RailEurope2025, wurde erstellt, wie man das europäische Verkehrswesen innerhalb der nächsten 15 Jahre so umgestalten kann, dass die CO2-Emissionen um 75 % zurückgehen und somit auch die gesamten Emissionen auf die Hälfte reduziert werden. Dieser Plan gibt den Gewerkschaften sowie anderen Bewegungen die Handhabe, politischen Druck aufzubauen.

Der dritte wichtige Schritt wäre, solche alternativen Pläne mit den konkreten Arbeitsplätzen zu verbinden, mit der Produktion vor Ort, so wie dies zum Beispiel in den 70ern in Großbritannien bei Lucas Aerospace versucht wurde. Obwohl dieser Kampf verloren ging, hatte er doch weltweit reichende Auswirkungen, die immer noch anhalten.

In den späten 70ern gab es in Schweden eine Krise in der Werft- und Stahlindustrie und den Überbleibseln der Textilindustrie. Für eine ganze Zeit lang wurde „alternative Produktion“ zu einem weitverbreiteten Schlagwort und Hoffnungsträger. Aber so gut wie alle Versuche unter diesem Motto scheiterten daran, dass fast Alle unter „alternativer Produktion“ „andere profitable Produkte“ verstanden.

      
Mehr dazu
Dianne Feeley: Automobilarbeiter gegen die Krise, Inprekorr Nr. 458/459 (Januar/Februar 2010) (nur online)
Jean-Claude Vessillier: Automobilindustrie – ein Zyklus geht zu Ende, Inprekorr Nr. 450/451 (Mai/Juni 2009)
 

Wenn wir diese Idee der „alternativen Produktion“ nutzen wollen, müssen wir aufzeigen, dass wir unsere Fähigkeiten nutzen wollen, um ein gesellschaftlich nützliches und notwendiges Produkt herzustellen, egal ob es im kapitalistischen Sinne profitabel ist oder nicht. Dies war die Stärke des Plans bei Lucas Aerospace.

Ein anderer attraktiver Aspekt der Erfahrung bei Lucas war, dass sich zeigte, was passieren kann, wenn ArbeiterInnen aus der Tretmühle ihres Alltags ausbrechen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts fasste dies Thomas Paine folgendermaßen zusammen:

„Revolutionen erzeugen Genie und Talent; aber durch diese Ereignisse treten diese nur ans Tageslicht. In jedem von uns schlummern massenhaft Fähigkeiten, die wir mit ins Grab nehmen, es sei denn, etwas bringt sie zum Erwachen.“ [2]

Die dieses Jahr auf der Gewerkschaftskonferenz ins Leben gerufene Kampagne gegen den Klimawandel beschloss, ein Komitee zu bilden, um mit der Erstellung eines Konversionsplans entlang lokaler Gegebenheiten zu beginnen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Lars Henriksson arbeitet in einer schwedischen Autofabrik. Er ist Mitglied der Sozialistischen Partei (SP), der schwedischen Sektion der IV. Internationale.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus einer Rede auf der Konferenz über Klima und Kapitalismus, die von Green Left und Socialist Resistance in London am 12. September 2009 organisiert wurde.

Übersetzung: Ana



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 460/461 (März/April 2010). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Achieving Sustainable Mobility: Everyday and Leisure-time Travel in the EU. S. 170 Erling Holden. Ashgate Publishing Ltd 2007

[2] Rights of Man, II, 1792