Ökonomie

Automobilindustrie – ein Zyklus geht zu Ende

Jean-Claude Vessillier

In den 35 Jahren nach der ersten Ölkrise hat sich die weltweite Produktion von Fahrzeugen mehr als verdoppelt und ist von 33 Millionen im Jahr 1975 auf 73 Millionen 2007 gestiegen. In den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern ging dieses Wachstum mit krisenhaften Vorzeichen einher und führte zu Umstrukturierungen der Unternehmen, Werksschließungen und Arbeitsplatzabbau. Die Automobilindustrie der ältesten kapitalistischen Wirtschaftsnation England ist während dieser Zeit nahezu weggebrochen, und die Stadtzentren von Detroit und Boulogne-Billancourt sind gezeichnet von Industrieruinen.

Die aktuelle Krise der Automobilindustrie, die in der zweiten Jahreshälfte 2008 ausgebrochen ist, ist dem gegenüber jedoch einzigartig, weil alle Kontinente zugleich betroffen sind wie auch wegen ihres Umfangs, ihrer drohenden Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, ihrer Verknüpfung mit der absehbaren Verknappung der Erdölreserven und wegen der Umweltkrise. Insofern fokussieren sich in der Krise der Automobilindustrie wie unter einem Brennglas alle Elemente der globalen Krise, die zurzeit die Welt erschüttert. In gleicher Weise wie der erste Öl-Schock 1973 einen neuen Zyklus in der Geschichte der Automobilindustrie eröffnet hat, kennzeichnen die Ereignisse des letzten Quartals 2008 das Ende dieses Zyklus und leiten eine neue Periode ein, in der – auf dem Weg weiterer Krisen – die Zukunft des mit Benzin betriebenen Autos an sich und von Millionen von Beschäftigten in diesem Sektor infrage gestellt wird.

Die Bedeutung der Automobilindustrie in der Weltwirtschaft versteht sich von selbst. Weltweit sind acht Millionen Arbeiter und Angestellte in der Fahrzeug- und Teilefertigung beschäftigt. Der Umsatz lag 2007 bei annähernd zwei Billionen Euro. Die in hoher Kapitalkonzentration international ausgedehnte und verschachtelte Produktion läuft in Fabriken mit jeweils mehreren Tausend Beschäftigten. Die Automobilfabriken standen oft an der Wiege der Arbeiterbewegung, sei es in Westeuropa, im US-amerikanischen Detroit, in Lateinamerika im Industriegürtel von Sao Paulo oder in den Renault Dacia Werken in Rumänien. Da sie einen Gebrauchsgegenstand betreffen, der das Stadtbild der Großstädte auf der ganzen Welt prägt und verschandelt, wirken sich die Automobilkrisen auf die gesamten sozialen Verhältnisse aus.


Umso härter wird der Absturz 2009 sein


Die meisten Länder sind von sinkenden Absätzen in der Automobilbranche betroffen. Diese Synchronisation ist außergewöhnlich und liegt daran, dass die Wirtschaftskrise weltweit ist. Auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Krise vollzieht, ist außergewöhnlich. In den vergangenen zehn Jahren bis zum Herbst 2008 schwankten die Verkaufszahlen entlang der Konjunktur: in Westeuropa, USA und Japan stagnierten und im Rest der Welt stiegen sie. Der allgemeine Absturz begann erst im September 2008 und dehnte sich in weniger als drei Monaten auf alle Kontinente aus [1]. Auch China ist davon betroffen und das Wachstum der vergangenen Jahre hat sich erheblich verlangsamt.

Verkaufte Fahrzeuge im 3. Quartal 2008 und im Gesamtjahr 2008
 USADeutschlandFrankreichItalienSpanienJapanChina
IV/2008-35 %-10 %-15 %-13 %-40 %-20 %+2 %
2008-18 %-7 %-0,7 %-13 %-28 %-6 %+6,7 %

Das Ausmaß der Krise wird aus diesen Zahlen allein nicht ersichtlich, da es auch in der Vergangenheit schon Absatzschwankungen in der Größenordnung von 20 % gegeben hat. Und wären da nur die Umsatzeinbrüche des letzten Quartals 2008, würde sich die Krise noch nicht von denen der Vergangenheit großartig unterscheiden. Hingegen stellen diese Zahlen nur den Auftakt zu einer anhaltenden Depression dar, deren Ende gegenwärtig in keiner Weise abzusehen ist. Diese Ungewissheit wird noch verschärft durch die Unwägbarkeiten, die auf der Zukunft der Automobilgesellschaft lasten. Was früher bloße Hypothesen für die Zukunft waren, ist mittlerweile Fakt geworden und bestimmt die Praxis der gesamten Automobilindustrie.


Die aktuelle Depression offenbart eine Strukturkrise


Die sozialen Einschnitte, die bereits im letzten Quartal 2008 zu beobachten waren, sind umso schwerwiegender als sie keine bloße Reaktion auf die Flaute der Vormonate waren sondern Vorboten einer lang dauernden Krise.

Die Automobilindustrie steht in dreifacher Hinsicht vor einer strukturellen Krise ihres Absatzmarktes: im klassischen Sinn, indem ihre Produkte keine Abnehmer zu dem geforderten Preis finden, da in den kapitalistischen Metropolen die Löhne unter Druck geraten sind; zweitens eine Modellkrise, da in den Ländern, die momentan Produktion und Verbrauch auf der Welt ankurbeln, ganz vorwiegend bestimmte (kleinere) Fahrzeugtypen nachgefragt werden; und drittens die Umweltkrise, die die Antriebsweise, auf der der Aufschwung der Fahrzeugindustrie seit über hundert Jahren beruht, obsolet werden lässt.

Durch diese Absatzkrise spitzt sich die Konkurrenz zwischen den international tätigen Konzernen zu – nicht nur auf den „klassischen“ Märkten in den entwickelten Ländern, sondern auch in den anderen Ländern wie China, dem wichtigsten „neuen“ Wachstumsmarkt. Bereits vor Ausbruch der Krise im Herbst 2008 waren die Überkapazitäten im Produktionssektor unübersehbar. So waren bei Renault nur 54 % der Kapazitäten in Westeuropa im ersten Halbjahr 2008 ausgelastet [2].

Die Konkurrenz ist derart heftig, dass alle Konzerne gnadenlos ums Überleben ringen. Die Ära der stabilen Oligopole, die sich Produktion und Märkte aufteilen, ist passé. Die ungewisse Zukunft von GM oder Chrysler sind beredtes Zeugnis des Zusammenbruchs, den dieses brüchig gewordene Oligopol inzwischen weltweit erlebt.

Neue Konzerne aus China oder Indien drängen auf den umkämpften Markt und mehren damit die weltweiten Überkapazitäten. Hinzu kommt ein während der vergangenen fünfzehn Jahre geändertes Kräfteverhältnis zwischen Autoherstellern und Zubehörindustrie. Durch die implementierte Elektronik oder neue Antriebstechniken stärkt sich perspektivisch die Position bestimmter Firmen gegenüber den klammen traditionellen Autoherstellern.


Die Globalisierung der Märkte und der Handelsströme verläuft langsamer als die Globalisierung des Kapitals


Die Globalisierung der Märkte ist noch nicht abgeschlossen, insofern als nicht auf allen Kontinenten die gleichen Autos produziert und verkauft werden.

Die Verdopplung der Automobilproduktion in den letzten dreißig Jahren verlief weder zeitlich noch geographisch homogen. In den USA ist die Produktion in dieser Zeit kontinuierlich um insgesamt 15 % zurückgegangen. In Gesamteuropa ist die Produktion um 60 % gestiegen, wobei sie im Westen seit zwanzig Jahren stagniert und Mitteleuropa das Wachstum besorgt. Auch in Japan vollzog sich das Wachstum auf dem inländischen Markt im Wesentlichen zwischen 1975 und 1990. Das herausragendste Phänomen der vergangenen zehn Jahre ist der Vormarsch Chinas, das in höchstens fünf Jahren Japan und die USA überholt haben und zum zweitgrößten Autohersteller weltweit avanciert sein dürfte.

Das Anwachsen der weltweiten Produktion geht nicht proportional mit einem Anstieg der Handelsströme einher. Die Autos werden vorwiegend gefertigt, um vor Ort, d. h. im Land oder in der Region verkauft zu werden. Tendenziell führt dies zu einem Zusammenrücken der Produktionszonen und der Verkaufszonen. Folglich wird es keine geographische Zone geben, in die sich die überwiegende Produktion verlagert, um von da aus den Rest der Welt zu beliefern. Am Vorabend vor Ausbruch der Krise 2008 stellten sich die Realitäten wie folgt dar:

Export und Import von Fahrzeugen der wichtigsten Produktionsregionen
 EuropaVereinigte StaatenJapan
ImportExportImportExportImportExport
199012 %20 %29 %3 %1 %55 %
200714 %20 %30 %13 %2 %55 %
Quelle: www.ccfa.fr/statistiques/faits-et-chiffres/dans-le-monde/la-production/

Der Anteil der Exporte der europäischen Automobilproduktion in die restliche Welt lag mit ca. 20 % erstaunlich stabil, während sich die Importe von 12 auf 14 % leicht erhöhten. Auch in Japan blieben die Ausfuhren mit 55 % der Gesamtproduktion auf konstantem Niveau, da die Exportsteigerungen japanischer Fahrzeuge vor 1980 stattfanden. In den USA verharrte der Anteil der Importe bei 20 % der Gesamtproduktion. Der chinesische Vormarsch während der letzten zehn Jahre widerlegt diese Tendenz nicht, weil der Großteil der in China hergestellten Autos für den Binnenmarkt bestimmt ist.

Die Globalisierung der Automobilindustrie lief über die Konzerne, die außerhalb ihrer Stammländer Filialen und Fabriken errichtet und zahlreiche Fusions- und Umstrukturierungsmaßnahmen durchgeführt haben. Durch das wachsende internationale Engagement dieser Konzerne verläuft die gegenwärtige Krise umso synchroner. Während in den 90er Jahren die Präsenz in mehreren Kontinenten zugleich als „Versicherung“ gegen übergroße Schwankungen in den einzelnen Ländern galt, werden jetzt die Folgen der Krise durch den simultanen Verlauf noch gesteigert.

Diese Globalisierung vollzog sich zunächst auf den profitabelsten Märkten, d. h. in der Triade Nordamerika, Westeuropa und Japan.

Die amerikanischen Konzerne produzieren nur mehr zur Hälfte in den USA. Zu den seit 1945 in Europa vorhandenen Filialen (Ford, Opel und Vauxhall) kamen neue Geschäftsfelder in Südamerika und China dazu sowie Unternehmensaufkäufe, wobei GM diese Strategie der weltweiten Verankerung am konsequentesten betrieben hat.

Die japanischen Konzerne schlugen den gleichen Weg ein: seit 2005 werden über 50 % der japanischen Markenfahrzeuge außerhalb Japans hergestellt – in Fabriken, die möglichst nah an den Absatzmärkten gelegen sind. Dies gilt für die USA und Europa, wo die Steigerung der Absatzzahlen vermittels vor Ort hergestellter Fahrzeuge lief.

Gleichermaßen verlief die Globalisierung der europäischen Automobilindustrie, die sich bevorzugt in Lateinamerika und China ausbreitete. Zudem verfügt sie in unmittelbarer Nachbarschaft über ein weiteres Betätigungsfeld: die Ex-Comecon-Staaten. Für die europäischen Hersteller ist die Errichtung von Zweigwerken insofern attraktiv, als die Unternehmer dort qualifizierte Arbeiter zu niedrigeren Löhnen als in Westeuropa vorfinden und zudem es ihrer Strategie – nahe der Absatzmärkte zu produzieren – entgegen kommt. Die Kombination dieser beiden Faktoren ist ausschlaggebend für diesen „Run“ nach Osten. Die Automobilproduktion in Mittel- und Osteuropa erreichte 2007 den Umfang von 2.900.000 Fahrzeugen, während die Verkaufsziffern bei 1.300.000 lagen. In den meisten dieser Länder wurden neue Niederlassungen errichtet: Polen, Tschechien, Slowakei, Rumänien und Slowenien. Die Diskrepanz in der Motorisierung zwischen den beiden Teilen Europas legt nahe, dass der Absatz von Fahrzeugen sich v. a. in Mitteleuropa nach oben entwickeln wird. Dabei handelt es sich jedoch um Kleinfahrzeuge, die weniger Profit abwerfen als die Modelle, die den Automobilkonzernen die Profitraten der vergangenen Jahrzehnte beschert haben.

Gemessen am europäischen Marktführer VW hat die französische Automobilindustrie sich verspätet in dieses Rennen begeben. Mittlerweile jedoch produzieren und verkaufen die beiden französischen Konzerne PSA und Renault mehr Fahrzeuge außerhalb ihres Stammlandes, vorwiegend allerdings innerhalb von Europa. Renault bspw. tätigt 35 % seiner Verkäufe außerhalb Europas, während es 1990 noch 15 % waren.

Ebenso wie Renault, das im Zuge der internationalen Ausdehnung seiner Absatzmärkte in- und außerhalb von Europa inzwischen weniger als die Hälfte seiner Fahrzeuge in Frankreich herstellen lässt, geht es allen europäischen Autoherstellern, wobei durch den neuen Wachstumsmarkt in Osteuropa dieses Phänomen noch verstärkt wird.

Globalisierung des Kapitals bei gleichzeitiger Wahrung stabiler Handelsströme: Dieses Argument, wonach die gegenwärtige Krise der Konkurrenz durch die neuen Schwellenländer geschuldet ist, lässt sich nicht halten. Bloß weil Länder wie China und Indien die Unverfrorenheit besitzen, sich nicht in eine freie Absatzzone für die traditionellen Industrieländer machen lassen zu wollen. Die eigentlichen Wurzeln der Krise liegen in der Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft selbst.


Eine Absatzkrise für die Automobilindustrie


Die Strategie der großen weltweit agierenden Konzerne lief ins Leere. Seit den 90er Jahren zielten sie nämlich darauf, mangels steigender Absätze ihren Profit durch steigende Ausstattung und Preise der einzelnen Fahrzeuge zu halten. Die meisten Firmen spezialisierten sich darauf, immer ausgefeiltere und teurere Autos herzustellen. Dies widersprach der allgemeinen Tendenz in der sonstigen Fertigungsindustrie, nämlich die Verkaufspreise immer weiter zu senken. Die Autos wurden somit für immer mehr Käufer in Westeuropa unerschwinglich, so dass inzwischen ein Drittel der Neufahrzeuge an Leasingfirmen oder als Firmenfahrzeuge an Unternehmen verkauft werden. [3]

In den immer entlegeneren Stadtrandgebieten ist ein Auto unerlässlich, um zur Arbeit zu gelangen oder Einkäufe zu erledigen. Aber zunehmend werden dafür Gebrauchtfahrzeuge mit zunehmend älterem Datum erworben, was den Absatz von Neufahrzeugen noch weiter dämpft. Aus der Stagnation der Verkaufszahlen, die seit den 90er Jahren in Westeuropa, USA und Japan zu beobachten war, ist in jüngster Zeit eine Baisse geworden, da immer mehr prekär Beschäftigte sich keinen Neuwagen mehr leisten können. Somit finden die Neufahrzeuge in ihrer heutigen Konzeption immer weniger Abnehmer in den kapitalistischen Metropolen. Die international tätigen Konzerne können die neu entwickelten und in ihren alten Werken hergestellten Produkte immer weniger rentabel absetzen.

Solange die Anschaffung von Autos in diesen Schwellenländern die bloße Angelegenheit der kleinen Schicht mit exorbitantem Einkommen war, konnten die in den US-amerikanischen oder europäischen Werke hergestellten Modelle dort noch ihre Abnehmer finden. Ein – zahlenmäßig überschaubares – Beispiel hierfür sind die Luxuslimousinen von Mercedes, die in die Öl-Monarchien des Nahen Ostens verkauft wurden.

Die jetzt auf den Markt drängenden potentiellen Neuwagenkäufer suchen nach weniger aufwendigen Modellen Fahrzeugtypen, die von den großen internationalen Herstellern zunehmend weniger angeboten worden sind. Und das künftige Wachstum in der Automobilproduktion dürfte zum großen Teil von den Verbrauchern in den Schwellenländern abhängig sein, für die der Preis ausschlaggebend ist. Fahrzeuge wie der Tata Nano, der in Indien hergestellt wird, oder andere Billigfahrzeuge werden voraussichtlich das Interesse von Millionen von Neukunden auf sich ziehen. Auf der Automobilmesse in Shanghai im April 2007 zeigte der Vorstandsvorsitzende von Suzuki, Hiroshi Tsuda, unverhülltes Interesse an den chinesischen Modellen und äußerte, dass sie mittlerweile auch auf den Märkten außerhalb Chinas durchsetzungsfähig wären, namentlich in den Schwellenländern, in denen der Preis die wichtigste Rolle spielt [4].


Das Zusammentreffen von steigenden Ölpreisen und Finanzkrise trifft die kriselnde Automobilindustrie doppelt hart


Dieser doppelte Knall machte sich zuerst in den USA bemerkbar. Da die US-amerikanische Automobilindustrie in sich gleich mehrere Krisenfaktoren vereint und daher besonders anfällig ist, war sie auch am schwersten betroffen von den unmittelbarsten und verheerendsten Auswirkungen für Millionen von Arbeitern.

Die Krise der Hypothekenbanken und der vorübergehende Anstieg des Ölpreises auf 150$ im Sommer 2008 waren die Auslöser der Krise – wohl gemerkt nicht die Ursache. Die sinkenden Absätze im zweiten Halbjahr 2008 auf dem nordamerikanischen Markt waren mit -20 % im Vergleich zum Vorjahr sicher nicht unerheblich, aber letztlich doch innerhalb der üblichen Schwankungsbreite. Das einzigartige an dieser Situation war, dass dadurch General Motors und Chrysler an den Rand eines Ruins gerieten. Ohne die beim Kongress und der Regierung Bush erbettelten öffentlichen Beihilfen wäre die ehemalige Nr. 1 der US-Industrie in Konkurs gegangen.

Die Krise der US-Autoindustrie reicht weit zurück. Die drei großen amerikanischen Fahrzeughersteller – GM, Ford und Chrysler – verlieren seit dreißig Jahren an Boden. Das erste Warnsignal kam 1975 nach der ersten Ölkrise, die das Ende der Ära der amerikanischen Chromschlitten der 50er und 60er Jahre einläutete. Die amerikanischen Konstrukteure müssen seitdem kleinere Fahrzeuge produzieren. Dieses sog. „Downsizing“ (Abspecken) bewahrte die amerikanischen Fahrzeugbauer nicht davor, der Konkurrenz durch die aufkommende japanische Autoindustrie ausgesetzt zu sein. Der Profit pro verkauftem Fahrzeug fiel proportional zum durchschnittlichen Verkaufspreis. Da der Binnenmarkt nicht ausgeweitet werden konnte, wurden in den 80er und 90er Jahren Fahrzeuge mit Vierradantrieb u. ä. gepusht, was den Profiten wieder Auftrieb verschaffte. Aber auch damit konnte sich die amerikanische Automobilindustrie nicht dauerhaft in der Konkurrenz behaupten, wie die aktuelle Entwicklung zeigt.

Tatsächlich stieß der Absatz teurer und verbrauchsintensiver Großfahrzeuge in den USA und den anderen Industriestaaten schnell an seine Grenzen. Der allgemeine Druck auf die Löhne in diesen Ländern begann sich auszuwirken. In den großstädtisch geprägten Regionen Nordostamerikas und Kaliforniens waren derlei kostspielige Autos bald nicht mehr gefragt und wegen der Anschaffungs- und Unterhaltskosten konnten sie auch außerhalb der USA nicht in nennenswertem Umfang abgesetzt werden. Also ließen sich bei stagnierender Produktion die Profite auch nicht über den höheren Preis wieder ankurbeln.

Das neue Jahrtausend verstärkte diese seit zwei Jahrzehnten bestehende Tendenz noch weiter und läutete den Abstieg von Ford, GM und Chrysler ein mit wachsender Gefahr des Zusammenbruchs. Vor etwas über einem Jahr, 2007, musste GM seine Weltmarktführung an Toyota abtreten. Um diesen Niedergang aufzufangen bemühten sich die Bosse in Detroit, die Arbeit zu intensivieren und zugleich die Lohnkosten zu senken. Die Mitgliedszahlen in der Gewerkschaft der Automobilarbeiter UAW und somit die Zahl der tariflich abgesicherten Beschäftigten gingen von 1,5 Millionen 1979 auf 500 000 2007 zurück. Die Zahl der Arbeiter bei GM sank von 110 000 im Jahr 2006 auf 55 000 Ende 2008.

Meist wird außer Acht gelassen, dass die US-amerikanische Fahrzeugindustrie nicht mehr nur aus den drei Riesen in Detroit besteht. Nahezu ein Viertel der Inlandsproduktion entfiel 2007 auf die japanischen Firmen. Toyota verfügt über 13 Niederlassungen, die fernab des klassischen Standorts Detroit, nämlich in Indiana, Kentucky, Texas oder Virginia angesiedelt sind. Innerhalb der Freihandelszone NAFTA, die noch Kanada und Mexiko umfasst, belief sich der Anteil der drei großen US-Konzerne an der Gesamtproduktion 2007 nur noch auf die Hälfte. Damit wird deutlich, dass der Abstieg sehr wohl schon früher als Ende 2008 begonnen hatte.

Der Konkurs eines Unternehmens in der Größenordnung von GM oder Chrysler ist natürlich eine politische Entscheidung, die den bürgerlichen Staatsapparat auf den Plan ruft, der dabei widersprüchliche Interessen abwägen muss. Ein Konkurs hätte erhebliche soziale Kosten zur Folge, wenn ein Unternehmen seinen diversen Verpflichtungen aus den mit der UAW ausgehandelten Verträgen im Liquidationsfall nicht mehr nachkommen müsste. Auch die ganzen kleinen, mittleren und großen Zulieferunternehmen wären davon betroffen. Für andere Kapitalfraktionen hingegen würden sich durchaus nennenswerte Vorteile daraus ergeben. Der Bankrott wäre ein juristisches Mittel, um sich endgültig aus den Tarifverträgen, die aus den Glanzzeiten der Automobilindustrie herrühren, zu verabschieden. Zugleich wäre es eine willkommene Option für das Kapital, das in den rentabelsten Unternehmen und Branchen angelegt werden will.

Im Zuge der Subventionen verlangt die Regierung Gegenleistungen – nicht von den Aktionären und Managern, sondern von den Arbeitern und Angestellten. Deren noch bestehende Vergünstigungen werden, obwohl sie seit zwanzig Jahren schon systematisch abgebaut werden, für die gegenwärtigen Probleme verantwortlich gemacht. Dabei werden die japanischen Autofabriken in den USA als Beispiel dafür angeführt, dass der Fahrzeugbau auch rentabler organisiert werden kann.

In der Tat werden in den Zweigwerken der japanischen Firmen Toyota, Honda und Nissan Arbeiter beschäftigt, die nicht unter die mit der UAW ausgehandelten Tarifverträge fallen. Zwar liegt der durchschnittliche Stundenlohn bei GM und Toyota gleichauf bei 30 $ brutto, aber incl. der Lohnnebenkosten für Renten- und Krankenversicherung (bei Pensionslasten für 432 000 Rentner und deren Ehefrauen) belaufen sich die Gesamtkosten bei GM auf 69 $. Toyota hingegen zahlt ca. 48 $. Bei diesen Zahlen wird klar, worum es bei den anstehenden Maßnahmen geht: Unter dem Vorwand des drohenden Konkurses oder im Gegenzug für Milliardensubventionen der Regierung sollen die verbliebenen sozialen Errungenschaften der US-amerikanischen Automobilarbeiter abgeschafft werden.

Wie in den anderen Ländern sind die Arbeiter die Leidtragenden der Orientierung am shareholder-value und der Produktion zunehmend unverkäuflicher Modelle. Obwohl eigentlich die Aktionäre und die verantwortlichen Manager abgewirtschaftet haben, sollen die Arbeiter und Angestellten die Zeche bezahlen. Am Ende haben GM und Chrysler 20 Mrd. Dollar von der Bush-Regierung bewilligt bekommen, aber damit ist noch nichts gewonnen. Im Gegenzug für die Subventionen müssen die drei Detroiter Firmen bis Ende März 2009 ihre Rentabilität unter Beweis stellen. Das heißt, dass bis dahin Umstrukturierungsvorschläge auf dem Tisch liegen müssen. Insgesamt stehen zwei Millionen Arbeitsplätze bei diesen drei Unternehmen und ihren Zulieferern auf der Kippe. Ob durch Konkurs oder anderswie, Ziel der Kapitalisten ist die Zerschlagung weiter Teile dieses Industriezweigs.


Der Aufstieg der chinesischen Automobilindustrie beendet die Herrschaft des Dreigestirns


Mit der Krise des amerikanischen Automobilimperiums und dem Vormarsch Chinas in den vergangenen zehn Jahren verlor das „klassische“ Dreigestirn aus USA, Japan und Europa die Vormachtstellung. In der chinesischen Automobilindustrie erwuchs eine neue kapitalistische Konkurrenz, die das Problem der Überkapazitäten noch weiter verschärfte und die die Pfründe, auf die sich früher die dominanten Raubritter gefreut hatten, auf dem chinesischen Markt vorenthielten.

Die Entwicklung der chinesischen Automobilindustrie verläuft in unorthodoxer Weise quer zu den kapitalistischen Unternehmen. In den vergangenen Jahrzehnten wurden neue Automobilmärkte z.B. in Lateinamerika (besonders Argentinien und Brasilien) oder in bestimmten europäischen Regionen (iberische Halbinsel und später Mitteleuropa) erschlossen, indem die internationalen Großkonzerne Tochtergesellschaften ohne irgendeine Einschränkung gründeten. Mit der Produktion und dem Absatz vor Ort wurden selbständige Gewinne erzielt, die dann in die weltweiten Unternehmensbilanzen integriert wurden. In der Regel wurde dort keine vollständige Fertigung durchgeführt, so dass sich ein zusätzliches Segment erschloss, indem die Teile in den Metropolen hergestellt und anschließend zur Montage in die neuen Niederlassungen exportiert wurden, was noch mal zusätzlichen Gewinn abwarf. Ganz anders die Entwicklung in China.

1981 gab Peking den ausländischen Automobilkonzernen grünes Licht, sich in China niederzulassen – allerdings nur über joint-ventures. Dadurch behielt die chinesische Führung auf staatlicher und regionaler Ebene die Kontrolle über ihre Geschäftspartner und die Geschäftsgewinne. Zusätzlich sorgten abschreckende Zollbestimmungen dafür, dass der Import von Einzelteilen unrentabel wurde, um die joint-ventures zur Vollfertigung vor Ort zu animieren. Dadurch wurde eine Automobilindustrie geschaffen, die über ein Netz von Montage- und Zulieferwerken verfügt.

An vorderster Stelle waren GM und VW an diesem Aufschwung der chinesischen Automobilproduktion beteiligt. In den letzten Jahren kam noch Toyota hinzu. Die Beziehungen dieser joint-ventures überkreuzten sich mitunter: Dasselbe chinesische Unternehmen konnte mit verschiedenen ausländischen Unternehmen Verträge abschließen, die jeweils eine eigene Partnerschaft begründeten, und umgekehrt waren auch joint-ventures eines ausländischen Unternehmens mit mehreren chinesischen Firmen möglich.

Am 8. Juni 1982 unterzeichneten VW und die chinesische Regierung ein Partnerschaftsabkommen über ein Automontagewerk. Inzwischen ist VW an zwei joint-ventures beteiligt: SAIC Volkswagen und FAW Volkswagen. Erstere verfügt über drei Produktionswerke und das zweite über zwei Montagefabriken und über Motor- und Getriebewerke. Damit wurde VW zu einem der beiden größten Autohersteller in China mit einer Gesamtproduktion von 855 000 Fahrzeugen im Jahr 2007. Am Gesamtumsatz dieses Konzerns machte dies 14 % aus. 2008wirde VW zum größten Automobilproduzenten in China mit nahezu einer Million Fahrzeugen, die jeweils zur Hälfte aus den beiden joint-ventures stammten.

GM ist seit 1998 an SAIC-GM beteiligt, einem joint-venture, das Buick- und Chevroletmodelle herstellt. Davon wurden 2007 eine halbe Million Fahrzeuge verkauft. Zusätzlich importiert GM anderweitig gefertigte Autos direkt und erzielte 2007 einen Absatz von 989 000 Fahrzeugen. Im Jahr 2008 verlor GM auch in China die Marktführerschaft an Toyota, das über zwei Beteiligungen verfügt: FAW Toyota und GAC Toyota. Für 2010 wird eine Produktion von einer Million Fahrzeugen angestrebt.

Derlei Partnerschaften sind für die Auslandskonzerne sehr rentabel. Der chinesische Botschafter in Paris äußerte am 30. Mai 2005: „Drei Viertel der amerikanischen Niederlassungen in China schrieben 2004 schwarze Zahlen und 42 % erreichen eine Gewinnquote, die über dem weltweiten Durchschnitt liegt. VW erzielt ein Viertel seines operativen Gewinns über seine joint-ventures in China.“ [5]

Aber die chinesische Automobilindustrie entwickelt sich nicht ausschließlich über derlei Abkommen. Es entstehen auch mittlerweile chinesische Firmen, die sich anschicken in der weltweiten kapitalistischen Konkurrenz mitzumischen. Dazu gehören Geely und Chery, die mit 180 000 Fahrzeugen momentan noch vergleichsweise bescheidene Umsätze erzielen. Die vier staatlichen Unternehmen in China (BAW/BAIC, Dongfeng, FAW und SAIC) sind durchaus in der Lage, sich demnächst selbstständig weiterzuentwickeln. Denkbar sind auch Partnerschaften mit westlichen Unternehmen unter umgekehrtem Vorzeichen, indem nämlich notleidende Firmen aufgekauft werden, die in ihren Ursprungsländern keinen übernahmewilligen Konkurrenten finden. Zunächst wird sich dadurch die Konkurrenz auf dem chinesischen Markt zuspitzen, bevor es sich dann auf die übrige Welt ausdehnt.

Zunächst wird China der Schauplatz dieses Wettbewerbs sein, da die Prioritäten, die die chinesische Führung in der Entwicklung setzt, die Konkurrenz als Stimulus zur Steigerung der Produktivität geradezu anheizt. In den joint-ventures wird nicht nur technisches Know-how vermittelt sondern auch Erfahrungen in der Ausbeutung der Arbeiter.

Die chinesischen Hersteller profitieren von den geringen Lohnkosten, die bspw. bei Geely bei 3,50$ pro Stunde liegen. Hinzu kommt, dass sich die chinesischen Provinzen einen erbitterten Wettbewerb bei der Unterbietung der Lohnkosten liefern. In Jianxi bspw. liegen die Löhne unter einem Dollar und dort entstehen neue Niederlassungen der Autoindustrie.

Insofern führt die Ausweitung der Produktion keineswegs naturwüchsig zu einem Anstieg der Löhne. Aber in diesen Fahrzeugfabriken konzentrieren sich natürlich große Massen an Arbeitern, was zur Folge hat, dass Forderungen nach Lohnerhöhung und besseren Arbeitsbedingungen organisiert und kollektiv vorgetragen werden. Diese Binsenweisheit aus der Geschichte der Arbeiterbewegung gilt natürlich auch in China.

Die Umstände, die die Automobilkrise hervorgebracht haben, treffen natürlich – mutatis mutandis – auch auf China zu ab dem Moment, wo das Land involviert ist in die inneren Widersprüche der kapitalistischen Wirtschafts- und Ausbeutungsweise. Und dass die ersten Anzeichen der weltweiten Automobilkrise so rasch in China angekommen sind, zeigt, wie weit dies Land bereits in die kapitalistische Konkurrenz und ihre Krisen verstrickt ist.


Die Automobilindustrie ist mit verantwortlich für die Umweltkrise


Die Automobilindustrie krankt nicht nur an der mangelnden Rentabilität der Umsätze und dem zunehmenden Konkurrenzdruck, sondern ist auch direkt von den drohenden Klimaveränderungen betroffen und von der absehbaren Erschöpfung der Ölvorkommen (peak oil), die für ihre Verbrennungsmotoren gebraucht werden.

Die weltweit größten Erdölverbraucher sind die Milliarden von Fahrzeugen, die zurzeit in Betrieb sind. Effektiv lastet die Hälfte des globalen Verbrauchs auf dem Transportsektor, davon wiederum 80 % auf dem LKW-Verkehr. 1971 lag die Quote noch bei einem Drittel, was von der mangelnden Ernsthaftigkeit bei der Suche nach alternativen Antriebsmöglichkeiten zeugt. Die Umweltschäden, die durch die Benzinverbrennung entstehen, und die absehbare Erschöpfung der Ölreserven stellen die gesamte Existenz des Automobils in der bisherigen Form in Frage.

Der Transportsektor ist mit 21 % der weltweit zweitgrößte Verursacher des CO2-Ausstosses. Zudem sind die dabei entstehenden Emissionen am schwersten zu bekämpfen, da die Umweltverschmutzung und der damit einher gehender Treibhauseffekt nicht konzentriert sondern verstreut erfolgen. Abgesehen von dieser technischen Problematik wird diese jahrzehntelang gelittene Praxis inzwischen sozial inakzeptabel. Wegen der zunehmenden Sensibilisierung für die Umweltproblematik stößt die Nutzung von Fahrzeugen auf zunehmende gesellschaftliche Vorbehalte und entsprechende Einschränkungen. Es stimmt wohl, dass mit jeder neuen Fahrzeuggeneration der Schadstoffausstoß pro Auto geringer ausfällt, aber letztlich hinkt die Autoindustrie den Erfordernissen und öffentlichen Vorgaben immer nur hinterher. Zudem verteuern diese Auflagen die Produktionskosten und verschärfen somit die Absatzkrise der Fahrzeugindustrie noch weiter. Der individuelle Besitz von Fahrzeugen und die von diesen verursachten gesellschaftlichen Folgekosten geraten zunehmend in Widerspruch zueinander.

Ein weiterer Grund für die Krise sind die steigenden Ölpreise. Über die übliche Schwankungsbreite und die besonderen Folgen der gegenwärtigen Weltfinanzkrise hinaus stehen wir vor einer ganz neuen Situation – dass nämlich die höchstmögliche Fördermenge (peak oil) bereits absehbar ist, auch wenn der exakte Zeitpunkt noch nicht feststeht. Das genaue Datum spielt auch keine Rolle, entscheidend ist das absehbare Ende und dass die zeitlichen Planungen der Automobilindustrie nach ganz anderen Maßstäben verlaufen. Bis eine neue Motorgeneration entwickelt und zur Serienproduktion ausgereift ist, können Jahrzehnte vergehen. Der „Cléon Fonte“ von Renault wurde bspw. 1962–2000 hergestellt und die R4, R6, Twingo und Clio damit ausgestattet. Die heute gängigen Motoren werden noch in Umlauf sein, wenn der peak oil bereits erreicht oder überschritten sein wird.

Natürlich gibt es noch genug Öl für die kommenden Jahrzehnte. Aber der absehbare Zenit der Förderung wird einen anderen Umgang und ein anderes Preisgefüge nach sich ziehen. Sich dieser Realität entziehen zu wollen, wäre blind und unverantwortlich.


Elektrofahrzeuge als falsche Antwort auf die Umweltkrise


Unter diesen Umständen ist die krisengebeutelte Autoindustrie natürlich versucht, in der Entwicklung von Elektromotoren als Alternative zum Verbrennungsmotor einen Ausweg aus der Krise zu suchen. Tatsächlich arbeiten auch alle großen Autokonzerne daran.

Dass Fahrzeuge mit alternativen Antriebsarten heute noch kaum eine Rolle bei den Umsätzen spielen, liegt daran, dass die Industrie in diese Technik nicht beizeiten investiert hat. Stattdessen wurden die Gewinne lieber an die Aktionäre ausgeschüttet oder anderweitig investiert, z. B. in die immer aufwändigere technologische Ausrüstung bestehender Modelle. Und wenn dies in den Wachstumsphasen schon nicht verfolgt wurde, wird es wohl kaum in Zeiten zugespitzter Krisenhaftigkeit und Konkurrenz gelingen.

Elektrofahrzeuge werden in den kommenden fünf Jahren noch das Handikap haben, dass sie schwer, teuer, verbrauchsintensiv und von kurzer Reichweite sein werden. Renault spricht von einem „raschen Umbruch“ bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen mit voraussichtlich 100 000 verkauften Fahrzeugen in Frankreich bis 2015 [6]. Umgerechnet bedeutet dies weniger als 20 000 in Frankreich verkaufte Elektrofahrzeuge pro Jahr, was sich auf einen Gesamtanteil von unter ein Prozent beläuft – ein wahrlich „schneller Umbruch“. Andere Prognosen rechnen mit einem veritablen Aufschwung nach 2015, was eine noch gewagtere Hypothese ist, wenn man bedenkt, dass so grundlegende Anforderungen wie eine Batterieladedauer von zwei bis acht Stunden noch immer nicht erfüllt sind.

Zahlen, die von einer machbaren Produktion von 200 000 Fahrzeugen in 2020 ausgehen, werden von einem Wunsch getragen, der mit Umweltschutz wenig zu tun hat. Die französische Atomlobby tritt hier auf den Plan und schätzt den jährlichen Stromverbrauch im Falle einer Million betriebener Elektroautos auf ungefähr 12 Terawattstunden und somit der Leistung eines Druckwasserreaktors (EPR), d.h. eines Atomreaktors der dritten Generation. Auf elektrisch betriebene Einzelfahrzeuge zu setzen ist somit die verkehrte Antwort auf die Umweltkrise. Man würde dabei nur die eine Abhängigkeit (vom Erdöl) gegen die andere (vom Atomstrom) eintauschen, solange der Strom über solche Reaktortypen erzeugt wird. Und die dabei zugrunde gelegten Größenordnungen sind kolossal: ein EPR pro 3 % aller betriebenen PKW! Würde man bloß die Hälfte aller Fahrzeuge abdecken, bräuchte man ungefähr 15 EPR – dies ist ganz offenkundig außerhalb des Machbaren. Die bis heute bekannten Alternativen zum benzinbetriebenen Einzelfahrzeug sind noch nicht massentauglich.

In den kommenden Jahren werden sicherlich Hunderttausende von Autos mit Elektro- oder Hybridmotoren produziert werden. Damit betreibt man grün getünchte Flickschusterei aber liefert keinesfalls eine Antwort auf die strukturelle Umwelt- und Wirtschaftskrise. Die Fabrikation von Elektroautos ist heute noch vergleichsweise teurer. Vor ein paar Monaten wurde der Prius von Toyota mit einem Hybridmotor noch als die Speerspitze umweltfreundlicher Innovation gepriesen. Mit der Krise im Herbst 2008 hat Toyota seine Pläne, in Mississippi ein Montagewerk zu errichten bereits wieder ad acta gelegt. Im November/Dezember 2008 ist der Verkauf des Modells um die Hälfte eingebrochen.

Mit der (begrenzten) Entwicklung von Elektroautos und der Ausweitung des Billigsegmentes wie der Logan von Renault werden sich vielleicht einzelne der Weltkonzerne besser durchsetzen als andere. Letztlich jedoch sind diese technischen Optionen bloße Flickschusterei, die eher den neuen kapitalistischen Akteuren aus China oder Indien Vorteile verschaffen werden.

Zwischen der Umsetzung solcher vager Lösungsmodelle und der momentanen Krise liegt zudem ein festes Zeitfenster von etlichen Jahren, so dass von dort keine Auswirkungen auf die gegenwärtigen Werksschließungen und Entlassungen zu erwarten sind.


Angesichts der ungünstigen Rahmenbedingungen bleibt den Unternehmern hauptsächlich die menschliche Arbeitskraft als Stellschraube


Die europäische Industrie erlebt seit einigen Jahrzehnten Umstrukturierungen, deren Ziel die Sicherung der Profite ist. Dabei wurde die Produktivität erhöht, die Arbeit intensiviert und die Fertigungsprozesse der Autos zunehmend über Ausgliederungen und Verschachtelungen mit Zuliefer- und Ausrüstungsbetrieben entkoppelt. Die meisten der noch immer als Fahrzeugbauer angesehenen Unternehmen produzieren inzwischen noch nicht einmal die Hälfte des Endverkaufswertes der Autos incl. Material und Arbeitskosten.

Der Anteil der Lohnkosten am Umsatz der Autoindustrie in Frankreich ist zwischen 1980 und 2000 oder 2007 von 24 auf 10 % gesunken [7]. Dieser Rückgang wird noch abgefedert durch die Zulieferindustrie, wo der Lohnkostenanteil über den gleichen Zeitraum von 25 Jahren von 31 auf 18 % gefallen ist. Die Autoindustrie an sich benötigt immer weniger direkte Arbeitskraft, wie anhand der Beschäftigtenzahlen zu sehen ist. Zunehmend werden Zuliefer- und Ausrüstungsbetriebe in Anspruch genommen. Diese unabhängig von den Autokonzernen wirtschaftenden Unternehmen unterliegen der gleichen Tendenz zu immer geringerer Vorratshaltung und immer mehr Flexibilisierung. Während früher die kapitalistischen Profiterwartungen auf ein Unternehmen gerichtet waren, in dem die gesamten Produktionsabläufe integriert waren, lastet nunmehr der Druck der Aktionäre auf den durch die Splittung der Produktion entstandenen Einzelunternehmen. Die in den 60iger und 70iger Jahren übliche Vorratshaltung ist auf ein Minimum reduziert, da immer kleinere Einzelbetriebe ihrem Profit nachjagen. Durch diese extreme Flexibilisierung der Produktionsabläufe ist die Anfälligkeit für Unwägbarkeiten von außen immer weiter gestiegen. Die ersten Leidtragenden davon sind die Arbeiter und Angestellten, die die Konsequenzen aus der Automobilkrise in vielerlei Hinsicht zu spüren bekommen.

Die Krise ist umso heftiger, als diese Unternehmen am Rande der klassischen Industriezentren liegen und die Teilfertigung von Autos viel mehr von Im- und Export abhängt als die Vollfertigung. Insofern sind diese kleinen und mittleren Zuliefer- und Ausrüstungsbetriebe viel stärker von den Produktionsverlagerungen im Zuge der jüngsten Krise betroffen.

Die Unternehmer reagieren auf die Krise in gewohnter Weise. Zuerst werden befristet und alle irgendwie informell Beschäftigten auf die Straße gesetzt. Renault bspw. hat im Januar 2009 in der Entwicklungsabteilung des Technologiezentrums von Guyancourt 1000 Leiharbeitern gekündigt, was 10 % der Gesamtbeschäftigten entspricht. Die vorübergehenden Werksschließungen wurden Ende 2008 auf ganz Europa ausgeweitet. Peugeot hat seit Februar 2009 den Nachtschichtbetrieb im Stammwerk Sochaux eingestellt und 600 Zeitarbeiter sofort gekündigt. Immer mehr Zulieferbetriebe in Europa schließen endgültig ihre Pforten.

Da Fabriken und Maschinen nicht von einem auf den anderen Monat verlagert werden können, bleibt nur der Faktor Arbeitskraft als Instrument der völligen Flexibilisierung. Während Nachfrageschwankungen und wechselnde wirtschaftliche Rahmenbedingungen die gesamte Industrie betreffen, gibt es zwischen der sinkenden Nachfrage nach Neuwagen und der Auslastung der Montagebänder in den Fabriken keinen Puffer. Um die Produktion auf Halde zu minimieren und somit dem shareholder-value Genüge zu tun bleibt als einzige Stellschraube der Umfang der verfügbaren Arbeitskraft pro Zeiteinheit. Bei Renault wurde die Produktion der einzelnen Werke Monat für Monat neu festgelegt, was schon sehr kurzfristig war in Hinblick auf Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Einführung von Kurzarbeit oder Einstellung von Leiharbeitern. Seit Ausbruch der Krise ist dies Intervall noch weiter geschrumpft: in den Fabriken wird, sofern sie nicht den ganzen Dezember über geschlossen wurden, im Wochenrhythmus geplant. Für ganz Europa wird die Auslastung aller Renaultwerke von einer zentralen Instanz aus in diesem Takt geplant und umgesetzt. Damit wird die wochenweise Ausnutzung der Arbeitskraft als Anpassungsinstrument zur offiziellen Größe erhoben.

Über die jährliche Verrechnung der Arbeitszeit hinaus setzt sich peu à peu ein Verrechnungszeitraum von mehreren Jahren durch, in dem die Unternehmensleitungen bspw. Urlaub verfügen können, auf den noch gar kein Anspruch besteht, oder negative Arbeitszeitkonten eingeführt werden, wonach etwa die Beschäftigten bei Renault Douai ihrem Arbeitgeber gegenüber bis zu 87 Tage in Rückstand sind.

In Europa sind die Auswirkungen der Krise verheerend. Immer mehr Werksschließungen und Unternehmenskonkurse drohen. Infolge der drohenden Insolvenz der US-amerikanischen Automobilgiganten hängt die Zukunft ihrer europäischen Tochterfirmen mittlerweile in der Luft.

BMW und Mercedes haben beide nacheinander abgelehnt, Volvo ihrem amerikanischen Eigentümer Ford abzukaufen. Nach der Ablehnung von Daimler „kann Ford nur noch darauf hoffen, dass ein chinesischer Hersteller wie Changan die schwedische Tochter übernimmt“, schreibt der SPIEGEL (4.1.09). Auch SAAB wird von GM zum Verkauf angeboten. Dass solche Firmen auf einen Markt geworfen werden, der weltweit in der Krise steckt, dient nur dem Zweck, konkursbedrohte Unternehmen wieder liquide zu machen. Das Schicksal der Arbeiter und Angestellten und das in 100 Jahren angesammelte industrielle Know-how wiegen da wenig.

Auch die anderen europäischen Töchter von GM und Ford sind existentiell bedroht. Beide Unternehmen haben die deutsche Regierung um Hilfe angegangen. Opel hätte gerne von der deutschen Regierung Hilfszusagen in Höhe von über einer Mrd. Euro, um eine von den Geldern ihrer Muttergesellschaft in den USA unabhängige Zukunftsperspektive verfolgen zu können. Auch das Getriebewerk von Ford in Bordeaux ist akut bedroht.


Sichere Arbeitsplätze statt unheiliger Autoallianz


Die Verfechter der freien Wirtschaft zögern in keiner Weise, ihre jeweiligen Regierungen um Subventionen anzubetteln. Ihr wohlfeiles Argument ist, wenn die kränkelnden Firmen in Detroit Milliardensubventionen erhalten, bräuchten auch sie entsprechend hohe Beihilfen, um gleiche Konkurrenzbedingungen herzustellen. Mit zunehmender Krise werden die Rufe nach einem europäischen Rettungskonzept für die Autoindustrie und damit nach öffentlichen Subventionen noch lauter werden.

Sowohl Sozialdemokraten als auch etliche Gewerkschaftsvorstände werden derlei Kompromissen zugeneigt sein, die eine „heilige Allianz“ zur Rettung eines bedrohten Industriezweiges knüpfen und Unternehmer und Lohnabhängige ins gleiche Rettungsboot holen wollen. Die Verteidigung der nationalen Industrie wird auf die Fahnen geschrieben, als wäre davon eine Antwort auf die Krise zu erwarten.

Eine den Interessen der Arbeiter angemessene Reaktion kann nur daran bestehen, der bereits begonnenen Unternehmeroffensive Widerstand entgegen zu setzen. Werksschließungen, Entlassungen und Umstrukturierungsmaßnahmen unter der Regie des Kapitals müssen abgelehnt werden. Die Ausschüttung von Dividenden an Aktionäre von Unternehmen, die öffentliche Subventionen erbetteln, muss angeprangert und bekämpft werden. Die Summe der Dividenden, die die Aktionäre von Renault und Peugeot 2008 erhalten haben, liegt über den Beihilfen der Regierung Sarkozy. Wenn der Protest dagegen nicht lauter wird, wird sich das gleiche Schauspiel 2009 wiederholen.

Der Widerstand darf sich nicht darauf beschränken, Werk um Werk, Unternehmen um Unternehmen und Land um Land zu verteidigen. Eine ganze Industriebranche ist im Kreuzfeuer der Offensive, die sowohl einzelne Weltkonzerne als auch die Ausrüster und Zulieferer betrifft. Quasi gegenläufig zur zunehmenden Aufsplittung der industriellen Autofertigung in immer weiter verschachtelte Einzelunternehmen müssen Proteste und Gegenvorschläge der Arbeiter und Angestellten die Reintegration aller Arbeiter der Automobilbranche ungeachtet ihres jeweiligen Status („Stammbelegschaft“, Leiharbeiter usw.) und Arbeit„gebers“ in einer kollektiven Aktion zum Ziel haben.

Statt gemeinsame Sache mit den Apologeten der kapitalistischen Automobilindustrie zu machen brauchen wir andere Lösungen. In Anbetracht dessen, dass es keine praktikable Lösung zur Schaffung umweltfreundlicher und energiesparender Autos gibt, darf es nicht „grünen oder roten Experten“ überlassen bleiben, Gegenpläne mit der fälligen Prioritätensetzung auf öffentliche Transportmittel auszuarbeiten. Vielmehr ist dies Sache der sozialen Bewegungen, der in dieser Branche Beschäftigten und der gesamten Bevölkerung, die unter den stressigen und widersinnigen Beförderungsbedingungen zu leiden haben.

Wir erleben zurzeit das Ende einer Produktions- und Nutzungsära, die von dem seit den 50iger Jahren entwickelten Automobil geprägt war. Das Ende einer Ära bedeutet aber nicht notwendigerweise das Ende der kapitalistischen Automobilindustrie. Trotz des Niedergangs wird sie noch weiterhin auf allen Kontinenten Millionen von Arbeitern über die Umstrukturierungen und Krisen hinweg beschäftigen. Das Schlüsselproblem der nächsten Zeit wird sein, ob wir es den Unternehmern und willfährigen Regierungen überlassen, diesen Niedergang zu managen. Wenn die Unternehmer bankrott im wahrsten Sinn des Wortes sind, drängt sich die Forderung nach Eingriffen in das Privateigentum an diesen Unternehmen auf. Die Offenlegung der transnationalen Bilanzen, die Rückzahlung der Subventionen, die zu den Entlassungen beigetragen haben, und die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle sind weitere Ziele, die sich die sozialen Bewegungen auf die Fahne schreiben können.

Daher müssen wir das Problem von zwei Seiten anpacken: kompromisslosen Widerstand gegen Entlassungen und Absenkungen der Arbeitsstandards einerseits und Überzeugungsarbeit für andere Fortbewegungsmittel als dem Individualverkehr andererseits. Solange man in der Logik der kapitalistischen Wirtschaft verfangen bleibt, stehen diese Erfordernisse zueinander im Widerspruch. Umweltschützer mögen profunde Kritik an der Nutzung von Autos verfassen, aber wenn sie dabei die sozialen Verhältnisse außer Acht lassen, sind sie außerstande, Lösungen für die Millionen von Beschäftigten in der Automobilindustrie zu entwickeln.

Eine wirkliche Antwort auf die Krise kann nur nach einem antikapitalistischen Verständnis erfolgen, wo die unmittelbaren Interessen aller Arbeiter Vorrang vor dem Profitstreben haben und Umweltschutz zum gesellschaftlichen Anliegen wird.

Jean-Claude Vessillier, bis zu seiner Rente Statistiker und Gewerkschafter bei Renault sowie Mitglied der NPA und der IV. Internationale.

Übersetzung: MiWe



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 450/451 (Mai/Juni 2009). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] http://www.acea.be/index.php/collection/statistics

[2] Halbjahresbilanz Renault 2008: https://www.renaultgroup.com/finance/informations-financieres/documents-et-publications/

[3] Schätzung, die auf verschiedenen Fakten beruht. In Frankreich machten 2008 die Verkäufe an Nicht-Privatpersonen 40 % aus. Quelle: http://www.autoactu.com

[4] Le Monde Diplomatique, [franz. Ausgabe] Oktober 2008

[5] http://www.amb-chine.fr/fra/zfzj/t198104.htm

[6] Les Echos, 26.12.2008

[7] Comité des constructeurs français de l’automobile CCFA. http://www.ccfa.fr/statistiques/faits-et-chiffres/en-france/impact-economique/