Geschichte

Ernst Scholz (1904–1997)

Wolfgang Alles

Am 13. Juli 1997 ist Ernst Scholz im Alter von 93 Jahren in Augsburg gestorben. Am 18. Januar 1904 war er in Dittersbach (in der heutigen Tschechischen Republik) als ältester von vier Söhnen des Ehepaares Karl und Genoveva Scholz geboren worden. Schon früh lernte er die bittere Armut einer Arbeiterfamilie zu Beginn des 20. Jahrhunderts kennen. Ein Schlüsselerlebnis für den jungen Ernst mußte die zeitweilige Arbeitslosigkeit seines Vaters sein, der als Maurer wegen eines erfolgreich durchgefochtenen Arbeitsgerichtsverfahrens seine Stelle verloren hatte.

Mit 14 Jahren verließ Ernst Scholz sein Elternhaus, um in Prag an einer kaufmännischen Fortbildung teilnehmen zu können. 1919 zog er nach Reichenbach (Liberec), wo er seit 1921 als Verwaltungsangestellter beruflich tätig war. Aus seiner 1929 geschlossenen Ehe mit Franziska Pöchner stammen zwei Töchter.

Ernst Scholz ergriff politisch Partei für seine Klasse. Als Mitglied der Sozialistischen Jugend und später der deutschen Sozialdemokratie in der Tschechoslowakei, als Gewerkschafter und als Freidenker setzte er sich für eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ein. Mitte der 30er Jahre kam er mit der Reichenberger Exilgruppe der Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) in Kontakt, der deutschen Sektion der späteren IV. Internationale. Es war bezeichnend für Ernst Scholz' Geradlinigkeit, daß er sich in den finstersten Jahren dieses Jahrhunderts, als Faschismus und Stalinismus triumphierten, der als „trotzkistisch” verfemten und verfolgten kleinen revolutionär-sozialistischen Strömung anschloß.

Im Herbst 1938 besetzte die Wehrmacht das Sudetenland. Die aus Nazideutschland geflohenen Mitglieder der Reichenberger IKD mußten ihre Odyssee fortsetzen. Ernst Scholz konnte nur noch wenige Jahre mit seiner Familie in Reichenberg zusammenbleiben. 1943 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. 1945 geriet er in englische Kriegsgefangenschaft. Erst 1946 trifft er mit seiner Familie in einem Flüchtlingslager in Bayern wieder zusammen.

Ernst Scholz mußte sich als Bauhilfsarbeiter und als Zivilbeschäftigter der US-Armee durchschlagen, bis er 1947 bei der Ortsverwaltung Augsburg der damaligen Gewerkschaft Textil-Bekleidung-Reinigung eine Anstellung als hauptamtlicher Sekretär fand. 22 Jahre lang leistete er seinen Beitrag zum Aufbau der Gewerkschaft. Ohne Illusionen schloß er sich der SPD an, die er jedoch wegen ihres Schwenks zur Politik der Wiederbewaffnung der BRD wieder verließ.

      
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In den 50er Jahren konnte die deutsche Sektion der IV. Internationale feste Verbindungen zu Ernst Scholz knüpfen. Unter anderem besuchte Ernest Mandel, der sich unermüdlich für die Stärkung der Organisation in Deutschland einsetzte, ihn in Augsburg. Mit Willy Boepple, Georg Jungclas und anderen Genossen nahm er am V. Weltkongreß der Internationale 1957 in Italien teil. Ernst unterstützte die Zeitschrift Sozialistische Politik, wo er sich zum Beispiel in einem längeren Artikel unter der Überschrift „Nationale Phrasen im Dienste der Reaktion, Aufrüstung und Restauration” (SOPO, 7. Jg., Nr. 10 von Oktober 1960) kritisch mit der Haltung sudetendeutscher Verbände auseinandersetzte.

Auch als Rentner blieb er seinen politischen Ansichten und seinem sozialen Verantwortungsbewußtsein treu. Er verhehlte allerdings nicht seine tiefe Skepsis über die aktuelle Entwicklung. In einem langen Gespräch mit dem Verfasser dieser Zeilen beklagte er im November 1992 die Tendenz zu einer absoluten Herrschaft des Kapitals und das Fehlen einer wirksamen „organisationspolitischen Opposition gegen Kapitalismus und Profitwirtschaft.” Zudem sorgte er sich um die fortschreitende Umweltzerstörung, die nur eine grundlegende Änderung der Wirtschaftspolitik aufhalten könne.

Der Tod seiner Frau Franziska 1994 war ein schwerer persönlicher Verlust für Ernst Scholz. Dennoch führte er auch mit über 90 Jahren ein aktives und selbständiges Leben.

Die deutsche Sektion der IV. Internationale hat einen langjährigen Freund und Weggefährten verloren, dessen Aufrichtigkeit wir nicht vergessen werden.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 311 (September 1997). | Startseite | Impressum | Datenschutz