Vierte Internationale/Ökosozialismus

Manifest für eine ökosozialistische Revolution

Mit dem kapitalistischen Wachstum brechen!

Das kapitalistische Profitstreben vergrößert die soziale Ungleichheit und zerstört unseren Planeten und somit den einzig verfügbaren Lebensraum. Statt besinnungslos die Produktion immer weiter und ungeachtet der realen Bedürfnisse voranzutreiben, treten wir für einen demokratischen und revolutionären Sozialismus ein, der den ökologischen und anderen drängenden Herausforderungen gerecht wird. Das vorliegende Manifest der Vierten Internationale, angenommen auf dem 18. Weltkongress, plädiert für eine andere – ökosozialistische – Gesellschaft und entwirft dafür Übergangsforderungen, die an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Unser zentrales Anliegen hierbei ist, die Kämpfe gegen alle Formen von Ausbeutung, Unterdrückung und Enteignung zusammenzuführen und damit den Erfolg zu ermöglichen.

Inhalt
Einleitung
1. Die objektive Notwendigkeit einer ökosozialistischen, antirassistischen, antimilitaristischen, antikolonialistischen und feministischen Revolution
2. Die Welt, für die wir kämpfen
3. Unsere Übergangsmethode
4. Grundzüge einer ökosozialistischen Alternative zum kapitalistischen Wachstum
   4.1. Katastrophenschutz, öffentliche und an die sozialen Bedürfnisse angepasste Präventionspläne unter Kontrolle der Bevölkerung
   4.2. Den Reichtum teilen, um – ohne Gebühren zu erheben – für die Menschen und die Umwelt zu sorgen
   4.3. Gegen Privatisierung und Vermarktung: Gemeingüter und öffentliche Dienste ausbauen
   4.4. Das Geld dort nehmen, wo es ist: Die Kapitalisten und die Reichen müssen zahlen
   4.5. Keine Emanzipation ohne antirassistischen Kampf
   4.6. Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit auf der Erde! Niemand ist illegal!
   4.7. Unnötige und schädliche Wirtschaftszweige abschaffen
   4.8. Ernährungssouveränität! Raus aus der Agrarindustrie, der industriellen Fischerei und der Fleischindustrie
   4.9. Mit anderen Lebewesen koexistieren, das Artenmassaker stoppen
   4.10. Umbau der Städte im Interesse der Menschen
   4.11. Den Energie- und den Finanzsektor ohne Entschädigung und Rückkaufoption vergesellschaften, um so schnell wie möglich aus fossilen Brennstoffen und Atomkraft auszusteigen
   4.12. Die „Black Box“ der Rechenzentren öffnen, Big Tech vergesellschaften
   4.13. Für die Befreiung und Selbstbestimmung der Völker; gegen Krieg, Imperialismus und Kolonialismus
   4.14. Beschäftigungsgarantie für alle; Gewährleistung der notwendigen Umschulung auf ökologisch nachhaltige und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten
   4.15. Weniger und besser arbeiten; ein gutes Leben führen
   4.16. Vermeiden, wiederverwenden, recyceln
   4.17. Das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und auf ein Leben ohne Gewalt sicherstellen
   4.18. Wissen ist ein gemeinsames Gut. Reform des Bildungswesens und der Forschung
   4.19. Hände weg von den demokratischen Rechten! Kontrolle durch die Bevölkerung und Selbstorganisation der Kämpfe
   4.20. Für eine Kulturrevolution in Einklang mit der Achtung vor dem Leben und der „Liebe für Pachamama“
   4.21. Selbstverwaltete ökosozialistische Planung
5. Globaler materieller Rückbau (Degrowth) im Rahmen der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung
6. Gegen den Strom. Die Kämpfe zusammenführen, um mit dem kapitalistischen Produktivismus zu brechen. Die Regierungsgewalt ergreifen, den ökosozialistischen Bruch auf der Grundlage von Eigeninitiative, Selbstorganisation, Kontrolle von unten und breitester Demokratie in Gang setzen


Einleitung


Dieses Manifest ist ein Dokument der Vierten Internationale, die 1938 von Leo Trotzki und seinen Genoss:innen gegründet wurde, um das Erbe der Oktoberrevolution vor der stalinistischen Katastrophe zu retten. Die Vierte Internationale lehnt sterilen Dogmatismus ab und hat die Herausforderungen der sozialen Bewegungen und der ökologischen Krise in ihr Denken und in ihre Praxis integriert. Ihre Kräfte sind begrenzt, aber sie ist auf allen Kontinenten präsent und hat aktiv zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus, zum Mai ‘68 in Frankreich, zur Solidarität mit den antikolonialen Kämpfen (Algerien, Vietnam), zum Erstarken der Anti-Globalisierungsbewegung und zur Entwicklung des Ökosozialismus beigetragen.

Die Vierte Internationale versteht sich nicht als einzige Avantgarde, sondern beteiligt sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an breiten antikapitalistischen Formationen. Ihr Ziel ist es, zur Bildung einer neuen Internationale mit Massencharakter beizutragen.

Unsere Epoche ist von einer doppelten historischen Krise gekennzeichnet, der Krise der sozialistischen Alternative und der mannigfaltigen Krise der kapitalistischen „Zivilisation“.

Wenn die Vierte Internationale 2025 dieses Manifest veröffentlicht, dann deshalb, weil wir davon überzeugt sind, dass der Prozess der ökosozialistischen Revolution in den einzelnen Weltregionen zwar mit unterschiedlicher Dringlichkeit, aber global notwendiger denn je ist. Es geht heute nicht nur darum, dem Demokratie- und Sozialabbau, der mit der globalen kapitalistischen Expansion einhergeht, ein Ende zu setzen, sondern auch darum, die Menschheit vor einer ökologischen Katastrophe zu bewahren, die in der Menschheitsgeschichte ohne Beispiel ist. Diese beiden Ziele sind untrennbar miteinander verbunden.

Das sozialistische Projekt, das unseren Vorschlägen zugrunde liegt, bedarf jedoch einer umfassenden Neubegründung. Diese muss ausgehen von einer differenzierten Bewertung der bisherigen Erfahrungen sowie der wichtigsten Bewegungen, die gegen alle Formen von Herrschaft und Unterdrückung (Klasse, Geschlecht, unterdrückte nationale Minderheiten usw.) kämpfen. Der Sozialismus, für den wir eintreten, unterscheidet sich radikal von den im letzten Jahrhundert vorherrschenden Modellen und von etatistischen oder diktatorischen Regimes jeder Art: Er ist ein revolutionäres, radikal demokratisches Projekt, das sich auf den Beitrag feministischer, ökologischer, antirassistischer, antikolonialistischer, antimilitaristischer und LGBTQI+-Kämpfe stützt.

Wir verwenden den Begriff Ökosozialismus seit einigen Jahrzehnten, weil wir davon überzeugt sind, dass die globalen Herausforderungen und Bedrohungen durch die ökologische Krise in allen Kämpfen gegen die bestehende globalisierte Ordnung mitgedacht werden müssen. Das erfordert eine Überarbeitung des sozialistischen Projekts. Die Beziehung zu unserem Planeten, die Überwindung des „Risses im Stoffwechsel“ (Marx) zwischen den menschlichen Gesellschaften und ihren Lebensgrundlagen sowie die Berücksichtigung des ökologischen Gleichgewichts des Planeten sind nicht nur bestimmte Kapitel in unserem Programm und in unserer Strategie, sondern ihr roter Faden.

Die Notwendigkeit, die Analysen des revolutionären Marxismus zu aktualisieren, hat das Handeln und Denken der Vierten Internationale stets inspiriert. Mit demÖkosozialistischen Manifest setzen wir diese Vorgehensweise fort. Wir wollen dazu beitragen, eine revolutionäre Perspektive zu formulieren, die in der Lage ist, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, eine Perspektive, die sich leiten lässt von den sozialen und ökologischen Kämpfen sowie von den kritischen und zutiefst antikapitalistischen Überlegungen, die sich auf der ganzen Welt entwickeln.


1. Die objektive Notwendigkeit einer ökosozialistischen, antirassistischen, antimilitaristischen, antikolonialistischen und feministischen Revolution


Überall auf der Welt gewinnen rechtsextreme, autoritäre und halbfaschistische Kräfte an Macht und Einfluss. Das Fehlen einer Antwort auf die Krise des Spätkapitalismus führt zu Verzweiflung, Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Queerphobie, Leugnung des Klimawandels und ganz allgemein zu reaktionären Konzepten. Aus Angst, dass die ökologische Krise ganz handfest die Profitakkumulation bedroht, wenden sich die Milliardäre einer neuen extremen Rechten zu, die ihre Dienste anbietet, um das System mittels Lügen und sozialer Demagogie zu retten. Autoritäre Politik und Oligarchen bilden eine mächtige Allianz, um die Macht des Kapitals zu sichern. Sie zielen auf den Umweltschutz, aber auch auf die sozialen Sicherungssysteme und führen einen Krieg gegen die Arbeiter:innen und die Armen, obwohl sie behaupten, genau diese Menschen gegen das Establishment zu vertreten.

Das Kapital triumphiert, aber sein Triumph stürzt es in die von Marx aufgezeigten unüberwindbaren Widersprüche. Angesichts dieser Widersprüche sprach Rosa Luxemburg 1915 ihre Warnung aus: „Sozialismus oder Barbarei“. Einhundertzehn Jahre später ist diese Warnung aktueller denn je, denn die Katastrophe, die sich um uns herum abspielt, ist ohne Beispiel. Zu den Verheerungen durch Krieg, Kolonialismus, Ausbeutung, Rassismus, Autoritarismus und der Unterdrückung aller Art kommt nämlich eine neue Geißel hinzu, die alle anderen in den Schatten stellt: die rasante vom Kapital verursachte Zerstörung der natürlichen Umwelt, von der das Überleben der Menschheit abhängt.

Die Wissenschaft hat neun globale Indikatoren für ökologische Nachhaltigkeit ermittelt. Bei sieben von ihnen ist die Gefährdungsgrenze erreicht. Aufgrund der kapitalistischen Akkumulationslogik wurde die Grenze bei mindestens sechs dieser Indikatoren bereits überschritten: Klima, Ökosystemintegrität, Stickstoff- und Phosphorkreislauf, Grund- und Oberflächensüßwasser, Landnutzungsänderung und Verschmutzung durch neuartige Chemikalien. Hauptleidtragende sind die Armen, insbesondere in den armen Ländern.

Unter der Peitsche der Konkurrenz verstärken die Großindustrie und der Finanzsektor ihre despotische Herrschaft über die Menschen und die Erde. Die Zerstörung geht weiter, allen Warnungen der Wissenschaft zum Trotz. Das Streben nach Profit verlangt zwangsläufig nach immer mehr Märkten und immer mehr Waren, also auch nach verstärkter Ausbeutung der Arbeitskraft und noch rücksichtslosererPlünderung der natürlichen Ressourcen.

Das legale Kapital, das sogenannte kriminelle Kapital und die bürgerliche Politik sind eng miteinander verwoben. Der Globus wird von den Banken, den multinationalen Konzernen und den Reichen auf Pump gekauft. Die Regierungen beschneiden zunehmend die demokratischen und die Menschenrechte durch brutale Repression und technologische Kontrolle.

Soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung haben dieselben Ursachen. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass die Grenzen der Nachhaltigkeit auch auf sozialer Ebene überschritten sind. Der Kapitalismus bringt Not für Milliarden von Menschen und unendlichen Reichtum für einige wenige. Auf der einen Seite schüren niedrige Löhne sowie der Mangel an Arbeitsplätzen, Wohnraum und öffentlichen Dienstleistungen die reaktionäre Vorstellung, dass es nicht genug Ressourcen gäbe, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen. Auf der anderen Seite stehen die Superreichen mit ihren Yachten, ihren Jets, ihren Swimmingpools, ihren exklusiven, riesigen Golfplätzen, ihren SUVs, ihrem Weltraumtourismus, ihrem Schmuck, ihrer Haute Couture und ihren luxuriösen Häusern in allen Teilen der Welt. Das reichsteProzent besitzt genau so viel wie 50 % der Weltbevölkerung. Die „Trickle-Down-Theorie“ist ein Mythos. Der Wohlstand „sickert“ zu den Reichen, nicht umgekehrt. Die Armut nimmt selbst in den „entwickelten“ Ländern zu. Die Arbeitseinkommen werden rücksichtslos gedrückt, soziale Absicherungen – sofern vorhanden – werden abgebaut. Die kapitalistische Weltwirtschaft schwimmt auf einem Ozean aus Schulden, Ausbeutung und Ungleichheit.

Innerhalb der Arbeiterklasse trifft es die von Rassismus betroffenen Teile am härtesten. Ethnisch und rassistisch unterdrückte Communities werden bewusst in Gebiete gedrängt, die häufig durch giftige und gefährliche Abfälle verseucht sind, oder in Hochrisikogebiete, für die es keine Stadtplanung gibt (etwa in Hanglagen). Diese Bevölkerungsgruppen sind Opfer von Umweltrassismus, denn sie werden von der Planung und Umsetzung umweltpolitischer Maßnahmen systematisch ausgeschlossen.

Mit der Zuweisung der Pflegearbeit an Frauen ist es dem Kapital möglich, die Reproduktion billig zu halten, was die Umsetzung einer rigorosen Sparpolitik erleichtert. Im Allgemeinen gilt nach wie vor: Von Ungleichheit und Diskriminierung sind am stärksten Frauen betroffen; sie leisten den größten Teil der Haus-, Pflege- und Betreuungsarbeit, sei es unentgeltlich oder gegen Bezahlung. Sie erhalten nur 35 % des Einkommens der abhängig Beschäftigten. In einigen Regionen der Welt (China, Russland, Zentralasien) geht dieser Anteil zurück, teilweise sogar erheblich. Aber auch außerhalb der Arbeitswelt werden Frauen auf allen Ebenen als Frauen angegriffen – von Sexismus und sexueller Gewalt (Femizide, Vergewaltigungen und Menschenhandel) bis dahin, ihnen Rechte zu verweigern: Recht auf Nahrung, Recht auf Bildung, Recht auf Respekt und das Recht, über ihren eigenen Körper zu bestimmen.

LGBTQI+-Menschen, insbesondere Transgender-Personen, sind Zielscheibe einer globalen reaktionären Offensive. Das verschärft ihre prekäre Lage und Diskriminierung und gefährdet ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung und folglich auch die öffentliche Gesundheit im Allgemeinen.

Menschen mit Behinderungen werden vom Kapital aussortiert, weil sie nicht für den Profit arbeiten können oder ihre Arbeit Anpassungen erfordert, die den Profit schmälern. Einige sind Opfer von Zwangssterilisationen. Der Ungeist der Eugenik kommt wieder zum Vorschein.

Während alte Menschen aus der Arbeiterklasse (und auch aus Teilen der „Mittelschicht“) ausrangiert werden, wird das Leben künftiger Generationen im Voraus beschnitten. Die meisten Eltern aus der Arbeiterklasse glauben nicht mehr daran, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen selbst. Eine wachsende Zahl junger Menschen beobachtet mit Schrecken, Wut und Trauer die organisierte Zerstörung ihrer Welt, die vergewaltigt, ausgebrannt, in Beton ertränkt und vom kalten Wasser egoistischer Berechnung verschlungen wird.

Die Geißeln des Hungers, der Ernährungsunsicherheit und der Unterernährung waren am Ende des 20. Jahrhunderts zurückgegangen; jetzt nehmen sie infolge eines katastrophalen Zusammenwirkens von Neoliberalismus, Militarismus und Klimawandel wieder zu: Fast jeder zehnte Mensch hungert, fast jeder dritte leidet an Ernährungsunsicherheit, mehr als drei Milliarden können sich keine gesunde Ernährung leisten. Millionen Kinder unter fünf Jahren sind durch Hunger unterentwickelt. Die allermeisten von ihnen haben nur einen einzigen „Fehler“: Sie wurden ander kapitalistischen Peripherie geboren.

Die Hoffnung auf eine friedliche Welt hat sich verflüchtigt. Mehr als dreißig Länder der Welt sind aktuell oder waren in jüngster Zeit in Kriege von erheblichem Ausmaß verwickelt, darunter der Sudan, der Irak, der Jemen, Palästina, Syrien, die Ukraine, Libyen, die Demokratische Republik Kongo und Myanmar. Die Klimakrise, Extremwetterlagen und die daraus resultierenden starken Migrationsströme schüren zahlreiche Konflikte rund um den Globus. Das Leid, hervorgerufen durch die Vertreibung und den Tod zahlreicher Menschen, ist unermesslich.

Aufgrund der Auseinandersetzungen der imperialistischen Mächte werden dringend erforderliche Maßnahmen gegen den Klimawandel und für eine nachhaltige Zukunft in Frage gestellt. Kriege sind nicht nur verheerend für das Leben der Menschen (sie treffen im Besonderen Frauen durch den gezielten Einsatz von Vergewaltigungen und sie entmenschlichen allgemein das Zusammenleben), sondern sie schädigen auch den Planeten, auf dem wir leben. Sie zerstören Lebensräume, führen zur Abholzung von Wäldern, vergiften Böden, Wasser und Luft und gehören zu den Hauptquellen von Kohlenstoffemissionen.

Der brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine und die ethnische Säuberung gegen das palästinensische Volk, die im Gaza-Krieg 2023/24 ein neues Ausmaß erreicht hat, sind schwere Verbrechen gegen die Menschheit. Beide Fälle belegen den barbarischen Charakter des Kapitalismus. Der imperialistische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die geopolitischen Spannungen verschärft. Er markiert den Eintritt in eine neue Ära des imperialistischen Konkurrenzkampfs um die globale Vorherrschaft. Dabei geht es vor allem um Land, Energie und Bodenschätze.

Alle könnten ein gutes Leben auf der Erde haben, aber der Kapitalismus ist ein ausbeuterischer, machistischer, rassistischer, kriegerischer, autoritärer und letztendlich tödlicher Raubbau.: Produktivismus ist destruktiv. Die rückhaltlose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, der zügellose Extraktivismus, das Streben nach kurzfristigen Profiten, die Abholzung der Wälder und die Landnutzungsänderung führen zu einem Zusammenbruch der Artenvielfalt, d. h. des Lebens selbst.

Der Klimawandel ist der gefährlichste Aspekt der Umweltzerstörung; er ist eine in der Geschichte noch nie dagewesene Gefahr für das menschliche Leben. Die Erde droht zu einem biologischen Ödland zu werden, unbewohnbar für Milliarden armer Menschen, die für diese Katastrophe nicht verantwortlich sind. Um diese Katastrophe aufzuhalten, müssen wir die weltweiten Kohlendioxid- und Methanemissionen vor 2030 halbieren und vor 2050 erreichen, dass die Netto-Treibhausgasemissionen bei null liegen. Vorrangig geht es darum, die fossilen Brennstoffe, die Agrarkonzerne, die Fleischindustrie und die Hypermobilität zu bekämpfen und weltweit insgesamt weniger zu produzieren.

Ist es vor diesem Hintergrund möglich, die legitimen Bedürfnisse von drei Milliarden Menschen zu befriedigen, die unter entsetzlichen Bedingungen leben, vor allem in den Ländern des globalen Südens [1]? Ja. Das reichste Prozent emittiert fast doppelt so viel CO2 wie die ärmsten 50 %. Die reichsten 10 % sind für mehr als 50 % aller CO2-Emissionen verantwortlich. Die Armen emittieren weit weniger als 2 bis 2,3 Tonnen CO2 pro Person und Jahr (das ist die durchschnittliche Menge, die im Jahr 2030 erreicht werden muss, um mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % die Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen). Ein Dollar, der ausgegeben wird, um die Bedürfnisse des reichsten Prozents zu befriedigen, emittiert dreißigmal mehr CO2 als ein Dollar, der investiert wird, um die sozialen Bedürfnisse der ärmsten 50 % der Weltbevölkerung zu befriedigen.

Die Klimaauswirkungen einer Produktion, die allein auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse abzielt – vor allem, wenn sie demokratisch geplant und vom öffentlichen Sektor unter Bedingungen sozialer Gleichheit unternommen wird –, sind viel geringer als die einer Produktion, die auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Reichen durch BIP-Wachstum und blinden Marktwettbewerb um Profit ausgerichtet ist. Erforderlich wäre, dass das reichste Prozent seinen Kohlenstoff-Fußabdruck radikal verringert (diese Gruppe muss ihre Emissionen in wenigen Jahren im Norden wie im Süden auf ein Dreißigstel senken). Zum anderen sind alle zur Zurückhaltung beim Ausstoß von Treibhausgasen aufgerufen. Um die Katastrophe zu stoppen, ist eine Gesellschaft erforderlich, die Wohlstand und Gleichheit wie nie zuvor garantiert. Doch die Reichen weigern sich, auch nur die geringsten Anstrengungen zu unternehmen! Im Gegenteil: Sie wollen immer mehr Privilegien!

Die Regierungen haben sich verpflichtet, unter +1,5°C zu bleiben, die Artenvielfalt zu erhalten, eine „nachhaltige Entwicklung“ voranzutreiben und den Grundsatz der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und Kapazitäten“ in der ökologischen Krise zu berücksichtigen. Gleichzeitig produzieren sie immer mehr Güter und verbrauchen immer mehr Energie. Es ist ausgeschlossen, dass dieses Bündel an Versprechen vom Kapital eingelöst werden kann. Die Fakten zeigen Folgendes:

33 Jahre nach dem Erdgipfel von Rio (1992) wird der globale Energiemix nach wie vor von fossilen Brennstoffen dominiert (84 % im Jahr 2020). Die Gesamtproduktion fossiler Brennstoffe ist um 62 % gestiegen, und zwar von 83.000 Terawattstunden (TWh) [2] im Jahr 1992 auf 136.000 TWh im Jahr 2021, wobei die erneuerbaren Energien das überwiegend auf fossilen Brennstoffen beruhende Energiesystem bloß ergänzen und dabei den Kapitalisten neue Möglichkeiten und neue Märkte eröffnen.

Theoretisch brauchbare, abstrakte Konzepte wie „Kreislaufwirtschaft“, „Resilienz“, „Energiewende“, „Biomimikry“ [4] werden in der Praxis zu hohlen Formeln, sobald sie dem kapitalistischen Produktivismus untergeordnet werden. Solange es keinen gesamtgesellschaftlichen Plan für die Umstellung der Produktion gibt, haben technische Verbesserungen (etwa zu einer kostengünstigeren Energieerzeugung) oft einen Rebound-Effekt [5]: Eine Senkung des Energiepreises führt im Allgemeinen zu einem höheren Energie- und Materialverbrauch.

Die Rechten machen das „galoppierende“ Bevölkerungswachstum für die globale Erwärmung und den Rückgang der Artenvielfalt verantwortlich. Auf diese Weise versuchen sie, die Unterdrückten für die Krise und ihr eigenes Elend verantwortlich zu machen, um ihnen Maßnahmen zur Bevölkerungskontrolle aufzuerlegen. In Wirklichkeit ist hohes Bevölkerungswachstum eher eine Folge als eine Ursache von Armut. Einkommenssicherheit, Zugang zu Nahrung, Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum, Gleichberechtigung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau – all das trägt zum demografischen Übergang bei, weil die Sterblichkeits- und dann die Geburtenraten sinken.

Der kapitalistische Fetisch der Akkumulation verhindert die Anerkennung dieser Wahrheit. Angesichts der Klimakrise lässt er letztlich nur zwei Möglichkeiten zu: den Einsatz von Zauberlehrlingstechnologien (Atomkraft, CO2-Abscheidung und ‑Speicherung, Geo-Engineering ...) oder die „natürliche Auslese“ mehrerer Milliarden armer Menschen in den armen Ländern.

Politisch spielen das Unvermögen und die Ungerechtigkeit des „grünen“ Kapitalismus einem fossilen, verschwörerischen, imperialistischen, rassistischen, aggressiven, machistischen und LGBTQI+-feindlichen Neofaschismus in die Hände, der vor dieser „natürliche Auslese“ nicht zurückschreckt. Ein Teil der Reichen bewegt sich auf ein gigantisches Verbrechen gegen die Menschheit zu und setzt zynisch darauf, dass ihr Reichtum sie verschonen wird, während man die Armen sterben lässt.

Der Weltkapitalismus schreitet nicht allmählich in Richtung Frieden und nachhaltige Entwicklung voran, sondern er bewegt sich rückwärts und mit großen Schritten in Richtung Krieg, Umweltkatastrophe, Völkermord und neofaschistische Barbarei.

Angesichts dieser Herausforderung reicht es nicht aus, das neoliberale Regime in Frage zu stellen und die Rolle des Staates neu zu bewerten. Es würde nicht einmal ausreichen, die Dynamik der Akkumulation zu stoppen (ein unmögliches Ziel im Kapitalismus!). Der globale Netto-Endenergieverbrauch muss radikal gesenkt werden – es muss also weltweit weniger produziert und weniger transportiert werden –, während sich der Energieverbrauch in den ärmeren Ländern erhöhen wird, um die sozialen Bedürfnisse zu befriedigen.

Das ist die einzig mögliche Lösung, um das legitime Bedürfnis nach Wohlstand für alle mit der Regeneration des globalen Ökosystems in Einklang zu bringen. Gerechte Suffizienz und gerechtes Degrowth – ökosozialistisches Degrowth– sind für die Rettung der Menschheit und des Planeten unabdingbar.

Ein Ausweg aus der produktivistischen Sackgasse ist nur unter folgenden Bedingungen möglich:

Diese Anforderungen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Soziale und ökologische Krisen sind untrennbar miteinander verbunden. Wir brauchen dringend ein emanzipatorisches Projekt für die Ausgebeuteten und Unterdrückten. Ein klassenbasiertes Projekt, das über die Grundbedürfnisse hinaus dem Sein und nicht dem Haben verpflichtet ist. Ein Projekt, welches das Konsumverhalten, die Beziehung zur nicht-menschlichen Natur, die Vorstellungen von Glück und die Vision, die der Mensch von der Welt hat, tiefgreifend verändert. Ein antiproduktivistisches Projekt für ein besseres Leben, das auf alle Lebewesen auf dem einzigen bewohnbaren Planeten des Sonnensystems Rücksicht nimmt.

Der Kapitalismus hat die Menschheit schon einmal in eine äußerst bedrohliche Lage gebracht, nämlich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die nationalistische Hysterie ergriff die Massen und die Sozialdemokratie verriet ihr Versprechen, auf den Krieg mit einer Revolution zu antworten. Sie gab grünes Licht für das bis dahin schlimmste Morden in der Geschichte der Menschheit. Dennoch bezeichnete Lenin die Situation als „objektiv revolutionär“. Nur eine Revolution kann dem Gemetzel Einhalt gebieten, sagte er. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben: Die Revolution in Russland und die Aussicht auf ihre Ausbreitung haben die Bourgeoisien gezwungen, dem Gemetzel ein Ende zu setzen. Der Vergleich passt natürlich nur beschränkt, denn Vermittlungsschritte hin zu revolutionärer Aktion sind heute unendlich komplexer. Aber eine Bewusstseinsbildung ist heute genauso notwendig. Angesichts der ökologischen Krise ist eine antikapitalistische Revolution objektiv gesehen sogar noch dringlicher. Diese grundsätzliche Beurteilung muss Grundlage für die Ausarbeitung eines Programms, einer Strategie und Taktik sein, denn es gibt keine andere Möglichkeit, die Katastrophe zu verhindern.


2. Die Welt, für die wir kämpfen


Unser Projekt für eine zukünftige Gesellschaft verbindet die soziale und politische Emanzipation mit dem Gebot, die Zerstörung des Lebens zu verhindern und die bereits entstandenen Schäden so weit wie möglich zu beheben.

Wir versuchen, uns vorzustellen, wie ein gutes Leben für alle Menschen auf der ganzen Welt aussehen könnte, wenn wir den Verbrauch von Material und Energie und damit die materielle Produktion reduzieren und dabei die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten berücksichtigen. Es geht nicht darum, ein fertigesModell zu liefern, sondern den Mut zu haben, sich eine andere Welt vorzustellen, für deren Verwirklichung es sich zu kämpfen lohnt, indem man mit Kapitalismus und Produktivismus bricht.

„Ja, wir kämpfen um Brot, aber wir kämpfen auch um Rosen.“

Ein gutes Leben für alle setzt voraus, dass die menschlichen Grundbedürfnisse – gesunde Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, saubere Luft und sauberes Wasser – erfüllt werden.

Ein gutes Leben ist aber auch ein frei gewähltes erfüllendes und kreatives Leben mit vielfältigen und gleichberechtigten menschlichen Beziehungen und umgeben von der Schönheit der Welt und den menschlichen Errungenschaften.

Unser Planet verfügt (noch) über genügend Ackerland, Trinkwasser, Sonne und Wind, Artenvielfalt und Ressourcen aller Art, um die berechtigten menschlichen Bedürfnisse unter Verzicht auf klimaschädliche fossile Brennstoffe und Atomkraft zu befriedigen. Einige dieser Ressourcen sind jedoch begrenzt, während andere, obwohl unerschöpflich, für die Nutzung durch den Menschen knappe oder seltene Rohstoffe benötigen, deren Gewinnung ökologisch schädlich ist. Da ihre Nutzung nicht grenzenlos sein kann, gehen wir in jedem Fall sorgfältig und sparsam mit ihnen um, und zwar auf ökologisch sinnvolle Weise.

Lebensnotwendige Güter sind von privater Aneignung ausgeschlossen und werden als Gemeingüter betrachtet, weil sie heute und auf lange Sicht der gesamten Menschheit zugutekommen müssen. Um diese Gemeingüter auf Dauer zu sichern, werden für alle gültige Regeln aufgestellt, welche die Nutzung, aber auch die Grenzen der Nutzung sowie die Verpflichtung zur Pflege oder Instandsetzung festlegen.

Da eine Mangrove nicht auf die gleiche Weise geschützt wird wie ein Gletscher, ein Feuchtgebiet nicht auf die gleiche Weise wie ein Sandstrand, ein Tropenwald nicht auf die gleiche Weise wie ein Fluss, weil Solarenergie nicht den gleichen Regeln gehorcht und nicht die gleichen materiellen Zwänge auferlegt wie Wind- oder Wasserkraft, können diese Regeln nur das Ergebnis eines demokratischen Prozesses unter Beteiligung der unmittelbar Betroffenen, der Arbeitenden, der Wissenschaft und der lokalen Bevölkerungsein.

Unser gemeinsames Gut sind auch alle Dienstleistungen, die es uns ermöglichen, auf gleichberechtigte Weise und kostenlos die Bedürfnisse in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kultur, Zugang zu Wasser, Energie, Kommunikation, Verkehr usw. zu befriedigen. Sie werden von der gesamten Gesellschaft demokratisch verwaltet und organisiert.

Dienste für die Menschen und für die Pflege, die sie in verschiedenen Lebensphasen benötigen, erfolgen ohne Trennung in öffentlich und privat, wobei die Intimsphäre aller respektiert wird. Sie machen Schluss mit der Zuweisung dieser Aufgaben an die Frauen – und zwar durch Vergesellschaftung, d. h. sie werden zur Angelegenheit der gesamten Gesellschaft. Dienstleistungen für die soziale Reproduktion sind Schlüsselbereiche, vor allem im Kampf gegen die patriarchale Unterdrückung.

Alle diese dezentralisierten, partizipativen, gemeinschaftsbasierten „öffentlichen Dienstleistungen“ bilden die Grundlage einer nicht-autoritären Gesellschaftsordnung.

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ermöglicht die demokratische ökologische Planung den Menschen, sich die wichtigsten sozialen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Produktion wieder anzueignen. Die Nutzer:innen entscheiden darüber, was und wie produziert werden soll, welche Dienstleistungen erbracht werden müssen. Sie entscheiden auch über die zumutbaren Grenzen für die Nutzung von materiellen Ressourcen wie Wasser, Energie, Boden usw. Die Entscheidungen werden nach kollektiven Beratungen getroffen, gestützt auf das Wissen – aus der Forschung und aus der Erfahrung der Bevölkerung – sowie auf die selbstorganisierten Unterdrückten (Frauenbewegung, von Rassismus betroffene Bevölkerungsgruppen, Menschen mit Behinderungen usw.).

Diese globale wirtschaftliche und politische Demokratie ist verknüpft mit vielfältigen dezentralen Kollektiven oder Komitees: Mit diesen wird es möglich, auf lokaler Ebene, in der Stadt oder in der Nachbarschaft Entscheidungen über die Organisation des öffentlichen Lebens zu treffen. Im Bereich der Produktion können die Produzent:innen die Planung und Organisation an ihrem Arbeitsplatz in die Hand nehmen und darüber entscheiden, wie sie produzieren wollen. Das Ineinandergreifen der verschiedenen Ebenen der Demokratie und ein aus ökologischer und sozialer Sicht gerechtes Management bewirken Arbeitszufriedenheit und ermöglichen Zusammenarbeit statt Konkurrenz auf der Ebene des Arbeitsplatzes, des Unternehmens, der Branche, aber auch des Viertels, der Stadt, der Region, des Landes und sogar des Planeten!

Alle Entscheidungen über Produktion und Vertrieb, über die Art und Weise, wie wir leben wollen, werden von dem Grundsatz geleitet: So viel wie möglich dezentralisieren und so viel wie nötig koordinieren.

Das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, erfordert Zeit, Energie und kollektive Intelligenz. Zum Glück nimmt die Arbeit in der Produktion und der sozialen Reproduktion nur wenige Stunden pro Tag in Anspruch.

Die Produktion ist ausschließlich der Befriedigung demokratisch festgestellter Bedarfe gewidmet. Produktion und Vertrieb sind so organisiert, dass der Ressourcenverbrauch minimiert und Abfälle, Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen vermieden werden; sie zielen durchgängig auf Zweckmäßigkeit und „geplante Nachhaltigkeit“ ab (im Gegensatz zur geplanten Obsoleszenz im Kapitalismus, ganz gleich, ob beabsichtigt oder aufgrund der Logik des Profits). Eine möglichst bedarfsnahe Produktion erlaubt eine Verringerung der Transporte und ein besseres Verständnis für Arbeits-, Material- und Energieaufwand.

Die Landwirtschaft ist ökologisch, kleinräumig und lokal, um die Ernährungssouveränität und den Schutz der Artenvielfalt zu gewährleisten. Verarbeitende Betriebe und Vertriebskanäle sorgen dafür, dass ein Großteil der Lebensmittel in kleinen Kreisläufen erzeugt wird.

Der auf erneuerbaren Energien fußende Energiesektor ist so dezentral wie möglich organisiert, um Verluste gering zu halten und die Nutzung zu optimieren. Tätigkeiten der sozialen Reproduktion (Gesundheit, Bildung, Versorgung älterer oder pflegebedürftiger Menschen, Kinderbetreuung usw.) werden gefördert und ausgebaut, wobei darauf geachtet wird, keine Geschlechterstereotypen zu reproduzieren.

Obwohl die Arbeit weniger Zeit beansprucht, nimmt sie einen wesentlichen Platz ein, weil sie zusammen mit der Natur und ihrer Bewahrung all das erzeugt, was für das Leben notwendig ist.

Die Selbstverwaltung der Produktionseinheiten in Verbindung mit demokratischer Planung ermöglicht den Beschäftigten, über die Organisation der Arbeit und die einzelnen Arbeitsschritte zu entscheiden und die Trennung zwischen manueller und geistiger Arbeit in Frage zu stellen.

Das gilt auch für die Wahl der Technologien, und zwar hinsichtlich der Frage, ob diese es dem Arbeitskollektiv ermöglichen, den Produktionsprozess zu kontrollieren. Indem man dem umfassenden Wissen über den Arbeitsprozess sowie dem kollektiven und individuellen Know-how und der Kreativität den Vorrang einräumt, wird es möglich, sowohl langlebige Produkte zu entwerfen und zu fertigen, die zerlegt und repariert, wiederverwendet und gegebenenfalls recycelt werden können, als auch den Material- und Energieverbrauch von der Herstellung bis zur Nutzung zu reduzieren.

In allen Bereichen gehen die Überzeugung, etwas Nützliches zu tun, und die Zufriedenheit, es gut zu machen, Hand in Hand. Bei unangenehmen Tätigkeiten achten alle darauf, die Belastung und die Misslichkeit gering zu halten. Dennoch müssen auch diese Aufgaben erledigt werden – und zwar am besten abwechselnd von allen.

Ein großer Teil der materiellen Produktion (etwa von Kleidung oder Lebensmitteln) muss aufgrund der deutlich geringeren Menge nicht (oder zumindest nicht gänzlich) industriell hergestellt werden, und handwerkliche Fähigkeiten, die alle erlernen könnten, sollten mehr Wertschätzung erfahren.

Durch die Befreiung der Arbeit von der Entfremdung kann die Grenze zwischen Kunst und Arbeit in einer Art „Luxuskommunismus“ aufgehoben werden. Wir können Werkzeuge, Möbel, ein Fahrrad, Kleidung usw. unser ganzes Leben lang behalten oder mit anderen teilen, weil sie auf Langlebigkeit konzipiert und schön sind.

Sein statt Haben

„Nur das, was für alle gut ist, ist deiner würdig. Nur das, was niemanden privilegiert oder erniedrigt, ist es wert, produziert zu werden.“ (A. Gorz)

Freiheit liegt nicht im unbegrenzten Konsum, sondern in der frei gewählten Selbstbeschränkung, die sich als Gegensatz zur konsumorientierten Entfremdung versteht. Durch kollektive Entscheidungen ist es möglich, künstliche Bedürfnisse in Frage zu stellen und „universalisierbare“ Bedürfnisse zu definieren, die befriedigt werden müssen, also solche, die nicht bestimmten Menschen oder bestimmten Teilen der Welt vorbehalten sind.

Wahrer Reichtum liegt nicht in der unendlichen Vermehrung von Gütern (Haben), sondern in der Vermehrung von freier Zeit (Sein). Mehr Freizeit eröffnet die Möglichkeit, sich im Spiel, im Studium, im gesellschaftlichen Engagement, im künstlerischen Schaffen, in zwischenmenschlichen Beziehungen und im Umgang mit der nicht-menschlichen Natur zu verwirklichen.

So schaffen wir Raum für zahlreiche Betätigungsfelder, weil wir genug Zeit haben, darüber nachzudenken, was gut für uns ist, und weil uns der Mensch und die gesamte Natur am Herzen liegen.

Die Orte, an denen wir leben, jeder Raum, in dem wir uns aufhalten, gehört uns, um zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Befreit von Bodenspekulation und Auto können wir die Nutzung öffentlicher Räume neu denken, die Trennung zwischen Zentrum und Peripherie überwinden, Erholungs-, Begegnungs- und Gemeinschaftsräume vervielfachen, die Städte durch urbane Landwirtschaft und Gemeinschaftsgärten natürlicher gestalten oder Biotope im städtischen Bereich einrichten. Darüber hinaus sollten politische Maßnahmen langfristig darauf abzielen, das Gleichgewicht zwischen Stadt- und Landbevölkerung herzustellen und den Gegensatz zwischen Stadt und Land zu überwinden, um die Rahmenbedingungen für lebenswerte und nachhaltige menschliche Gemeinschaften zu schaffen, in denen wirkliche Demokratie gelebt werden kann.

Unsere Gefühle und Wünsche sind dann nicht mehr käuflich, und die Bandbreite der Wahlmöglichkeiten wird für alle erheblich erweitert: Jeder und jede kann neue Formen sexueller Beziehungen und des Zusammenlebens sowie der Arbeit und der Kindererziehung in freier und vielfältiger Weise entwickeln, wobei die persönlichen Entscheidungen und das Mensch-Sein jedes Einzelnen respektiert werden, da es nicht nur eine einzige Wahl geben darf und auch nicht eine Wahl, die besser ist als die anderen. Die Familie hört auf, ein Raum für die Reproduktion von Herrschaft und die einzig mögliche Form des Zusammenlebens zu sein. Wir können die Elternschaft auch als kollektive Aufgabe betrachten, unsere persönlichen Entscheidungen über Mutterschaft und Elternschaft politisch begreifen und uns überlegen, wie wir die Kindheit und die Rolle von älteren oder behinderten Menschen sehen und wie wir die sozialen Beziehungen mit ihnen gestalten wollen. Wir können uns Gedanken darüber machen, wie sich die Logik der Herrschaft durchbrechen lässt, die wir von früheren Gesellschaften übernommen und verinnerlicht haben.

Wir wollen eine neue Kultur schaffen, die das Gegenteil einer Vergewaltigungskultur ist, eine Kultur, welche die Körper aller cis- und trans-Frauen und ihre Bedürfnisse anerkennt; eine Kultur, die alle Personen als Subjekte begreift und ihnen zugesteht, selbst über ihren Körper, ihr Leben und ihre Sexualität zu entscheiden; eine Kultur, die sichtbar macht, dass es tausend Möglichkeiten gibt, die eigene geschlechtliche Identität und Sexualität auszudrücken und zu leben.

Sexuelle Aktivitäten, die aus freien Stücken erfolgen und für alle Beteiligten angenehm sind, bedürfen keiner Rechtfertigung.

Wir müssen lernen, die gegenseitige Abhängigkeit aller Lebewesen zu akzeptieren und ein Verständnis von der Beziehung zwischen Mensch und Natur zu entwickeln, das vermutlich in mancher Hinsicht derjenigen der indigenen Völker ähnelt, aber dennoch anders sein wird. Ein Konzept, in dem die ethischen Begriffe von Vorsorge, Respekt und Verantwortung sowie das Staunen über die Schönheit der Welt in ständiger Wechselwirkung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen, die laufend vertieft und sich dabei auch ihrer Unvollkommenheit bewusst werden.


3. Unsere Übergangsmethode


Aus unserer Analyse des Kapitalismus und insbesondere aus der Politik der herrschenden Klasse in Bezug auf die ökologischen Gefahren und den Klimawandel folgt:

Erstens bedarf es einer umfassenden Alternative und eines gesellschaftlichen Plans auf Basis einer Produktion und Reproduktion, die auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und nicht auf Profit ausgerichtet ist (Produktion von Gebrauchswerten statt Tauschwerten). Das Drehen an der einen oder anderen Schraube innerhalb des Systems, ohne die Produktionsweise zu ändern, wird die gegenwärtigen Krisen sowie die Katastrophen, die uns aufgrund der Beständigkeit des kapitalistischen Systems bevorstehen, nicht abwenden und nicht einmal wesentlich abschwächen können. Diese Einsicht zu vermitteln, ist eine der wesentlichen Aufgaben revolutionärer Politik.

Die Einsicht in die Notwendigkeit eines globalen revolutionären Wandels stellt uns vor eine Aufgabe, die in der Praxis nicht sofort und nicht ohne Schwierigkeiten zu lösen ist. Deshalb ist es zweitens wichtig, die globale Perspektive mit unmittelbaren Forderungen zu verbinden, für die bereits jetzt mobilisiert werden kann.

Drittens muss betont werden, dass sich Menschen von Argumenten allein nicht überzeugen lassen. Um sie für eine Abkehr vom kapitalistischen System zu gewinnen und zum Widerstand zu ermuntern, braucht es erfolgreiche Kämpfe, die Mut machen und zeigen, dass Teilsiege möglich sind.

Und viertens: Erfolgreiche Kämpfe erfordern eine bessere Organisierung. Das gilt im Prinzip immer, aber heute – in Zeiten, in denen die Gewerkschaften (in vielen Teilen der Welt) politisch weitgehend verschwunden sind und die Linke zersplittert ist – ist es wichtig, die praktische Zusammenarbeit auf nicht-sektiererische Weise zu fördern, vor allem innerhalb der anti­kapitalistischen Linken, und gleichzeitig die Selbstorganisation der Werktätigen zu unterstützen.

Einerseits drängt die Zeit, denn es muss verhindert werden, dass Kipppunkte überschritten werden und die globale Erwärmung sich unkontrollierbar beschleunigt. Andererseits ist eine große Mehrheit der Menschen nicht bereit, den Kampf für ein anderes System, d. h. für den Sturz des Kapitalismus, aufzunehmen. Das liegt zum Teil am mangelnden Verständnis der Gesamtsituation, aber noch mehr an fehlenden Perspektiven, also am Unvermögen, sich Alternativen vorzustellen. Hinzu kommt, dass das aktuelle soziale und politische Kräfteverhältnis zwischen den Klassen die Auseinandersetzung mit den Herrschenden und den Profiteuren der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht gerade erleichtert.

Andererseits hat ein Programm, das den Kapitalismus reformieren oder „nach und nach“ überwinden will, keine Aussicht auf Erfolg (vor allem dann, wenn es von oben her durchgesetzt werden soll). Reformen, die die Logik des kapitalistischen Systems akzeptieren, sind ungeeignet, den Herausforderungen der ökologischen Krise zu begegnen. Und schrittweise Veränderungen in Wirtschaft und Staat haben noch nie zu einem Systemwechsel geführt. Die Besitzenden und die Profiteure des Kapitalismus werden nämlich nicht tatenlos zusehen, wie ihr Reichtum beschlagnahmt und ihren Möglichkeiten, sich zu bereichern, sukzessive die Grundlage entzogen wird.

Die Zeit ist knapp, daher sind Maßnahmen dringend erforderlich. Einige Gegner:innen des Ökosozialismus plädieren für sanfte Reformen, „weil wir nicht auf die Weltrevolution warten können“. Nun, die Anhänger:innen des Ökosozialismus haben nicht vor zu warten! Unsere Strategie ist es, JETZT mit konkreten Übergangsforderungen zu beginnen, um die globale Veränderung einzuleiten. Dabei handelt es sich nicht um getrennte historische Etappen, sondern um dialektische Momente in ein und demselben Prozess. Jeder Teilsieg, jeder Erfolg auf lokaler Ebene ist ein Schritt, der die Selbstorganisation der Bewegung stärkt und den Kampf um neue Siege beflügelt.

Die bevorstehenden Klassenkämpfe – unter Einbeziehung breiter Schichten der Arbeiterklasse, der Jugend, der Frauen, der Indigenen usw. – sind die Voraussetzung für den Kampf um Hegemonie. Es muss deutlich werden, dass letztlich kein Weg an einem wirklichen Systemwechsel und an der Machtfrage vorbeiführt. Die herrschende Klasse muss enteignet und politisch entmachtet werden.

Für ein antikapitalistisches Übergangsprogramm

Die Übergangsmethode wurde bereits von Marx und Engels im letzten Abschnitt des Kommunistischen Manifests (1848) vorgeschlagen. Aber es war die Vierte Internationale, die ihr im Übergangsprogramm von 1938 ihre moderne Bedeutung verliehen hat. Grundannahme ist die Notwendigkeit für Revolutionär:innen, die Massen im Verlauf der täglichen Kämpfe dabei zu unterstützen, eine Brücke zwischen unmittelbaren Forderungen und dem sozialistischen Programm für die Revolution zu schlagen. Diese Brücke besteht aus einem System von Übergangsforderungen, die sich aus den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ableiten lassen. Ziel ist es, die sozialen Kämpfe bis zur Eroberung der Macht durch das Proletariat voranzutreiben.

Es versteht sich von selbst, dass Revolutionär:innen das traditionelle Programm der „Minimal“-Forderungen nicht als irrelevant abtun. Selbstverständlich verteidigen sie die demokratischen Rechte und sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse. Sie schlagen jedoch eine Reihe von Übergangsforderungen vor, die von den Ausgebeuteten und Entrechteten verstanden werden und die sich gleichzeitig gegen die Grundlagen des bürgerlichen Regimes richten.

Die meisten der im Programm von 1938 genannten Übergangsforderungen sind heute noch aktuell: gleitende Lohnskala und gleitende Arbeitszeitskala; Arbeiterkontrolle in den Fabriken, Öffnung der „geheimen“ Konten der Unternehmen; Enteignung der Privatbanken; Enteignung bestimmter Gruppen von Kapitalisten, um nur einige Forderungen zu nennen. Der Sinn solcher Vorschläge besteht darin, möglichst breite Schichten der Bevölkerung im Kampf um konkrete Forderungen zu vereinen, die im objektiven Widerspruch zu der Logik des kapitalistischen Systems stehen.

Wir müssen jedoch unser Programm der Übergangsforderungen aktualisieren, um den neuen Bedingungen des 21. Jahrhunderts Rechnung zu tragen, insbesondere der ökologischen Krise und der drohenden Gefahr eines katastrophalen Klimawandels. Heute müssen diese Forderungen eine sozial-ökologische und nach Möglichkeit eine ökosozialistische Substanz aufweisen.

Das Ziel der ökosozialistischen Übergangsforderungen ist strategisch: Es geht darum, große Teile der städtischen und ländlichen Arbeiter:innen, Frauen, Jugendliche, Opfer von Rassismus oder nationaler Unterdrückung sowie Gewerkschaften, soziale Bewegungen und linke Parteien für einen Kampf zu gewinnen, der das kapitalistische System und die Herrschaft der Bourgeoisie herausfordert. Diese Forderungen verbinden soziale und ökologische Aspekte und müssen von den Ausgebeuteten und Unterdrückten je nach ihrem jeweiligen sozialen und politischen Bewusstseinsstand als notwendig, gerechtfertigt und relevant erachtet werden. In den Auseinandersetzungen werden sich die Menschen der Notwendigkeit bewusst, sich zu organisieren, sich zusammenzuschließen und zu kämpfen; und sie werden allmählich begreifen, wer der Feind ist: nicht nur lokale Machthaber, sondern das System selbst. Die ökosozialen Übergangsforderungen zielen darauf ab, das soziale und politische Bewusstsein der Ausgebeuteten und Unterdrückten sowie ihr antikapitalistisches Verständnis im Zuge der Kämpfe zu stärken und eine ökosozialistische revolutionäre Perspektive zu eröffnen.

Einige dieser Forderungen haben einen universellen Charakter: etwa die Verfügbarkeit eines öffentlichen Nahverkehrs und dessen unentgeltliche Nutzung. Hier handelt es sich sowohl um eine ökologische als auch um eine soziale Forderung, die den Keim für eine ökosozialistische Zukunft enthält: öffentliche Dienstleistungen statt Markt, Gebührenfreiheit statt kapitalistischerProfit. Ihre strategische Bedeutung ist in den verschiedenen Gesellschaften und Volkswirtschaften nicht die gleiche. Ökosoziale Übergangsforderungen müssen je nach lokaler Ausprägung die Anliegen und Bedürfnisse der Massen in den verschiedenen Regionen des kapitalistischen Weltsystems berücksichtigen.


4. Grundzüge einer ökosozialistischen Alternative zum kapitalistischen Wachstum


Die Befriedigung tatsächlicher sozialer Bedürfnisse unter Beachtung der ökologischen Grenzen ist nur möglich, wenn man mit der produktivistischen und konsumorientierten Logik des Kapitalismus bricht. Die kapitalistische Logikvergrößert die Ungleichheit, schadet Mensch und Natur und untergräbt die beiden einzigen „Springquellen alles Reichtums […]: die Erde und den Arbeiter“ (Marx). Der Bruch mit dieser Logik bedeutet, vorrangig für die nachfolgend genannten Schwerpunkte zu kämpfen. Diese Schwerpunkte sind als ein kohärentes Ganzes zu sehen, das je nach nationalen und regionalen Besonderheiten ergänzt und angepasst werden muss. Denn auf jedem Kontinent und in jedem Land müssen im Sinne des Übergangsprogramms spezifische Maßnahmen ergriffen werden.

4.1. Katastrophenschutz, öffentliche und an die sozialen Bedürfnisse angepasste Präventionspläne unter Kontrolle der Bevölkerung

Einige Auswirkungen der Klimakatastrophe (wie der Anstieg des Meeresspiegels) sind unumkehrbar oder werden lange anhalten (Hitzewellen, Dürreperioden, außergewöhnliche Niederschläge, heftigere Wirbelstürme usw.). Die kapitalistischen Versicherungsgesellschaften entschädigen die Bevölkerung nicht oder bestenfalls unzureichend. Angesichts dieser Geißeln haben die Wohlhabenden nur das Wort „Anpassung“ auf den Lippen. Die „Anpassung“ an den Klimawandel dient ihnen dazu,

1. von den strukturellen Ursachen abzulenken, für die ihr System verantwortlich ist;

2. ihre schädlichen Praktiken fortzusetzen, die auf maximalen Profit abzielen, ohne sich um langfristige Folgen zu kümmern, sowie

3. den Kapitalisten neue Märkte zu erschließen (Infrastruktur, Klimaanlagen, Verkehr, CO2-Kompensation usw.). Die technokratische und autoritäre kapitalistische „Anpassung“ wird vom IPCC (Weltklimarat) als „Fehlanpassung“ bezeichnet. Sie verschärft Ungleichheit, Diskriminierung und materielle Verluste für Einzelne und Gemeinschaften. Steigende Temperaturen erhöhen die gesundheitliche Beeinträchtigung jener Menschen, die sich nicht adäquat schützen können. Die technokratische kapitalistische „Anpassung“ verringert die Chancen, in Zukunft Maßnahmen zur Abschwächung der Klimakrise zu ergreifen, insbesondere in den armen Ländern. Der kapitalistischen „Fehlanpassung“ setzen wir die Forderung nach sofortigen öffentlichen und an die Lebenswelt der einfachen Bevölkerung angepassten Präventionsplänen entgegen. Sie ist schließlich die Hauptleidtragende der extremen Wetterphänomene, insbesondere in den abhängigen Ländern. Diese Pläne müssen entsprechend ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenslage im Dialog mit der Wissenschaft entwickelt werden. Sie müssen alle Bereiche umfassen, insbesondere Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wohnungsbau, Wasserwirtschaft, Energie, Industrie, Arbeitsrecht, Gesundheit und Bildung. Sie müssen Gegenstand umfassender demokratischer Entscheidungsprozesse sein, mit einem Vetorecht der betroffenen Gemeinden und der arbeitenden Bevölkerung.

4.2. Den Reichtum teilen, um – ohne Gebühren zu erheben – für die Menschen und die Umwelt zu sorgen

Qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, gute Bildung, gute Betreuung für Kleinkinder, ein würdiger Ruhestand und ein Pflegesystem, das den Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung trägt, zugänglicher, dauerhafter und angemessener Wohnraum, effiziente öffentliche Verkehrsmittel, erneuerbare Energien, gesunde Lebensmittel, sauberes Wasser, Internetzugang und eine natürliche Umwelt in gutem Zustand: Das sind die wirklichen Bedürfnisse, die eine Zivilisation, die diesen Namen verdient, für alle Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihren Überzeugungen, ausreichend erfüllen sollte. Das ist möglich – sogar bei gleichzeitig deutlicher Verringerung der globalen Belastung unserer Umwelt. Warum gibt es all das nicht? Weil die Wirtschaft auf die Förderung des Konsums angelegt ist – gewissermaßen als industrielles Nebenprodukt des Kapitalismus. Im Interesse des Profits werden Investitionen und Konsum laufend gesteigert. Die Kapitalisten eignen sich alle Ressourcen an und verwandeln alles in Waren. Ihre Profitgier sät Unglück und Tod.

Eine 180°-Wende ist erforderlich. Ressourcen und Wissen sind ein Gemeingut, das umsichtig und kollektiv verwaltet werden muss. Die Befriedigung tatsächlicher Bedürfnisse und die Wiederbelebung der Ökosysteme müssen demokratisch geplant und vom öffentlichen Sektor unter aktiver Kontrolle der breiten Bevölkerung mitgetragen werden, indem die gebührenfreie Nutzung so weit wie möglich ausgeweitet wird. Dieses kollektive Projekt muss sich das wissenschaftliche Fachwissen zunutze machen. Der erste notwendige Schritt ist die Bekämpfung von Ungleichheit und Unterdrückung. Soziale Gerechtigkeit und ein gutes Leben für alle sind auch ökologische Forderungen!

4.3. Gegen Privatisierung und Vermarktung: Gemeingüter und öffentliche Dienste ausbauen

Hier handelt es sich um eine der Kernfragen eines sozialen und ökologischen Übergangs, und zwar in vielen Bereichen des Lebens. Zum Beispiel:

Wasser: Die derzeitigen Privatisierungen, der verschwenderische Verbrauch und die Verschmutzung von Wasser – Flüsse, Seen und Grundwasser – sind eine soziale und ökologische Katastrophe. Wasserknappheit und Überschwemmungen aufgrund des Klimawandels stellen eine Bedrohung für Milliarden von Menschen dar. Wasser ist ein Gemeingut und muss deshalb von öffentlichen Einrichtungen unter Kontrolle der Verbraucher:innen verwaltet und verteilt werden. Landschaften und Städte müssen aufnahmefähig für Wasser gemacht werden und so imstande sein, Wasser zu speichern, um massive Überschwemmungen zu vermeiden.

Wohnen: Das Grundrecht aller Menschen auf angemessenen, dauerhaften und ökologisch nachhaltigen Wohnraum kann im Kapitalismus nicht gewährleistet werden. Das Gesetz des Profits bringt Zwangsräumungen, den Abriss von Gebäuden und die Kriminalisierung derjenigen mit sich, die sich dagegen wehren, aber auch hohe Energiekosten für die Armen und subventionierte erneuerbare Energie für die Reichen. Die öffentliche Kontrolle des Immobiliensektors, die Senkung und das Einfrieren der Zinsen und Profite der Banken, der radikale Ausbau von gutem, öffentlichem, sozialem und genossenschaftlichem Wohnraum, die Wärmedämmung von Häusern durch die öffentliche Hand und ein umfangreiches Programm zum Bau von energieautarken Gebäuden sind der erste Schritt einer alternativen Politik.

Gesundheit: Die Millionen vermeidbarer Todesfälle aus der Covid-19-Pandemie sind das Ergebnis verabsäumter präventiver Maßnahmen und die Folge autoritärer und repressiver Anordnungen, die kollektives Handeln ersetzten. Sie sind auch die Folge von Sparpolitik, Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Die Gleichheit aller Menschen bei der Gesundheitsversorgung muss durch Gebührenfreiheit gewährleistet werden, die durch einen vollständig öffentlichen Gesundheitsdienst mit den erforderlichen Mitteln sichergestellt wird. Die Gesundheitssysteme müssen neu ausgerichtet werden, um Prävention, Pflege und Nachsorge einzubeziehen. Die Pharmaindustrie muss vergesellschaftet und unter die Kontrolle der Beschäftigten und der Nutzer:innen gestellt werden, Patente müssen abgeschafft werden.

Transport: Der Kapitalismus privilegiert im Personenverkehr das Privatauto, was schwerwiegende gesundheitliche und ökologische Folgen hat. Die Alternative dazu ist ein breit angelegtes und effizientes System der allgemein zugänglichen und kostenlosen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie die massive Ausweitung der Mobilitätsmöglichkeiten für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. Derzeit werden Güter über große Entfernungen mit Lastwagen, Flugzeugen oder Containerschiffen transportiert, was enorme Schadstoffemissionen verursacht. Deshalb sind die Reduktion des verschwenderischen Verbrauchs und die Verlagerung jenes Gütertransports, der dennoch benötigt wird, auf die Schiene dringend erforderlich. Der Flugverkehr muss erheblich reduziert werden: Kein Flugverkehr unter 1.000 km, wo es ein funktionierendes Bahnsystem gibt.

4.4. Das Geld dort nehmen, wo es ist: Die Kapitalisten und die Reichen müssen zahlen

Eine globale Übergangsstrategie, die diesen Namen verdient, muss den Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien, den Schutz vor den bereits spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, die Entschädigung für Verluste und Schäden, die Unterstützung bei der Umstellung (insbesondere garantierte Einkommen für die betroffenen Beschäftigten) und die Erholung der Ökosysteme zum Ziel haben. Bis zum Jahr 2050 werden dafür mehrere Billionen Dollar benötigt. Wer soll das bezahlen? Diejenigen, die für die Katastrophe verantwortlich sind: multinationale Unternehmen, Banken, Pensionsfonds, imperialistische Staaten und die Reichen des Nordens und des Südens. Die ökosozialistische Alternative erfordert ein umfassendes Programm zur Steuerreform und zum radikalen Abbau von Ungleichheit, um das Geld dort zu holen, wo es ist: durch progressive Besteuerung, Aufhebung des Bankgeheimnisses, ein einsehbares Kataster des Landbesitzes, die Besteuerung von Vermögen, eine außerordentliche hohe Erbschaftssteuer auf Landbesitz, die Beseitigung von Steueroasen, Abschaffung der Steuerprivilegien für Unternehmen und Reiche, Öffnung der Geschäftsbücher von Unternehmen, Deckelung hoher Einkommen, Abschaffung von als „illegitim“ anerkannten öffentlichen Schulden (ohne Entschädigung, außer für Kleinanleger:innen), Entschädigung der abhängigen Länder für die Kosten des Verzichts auf die Ausbeutung ihrer fossilen Ressourcen (etwa das Yasuni-Park-Projekt) durch reiche Länder. Vor allem: Eine wirkliche ökosozialistische demokratische Planung ist ohne die Vergesellschaftung der Banken nicht möglich. „Kredit für das Gemeinwohl“ bedeutet die Abschaffung des Profits bei der Festlegung von Zinssätzen und Transaktionsmargen, die Unterstützung der öffentlichen Funktion des Kredits im Interesse der Bevölkerung und die Gewährleistung der öffentlichen und genossenschaftlichen Rolle der Banken.

4.5. Keine Emanzipation ohne antirassistischen Kampf

Rassistische Unterdrückung ist ein struktureller und strukturierender Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Sie sorgte für die ursprüngliche Kapitalakkumulation durch Kolonisierung und den Handel mit versklavten Schwarzen. Die gewaltsame Vertreibung von Millionen von Afrikanern, ihre Vermarktung in Amerika und die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sorgten für die Bereicherung Europas und garantieren noch heute Privilegien der Eliten.

Rassismus ist ein zentrales Moment der Unterdrückung von Teilen der Arbeiterklasse. Er behält bestimmte Positionen und gesellschaftliche Chancen den Weißen (den vermeintlich „universellen Subjekten“) vor; von Rassismus betroffenen Menschen weist er andere Plätze zu. Er durchdringt alle sozialen Beziehungen und verstärkt die Mechanismen der Ausbeutung und der Anhäufung von Reichtum durch die Bourgeoisie. Vielfalt, die von den Normen des Weiß-Seins abweicht, wirdUnterdrückung verwandelt.

Der Aufbau einer neuen Welt, die frei von jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung ist, erfordert einen entschlossenen Kampf gegen den Rassismus. Das ist eine zentrale Aufgabe der ökosozialistischen Strategie. Wir müssen mit der völkermörderischen Logik gegen nicht-weiße Gruppen brechen und den Kampf gegen Gefängnisse und die massenhafte Inhaftierung nicht-weißer Personen, die gemäß der neoliberalen Taktik mit dem sogenannten Krieg gegen Drogen gerechtfertigt wird, verstärkt aufnehmen.

Nicht nur der Kampf gegen die Militarisierung der Polizei muss im Mittelpunkt eines antirassistischen Kampfes stehen, es muss auch der Zugang zu angemessenen Lebensbedingungen für alle angestrebt werden. Es ist notwendig, sich gegen jegliche Austeritätspolitik zu stellen, da sie die Arbeiterklasse insgesamt ins Prekariat abdrängtund vor allem nicht-weiße Menschen verstärkt trifft. Damit wird auch die Umweltpolitik rassistisch, denn die tödlichen Folgen der kapitalistischen Produktion werden ungleich verteilt.

4.6. Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit auf der Erde! Niemand ist illegal!

Die Umweltkatastrophe ist ein Motor, der Migration und Vertreibung rasant beschleunigt. Zwischen 2008 und 2016 wurden im Jahresdurchschnitt 21,5 Millionen Menschen durch wetterbedingte Ereignisse zwangsumgesiedelt. Die meisten von ihnen sind arme Menschen aus armen Ländern, die in andere Teile ihres Landes oder in arme Nachbarländer vertrieben wurden. Es wird erwartet, dass die durch den Klimawandel ausgelöste Migration in den kommenden Jahrzehnten stark zunehmen wird. Bis 2050 könnten weltweit 1,2 Milliarden Menschen zur Flucht gezwungen sein. Anders als Asylsuchende haben „Klimaflüchtlinge“ keinen legalen Status. Sie tragen keine Verantwortung für die ökologische Katastrophe, aber der eigentliche Verursacher – das kapitalistische System – zwingt sie, die Schar jener 108,4 Millionen Menschen weiter zu vergrößern, die im Jahr 2020 weltweit aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen vertrieben wurden. Die Grundrechte dieser Menschen – das Recht auf Schutz vor Gewalt, auf ausreichend Wasser und Nahrung, auf sichere Unterkunft, auf Familienleben und auf einen angemessenen Arbeitsplatz – sind ständigen Angriffen ausgesetzt. Immer mehr Menschen (4,4 Millionen, wahrscheinlich sind es mehr) werden von dem UNHCR [6] sogar als staatenlos eingestuft. All das steht im Widerspruch zu elementarster Gerechtigkeit und spielt den Faschisten in die Hände, die Migrant:innen zu Sündenböcken machen und ihnen das Mensch-Sein absprechen. Das ist eine immense Bedrohung für die demokratischen und sozialen Rechte aller Menschen. Als Internationalist:innen kämpfen wir für eine restriktive Politik gegen das Kapital, nicht gegen Migrant:innen. Wir sind gegen den Bau von Mauern, die Internierung in speziellen Zentren, den Bau von Lagern, Ausweisungen, Abschiebungen und gegen rassistische Rhetorik. Niemand ist illegal auf der Welt; alle müssen das Recht haben, sich frei zu bewegen. Die Grenzen müssen für alle offen sein, die aus ihrem Land fliehen, sei es aus sozialen, politischen, wirtschaftlichen oder ökologischen Gründen.

4.7. Unnötige und schädliche Wirtschaftszweige abschaffen

Um die Klimakatastrophe und den Rückgang der Artenvielfalt zu verhindern, muss der Endenergieverbrauch auf globaler Ebene umgehend und spürbar reduziert werden. Daran führt kein Weg vorbei. Zu den ersten Schritten gehören die drastische Verringerung der Kaufkraft der Reichen, der Verzicht auf Fast Fashion, auf Werbung, auf Luxusprodukteund Luxuskonsum (Kreuzfahrten, Yachten, Privatjets, Privathubschrauber, Weltraumtourismus usw.) sowie die Einschränkung der Massenproduktion von Fleisch und Milchprodukten und die Beendigung der geplanten Obsoleszenz von Produkten, also die Verlängerung ihrer Lebensdauer und ihre einfache Reparierbarkeit. Strukturell gesehen sind Einschränkungen beim Energieverbrauch nur dann realistisch, wenn nutzlose und schädliche wirtschaftliche Tätigkeiten so schnell wie möglich reduziert werden. Dabei sind vor allem folgende Produktionszweige zu berücksichtigen: die Waffenproduktion, fossile Energie und Petrochemie, die extraktive Industrie, nicht-nachhaltige Produktionsweisen, die Holz- und Zellstoffindustrie, der Bau von Personenkraftwagen, Flugzeugen und Schiffen, Verpackungsindustrie usw.Gütertransporte auf dem Luft- und Seeweg sollten durch Produktionsverlagerungen drastisch reduziert und durch Schienenverkehr ersetzt werden, wo immer das möglich ist.

4.8. Ernährungssouveränität! Raus aus der Agrarindustrie, der industriellen Fischerei und der Fleischindustrie

Die Agrarindustrie, die industrielle Fischerei und die Fleischindustrie stellen eine ernsthafte Bedrohung für das Klima, die Gesundheit der Menschen und die Artenvielfalt dar. Ihre Beseitigung erfordert Maßnahmen im Bereich der Produktion, aber auch erhebliche Veränderungen des Konsumverhaltens (in den Industrieländern und bei den Reichen in allen Ländern) sowie eine andere Beziehung zu denLebewesen. Es bedarf einer pro-aktiven Politik, um die Entwaldung aufzuhalten und die Agrarindustrie, die industriellen Baumplantagen und die Großfischerei durch kleinbäuerliche Agrarökologie, Ökoforstwirtschaft bzw. Kleinfischerei zu ersetzen. Diese Formen der Bewirtschaftung verbrauchen weniger Energie, beschäftigen mehr Arbeitskräfte und nehmen mehr Rücksicht auf die Artenvielfalt. Kleinbauern/bäuerinnen und Fischer sind von der Allgemeinheit angemessen zu entschädigen, nicht nur für ihren Beitrag zur menschlichen Ernährung, sondern auch für ihren Beitrag zur Ökologie.

Die Rechte der indigenen Völker auf den Wald und andere Ökosysteme müssen geschützt und der weltweite Fleischkonsum muss drastisch reduziert werden, vor allem in Ländern und sozialen Schichten, die viel Fleisch konsumieren. Dafür braucht es gravierende Einschnitte bei der Fleisch- und Milchindustrie sowie die Förderung einer Ernährungsweise, die vorwiegend auf lokaler Gemüseproduktion beruht. So lässt sich auch die unwürdige Behandlung von Tieren in der Fleischindustrie und in der industriellen Fischerei beenden.

Vorrangiges Ziel ist die Ernährungssouveränität im Sinne der Vorschläge von Via Campesina. Das erfordert eine radikale Agrarreform: das Land denjenigen, die es bearbeiten, insbesondere den Frauen; Enteignung der Großgrundbesitzer und der kapitalistischen Agrarindustrie, die Waren für den Weltmarkt produzieren; Verteilung von Land an Kleinbauern/bäuerinnenund Landlose (Familien oder Genossenschaften) zugunsten einer biologischen Landwirtschaft; Verbot gentechnisch veränderter Organismen (GVO) im Freiland und giftiger Pestizide (angefangen bei denjenigen, deren Verwendung in den imperialistischen Ländern verboten, deren Export in die abhängigen Länder jedoch zugelassen ist).

4.9. Mit anderen Lebewesen koexistieren, das Artenmassaker stoppen

Die Achtung nicht-menschlichen Lebens ist unerlässlich, um die Bedingungen für die Fortpflanzung und Evolution der menschlichen Spezies zu erhalten. Produktionsmethoden müssen von vornherein die Beziehungen zu anderen Lebewesen berücksichtigen. Gegen die Patentierung von Lebewesen, die Zerstörung von Feuchtgebieten und die Ausbeutung des Meeresbodens müssen umgehend Maßnahmen ergriffen werden. Schutzgebiete für Wildtiere und Pflanzen müssen ausgeweitet werden, auch wenn das nur teilweise möglich und langfristig unzureichend ist. Dabei darf es jedoch nicht zu weiteren sozialen Ungerechtigkeiten kommen, etwa zum Nachteil der indigenen Völker und der ländlichen Gemeinschaften.

4.10. Umbau der Städte im Interesse der Menschen

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in immer größeren Städten. Gleichzeitig entvölkern sich die ländlichen Regionen; sie werden durch die Agrarindustrie und den Bergbau zugrunde gerichtetund sind zunehmend von den elementarsten Dienstleistungen abgeschnitten. Einige der größten Megastädte der Welt (Jakarta, Manila, Mexiko-Stadt, Neu-Delhi, Bombay, São Paulo und andere) befinden sich in den sogenannten Entwicklungsländern; die Zahl der Obdachlosen und der Slums, in denen Millionen von Menschen (um Karachi, Nairobi, Bagdad ...) unter unwürdigen Bedingungen leben und (im informellen Sektor) arbeiten, nimmt weiter zu. Das ist eine der schlimmsten Folgen der kapitalistischen Entwicklung und der imperialistischen Herrschaft. Neben der Gewalt erschweren Hitzewellen das Überleben in den Slums und Armenvierteln, vor allem in feuchten Klimazonen.

Die ökosozialistische Alternative steht für ein umfangreiches Programm für sozialen Wohnungsbau, begleitet von einer Stadtplanung im Interesse der Menschen und unter Mitwirkung von Verbänden der Wohnungslosen, um das Leben in den Großstädten neu zu gestalten. Das erfordert zum einen eine Arbeitsgesetzgebung zum Schutz der Beschäftigten und zum anderen eine attraktive Agrarreform, um eine Gegenbewegung zur Landflucht in Gang zu setzen.

4.11. Den Energie- und den Finanzsektor ohne Entschädigung und Rückkaufoption vergesellschaften, um so schnell wie möglich aus fossilen Brennstoffen und Atomkraft auszusteigen

Die Energiemultis und die Banken, die sie finanzieren, wollen jede Tonne Kohle, jeden Liter Öl und jeden Kubikmeter Gas bis zum Ende ausbeuten. Zuerst haben sie die Auswirkungen der CO2-Emissionen auf den Klimawandel verschwiegen und geleugnet. Heute versprechen sie alle möglichen Scheintechnologien (Handel mit „Verschmutzungsrechten“, „Emissionsausgleich“, „CO2-Kompensation“, „Kohlenstoffabscheidung, -sequestrierung und -verwertung“), betreiben Greenwashing und preisen die Atomenergie als „kohlenstoffarm“ an, um die Plünderung der Ressourcen ungehindert fortzusetzen, wobei ihnen die großen Preissteigerungen gigantische Extraprofite sichern.

Es besteht kein Zweifel: Diese profitgierigen Konzerne stürzen den Planeten über die Klimatragödie in eine außer Kontrolle geratene erdgeschichtliche Katastrophe. Gleichzeitig stehen sie an der Spitze der kapitalistischen Angriffe auf die Arbeiterklasse. Daher ist ihre Enteignung und Vergesellschaftung ein Gebot der Stunde, und zwar ohne Entschädigung und ohne Rückkaufoption. Die Abschaltung der Atomkraftwerke muss vorbereitet werden, neue dürfen nicht errichtet werden. Um die soziale und ökologische Zerstörung abzuwenden und unsere Zukunft gemeinsam in die Hand zu nehmen, ist nichts dringender als die Schaffung eines dezentralisierten und vernetzten öffentlichen Energie- und Kreditsektors unter demokratischer Kontrolle der Bevölkerung.

4.12. Die „Black Box“ der Rechenzentren öffnen, Big Tech vergesellschaften

Die Rechenzentren der großen Technologieunternehmen verbrauchen ständig mehr Energie und Kühlwasser. Sie sind „Black Boxes“: Was dort geschieht, ist durch Geschäftsgeheimnisse geschützt. Neben der Tatsache, dass diese Zentren den Überwachungskapitalismus unterstützen und befördern, Algorithmen für personalisierte Werbung entwickeln, künstlich neue Bedürfnisse erzeugen und Menschen mit „Fakenews“ zu lenken suchen, besteht ein wachsender Teil ihrer Tätigkeit in der Unterstützung von KI. Diese „Black Box“ muss geöffnet werden. Die Menschen müssen in die Lage kommen, den Energieverbrauch dieser Einrichtungen zu kontrollieren und zu entscheiden, welche Funktionen gesellschaftlich nützlich sind und welche nicht. Big-Tech- und Social-Media-Giganten müssen vergesellschaftet und demokratisch verwaltet werden, um wirklich öffentliche digitale Räume zu schaffen.

4.13. Für die Befreiung und Selbstbestimmung der Völker; gegen Krieg, Imperialismus und Kolonialismus

Wir vertreten ein internationalistisches Programm auf Grundlage sozialer Gerechtigkeit; wir treten gemeinsam mit fortschrittlichen Kräften für einen ökosozialistischen Wandel und für den Frieden zwischen den Völkern ein. Wir wenden uns gegen jegliche Politik der Unterdrückung. Deshalb sind wir gegen die NATO und andere Militärbündnisse, die die Welt in neue Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten treiben. Wir kämpfen gegen die Erhöhung der Militärbudgets, für ein Ende der Rüstungsproduktion und für die Vernichtung aller Bestände an nuklearen, chemischen, bakteriologischen und Cyberwaffen sowie für die Zerschlagung aller privaten Rüstungskonzerne. Waffen dürfen keine Ware sein; ihr Einsatz darf ausschließlich unter politischer Kontrolle zum Zweck der Verteidigung und des Schutzes vor Aggression erfolgen.

Der einzige Weg zum Frieden führt über den siegreichen Kampf für das Recht auf Selbstbestimmung und für die Beendigung von Landraub und ethnischer Säuberung. Als Internationalist:innen sind wir solidarisch mit allen Unterdrückten, die für ihre Rechte kämpfen, insbesondere in Palästina und in der Ukraine.

4.14. Beschäftigungsgarantie für alle; Gewährleistung der notwendigen Umschulung auf ökologisch nachhaltige und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten

Es darf nicht sein, dass Menschen, die in nicht-nachhaltigen oder schädlichen Branchen (z. B. Gewinnung und Verwendung fossiler Brennstoffe, Agrarindustrie, Großfischerei, Fleischindustrie) beschäftigt sind, den Preis für das kapitalistische Wirtschaftsgeschehen zahlen. Es muss eine Garantie für den Umstieg auf gesellschaftlich nützliche Arbeitsplätze geben, damit es während der gesamten Umschulung auf Tätigkeiten im öffentlichen Interessezur Deckung der tatsächlichen Bedürfnisse und zur Wiederherstellung der Ökosysteme zu keinen Einkommensverlusten kommt.

Eine solche Garantie wird die berechtigten Ängste der betroffenen Beschäftigten zerstreuen und der zynischen Instrumentalisierung dieser Ängste durch die Kapitalistenim Interesse ihrer produktivistischen und konsumfixierten Ambitionen den Wind aus den Segeln nehmen. Die Garantie auf gesellschaftlich nützliche, umweltschonende Arbeit wird die Beschäftigten in den aussterbenden Branchen ermutigen, sich fortzubilden und sich im Dialog mit der Öffentlichkeit aktiv an der Umsetzung eines Programms zu beteiligen, das allen zugutekommt. Dabei werden sie ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrung in eine sinnstiftende, emanzipatorische, wahrhaft menschliche, weil auf das Leben künftiger Generationen gerichtete Arbeit einbringen können.

4.15. Weniger und besser arbeiten; ein gutes Leben führen

Eine radikale Verringerung des Endenergieverbrauchs durch Vermeidung nutzloser und schädlicher Produktion und Konsumption hat logischerweise eine radikale Verkürzung der Zeit für bezahlte gesellschaftliche Arbeit zur Folge. Diese Verringerung muss für alle gelten. Die kapitalistische Verschwendung hat ein Ausmaß erreicht, dass durch ihre Beseitigung eine beträchtliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit (bis um die Hälfte) und eine erhebliche Senkung des Renteneintrittsalters möglich sind. Diese Tendenz wird allerdings zum Teil durch die ebenfalls notwendige Reduktion der Arbeitsintensität sowie durch die Ausweitung der erforderlichen sozialen und ökologischen Reproduktionsarbeit ausgeglichen werden (Kinder- und Altenbetreuung, teilweise Vergesellschaftung der überwiegend von Frauen unentgeltlich geleisteten Hausarbeit, Schutz der Ökosysteme). Eine demokratische Planung wird für die schrittweise Realisierung dieser Vorhaben unerlässlich sein. Der ökosozialistische Bruch mit dem kapitalistischen Wachstum geht mit einer doppelten Transformation der Arbeitswelt einher: Quantitativ werden wir weit weniger arbeiten; qualitativ wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Arbeit zu einer Tätigkeit des guten Lebens wird – eine bewusste Beziehung zwischen den Menschen (also auch zwischen Männern und Frauen) sowie zwischen den Menschen und der nicht-menschlichen Natur. Diese tiefgreifende Umgestaltung von Arbeit und Leben wird Änderungen beim Konsum mehr als nur ausgleichen. Das betrifft in erster Linie die am besten bezahlten Schichten der Arbeiterklasse, vor allem in den entwickelten Ländern.

4.16. Vermeiden, wiederverwenden, recyceln

Die Konzepte des Produktlebenszyklus, des Recyclings, der Reparatur und der Kreislaufwirtschaft sind von wesentlicher Bedeutung. Ihre konsequente Anwendung erfordert eine Produktion, die auf die Befriedigung wirklicher menschlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist. Das Entstehen von Abfällen ist jedoch eine unvermeidliche Realität des gesellschaftlichen Lebens.

Daher ist es unerlässlich, über Mittel für ihre Entsorgung, Behandlung und Wiederverwendung zu verfügen, die weder Mensch noch Umwelt schädigen. Neben einer drastischen Verringerung des Verbrauchs ist es daher notwendig, geeignete Methoden zur Behandlung organischer Abfälle (z. B. Kompostierung) einzuführen und Techniken für das Recycling und die Wiederverwendung sonstiger Abfälle zu entwickeln, die sich auf die Wissenschaft und auf das Wissen der in der Abfallsammlung und -verwertung organisierten Beschäftigten stützen. Eine ökosozialistische Politik wird auch auf die Sammlung und Behandlung von Krankenhausabfällen sowie von kontaminierten oder giftigen Abfällen achten und dabei die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft so gering wie möglich halten.

4.17. Das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und auf ein Leben ohne Gewalt sicherstellen

Die Menschheit wird nicht in der Lage sein, ihre Beziehung zur nicht-menschlichen Natur bewusst zu gestalten, ohne ihre Beziehung zu sich selbst bewusst zu gestalten. Das betrifft vor allem die eigene biologische Reproduktion durch den Körper der Frau. Es ist kein Zufall, dass die patriarchalen Angriffe auf die Rechte der Frauen weltweit zunehmen, denn diese Angriffe sind integraler Bestandteil von politischen Projekten, die darauf abzielen, starke Staaten im Dienst der Reichen und der Kapitalisten zu etablieren. Sie erfolgen meist im Namen einer reaktionären „Pro-Life“-Ideologie, die im Übrigen auch den menschengemachten Klimawandel leugnet. Neben diesen reaktionären Kräften gibt es auch technokratische Strömungen, die die ökologische Krise auf die „Überbevölkerung“ schieben und so versuchen, eine autoritäre Politik der Geburtenkontrolle durchzusetzen. Angesichts dieser doppelten Bedrohung halten wir daran fest, dass keine Moral, kein höherer Grund, auch kein ökologischer, geltend gemacht werden kann, um Frauen ihr elementares Recht abzusprechen, über ihre eigene Fruchtbarkeit zu bestimmen. Frauen dieses Recht zu verweigern, entspricht den sonstigen Herrschaftsmechanismen des Patriarchats in seiner kapitalistischen Gestalt; es entspricht der „menschlichen Herrschaft“ über die nicht-menschliche Natur. Es gibt aber keine menschliche Emanzipation ohne Frauenemanzipation. Das bedeutet in erster Linie, dass Frauen freien Zugang zu Verhütungsmitteln (einschließlich Aufklärung über ihre Anwendung), zur Abtreibung und ganz allgemein zu reproduktiver Gesundheitsversorgung haben müssen. Dazu gehört auch der Kampf gegen alle Formen von physischer, psychischer, sozialer oder medizinischer Gewalt gegen Frauen und LGBTQI+-Personen.

4.18. Wissen ist ein gemeinsames Gut. Reform des Bildungswesens und der Forschung

Wissen ist ein gemeinsames Gut der Menschheit. Für die Umsetzung des ökosozialistischen Sofortprogramms bedarf es dringend einer raschen Befreiung des Wissens von neokolonialen und Kapitalinteressen – und zwar mit Hilfe einer großen Zahl an gut ausgebildeten Lehrer:innen und Forscher:innen aller Disziplinen. Es geht um eine Reform des Bildungswesens und den Ausbau öffentlicher Schulen und Universitäten. Jegliche Diskriminierung im Bildungswesen, der in bestimmten Ländern vor allem Mädchen zum Opfer fallen, muss beendet werden.

Indigenes Wissen und indigene Erfahrungen müssen anerkannt und herangezogen werden. In der Forschung sind weitreichende Reformen erforderlich, um ihrer Unterwerfung unter das Kapital ein Ende zu setzen. Der Schwerpunkt muss dabei auf einer Wiederherstellung der Ökosysteme und auf der Befriedigung der Bedürfnisse der arbeitenden Klassen liegen – und zwar im Dialog mit den Betroffenen.

4.19. Hände weg von den demokratischen Rechten! Kontrolle durch die Bevölkerung und Selbstorganisation der Kämpfe

Da die herrschende Klasse nicht in der Lage ist, die von ihr verursachte ökologische Katastrophe einzudämmen, verschärft sie ihr Regime, kriminalisiert den Widerstand und findet Sündenböcke. Ihre Politik ebnet den Weg für einen nihilistischen, nationalistischen, rassistischen und machistischen Neofaschismus. Während die Bourgeoisie ihre Maske fallen lässt, tritt der Ökosozialismus für eine Erweiterung der Rechte und Freiheiten ein: Vereinigungs-, Demonstrations- und Streikrecht, freie Wahl der parlamentarischen Organe in einem Mehrparteiensystem, Verbot der privaten Bezahlung politischer Parteien, Legalisierung von Basisinitiativen zur Abhaltung von Volksabstimmungen, Abschaffung undemokratischer Institutionen (etwa autonomen Zentralbanken), kein Privateigentum an den wichtigsten Kommunikationsmitteln, Abschaffung der Zensur, für den Kampf gegen die Korruption, für die Auflösung privater Milizen, für die Achtung der Rechte und Territorien der indigenen Gemeinschaften und anderer unterdrückter Völker usw. Eine ökosozialistische Gesellschaft lässt sich nicht ohne breiteste Demokratie verwirklichen. All das lässt sich am besten vorbereiten über die demokratische Selbstorganisation von Basisbewegungen, die Forderung nach Transparenz und Kontrolle auf allen Ebenen undVetorechte der Bevölkerung.

4.20. Für eine Kulturrevolution in Einklang mit der Achtung vor dem Leben und der „Liebe für Pachamama“

Ein radikaler Bruch mit der Ideologie der Herrschaft des Menschen über die Natur ist für die Entwicklung einer ökologischen und (öko)feministischen Kultur der „Fürsorge“ für Mensch und Umwelt unerlässlich. Insbesondere der Schutz der Artenvielfalt kann sich nicht allein auf die „Vernunft“ (das menschliche Interesse im engeren Sinn) verlassen. Hier sind auch Einfühlungsvermögen, Respekt, Umsicht und eine globale Sichtweise vonnöten, wie sie von den indigenen Völkern mit dem Begriff „Liebe für Pachamama“ zum Ausdruck gebracht wird. Die Aufrechterhaltung oder Wiederaneignung dieser Weltsicht – in den Kämpfen, im künstlerischen Schaffen, über Bildung sowie durch Produktions-/Konsumalternativen – stellt eine große ideologische Herausforderung im ökosozialistischen Kampf dar. In der westlichen Moderne hat sich die Vorstellung vom Menschen als gottähnlichesWesen durchgesetzt, der den Auftrag habe, die Natur zu beherrschen und Tiere zum eigenen Vorteil zu nutzen und auf eine Stufe mit Maschinen zu stellen. Diese nicht-materialistische Konzeption, die eng mit kolonialen und patriarchalen Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, wird durch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegt: Wir sind Teil der lebendigen Erde; menschliches Leben wäre ohne das Netzwerk des Lebens auf diesem Planeten unmöglich.

4.21. Selbstverwaltete ökosozialistische Planung

Der ökosozialistische Übergang, insbesondere die Umwandlung des Energiesektors (Ausstieg aus Atomenergie und fossilen Brennstoffen, Energieeinsparung und Ausbau der erneuerbaren Energien), muss geplant werden. Im Gegensatz zu gängigen Behauptungen steht Planung nicht im Widerspruch zu Demokratie und Selbstverwaltung. Das katastrophale Beispiel der Länder des sogenannten „real existierenden Sozialismus“ zeigt lediglich, dass Selbstverwaltung unvereinbar ist mit einer autoritären, bürokratischen und von oben verordneten Planung, die alle demokratischen Grundsätze missachtet.

Was verstehen wir unter demokratischer ökosozialistischer Planung? Sie bedeutet, dass es Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, die Prioritäten der Produktion und die Höhe der Mittel, die in Bildung, Gesundheit oder Kultur fließen müssen, demokratisch festzulegen. Weit davon entfernt, „despotisch“ zu sein, bedeutet demokratische ökosozialistische Planung in der Praxis Entscheidungsfreiheit auf allen Ebenen der Gesellschaft, von der lokalen Ebene über die nationale bis zur globalen. Das ist unerlässlich, um sich von den entfremdeten und verdinglichten „ökonomischen Gesetzen“ und „eisernen Sachzwängen“ der kapitalistischen und bürokratischen Strukturen zu befreien. Eine demokratische Planung, verbunden mit einer Verkürzung der Arbeitszeit, wäre ein beträchtlicher Fortschritt der Menschheit in Richtung dessen, was Marx „das Reich der Freiheit“ genannt hat. Mehr freie Zeitist eine Voraussetzung für die Beteiligung der arbeitenden Bevölkerung an demokratischen Diskussionen und an der Selbstverwaltung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Dabei geht es um größere wirtschaftliche Entscheidungen, also nicht um lokale Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, kleine Läden oder Handwerksbetriebe. Ebenso ist zu betonen, dass ökosozialistische Planung nicht im Widerspruch zur Selbstverwaltung der Beschäftigten in ihren Produktionseinheiten steht. Selbstverwaltung bedeutet demokratische Kontrolle der Planung auf allen Ebenen: lokal, regional, national, kontinental und global, denn ökologische Fragen wie der Klimawandel stellen sich global und können nur global mit Aussicht auf Erfolg angegangen werden. Eine ökosozialistische demokratische Planung steht aber im Gegensatz zu dem, was oft als „zentrale Planung“ bezeichnet wird, weil Entscheidungen eben nicht von einem „Zentrum“ getroffen werden, sondern demokratisch und gemäß dem Subsidiaritätsprinzip von den jeweils betroffenen Menschen: Die Verantwortung für erforderliche öffentliche Maßnahmen muss der jeweils kleinsten Einheit übertragen werden, die in der Lage ist, die Angelegenheit selbst zu entscheiden.


5. Globaler materieller Rückbau (Degrowth) im Rahmen der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung


Es wird keine Lösung auf nationaler Ebene geben; eine gerechte ökosozialistische Alternative kann zwar in einem Land beginnen, aber ihre vollständige Umsetzung erfordert die Abschaffung des Kapitalismus auf globaler Ebene. Daher brauchen die Ausgebeuteten und Unterdrückten eine konsequente antikapitalistische, antiimperialistische, antirassistische und internationalistische Strategie, die auf eine globale Lösung abzielt. Eine solche Strategie muss die Kämpfe zusammenführen, die sich unter extrem unterschiedlichen Bedingungen entfalten. Der Eckpfeiler eines ökosozialistischen Programms – der Bruch mit dem kapitalistischen Wachstum – gilt zwar überall auf der Welt; doch sind in jedem Land andere Schwerpunkte zu setzen. Je nach ihrer Rolle in der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung des Kapitalismus unter imperialistischer Herrschaft sind manche Forderungen in einigen Ländern dringlicher als in anderen.

Nach Jahrhunderten der Sklaverei und der kolonialen Ausplünderung sind die Menschen in den sogenannten „Entwicklungsländern“ Opfer einer neuen gewaltigen Ungerechtigkeit. Obwohl ihre Verantwortung für die Treibhausgasemissionen gering ist und in den ärmsten Ländern fast bei null liegt, so stehen doch 3,5 Milliarden Frauen, Männer und Kinder durch die klimatischen Veränderungen, die durch zweihundert Jahre imperialistisch-kapitalistisches Wachstum verursacht wurden, an vorderster Front der Katastrophen und werden von diesen immer härter getroffen.

Die Menschen in den abhängigen Ländern haben ein Grundrecht auf menschenwürdige Lebensbedingungen. Imperialistische Regierungen, internationale Institutionen und die Regierungen der peripheren Länder behaupten, dass kapitalistisches Wachstum die Menschen im Süden in die Lage versetzen werde, den Lebensstandard der entwickelten kapitalistischen Länder „einzuholen“. Alles, was es bräuchte, sei eine „gute Regierungsführung“, um die Gesellschaft an die Bedürfnisse des globalen Marktes „anzupassen“. Das ist eine Sackgasse, was schon daran ersichtlich ist, dass die Schere zwischen den Ländern und zunehmend auch innerhalb eines Landes immer weiter auseinandergeht. Zugleich aber schwindet rasch das „Kohlenstoffbudget“, das gerade noch zur Verfügung steht, um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu verfehlen.

Das imperialistische Entwicklungsmodell zwingt die abhängigen Länder in eine neokoloniale Position der Unterordnung. Diese Länder werden als Lieferanten von Rohstoffen und billigen Arbeitskräften, als Lieferanten von pflanzlichen und tierischen Produkten für den Export und als Müllabladeplätze missbraucht – unter anderem als CO2-Senken, die sich die Kapitalisten für ihren Profit aneignen. Sie sind die ersten Opfer der ökologischen Krise. Hinzu kommt neuerdings die skandalöse Politik der Industrieländer, die abhängigen Länder dafür zu bezahlen, die Rolle einer Grenzpolizei zu spielen. Dafür sind auch die lokalen korrupten „Eliten“ verantwortlich.

Das Gerede vom „Aufschließen des Südens an den Norden“ ist bloß eine Schimäre, ein Ablenkungsmanöver, um die Fortsetzung der kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutung und die wachsende Ungleichheit zu verschleiern. Mit der Zunahme von Umweltkatastrophen verliert dieses Gerede die letzte Glaubwürdigkeit.

Die multipolare Welt der BRICS [7] ist keine Alternative zum Imperialismus, wie die Politik Russlands und Chinas, der beiden Hauptakteure dieser geostrategischen Allianz, zeigt. Ihre autokratischen Führer stehen nicht gegen die imperialistischen und repressiven Praktiken des „klassischen“ westlichen Imperialismus – sie wollen bloß die gleichen Rechte haben. Sie stoßen sich auch nicht an der Diskrepanz zwischen den in westlichen Staaten bestehenden formalen Rechten und der dort herrschenden Realität, sondern lehnen diese Rechte (von Arbeiter:innen, Frauen, LGBTQI+ usw.) grundsätzlich ab. Putin will mit Gewalt und Zwang wieder ein Kolonialreich errichten. Unter Ausnutzung der riesigen Reserven an fossilen Brennstoffen sucht er Allianzen mit den Ölmonarchien, mit anderen Diktaturen und mächtigen Akteuren der Energiewirtschaft sowie mit dem organisierten Verbrechen, um die fossilen Brennstoffe so lange wie möglich auszubeuten. Die Kommunistische Partei Chinas erklärt den Ländern des Südens, dass sie die Fremdherrschaft abschütteln und sich entwickeln können, wenn sie den Neuen Seidenstraßen beitreten. Aber das Streben der VR China nach globaler kapitalistischer Hegemonie trägt wesentlich zur ökologischen Zerstörung und der Akkumulation durch Enteignung bei.

Jetzt ist nicht die Zeit zum „Aufholen“, sondern zum globalen Teilen. Die große Mehrheit der arbeitenden Menschen, der Frauen, der Jugend, der ethnischen Minderheiten – im „Norden“ wie in den abhängigen Ländern – ist Opfer des Klimawandels. Laut wissenschaftlicher Analyse der kapitalistischen Klimapolitik wird das reichste Prozent bis 2030 noch mehr CO2 ausstoßen als bisher, die armen 50 % werden etwas mehr ausstoßen, aber weit unter dem Niveau der individuellen Emissionen bleiben, das mit dem 1,5°C-Ziel vereinbar ist. Den größten Teil der Emissionsreduktion werden die mittleren 40 % zu tragen haben (wobei den unteren Einkommensschichten in den reichen Ländern vergleichsweise die größte Last aufgebürdet wird). Das ist der Ausgangspunkt für den internationalen Kampf um Gerechtigkeit und Gleichheit. Das noch vorhandene bescheidene Kohlenstoffbudget muss und kann entsprechend den historischen Verantwortlichkeiten und Kapazitäten aufgeteilt werden – und zwar nicht nur zwischen einzelnen Ländern, sondern zunehmend zwischen den Klassen. Bodenschätze und der Reichtum der Artenvielfalt müssen sorgfältig und entsprechend den tatsächlichen Bedürfnissen aller genutzt werden.

Die Kapitalisten in den imperialistischen Ländern sind mit Abstand die Hauptverantwortlichen für die ökologische Krise und müssen daher für die Folgen aufkommen. Die Kosten müssen jedoch auch von Ländern wie den „Ölmonarchien“, Russland und China getragen werden, auch wenn ihre historische Verantwortung geringer ist. Die größten Anstrengungen im Sinn eines raschen Rückgangs aller nutzlosen bzw. schädlichen Produktionen müssen die Industrieländer des „Nordens“ – Europa, Nordamerika, Australien, Japan – unternehmen. Sie haben auch die Pflicht, den abhängigen Ländern Zugang zu alternativen Technologien zu verschaffen sowie für die Finanzierung eines ökologischen Übergangs und für eine echte Wiedergutmachung für Verluste und Schäden zu sorgen. Die Abschaffung von Patenten muss den Völkern des Südens den freien Zugang zu Technologien ermöglichen. Diese müssen dem tatsächlichen Bedarf entsprechen, ohne noch mehr fossile Energie zu verbrauchen.

Zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse brauchen die Menschen in den abhängigen Ländern ein Entwicklungsmodell, das dem imperialistischen und produktivistischen Modell radikal entgegengesetzt ist. Ein Modell, das nicht die Produktion von Waren für den Weltmarkt, sondern öffentliche Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung, Wohnen, Verkehr, Abwasserentsorgung, Strom, Trinkwasser) für die Masse der Bevölkerung in den Vordergrund stellt. Ein Modell, das es der Bevölkerung erlaubt, Nein zu sagen. Ein antikapitalistisches und antiimperialistisches Modell, das es möglich macht, die Monopole im Finanzsektor, im Bergbau, in der Energiewirtschaft und der Agrarindustrie zu enteignen und unter demokratischer Kontrolle zu vergesellschaften.

Besonders in den ärmeren Ländern wird die Notwendigkeit, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, für eine gewisse Zeit eine Steigerung der materiellen Produktion und des Energieverbrauchs erfordern. Im Rahmen des alternativen Entwicklungsmodells und einer Neugestaltung der internationalen Handelsbeziehungen wird der Beitrag dieser Länder zum globalen ökosozialistischen Degrowthund zur Achtung des ökologischen Gleichgewichts aus folgenden Maßnahmen bestehen:

Durch ihre Kämpfe können die Massen in den abhängigen Ländern entscheidend dazu beitragen, die Ausgebeuteten der ganzen Welt für diesen Weg zu gewinnen. Er ist als einziger sowohl mit den Menschenrechten als auch mit den Grenzen des Planeten vereinbar.


6. Gegen den Strom. Die Kämpfe zusammenführen, um mit dem kapitalistischen Produktivismus zu brechen. Die Regierungsgewalt ergreifen, den ökosozialistischen Bruch auf der Grundlage von Eigeninitiative, Selbstorganisation, Kontrolle von unten und breitester Demokratie in Gang setzen


Die kapitalistische Akkumulation und die imperialistische Ausplünderung der Menschheit haben die Wirtschaft, den Staat, die Politik der Bourgeoisie und die internationalen Beziehungen in eine ökosoziale Sackgasse gestürzt. Auf der ganzen Welt leben die Ausgebeuteten und Unterdrückten in Angst und Sorge.

Gegen den Strom entwickeln sich Bewegungen des Widerstands. Selbst unter extrem schwierigen Bedingungen setzen sich Menschen für ihre sozialen, demokratischen und ökologischen Rechte ein sowie für die Rechte von Frauen, LGBTQI+-Personen, für von Rassismus und Imperialismus betroffene Menschen, für die indigenen Völker und die Landbevölkerung. Es wurden bedeutende Kämpfe geführt und manchmal bemerkenswerte Siege errungen: die Gelbwestenbewegung und die Bewegung zur Verteidigung der Renten in Frankreich, der ökosozialistische Kampf der GKN-Fabrikarbeiter in Italien (Florenz), der Kampf der Autoarbeitergewerkschaft in den Vereinigten Staaten, die Schließung einer Kupfermine im Besitz von First Quantum in Panama im Jahr 2023, der Sieg der indischen Bauern gegen die Modi-Regierung, der Sieg der „Zadist:innen“ [10] in Frankreich gegen den Flughafen von Notre-Dame-des-Landes, der Sieg der argentinischen Frauen im Kampf um das Recht auf Abtreibung, der Sieg der Sioux in den USA gegen die XXL-Pipeline ... Aber der Feind ist in der Offensive, und viele Kämpfe waren nicht erfolgreich. Unsere Aufgabe als Aktivist:innen der Vierten Internationale besteht darin, die Organisierung zu unterstützen, um die Kämpfe voranzutreiben. Dabei bringen wir unsere ökosozialistische und internationalistische Perspektive ein.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist zwar reich an Kämpfen für den Gesundheitsschutz der arbeitenden Menschen und für den Schutz der Umwelt, aber der Produktivismus der hegemonialen Kräfte der Linken (der linken Parteien und der Gewerkschaften) ist ein schwerwiegendes Hindernis auf dem Weg zu einer ökosozialistischen und der objektiven Lage angemessenen Lösung. Die meisten Partei- und Gewerkschaftsführungen haben jegliche antikapitalistische Perspektive aufgegeben. Die Sozialdemokratie und alle anderen Spielarten des Reformismus sind neoliberal geworden. Ihr einziges Interesse besteht darin, den Markt durch ein paar soziale Maßnahmen innerhalb des neoliberalen Rahmens zu korrigieren. Die meisten Führungen der großen Gewerkschaften hegen die Illusion, dass die Arbeitsbedingungen, die Löhne und die soziale Absicherung durch kapitalistisches Wachstum auch im Neoliberalismus verbessert werden können. Anstatt ein Bewusstsein für die ökosoziale Sackgasse zu schaffen, führt diese Politik der Klassenkollaboration nur noch tiefer in die Sackgasse und verschleiert den Ernst der Lage.

Zum Glück beginnen einige politische Kräfte und gewerkschaftliche Strömungen – vor allem in Europa, den USA und Lateinamerika – sich von Produktivismus und Neoliberalismus zu lösen. So haben Gewerkschaftsaktivist:innen, die sich der ökologischen Herausforderung bewusst sind, das Konzept des „gerechten Übergangs“ entwickelt. Die Sozialdemokratie und der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) haben sich dieses Konzept angeeignet und missbrauchen es, um nach produktivistischer Logik die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu stärken. Die herrschende Klasse war schon immer Expertin in Sachen Manipulation. So fand auch der „gerechte Übergang“ – wie bereits zuvor das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ – Eingang in die Rhetorik von Regierungen, die die Gerechtigkeit mit Füßen treten und sich um Nachhaltigkeit keinen Deut scheren.

In den „entwickelten“ kapitalistischen Ländern zählen mittlerweile auch die Grünen zu den traditionellen Kräften. Vier Jahrzehnte nach ihrem Aufkommen hat sich die große Mehrheit der Grünen Parteien den politischen Verwaltern des Kapitalismus angeschlossen. Ihr Pragmatismus setzt auf „Eigenverantwortung“ der Konsument:innen und hat über zahlreiche Umweltverbände Eingang in die Zivilgesellschaft gefunden. Das ermöglichte der Sozialdemokratie und den traditionellen Gewerkschaftsführungen, ihre Klassenzusammenarbeit zu verschleiern und mittels Ökosteuern und anderen sogenannten „realistischen“ Lösungen einer „weder linken noch rechten“ Ökologie für das „kleinere soziale Übel“ einzutreten.

In anderen Teilen der Welt gewinnen ökosozialistische Konzepte, auch wenn sie noch nicht mehrheitsfähig sind, zunehmend Einfluss auf soziale Bewegungen und die radikale Linke. Einige wichtige lokale Erfahrungen – unter anderem in Mindanao, Rojava und Chiapas – weisen Ähnlichkeiten mit der ökosozialistischen Perspektive auf. Dennoch gehen die meisten Menschen immer noch von der irrigen Meinung aus, dass nur kapitalistisches Wachstum zu einer Verbesserung der sozialen Lage führen könne.

Angesichts des Ausmaßes und der Unübersichtlichkeit der Krise besteht die reale Gefahr, dass in Teilen der Arbeiterklasse die Tendenz zunimmt, ökologische Ziele auf dem Altar der wirtschaftlichen Entwicklung, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Steigerung der Einkommen zu opfern. Obwohl diese Klasse schon heute zu den ersten Opfern zählt, würde diese Tendenz die Katastrophe nur verschärfen und den Legitimationsverlust der Gewerkschaften w eiter verstärken. Sie wäre auch der Nährboden für neofaschistische Bestrebungen, ihre rassistischen, kolonialistischen und völkermörderischen Projekte in ein grünes Gewand zu kleiden. Zielscheibe solcher Hasskampagnen sind in erster Linie die Menschen, die aus ihren zerstörten Ländern fliehen.

Das sozialistische Projekt ist durch die Geschichte des Stalinismus und der Sozialdemokratie zutiefst diskreditiert. Wir müssen eine Alternative neu erfinden, und zwar aus den Kämpfen heraus, nicht aus den Dogmen.

Wer steht heute an vorderster Front der ökosozialen Bewegungen? Es sind die indigenen Völker, Jugendliche, Kleinbauern/bäuerinnen und rassistisch unterdrückte Menschen, die alle einen hohen Preis für die soziale und ökologische Zerstörung zahlen. In diesen vier Gruppen spielen Frauen mit ihren spezifischen, ökofeministischen Forderungen, für die sie autonom kämpfen und sich organisieren, eine entscheidende Rolle.

Via Campesina, das internationale Bündnis von Kleinbauern/bäuerinnen und Landarbeiter:innen, liefert viele Beispiele, die zeigen, dass es möglich ist, die Verteidigung der Rechte armer Bauern und indigener Völker, den Kampf gegen Extraktivismus und Agrarindustrie, den Kampf für Ernährungssouveränität und die Erhaltung der Ökosysteme mit feministischen Forderungen zu verbinden.

Die große Mehrheit der Lohnabhängigen beteiligt sich nicht oder nur zögerlich an den antiproduktivistischen Kämpfen. Einige Aktivist:innen folgern daraus, dass der Klassenkampf überholt sei oder von einer „ökologischen Klasse“ geführt werden müsse, die allerdings nur in deren eigener Vorstellung existiert. Die Verhinderung der Katastrophe ist nur durch eine Revolution der Produktionsweise auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu bewerkstelligen. Ohne die aktive und bewusste Beteiligung der Produzent:innen – also der Mehrheit der Bevölkerung – ist das ein Ding der Unmöglichkeit.

Andere schlagen vor, darauf zu warten, bis die Masse der arbeitenden Bevölkerung, die für ihre unmittelbaren sozioökonomischen Forderungen eintritt, einen Bewusstseinsstand erreicht hat, der es ihr erlaubt, sich auf einer „Klassenlinie“ am ökologischen Kampf zu beteiligen. Doch wie lassen sich ökologische Fragen im Bewusstsein der Werktätigen verankern, wenn sie sich zunehmend in der Defensive befinden und sich auf die Verteidigung ihrer unmittelbaren sozioökonomischen Rechte beschränken? Ohne große soziale Kämpfe, die den produktivistischen Rahmen konkret infrage stellen, wird das nicht gehen. Für die Überwindung der produktivistischen Logik braucht es gesellschaftliche Initiativen und eine sorgfältige Planung des erforderlichen wirtschaftlichen Umbaus mit garantierten Arbeitsplätzen und Einkommen.

Klassenkampf ist keine leere Abstraktion. Marx definiert ihn als die „wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt“, und benennt seine Akteure und Akteurinnen. Die Kämpfe von Frauen, LGBTQI+-Personen, unterdrückten Völkern, rassistisch diskriminierten Bevölkerungsgruppen, von Migrant:innen, kleinen Bäuerinnen/Bauern und Indigenen für ihre Rechte entwickeln sich nicht nebenher und ohne Zusammenhang mit den Kämpfen der Werktätigen gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft durch die Bosse. Sie sind Teil des lebendigen Klassenkampfs.

Sie sind Teil davon, weil der Kapitalismus die patriarchale Unterdrückung von Frauen braucht, um den Mehrwert zu maximieren und die soziale Reproduktion zu geringeren Kosten sicherzustellen; er braucht die Diskriminierung von LGBTQI+-Personen, um das Patriarchat zu legitimieren; er braucht den strukturellen Rassismus, um die Ausplünderung der Peripherie durch das Zentrum besser zu rechtfertigen; er braucht die unmenschliche „Asylpolitik“, um die industrielle Reservearmee zu regulieren; er braucht die Unterwerfung der Kleinbauern/bäuerinnen unter das Diktat der Junk Foodproduzierenden Agrarindustrie, um den Preis der Arbeitskraft zu drücken; und er braucht die Beseitigung noch bestehender wertschätzender Beziehungen innerhalb menschlicher Gemeinschaften und zur Natur, um sie durch die individualistische Ideologie der Herrschaft zu ersetzen, eine Ideologie, die menschliches Zusammenleben in einen Automaten und alles Lebendige in tote Dinge verwandelt.

Indigene Völker und traditionelle Gemeinschaften stehen an vorderster Front im Kampf gegen die zerstörerische Herrschaft des Kapitalismus über ihre Körper und Territorien. In vielen Regionen sind sie sogar die Vorhut der neuen revolutionären Bewegungen der subalternen Klassen. Daher betrachten wir sie als wesentlichen Teil des revolutionären Subjekts im 21. Jahrhundert.

All diese Kämpfe sowie die Kämpfe der Arbeiter:innen gegen die kapitalistische Ausbeutung sind Teil des gemeinsamen Kampfes um menschliche Emanzipation, die nur dann wirklich möglich und der Menschheit würdig ist, wenn wir uns bewusst sind, dass unsere Spezies zur Natur gehört und dass der Mensch aufgrund seiner besonderen Intelligenz die heute unumgängliche und lebenswichtige Verantwortung hat, mit der Natur pfleglich umzugehen. Das sind unserer Meinung nach die strategischen Schlussfolgerungen, die wir aus der Tatsache ableiten, dass die zerstörerische Kraft des Kapitalismus den Planeten in ein neues geologisches Zeitalter geführt hat.

Diese Analyse liegt unserer Strategie der Konvergenz, also der Zusammenführung von sozialen und ökologischen Kämpfen zugrunde. Wann immer möglich, sollte diese Annäherung auch auf internationaler Ebene durch demokratische Foren koordiniert werden. Der Kampf ist global, und unsere Bewegung muss es auch sein.

Die Konvergenz der Kämpfe darf sich nicht darauf beschränken, unter den sozialen Bewegungen und ihren Organisationen nach dem größten gemeinsamen Nenner der Forderungen Ausschau zu halten. Eine solche Vorgehensweise könnte nämlich leicht zur Vernachlässigung der Forderungen von bestimmten Gruppen führen – zum Nachteil der Schwächsten. Und das wäre das Gegenteil von Konvergenz.

Die Konvergenz von sozialen und ökologischen Kämpfen umfasst alle Kämpfe aller sozialen Akteure/Akteurinnen, von den erfahrensten bis zu den unentschlossenen. In einem dynamischen interaktiven Prozess lässt sich das Bewusstsein über Aktionen und Debatten, die von gegenseitigem Respekt getragen sind, erweitern. Ziel ist nicht eine fix-und-fertige Plattform, sondern die Aktionseinheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten um konkrete Forderungen. Dadurch lässt sich eine Dynamik in Gang setzen, die auf die Eroberung der politischen Macht und den Sturz des Kapitalismus in der ganzen Welt abzielt.

In der Praxis bedeutet die ökosoziale Konvergenz der Kämpfe heute vor allem, dass sich die Akteure/Akteurinnen, die sich der ökologischen Gefahren am meisten bewusst sind, an jene Akteure/Akteurinnen wenden, die sich der sozialen Bedrohungen am meisten bewusst sind (und umgekehrt), um gemeinsam den falschen kapitalistischen Gegensatzzwischen sozialen und ökologischen Fragen zu überwinden.

Bei diesem Ansatz spielt das Eintreten für ein ökologisches Gewerkschaftsmodell, das sowohl klassenkämpferisch als auch antiproduktivistisch ist, eine wesentliche Rolle. Es setzt an bei den konkreten Sorgen der Werktätigen um die Sicherheit am Arbeitsplatz und um die Erhaltung ihrer Gesundheit und es weist auf die Schäden an den Ökosystemen und auf die Gefahren der Produktion hin, die am besten von den Beschäftigten selbst eingeschätzt werden können.

Als ökosozialistische Aktivist:innen unterstützen wir den Widerstand am Arbeitsplatz, also Streiks und andere Aktionsformen zur Förderung der Organisierung und Selbstverwaltung der Beschäftigten. Wir arbeiten daran, die Mobilisierungen voranzutreiben, indem wir Streiks und Demonstrationen sowie alle Formen der Selbstorganisation und der Verteidigung gegen Repressionen mit Informationskampagnen verbinden, um den Lügen der herrschenden Medien und der Regierungen entgegenzuwirken.

Wir lassen uns auch von Formen des zivilen Ungehorsams inspirieren, die ihre Wirksamkeit bewiesen haben, von der Blockade von Anlagen bis zum Boykott von Mietzahlungen. Die Erfahrungen aus den Kämpfen fließen in die strategische Debatte ein.

Antiproduktivistische Kämpfe sind vielfältig, aber zumeist ist ihr Ausgangspunkt sehr konkret, oft lokal, etwa im Widerstand gegen eine neue Verkehrsinfrastruktur (Autobahn, Flughafen usw.), eine kommerzielle oder logistische Infrastruktur, oder eine extraktivistische Infrastruktur (Bergwerk, Pipeline, Megastaudamm usw.), gegen die Aneignung von Land oder Wasser, gegen die Zerstörung eines Waldes oder eines Flusses. Menschen werden nicht so sehr aufgrund von allgemeinen Überlegungen aktiv, sondern in erster Linie wegen der unmittelbaren Bedrohung des täglichen Lebens, der Lebensgrundlagen oder der Gesundheit. Durch die Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungsträgern, Konzernen und den Institutionen, die in deren Interesse agieren, sowie durch das Schmieden von Allianzen zwischen Akteur:innen mit unterschiedlichen Geschichten und Anliegen wird der Kampf globaler und politischer.

Die Verbindung von lokalen Kämpfen für eine spezifische Forderung und gleichzeitig einer allgemeinen Stoßrichtung findet man überall auf der Welt. Sie hat eine neue politische Realität geschaffen: „Blockadia“.

Die Entstehung eines ökosozialistischen Klassenbewusstseins setzt die Konvergenz der Kämpfe voraus. Dazu können auch (junge) Wissenschaftler:innen beitragen, indem sie ihr (agronomisches, klimatisches, naturwissenschaftliches ...) Wissen nutzen und teilen.

Streikkomitees, kommunale Gesundheitszentren, Betriebsübernahmen, Landbesetzungen, Wohnanlagen, Reparaturwerkstätten, Kantinen, Saatgutbibliotheken und dergleichen in Selbstverwaltung ermöglichen das Experimentieren mit einer vom Kapitalismus befreiten Organisation der Gesellschaft. Sie ermöglichen den politisch und wirtschaftlich Entmachteten, ihre kollektive Macht und ihr kollektives Wissen zu erleben.

Die Erwartungen, mit solchen Initiativen/Modellen das System umgehen oder erweichen zu können, werden sich aber als Illusion erweisen. Früher oder später werden die Aktivist:innen mit dem Staat und dem kapitalistischen Markt zusammenstoßen. Sie werden erfahren, dass es unmöglich ist, auf die Eroberung der politischen Macht und auf den Umsturz des Systems zu verzichten.

In den Industrieländern wird der politische Generalstreik ein entscheidendes Instrument sein. Dennoch ist festzuhalten: Durch konkrete Alternativen, die – wenn auch oft nur vorübergehend – eine andere, basisnahe, demokratische und solidarische Legitimität schaffen, werden sich die Unterdrückten ihrer eigenen Stärken bewusst und können auf die Errichtung einer neuen Hegemonie hinarbeiten.

Insgesamt betrachtet steht der Aufbau von Selbstverwaltungsorganen der Bevölkerung im Mittelpunkt unserer Strategie.

Die Systemkrise des vom transnationalen Finanzwesen beherrschten „Spätkapitalismus“ ruft sowohl Abscheu vor den Verfallserscheinungen der bürgerlichen Ordnung hervor als auch ein Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der tiefgreifenden quantitativen und qualitativen Verschlechterung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen. In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage der Regierung zunehmend an Bedeutung. Die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse ist Voraussetzung für die Verwirklichung eines Programms, das mit der herrschenden Politik bricht. Allerdings haben die vergangenen Jahre die tödlichen Illusionen diverser politischer Projekte sichtbar gemacht, die die Anliegen der Bevölkerung ausnutzen, Proteste kanalisieren oder im Namen einer Realpolitik sogar abwürgen, wovon anschließend die extreme Rechte profitiert.

Es gibt keine Abkürzung. Eine ökosozialistische Strategie des Bruchs mit den bestehenden Verhältnissen schließt den Kampf der Massen um die Macht und für ein Übergangsprogramm ein, das sich auf Selbstaktivität, auf Kontrolle und direkte Intervention der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf allen Ebenen der Gesellschaft stützt. Ohne ein Kräfteverhältnis, das auf dieser Selbstorganisation beruht, können keine konsequenten Maßnahmen gegen Ausbeutung, Unterdrückung und die Zerstörung der Ökosysteme durchgesetzt werden. Selbstemanzipation ist daher nicht nur unser Ziel, sondern auch eine Strategie zum Umsturz der bestehenden Ordnung.

Es müssen neue Institutionen geschaffen werden, in denen gemeinsam überlegt und demokratisch entschieden wird, wie sich die Produktion und die gesamte Gesellschaft organisieren lassen. Diese neuen Kräfte müssen dem kapitalistischen Staatsapparat entgegentreten, den es zu zerschlagen gilt. Der Umsturz der Gesellschaftsordnung und die Enteignung der Kapitalisten werden unweigerlich mit einer gewalttätigen, bewaffneten Reaktion der herrschenden Klassen rechnen müssen. Angesichts dieser Gewalt werden die Ausgebeuteten und Unterdrückten keine andere Wahl haben, als sich zu verteidigen. Es wird darum gehen, für die Verteidigung der legitimen Gewalt selbst zu sorgen – und zwar auf demokratische Weise und unter Verzicht auf Männerdominanz und Stellvertreterpolitik.

      
Mehr dazu
Dokumente des 18. Welt­kon­gresses (2025)
 

Alles hängt vom Ausgang der Kämpfe ab. Ganz gleich, wie groß die Katastrophe ist, in jeder Phase werden die Kämpfe den Ausschlag geben. Dabei hängt alles von der Fähigkeit der ökosozialistischen Aktivist:innen ab, sich zu organisieren und sich in der Praxis am Kompass des historisch Notwendigen zu orientieren. Nachdenken und handeln, Kämpfe organisieren und die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen, Erfahrungen vergleichen und daraus lernen:

Die internationale Umsetzung dieser gewaltigen Aufgabe erfordert einen politischen Rahmen, eine neue Internationale der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Mit diesem Manifest bringt die Vierte Internationale ihre Bereitschaft zum Ausdruck, zur Bewältigung dieser Herausforderung beizutragen.

Angenommen auf dem 18. Weltkongress der IV. Internationale, Februar 2025
Übers. aus dem Englischen E. F., J. P., J. A., und J. S.



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] In diesem Dokument bezeichnen wir mit dem Begriff „Globaler Süden“ die abhängigen Länder und die Länder der Peripherie in Asien, Afrika und Lateinamerika. Wir verwenden alle diese Ausdrücke, um auf dieselbe Realität zu verweisen. Wir schließen Länder wie China, Russland, die Ölmonarchien usw. nicht in den Globalen Süden ein, weil sie einen besonderen Platz im kapitalistischen Weltherrschaftssystem einnehmen und nicht als „beherrscht“ betrachtet werden können.

[2] Terawattstunde (1 TWh = 1 Milliarde kWh). Diese Energieeinheit wird verwendet, um die Stromproduktion eines Kraftwerks oder die nationale Produktion zu messen. Eine Kilowattstunde entspricht einer konstanten Leistung von einem Kilowatt während einer Stunde und ist gleichbedeutend mit 3,6 Millionen Joule oder 3,6 Megajoule.

[3] Erzeugung und Verwaltung von Kryptowährungen, etwa Bitcoin. (Anm. d. Übers.)

[4] Die Nachahmung biologischer Systeme und Prozesse, um Probleme zu lösen. (Anm. d. Übers).

[5] Der „Rebound-Effekt“ ist auch als „Jevons-Paradoxon“ bekannt.

[6] Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (Anm. d. Übers.)

[7] Als BRICS wird das lockere Staatenbündnis aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bezeichnet. (Anm. d. Übers.)

[8] Ein Biom ist der Oberbegriff für die Gesamtheit aller darin vorkommenden Ökotope (Biotope). (Anm. d. Übers.)

[9] Leistungsbasierte Zahlungen für mess- und überprüfbare Emissionsreduktionen durch Waldschutzmaßnahmen in den sogenannten Entwicklungsländern. Als Ziel wird angegeben, Anreize für die Begrenzung der Waldzerstörung zu schaffen. (Anm. d. Übers.)

[10] Im Französischen steht ZAD für zone à défendre, also ein zu verteidigendes Territorium. Die sogenannten Zadist:innen verteidigen ein Stück Land (oder gegebenenfalls auch ein Gebäude), besetzen es und leben dort in Zelten oder Hütten usw. In der Regel richtet sich das gegen Großprojekte, die die Umwelt gefährden. (Anm. d. Übers.)