Dossier Gaza-Krieg/USA

Pro-Palästina-Proteste weiten sich trotz Repression aus

Tausende von Studierenden an Dutzenden von Uni-Standorten in den Vereinigten Staaten nahmen im April an Pro-Palästina-Protesten teil und setzen diese auch weiter fort, obwohl es in einigen Fällen zu brutaler Polizeirepression, Verhaftungen und Suspendierungen oder Ausweisungen von der Universität kam.

Dan La Botz

Die Proteste begannen an der Columbia University (in New York), breiteten sich dann auf andere private Eliteuniversitäten wie Yale und Harvard und die University of Southern California aus, und dann auch auf staatliche Universitäten wie die Campus der University of California in Berkeley und Los Angeles und die University of Michigan in Columbia, die Emory University in Atlanta und die University of Texas in Austin. Polizei in Kampfausrüstung löste Lager auf den Campus auf, verprügelte und verhaftete Studierende. An einigen Standorten verhaftete die Polizei auch Professor:innen.

Protest-Seder in Brooklyn, New York

Menschen verschiedenen Glaubens versammelten sich am 23.4.2024 zum rituellen Seder-Mahl und forderten gemeinsam ein Ende der Waffenlieferungen an Israel. Foto: Jewish Voice for Peace NYC

 

Die Studierendenbewegung begann als eine Demonstration der Solidarität mit dem palästinensischen Volk und forderte einen „Waffenstillstand jetzt“ und ein Ende der US-Finanzierung für Israels Militär. Schnell verlangten die Studenten auch, dass sich ihre Universitäten von israelischen Unternehmen, insbesondere von Geheimdiensten und Waffenherstellern, trennen sollten, und einige forderten auch ein Ende der akademischen Beziehungen zu israelischen Institutionen. Die Studierenden schlugen Zelte auf und errichteten Lager auf Plätzen der Universitäten, um friedlich zu protestieren. Sie verübten keine Gewalt, beschädigten kein Eigentum und unterbrachen auch kaum den Universitätsbetrieb. Unter den Protestierenden waren sowohl Palästinenser:innen als auch Jüdinnen und Juden, aber auch eine Vielzahl anderer.

College-Präsident:innen, andere Angehörige der Hochschulverwaltung, Politiker:innen und einige Medien bezeichneten die Demonstrationen als antisemitisch, behaupteten, sie würden jüdische Studierende einschüchtern und bedrohen, und beschuldigten sie, gewalttätig zu sein. Der Präsident der Columbia University, Dr. Nemat Shafik, war der erste, der die Polizei rief, was zu Prügeleien und Verhaftungen führte und Studierende und viele Fakultätsmitglieder empörte. Hunderte wurden an verschiedenen Standorten im ganzen Land verhaftet. Obwohl es zweifellos einige antisemitische Äußerungen gab, waren sie seltene Ausnahmen, und die Demonstrationen waren grundsätzlich antizionistisch und bedrohten jüdische Studierende nicht.

„Die Studierenden sind hier, weil sich seit über 200 Tagen ein Völkermord entwickelt. Weil die Menschen es leid sind, zu sehen, wie ihre Freunde geschlagen, verhaftet, suspendiert und ausgewiesen werden, weil sie es gewagt haben, mit ihrer Stimme die Komplizenschaft ihrer Universität im System zu beenden“, sagt Cyn, ein Student an der University of California Berkeley. „Jedes Jahr schicken unsere Universitäten Millionen und Abermillionen Dollar an Unternehmen, die Waffen und Überwachungsgeräte herstellen, mit denen Palästinenser verfolgt, eingeschüchtert und brutal behandelt werden, und dann wenden sich unsere Universitäten dieselben Methoden gegen uns an. Unsere Solidarität gilt allen, die für ein freies Palästina kämpfen.“

      
Mehr dazu
Dossier Gaza-Krieg, die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024)
Birgit Althaler: Auf der Suche nach Orientierung, die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024)
Interview mit Uri Weltmann: Zusammenstehen gegen Krieg und Rassismus, die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024)
Peter Beinart: Den Sack schlägt man, den Esel meint man (UNRWA), die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024)
Dan La Botz: Der israelisch-palästinensische Konflikt bringt eine neue Antikriegsbewegung in den USA hervor, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online). Auch bei intersoz.org
 

Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses, ging in einem schockierenden und beispiellosen politischen Schritt an die Columbia University und nannte die pro-palästinensischen Demonstrierenden in einer Rede „einen Mob“, der jüdische Studierende bedrohe und „Terroristen unterstützt“ habe. Er forderte den Präsidenten der Columbia University, Shafik, auf, die Proteste entweder unter Kontrolle zu bringen oder zurückzutreten. Die republikanischen Senatoren Tom Cotton aus Arkansas und Josh Hawley aus Missouri forderten die Entsendung von Truppen, um die pro-palästinensischen Proteste in den Universitäten niederzuschlagen.

Andere Proteste, die einen sofortigen Waffenstillstand und ein Ende der US-Finanzierung für Israel fordern, finden weiterhin statt, wie der, an dem ich mich beteiligt habe, ein Protest-Seder [1] nahe dem Haus des demokratischen Mehrheitsführers des Senats, Chuck Schumer, in Brooklyn, bei dem eine wichtige Durchgangsstraße blockiert wurde; es kam zu 300 Verhaftungen.

Trotz der Repression scheinen die Studierenden entschlossen zu sein, die Proteste fortzusetzen und ihre Universitäten zu zwingen, sich von Israel zu trennen und ihre Regierung davon abzuhalten, das israelische Militär zu unterstützen. Aber der Unterricht endet im Mai. Wie wird sich die Bewegung entwickeln? Einige planen, vom 19. bis 22. August zum Parteitag der Demokraten in Chicago zu gehen. Wird es ein neues 1968 geben? [2]

28. April 2024
Dan La Botz lebt in den USA und ist Lehrer, Schriftsteller und Aktivist. Er ist Mitglied des Nationalkomitees der US-Organisation Solidarity.
Quelle: International Viewpoint. Übersetzung: Björn Mertens
Ein ausführlicher Bericht über den Protest-Seder in Brooklyn erschien in overton-magazin.de.



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 3/2024 (Mai/Juni 2024) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] „Seder“ ist eine zeremonielle Mahlzeit am Beginn des jüdischen Pessach-Festes, das an den Auszug des jüdischen Volkes aus der ägyptischen Sklaverei erinnert. 1969 hatte die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung mit einem glaubens- und rassenübergreifenden „Freiheits-Seder“ an die Ermordung von Martin Luther King im Jahr zuvor erinnert. [Anm. d. Üb.]

[2] Gruppen der Gegenkultur und der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung hatten 1968 Proteste auf und vor dem Parteitag der Demokraten in Chicago organisiert. Es kam zu heftigen Übergriffen der Polizei. Siehe dazu Wikipedia.