Naher Osten

Die Normalisierung der Anomalität

Die offizielle arabische Welt scheint darauf bedacht zu sein, das palästinensische Volk durch einen fortlaufenden „Normalisierungsprozess“ zu verraten, der vom verstorbenen ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat in den späten 1970er Jahren begonnen und von den Jordaniern und der PLO in den frühen 1990er Jahren fortgesetzt wurde. Jetzt ist die Reihe an den VAE und Bahrain, der israelischen Kolonialpolitik im Herzen des Nahen Ostens Legitimität zu verschaffen.

Haidar Eid

Als palästinensisches Volk können wir uns ganz augenscheinlich nicht mehr auf die meisten arabischen Regierungen verlassen. Nur die Zivilgesellschaft – Oppositionsparteien, Gewerkschaften, Verbände, Frauenorganisationen etc. – kann noch wirkliche Unterstützung mobilisieren, um die beispiellosen Verbrechen Israels gegen das palästinensische Volk – ob in den seit 1967 besetzten Gebieten, ob innerhalb Israels oder als Flüchtlinge in der Diaspora – zu beenden.

Umso wichtiger sind die Lehren, die wir aus dem südafrikanischen Kampf gegen das unmenschliche Apartheid-Regime gezogen haben. Unsere Inspiration ist die Anti-Apartheid-Bewegung und die erfolgreiche Intervention der Zivilgesellschaft in den späten 1980er Jahren gegen das Apartheid-Regime. Auch um einen gerechten Frieden in Palästina zu erlangen, kann nur so Israel dazu gezwungen werden, sich an das Völkerrecht zu halten.


Besatzung, ethnische Säuberung und Apartheid


Wir Palästinenser*innen sind die fruchtlose Opposition gegen den Normalisierungsprozess leid, der durch den Camp-David-Vertrag und die Osloer Abkommen eingeleitet und jetzt von den Golfscheichtümern zementiert wurde. Wir wollen stattdessen so darauf reagieren, dass das System der zionistischen Unterdrückung tatsächlich besiegt werden kann, auf all seinen Ebenen: Besatzung, ethnische Säuberung und Apartheid. In dem Moment, in dem die internationale Gemeinschaft – die Zivilgesellschaft und die Regierungen – beschließt, so zu handeln wie damals gegen das Apartheidsystem in Südafrika, wird Israel durch den Aufruf zu Boykott, Divestment und Sanktionen (BDS) zum Nachgeben gezwungen werden.

Trotz jahrelanger Unterdrückung, tausender Berichte der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen und der dauerhaften Verweigerung der Grundrechte auf Bildung, Freizügigkeit, Arbeit und Gesundheitsversorgung wird den Palästinenser*innen vorgeworfen, nicht flexibel genug zu sein! Mehr als 600 israelische Militärkontrollpunkte im besetzten Westjordanland und in Jerusalem, die mittelalterliche Belagerung des Gazastreifens und die offizielle Apartheid der palästinensischen Bürger in Israel selbst rauben den Palästinensern ein normales Leben. Um es offen zu sagen, wir werden diskriminiert, weil wir keine Juden sind, so wie schwarze Südafrikaner*innen diskriminiert wurden, einfach weil sie nicht weiß waren.


Oslo-Prozess – Schnee von gestern


Wir glauben, dass es unser Recht ist, von den arabischen Völkern zu erwarten, dass sie sich uns in unserem Kampf gegen Israels Apartheid anschließen, indem sie das rassistische und gewaltsame Regime und die Institutionen, die es am Leben erhalten, boykottieren. Genau wie die Schwarzen in Südafrika vor uns sind wir für unser Überleben zunehmend auf internationales Recht und Solidarität angewiesen, insbesondere von unseren eigenen Brüdern.

      
Mehr dazu
Julien Salingue: Von der Nicht-Anerkennung zum „Normalisierungs­abkommen“, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Haggai Matar: Einen solchen „Frieden“ brauchen wir nicht!, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Yumna Patel: Wir pfeifen auf diese „Normalisierung“, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Internationales Komitee der IV. Internationale: Erklärung der IV. Internationale zu Palästina, Inprekorr Nr. 3/2015 (Mai/Juni 2015)
 

Die offizielle palästinensische Führung hat damit gedroht, ernsthafte Schritte bis hin zur Beendigung des Oslo-Prozesses zu unternehmen, ohne jedoch den einzig konsequenten Schluss zu ziehen, für die Ein-Staaten-Lösung einzutreten. Israel hat bereits 30 % des besetzten Westjordanlandes annektiert, womit auch der Traum von einem „unabhängigen“ palästinensischen Staat auf 22 % des historischen Palästinas zu Grabe getragen worden ist. Die Verwirklichung dieses Traums haben die Verfechter*innen des Oslo-Prozesses zum ultimativen Ziel erhoben, um dadurch den hohen Preis zu rechtfertigen, den die den Palästinenser*innen dafür gezahlt haben. Ist es nicht höchste Zeit, dass sich das palästinensische Volk von der Illusion der Zweistaatenlösung löst und einen demokratischen Ansatz verfolgt, der seine Grundrechte auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit garantieren kann?

Israel ist ein kolonialistischer Apartheidstaat, und die Werkzeuge, die gegen die Apartheid in Südafrika benutzt wurden, können auch das Vorbild in unserem Kampf gegen die Apartheid in Israel sein. Israel von einem ethnisch-religiösen Apartheidstaat in ein wirklich demokratisches Gebilde zu verwandeln, sollte das Ziel jedes einzelnen Menschen sein, der an Demokratie und Freiheitsrechte glaubt.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021). | Startseite | Impressum | Datenschutz