Venezuela

Der bolivarische Bonapartismus vor dem Fall

Am 30. Juli wurde in Venezuela die Verfassungsgebende Versammlung gewählt, wobei sich nach realistischer Einschätzung allenfalls ein Drittel der Bevölkerung daran beteiligt hat. Insofern hat sich das Kalkül von Maduro, darüber das mehrheitlich von der Opposition besetzte Parlament zu ersetzen und wieder Legitimität und politische Initiative zurückzugewinnen, zerschlagen. Im Gegenteil setzt das Regime auf eine Verschärfung der Repression, um die seit über fünf Monaten anhaltenden Proteste und blutigen Auseinandersetzungen auf den Straßen zu kontrollieren, derweil die Unzufriedenheit der Bevölkerung über knappe Nahrungsmittel und Medikamente sowie Hyperinflation und allgegenwärtige Kriminalität wächst.

Die gegenwärtige Lage zeigt die Grenzen des „bolivarischen Prozesses“, der von nicht wenigen Linken als „Achse der Hoffnung“ und „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet worden ist, die Grundlagen des Wirtschaftssystems jedoch nicht angegriffen und stattdessen die ehemaligen Profiteure der Ölrente durch eine neue „Bolibourgeoisie“, mit starker Präsenz in Bürokratie und Armee, ersetzt hat. Für die umfangreichen Sozialmaßnahmen, die unter Chávez mit einem Teil der Einnahmen aus dem Rohstoffexport finanziert werden konnten, gibt es seit dem drastischen Verfall des Rohölpreises keinen Spielraum mehr, womit denn auch die Grundlage entfallen ist, auf der der Chavismus Teile der Bevölkerung für sich mobilisieren konnte.

      
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Zugleich gilt das Land als Dorado für Finanzspekulanten, da die Regierung zuverlässig die ständig steigenden Außenschulden bedient, während die Bevölkerung hungert. Jüngstes und augenfälligstes Beispiel ist der Deal mit der US-Investmentfirma Goldman Sachs. Diese hat für 865 Millionen US-Dollar Schuldscheine der staatlichen venezolanischen Erdölfirma PDVSA gekauft und erhält bei Fälligkeit in 5 Jahren dafür 2,8 Mrd. Dollar – ein satter Gewinn für die Anleger. Zugleich werden internationale Investoren zur Ausbeutung der Rohstoffvorkommen unter völliger Hintanstellung ökologischer Erfordernisse und der Rechte der indigenen Bewohner ins Land gelockt, wie der Konflikt um die „Nationale Entwicklungszone Arco Minero de Orinoco“ zeigt, wo auf einer riesigen Fläche Diamanten sowie Gold, Eisen, Coltan und andere Erze abgebaut werden sollen.

Die folgenden Beiträge, die noch vor der Abstimmung über die Verfassungsgebende Versammlung entstanden sind, setzen sich mit den Ursachen dieser Krise auseinander und versuchen einen Ausweg zu skizzieren, wie die Organisationen der Arbeiterklasse und die sozialen Bewegungen wiederaufgebaut und ihre Handlungsmöglichkeiten gestärkt werden können.

MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2017 (September/Oktober 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz