USA

Wege der Befreiung

Im Laufe der Revolution der Schwarzen in den Jahren 1955 bis 1970 entstanden viele Organisationen, die sich von bereits bestehenden scharf abgrenzten. Auch wenn es zu heftigen Debatten und harscher Kritik kam, ging es doch stets darum, Wege zur Emanzipation des afroamerikanischen Volkes zu finden.

Galia Trépère


Vor der Bürgerrechtsbewegung


Eine der ältesten und einflussreichsten Organisationen der Schwarzen war die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), die 1909, als den Schwarzen gewaltsam die Rassentrennung auferlegt werden sollte, von W.E.B. Du Bois und anderen jungen schwarzen Intellektuellen gegründet wurde. Die NAACP bekämpfte alle Formen der Diskriminierung, führte juristische Auseinandersetzungen und verteidigte die Schwarzen, die Opfer von Gewalttaten geworden waren. Ende des Zweiten Weltkriegs zählte sie über 540 000 Mitglieder, darunter auch Rosa Parks, die wie viele andere aus der Bürgerrechtsbewegung kam.

Während die NAACP für die Integration der Schwarzen eintrat, träumte Marcus Garvey – ein 1887 in Jamaica geborener Drucker und späterer Journalist – nach dem Ersten Weltkrieg von einem „Königreich Afrika“, das es zu erobern galt. Er wurde damit ungeheuer populär und konnte 1920/21 mehrere Millionen Anhänger hinter sich scharen. Man mag sich wundern, dass eine solche Utopie derart erfolgreich war, aber was er darin zum Ausdruck brachte, war der Stolz der schwarzen Bevölkerung auf ihre Herkunft und die Überzeugung, dass von den Weißen ohnehin nichts zu erwarten war. Während Garvey die NAACP bekämpfte, brach Du Bois, der sich der marxistischen und kommunistischen Idee zugewandt hatte, mit der NAACP, als diese sich weigerte, einen Aufruf des afroamerikanischen Volkes an die Vereinten Nationen zu richten, und trat für den Panafrikanismus und die Vereinigung der Afroamerikaner mit den gegen den Kolonialismus kämpfenden Afrikanern ein.

Elijah Muhammed, der die „Nation of Islam“ anführte, vertrat wie Garvey die Ansicht, dass Gott ein Schwarzer sei, propagierte jedoch den Islam in bewusster Abgrenzung vom christlichen Protestantismus als Religion der Sklavenhalter. In dieser Organisation erwarb Malcolm Little seine ersten Sporen als Redner und Organisator, nachdem er seine Jahre im Gefängnis mit Lektüre und Studien zugebracht hatte. Sein Vater, ein Prediger, war 1925 von einem Kommando des Ku Klux Klan bedroht worden, weil er Anhänger von Marcus Garvey war. Als sich Malcolm den Black Muslims zuwandte, legte er folglich auch seinen Sklavennamen ab und nannte sich Malcolm X.


Verbindendes und Trennendes


Von Beginn an war die Bürgerrechtsbewegung mit dem Namen von Martin Luther King verbunden, der zur Zeit des Bus-Boykotts in Montgomery 1955 dort Prediger war. Damals war er 26 Jahre alt und blieb bis zu seiner Ermordung am 4. April 1968 mit dieser Bewegung verbunden.

Er bekannte sich zur Gewaltlosigkeit, was zweifellos religiös begründet war, genauso sehr aber auch taktische Gründe hatte. Daniel Guérin schrieb dazu: „Martin Luther King verwahrte sich dagegen, Pazifist zu sein, und bestand vielmehr auf den konkreten und positiven Aspekten wie auch dem Idealismus seiner Kampfmethoden. Seine Gewaltlosigkeit war nicht Ausdruck der Feigheit, sondern seines Verständnisses von militantem Engagement und er war in hohem Maße aktiv und nicht passiv. […]

Für eine Minderheit, wie sie die Afroamerikaner darstellen, die unbewaffnet oder gemessen an ihrem Gegner ungleich schlechter bewaffnet sind, war Gewalt in den Augen von Luther King eine waghalsige Taktik, sowohl im Offiziellen wie auch im Privaten. Außerdem war sie für ihn nicht opportun, da damit der Teil der öffentlichen Meinung abgeschreckt würde, der zur Empörung über einen Gegner neigt, der zu Lynchjustiz, Terror, Mord und Massakern selbst an Kindern greift.“ [1]

Er wurde dafür hart kritisiert von Malcolm X, der ihm vorwarf, ein „Onkel Tom“ zu sein, der sich von den weißen Machthabern instrumentalisieren ließ, als er am 28. August 1963 vor 250 000 Teilnehmern beim Marsch auf Washington sprach. Er warf ihm vor, mit Kennedy verhandelt und diesem ermöglicht zu haben, den Marsch für sich zu reklamieren und sich als Partner im Kampf der Schwarzen zu präsentieren, während der Staat nichts gegen die Rassisten unternahm.

Bei anderen Anlässen wurde er auch von den jungen AktivistInnen des ‚Student Nonviolent Coordinating Committee‘ (SNCC) kritisiert, von denen einige später führende Mitglieder der Black Panthers wurden, wie Eldridge Cleaver, Stockely Carmichael oder Huey Newton. Trotzdem erwies Cleaver King nach dessen Ermordung seine Achtung und erinnerte an „die wütenden Reaktionen, die er erntete, als er das Ende der US-Bombardements in Nordvietnam, Verhandlungen mit der FNL und die Aufnahme der VR China in die UN forderte. […] Letzten Endes kann gut sein, dass King trotz alledem Amerika geprägt und im Innersten getroffen hat und dass wir unseren revolutionären Kampf deswegen gewinnen können, weil er so weit gegangen ist.“ [2]

In der Bürgerrechtsbewegung entwickelten diese Aktivisten unter dem Einfluss von Malcom X die Losung der „Black Power“ und gründeten die „Black Panthers“.


Malcolm X


Malcolm X hatte bei den jungen Aufständischen in den Ghettos großes Prestige erlangt, da er ihnen den Stolz darauf, Schwarze zu sein, vermittelte sowie das Gefühl ihrer Würde und die Bereitschaft, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, statt in die Kriminalität abzugleiten. Er gab dem Hass Ausdruck, den sie gegen die Rassisten und Weißen empfanden, und prangerte die Prinzipien der Gewaltlosigkeit an, die von Martin Luther King eingefordert wurden. „Es gibt keine Revolution, in der man die andere Wange hinhält. Eine gewaltfreie Revolution gibt es nicht.“

Die Black Muslims forderten einen schwarzen Staat. Insofern kam für sie nicht infrage, an der Bürgerrechtsbewegung teilzunehmen, deren Ziel in ihren Augen darin bestand, von den Weißen akzeptiert zu werden. „Wir wollen, dass unser Volk, dessen Eltern und Großeltern Nachfahren von Sklaven sind, auf diesem oder einem anderen Kontinent einen eigenen Staat gründen oder ein Territorium errichten können, das ihnen gehört. Wir glauben, dass unsere früheren Sklavenhalter uns dies schuldig sind.“ [3]

Wie alle anderen Organisationen der Schwarzen auch erhielten die Black Muslims nach dem Zweiten Weltkrieg enormen Zulauf. Sie reklamierten 150 000 Mitglieder für sich und waren in 82 Städten vertreten. Sie – und besonders Malcolm X – stießen auf außerordentliches Gehör und unter den schwarzen Jugendlichen war besonders populär, dass sie einen eigenen Ordnerdienst, den „Fruit of Islam“, zu ihrer Selbstverteidigung unterhielten.

Aber Malcolm X’ Mitgliedschaft wurde von Elijah Muhammed ausgesetzt, als er Kennedys Ermordung mit den Worten kommentierte:„Chickens came home to roost (was so viel bedeutet wie „die vergangenen Fehler haben sich gerächt“). Danach war er isoliert und ohne Organisation, aber weiterhin sehr populär. Er reiste mehrfach nach Afrika und gewann die Überzeugung, dass die Kolonialvölker und das afroamerikanische Volk einen gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus führen müssen. Nach seinem Bruch mit den Black Muslims gab er deren sektiererische Haltung auf und suchte nach Wegen der Zusammenarbeit zwischen der Bürgerrechtsbewegung und weißen Sympathisanten. Bei einem Meeting am 21. Februar 1965 wurde er im Alter von 40 Jahren von Mitgliedern der Black Muslims – wahrscheinlich unter Zutun des FBI – ermordet.


Black Power und die Black Panthers


Die Ideen von Malcolm X verfingen unter den jungen Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung. Ihre Losungen: „Freedom now“ und ab 1966 „Black Power“ waren Ausdruck des Aufbegehrens unter der schwarzen Jugend und ihrer Ungeduld. „Black Power“ bedeutete, dass die Schwarzen eine Macht bilden, ihre Städte und Wohnviertel selbst kontrollieren und nur auf sich selbst und nicht auf das vermeintliche Wohlwollen der Weißen vertrauen sollten. Insofern musste auch eine unabhängige Partei der Schwarzen gegründet werden. Dies wurde dann die Black Panther Party (BPP), die von Huey Newton, Eldridge Cleaver und dann Stockely Carmichael gegründet wurde. Da sie davon überzeugt waren, dem Repressionsapparat des weißen Staates gegenüber treten zu müssen, wie dies während der Aufstände auch der Fall war, propagierten sie die Selbstverteidigung und gründeten, unter Berufung auf den zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung über das Tragen von Waffen, bewaffnete Milizen in den schwarzen Vierteln.

Die BPP versuchte, in allen Richtungen aktiv zu sein: Verankerung in den Ghettos, spektakuläre Guerilla-Aktionen oder Theoriebildung. Ein weiterer Schwerpunkt war die Knastarbeit, wo viele Jugendliche wegen Beteiligung an den Aufständen einsaßen. Aber aufgrund der scharfen Repression, die sie erlitt, blieb ihr gar nicht die Zeit, ihre ganzen Kapazitäten zu entfalten. Viele Mitglieder wurden ermordet oder ins Exil gezwungen.


Vorläufige Bilanz


Die AktivistInnen und Organisationen der Revolution der Schwarzen hatten kaum die Mittel, um die damaligen Grenzen zu überwinden, nämlich das Fehlen einer wahrhaft sozialistischen und internationalistischen Perspektive infolge der Probleme der US-amerikanischen Arbeiterbewegung, eine unabhängige Partei zu schaffen, und der Unterordnung aller kommunistischen Parteien unter die Schwenks der stalinistischen Politik. Stattdessen suchten sie einen Ausweg auf Seiten der politischen Kräfte, die die antikolonialistischen Revolutionen führten, da ihnen ein gemeinsamer Feind gegenüberstand: der Kolonialismus und der US-Imperialismus.

Aber aus demselben Grund, weswegen die Kolonialländer keine wirkliche Unabhängigkeit erlangen konnten, ohne den Sturz des Kapitalismus zu betreiben, wird die schwarze Bevölkerung in den USA die Rassenunterdrückung nur beenden können, wenn sie die Herrschaft der Bourgeoisie beendet und den Kapitalismus stürzt. Denn die Rassenunterdrückung kann ohne soziale Ungleichheit und Ausbeutung nicht bestehen. Rassismus allein beschreibt nicht die reale Totalität der sozialen Ungleichheit, sondern ist nur ein komplementärer Bestandteil davon. Die Ausbeuterklassen machen sich ihn zunutze, um eine noch größere Ausbeutung zu rechtfertigen, die Ausgebeuteten gegeneinander auszuspielen und die Illusion einer Interessengleichheit zu erzeugen, die angeblich aus derselben Hautfarbe, andernorts aus derselben nationalen Zugehörigkeit rührt.

      
Weitere Artikel zum Thema
Yvan Lemaitre: USA - Klassensolidarität gegen rassistische Gewalt, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016)
Xavier Guessou: US-Arbeiterbewegung und Rassismus (1930/40), Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016)
Galia Trépère: Die Bürgerrechtsbewegung, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016)
Stan Miller: Abschwung nach den 70ern, Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016)
 

Der Aufstand der Afroamerikaner war in sich außerordentlich subversiv, da er die weltweit stärkste imperialistische Macht geschwächt hat, indem er ihre demokratische Legitimation infrage gestellt hat. Insofern hat er viel dazu beigetragen, dass auch die weiße Jugend rebelliert hat und die USA den Vietnamkrieg verloren haben. Aber er hätte eine ungleich glanzvollere Rolle spielen können, wenn er in der weißen Arbeiterklasse einen Bündnispartner gefunden hätte. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass alle Versuche, schwarze und weiße ArbeiterInnen zu vereinen, von den Herrschenden in den USA stets erbittert bekämpft worden sind, bis hin zu Pogromen seitens des KKK oder anderer. Diese handelten im Interesse der Herrschenden, da denen bewusst war, dass ihre Existenz auf dem Spiel steht.

Wir können darauf hoffen, dass unter den neuen Bedingungen, die die wirtschaftliche Entwicklung und die Revolution der Schwarzen geschaffen haben, etwa dem viel höheren Anteil schwarzer Lohnabhängiger am US-Proletariat, diese Einheit zustande kommen wird.

Übersetzung unter geringen Änderungen MiWe



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 5/2016 (September/Oktober 2016). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Daniel Guérin, De l’oncle Tom aux Panthères, éditions 10/18, S. 204

[2] Zitiert nach Guérin, S. 208

[3] Punkt 4 des Muslim-Programms