Österreich

Nationalratswahlen in Österreich:
Die radikale Rechte gibt sich sozial

(frd/whm) Der folgende Artikel wurde kurz nach der Wahl zum österreichischen Nationalrat (Parlament) und vor dem tödlichen Unfall von Jörg Haider am 11. Oktober geschrieben.

Nach der Nationalratswahl vom 1. Oktober 2006, in der die sozialdemokratische Partei eine relative Mehrheit erreichte, war im Januar 2007 eine Große Koalition aus „Roten“ (SPÖ) und „Schwarzen“ (Österreichische Volkspartei) unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) gebildet worden. Die Regierungskoalition brach jedoch u. a. aufgrund der völligen Blockadepolitik der ÖVP einerseits und dem rapiden Popularitätsverlust der Sozialdemokratie, die alle Wahlversprechen gebrochen hatte, auseinander. Um von der breiten EU-Skepsis zu profitieren, verkündeten am 26. Juni Werner Faymann, kurz vorher zum Parteivorsitzenden gewählt, und Gusenbauer in einem Leserbrief an das Boulevardblatt Kronen Zeitung, „dass zukünftige Vertragsänderungen, die die österreichischen Interessen berühren, durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden sollen“. Am 7. Juli erklärte ÖVP-Bundesparteiobmann Molterer mit einem „Es reicht“ die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten für beendet. Er spekulierte auf einen fliegenden Wechsel ins Kanzleramt, stützte aber von 34,3 auf 26 % ab.

Aus den Neuwahlen vom 28. September 2008 ging die SPÖ als stimmenstärkste Partei hervor (29,26 %), sie erzielte aber das schwächste Ergebnis seit 1945 und verlor über 230 000 Stimmen und 11 Mandate. Die beiden Rechtsparteien FPÖ und BZÖ konnten sich dagegen von 15,1 auf 28,2 % nahezu verdoppeln. (Wahlergebnisse siehe Kasten)

Das wohl markanteste, wenn auch nicht völlig überraschende Resultat ist neben der deutlichen Abwahl der ÖVP (- 8,3 %) der Zugewinn an WählerInnenstimmen für die beiden rechten Parteien FPÖ (+ 6,5 %) und BZÖ (+ 6,6 %). Doch wie erklärt sich dieser neuerliche Aufschwung der Rechten? Wie kommt es, dass eine Partei wie das Haider-BZÖ, das noch vor zwei Jahren um die politische Existenz fürchten musste, plötzlich über 10 % der Stimmen erreichen kann; dass eine FPÖ, deren Spaltungstendenzen und personelle Querelen bis zuletzt Schlagzeilen machten, die 18 %-Marke erreicht? Das hat weder mit einem „Naziland“ Österreich zu tun, noch liegt es an den „charismatischen“ Parteispitzen Heinz-Christian Strache und Jörg Haider, sondern ist in dem Terrain zu suchen, dass den rechten Parteien überlassen wurde. Im Folgenden eine erste Analyse, die noch einmal den vergangenen Wahlkampf genauer unter die Lupe nimmt.

Der Wahlkampf 2008 von FPÖ und BZÖ wurde keineswegs auf der Law-and-Order-Schiene gefahren, für die die beiden Parteien bekannt sind, und auch nicht ausschließlich mit der Anti-AusländerInnen-Hetze. Natürlich konnten derartige Parolen nicht fehlen: der Kampf dem „Asylbetrug“ (FPÖ: „Asylbetrug heißt Heimatflug“) oder die Abschiebung „straffällig gewordener“ oder auch nur „tatverdächtiger“ AsylantInnen waren Fixstarter in den Plakatreihen der Haiders und Straches. Dennoch lag die Kunst des rechten Marketings diesmal in der Verbindung von Nationalem und Sozialem. So forderte die FPÖ etwa eine Vereinfachung und Vereinheitlichung des Sozialversicherungssystems – allerdings eben nur für ÖsterreicherInnen (und EU-BürgerInnen, weil’s eben nicht anders geht), nicht aber für AusländerInnen. Der Schwerpunkt des Wahlkampfs von BZÖ und FPÖ, soviel kann wohl behauptet werden, lag auf der Sozialpolitik.

Der Punkt dabei ist: Die Folgen neoliberaler Politik wurden von niemand anderem als den rechten Parteien thematisiert – es scheint gar, als habe es dazu ein stillschweigendes Diskussionsverbot in und von den anderen Parteien gegeben. Für die sozialdemokratische SPÖ bedeutete erst das 5-Punkte-Programm kurz vor den Nationalratswahlen, das als „Antiteuerungspaket“ mit einigen sozialpolitischen Vorschlägen, wie etwa der Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, so etwas wie den Versuch, aus der Regierungsparalyse auszubrechen und den Totalabsturz zu verhindern, was ihr zum Teil auch gelungen ist. Trotzdem kam es offenbar zu spät und zu unglaubhaft. Zu spät hat die SPÖ versucht, das zunehmend unbeliebte Gewand der „staatstragenden“ Partei abzustreifen. Und: für diesen Versuch kassierte SP-Spitzenkandidat Werner Faymann Ohrfeigen aus den eigenen sozialliberalen Reihen, die ihm diese Strategie und den „populistischen Kniefall“ vor der „Kronen-Zeitung“ nicht verzeihen. Doch was wurde da bemängelt? Die Anbiederung an den „kleinen Mann“ mit dem Versprechen, ihn aus dem Elend zu erlösen?

ÖVP und Grüne konnten sich auf die von der Rechten (und spät auch von der SPÖ) vorgegebene Thematik des sozialpolitischen Wahlkampfes so gut wie gar nicht einstellen und wirkten über lange Strecken wie strategisch völlig falsch eingestellte, desorientierte und langweilige Dampfplauderer. Die Grünen offenbarten ihre ideologische Entleerung: Weder ideologisch, noch politisch konkret haben sie hier irgendetwas zu bieten. Wer Grün gewählt hat, konnte nicht wissen, was er/sie bekommt – Schwarz-Grün oder Rot-Grün, wobei ersteres der Grünen-Führung wohl lieber gewesen wäre. Im Zuge des Wahlkampfs zeigte sich allerdings eine politische Spaltung zwischen Führung und Teilen der Basis. Die Wahlkampagne der Wiener Grünen war auf soziale Probleme und Umverteilung orientiert. Der schnelle Abgang des Parteivorsitzenden Alexandre Van der Bellen nach der Wahl und die öffentlich geäußerte interne Kritik deuten auf Konflikte über den politischen Kurs hin.

 

Parteien und Wahlergebnis in Prozent:

SPÖ – Sozialdemokratische Partei Österreichs, stellte zuletzt in der Großen Koalition mit der ÖVP den Kanzler Alfred Gusenbauer

ÖVP – Österreichische Volkspartei, Konservative

FPÖ – Freiheitliche Partei Österreichs, Parteichef H. C. Strache

BZÖ-Liste Jörg Haider – Bündnis Zukunft Österreich, Abspaltung von der FPÖ im April 2005

KPÖ – Kommunistische Partei Österreichs

LINKE – eine Plattform aus einigen linken EinzelaktivistInnen, vor allem aber der Sozialistischen Linkspartei (SLP, CWI) und Liga für die Sozialistische Revolution (LSR, für die 5. Internationale)

SPÖ29,3(-6,0)
ÖVP26,0(-8,3)
GRÜNE10,4(-0,6)
FPÖ17,6(+6,5)
BZÖ10,7(+6,6)
KPÖ0,8(-0,2)
LINKE0,02(+0,02)

Die ÖVP konnte sich auf den Schwenk der SPÖ hin zu sozialpolitischen Forderungen ebenso wenig einstellen wie auf Haider und Strache. Mit Sätzen wie „Wir kandidieren gegen 6 linke Parteien“ (wozu auch BZÖ und FPÖ gezählt wurden), fremdenfeindlichen („Es reicht! Wer bei uns lebt, muss unsere Sprache lernen. Keine Einwanderung ohne Deutschkurs“; „Wiener Gemeindebauten von Moslems beherrscht“) oder autoritären Parolen („Volle Härte des Gesetzes bei Kindesmissbrauch“) versuchte man, FPÖ und BZÖ in punkto Härte und Repression rechts zu überholen, die Unterschiede zu den Rechtsparteien einzuebnen und Tabus zu brechen. Kaum jemals ist die ÖVP dabei derart weit nach rechts gerückt, und kaum jemals hat ihre Wahlkampfstrategie derart versagt. Denn BZÖ und FPÖ, deren Image zu kopieren versucht wurde, befanden sich gar nicht mehr auf dem Terrain, und die ÖVP bemerkte offenbar bis zuletzt nicht ganz, dass sie allein im Ring stand. Die offensichtlichsten ExponentInnen dieser Fraktion (Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel, Parteichef Wilhelm Molterer, Innenministerin Maria Fekter und der Industrielle und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein) werden jetzt vom christlich-sozialliberalen Flügel demontiert. Die so genannte „Volkspartei“ muss feststellen, dass das Volk in Zeiten neoliberaler Polarisierung aufgehört hat, „Volk“ zu sein.

In Zeiten, in denen eine Bankenpleite die andere jagt und den Mythos von der kapitalmarktfinanzierten Pensionsvorsorge zerplatzen lässt, in Zeiten, in denen die Teuerung von Lebensmitteln und Energie immer mehr Menschen vor die Frage stellt, wie groß das Loch sein wird, das die Heizkosten im Winter in den Geldbeutel reißt, in Zeiten, in denen atmosphärisch beinahe schon die Dämmerung des Kapitalismus angebrochen ist, wird die heraufkommende Zukunftsangst nicht mit Maßnahmen beruhigt, die die ersehnte Verbesserung auf später verschiebt. Eventuelle Steuersenkungen im Jahr 2010 interessierten genauso wenig wie wirtschaftliche „Vernünftigkeit“ und Tabellen über die Finanzierbarkeit sozialpolitischer Maßnahmen. Da entscheidet die Sofortmaßnahme, die das Hier und Jetzt betrifft. Da wird jene Partei gewählt, die diese Sofortmaßnahmen am Glaubhaftesten anbietet. Und genau das haben vor allem BZÖ und FPÖ verstanden. Haider plakatierte Soziales, profilierte sich als der greifbar-konkrete Mann aus Kärnten, der allen, die es wollen und brauchen, den Hunderter bei Selbstabholung bar auf die Hand legt. Und wie Strache sprach er von Heizkostenzuschüssen und Benzinpreissenkungen. Hie also die Sofort-Bar-auf-die-Hand-Parteien, dort die Parteien eines Morgen, Später, Steuerreform 2010, eines „vernünftig handelnden“ verantwortungsvollen Wirtschaftens.

Das bedeutete nichts Anderes, als dass das gesamte Terrain der Sozialpolitik bzw. einer sozialpolitischen Korrektur neoliberaler Verbrechen FPÖ und BZÖ überlassen wurde.

Es war ausgerechnet wieder einmal die FPÖ, die sich – ungeachtet dessen, dass sie vor wenigen Jahren als Regierungspartei eine neoliberale Maßnahme nach der anderen durchgepeitscht hat – als einzige „antikapitalistische“ Alternative dargestellt hat. Und sie konnte damit punkten – gerade unter JungwählerInnen, für die die FPÖ als einzige einen Wahlkampf und eine Selbstdarstellung der Jugendlichkeit veranstaltet hat, und unter denen sie Umfragen zufolge stimmenstärkste Partei war (das Wahlalter wurde vor dieser Wahl auf 16 Jahre gesenkt). Symbolisch knüpfte man hier an Che Guevara (Strache stilisierte sich auf T-Shirts als „StraChe“) und afroamerikanische Musikstile („Viva HC“) an – Bilder gingen durch die Medien, auf denen Strache in Diskotheken mit StraChe-T-Shirt Frauenbrüste signiert. Die FPÖ gab und gibt sich als revolutionäre, aufmüpfige Partei. Es wurden keine Wehrmachtsstiefel plakatiert, sondern sie präsentierten sich als „moderne“ soziale Parteien, die das alte Links-Rechts-Schema eines Van der Bellen oder Faymann angeblich durchbrechen wollen. Und Wählerstromanalysen zeigen: Die FPÖ hat sich mit dieser Strategie wieder einmal als Sammelbecken für enttäuschte SPÖ-WählerInnen zu etablieren vermocht, das BZÖ dürfte sich nachhaltig vom Duft der Wehrmachtsstiefel abgekoppelt und als bürgerliche Alternative zur ÖVP in der Parteienlandschaft verankert haben.

Wo der Wahlsieg des dritten Lagers allerdings hinführen wird, ist ungewiss. Die Wahlstimmen gehen auf und ab – und werden schließlich nur so lange steigen, als es FPBZÖ tatsächlich schaffen, sich selbst wider besseres Wissen als antikapitalistische Parteien zu geben oder sich zumindest ein antikapitalistisches Flair aufzubauen. Ihre Stimmen sind demgemäß zum Großteil Proteststimmen im wahrsten Sinne des Wortes. Und schließlich ist auch das Verhältnis von FPÖ und BZÖ explosiv, wie ihre nicht lange zurückliegenden Spaltungen und die aggressiven öffentlichen Abgrenzungen auch nach den Wahlen zeigen.

Haider versuchte mit der Gründung des BZÖ vergeblich, das Abbröckeln der WählerInnen mit einem Wechselbad zweier widersprüchlicher Strategien abzufangen: Einerseits auf seriöse Regierungspartei zu machen („wir gestalten“ …), gleichzeitig aber auch Opposition zu spielen. Seine Freunde spielten Regierung, er selbst spielte Opposition, wodurch unweigerlich eine Reihe von ExponentInnen verheizt und in die Wüste geschickt wurde oder von sich aus das Handtuch warf. Die Spaltung in FPÖ und BZÖ spiegelt diese beiden Strategien wider. Im Augenblick ist kein Praxistest gefordert, somit können beide Parteien arbeitsteilig beide Varianten darstellen. Und: Niemand fordert sie bis dato heraus. Ohne Widerstand lassen sich solche Spiele anscheinend leicht machen.

Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist das politische Vakuum, was eine antikapitalistische Linke betrifft, besonders bitter. Das schlechte Abschneiden der Kommunistischen Partei Österreichs und der Liste „LINKE“, die zusammen nicht 1 % der WählerInnenstimmen erreichen konnten, spricht hier Bände. Widerstand muss aber nicht auf dem Wahlzettel passieren, sondern kann und muss – das hat die Bewegung gegen die schwarz-blaue Regierung vor nunmehr 8 Jahren gezeigt – auf der Straße entstehen.

Redaktion DieLinke-Online



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 444/445 (November/Dezember 2008) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz