Balkan

Erste Schritte der Arbeiterbewegung in Bosnien-Herzegowina

10 Jahre nach dem Krieg erwacht die Arbeiterbewegung in Bosnien-Herzegowina wieder zum Leben. Die Schwierigkeiten sind erheblich und die Bürokraten nicht immer eine gro0e Hilfe.

Goran Markovic

Wie bekannt hat Bosnien-Herzegowina eine Phase von Bürgerkrieg und explodierendem Nationalismus durchlitten, der nicht nur die Vernichtung ökonomischer Ressourcen, sondern auch die Spaltung der Arbeiterklasse entlang ethnischer Linien zur Folge hatte. In der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien hatte die Arbeiterklasse nie vorher bekannte Rechte, konnte sie aber wegen ständiger Spannungen mit der herrschenden Bürokratie häufig nicht wahrnehmen. Ungeachtet dessen hatte die Arbeiterklasse die Möglichkeit, in einigen Betrieben eine Entscheiderrolle einzunehmen, und ihre soziale Position war sehr stark. Die Gewerkschaften waren unter de-facto-Kontrolle der Kommunistischen Partei, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in den Ländern des Sowjetblocks. Unsere Arbeiterinnen und Arbeiter hatten keine Klassenkampferfahrungen. Sie unterstützten ein System, das sich als sozialistisch bezeichnete, in dem sie aber nicht wirklich die herrschende Klasse waren.

Die Zerstörung Jugoslawiens und der sozialistischen Werte verursachte große Enttäuschung und Desorientierung unter den Arbeiterinnen und Arbeitern. Kurz nach der formalen Auflösung des kommunistischen Systems begann der Bürgerkrieg, und die Arbeiter wurden in die nationalen Armeen eingegliedert. Nationalistische Gefühle breiteten sich aus. Alles was im Land geschah, nicht nur während des Kriegs, sondern bis zum heutigen Tag, beeinflusste die Arbeiterklasse stark in negativem Sinne, so dass sie nicht in der Lage ist, irgendeine unabhängige Rolle in den sozialen Kämpfen zu spielen. Man könnte sogar sagen, dass eine organisierte Arbeiterbewegung in Bosnien-Herzegowina nicht existiert.

Die Beschäftigten in Bosnien-Herzegowina haben nicht viel Erfahrung mit Klassenkämpfen. Die meisten von ihnen verbrachten ihr halbes Arbeitsleben in Betrieben, in denen sie extrem abgesichert waren und sogar das Recht zur Selbstverwaltung und zur Wahl und Kontrolle der Manager hatten. Danach kämpften sie im Krieg, und viele von ihnen verloren ihren Arbeitsplatz als Folge des Krieges und der Privatisierungen nach dem Krieg. Die wenigen, die ihre Arbeit behielten, haben nicht viele Rechte und stehen unter ständiger Bedrohung, ihren Job zu verlieren, nicht nur wegen Bankrotts ihres Unternehmens, sondern auch wegen der Tyrannei ihrer Unternehmer.


Alte…


In einer solchen Situation ist es wichtiger denn je, einen organisierten Kampf für die Rechte der Beschäftigten zu entwickeln. Aber das ist ziemlich schwierig. Die offiziellen Gewerkschaften haben ihre Infrastruktur nach Krieg schnell wieder hergestellt. Es entstanden zwei Organisationen entlang der ethnischen Grenzen: die Allianz der Gewerkschaften der Republik Srpska ist ein bürokratischer Zusammenschluss in der Republik Srpska, während die Allianz Unabhängiger Gewerkschaften von Bosnien und Herzegowina ein solcher Zusammenschluss in der Föderation von Bosnien und Herzegowina ist. [1] Beide wurden aus den Überresten der früheren Allianz Unabhängiger Gewerkschaften von Bosnien und Herzegowina gebildet, die bis zum Kriegsausbruch existiert hatte. Obwohl die bürokratischen Strukturen sehr schnell erneuert wurden, bedeutet das nicht, dass wirklich lebendige Organisationen entstanden sind. Die Beschäftigten staatseigener Unternehmen blieben formal weiter Gewerkschaftsmitglieder, sie haben ihren Mitgliedsstaus aus der Vorkriegszeit praktisch erneuert. Doch Gewerkschaften existieren nicht wirklich als ernsthafte Organisationen. Ihre Grundeinheiten in den Betrieben halten keine regelmäßigen Treffen ab. Arbeiterinnen und Arbeiter treffen sich nur, um formell ihre Gewerkschaftsvorstände zu wählen, die ihren Mitgliedern nicht wirklich verantwortlich sind und oftmals auch nicht viele Aktivitäten entfalten. Gewerkschaftsführungen berichten nicht über ihre Politik und ihre Aktivitäten. Höhere Gewerkschaftsleitungen werden total bürokratisch bestimmt, ohne dass aktive Arbeiterinnen und Arbeiter irgendeine Chance hätten, eigene Kandidaten durchzubringen. Beschäftigte zahlen ihre Mitgliedsbeiträge oft so, dass die Buchhaltung ihrer Unternehmen 1% ihrer Bruttogehälter einbehält und an die Gewerkschaften überweist. Vor einigen Jahren tauchte die Information auf,, dass die Allianz der Gewerkschaften der Republik Srpska finanzielle Unterstützungen von der Regierung der Republik Srpska erhielt.


… und neue Gewerkschaften


Wenige Jahre zuvor waren oppositionelle Gewerkschaften entstanden. Sie waren als Ergebnis von Fraktionskämpfen innerhalb der Gewerkschaftsbürokratie gebildet worden. Die Grundsatzprogramme und Aktivitätsformen dieser Gewerkschaften unterscheiden sich nicht von denen der offiziellen Gewerkschaften, und sie sind auch meist aus der Gewerkschaftsbürokratie zusammengesetzt. Gewöhnliche Gewerkschaftsmitglieder haben nie auch nur irgendeine Rolle bei den Entscheidungen über die Spaltung der offiziellen Gewerkschaften gespielt. Derzeit arbeiten zwei offizielle Gewerkschaftsorganisationen im Bund der Gewerkschaften von Bosnien und Herzegowina zusammen, der keine neue Organisation sondern ein ziemlich lockeres Bündnis zweier offizieller Gewerkschaften ist. Er ist, wie seine Bestandteile, dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften angeschlossen.

Es ist unmöglich, eine genaue Zahl der Gewerkschaftsmitglieder zu nennen. Es ist ziemlich sicher, dass praktisch alle Beschäftigten der staatseigenen Betriebe wegen des Automatismus’ Mitglieder sind. Auf der anderen Seite gibt es in Privatunternehmen keine Basisorganisationen, außer in den gerade erst privatisierten Staatsbetrieben. Um die Bedeutung dieser Tatsache zu verstehen, muss man sich daran erinnern, dass die Wirtschaft von Bosnien und Herzegowina überwiegend aus Klein- und Mittelbetrieben besteht, nachdem vom sozialistischen Regime aufgebaute große Einheiten zerstört worden sind. In diesen kleineren Unternehmen gibt es jeweils nur wenige Beschäftigte und sie haben nicht einmal die elementarsten sozialen Rechte. Gewerkschaften haben nichts getan, um sie zu organisieren und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Einige Quellen behaupten, dass 40% aller Beschäftigten im schwarzen Sektor arbeiten. Auch wenn wir nicht sicher wissen, ob diese Zahlen exakt sind, können sie doch nicht weit von der Wahrheit entfernt sein, wenn man an Folgendes denkt: offizielle Arbeitslosenrate ist 44%, obwohl verschiedene Schätzungen der realen Arbeitslosigkeit zwischen 21% und 31% schwanken. [2] Der Gegensatz zwischen offizieller und realer Arbeitslosenrate ist Ergebnis der Methode der Bestimmung von Erwerbslosigkeit. Offizielle Stellen registrieren alle Menschen, die eine Arbeit suchen und keine reguläre Beschäftigung haben, wozu nicht nur die mit Teilzeitjobs, sondern auch diejenigen gehören, die Vollzeit schwarz arbeiten und daher nirgends als Beschäftigte registriert sind. Beschäftigte im privaten Sektor sind völlig schutzlos. Oft arbeiten sie 12 oder sogar 14 Stunden am Tag trotz der strikten gesetzlichen Grenzen von 8 Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche. Man kann sehen, dass Problem des Schutzes der Arbeiterklasse im (inzwischen vorherrschenden) privaten Sektor der Wirtschaft eine große Bedeutung bekommen hat.


Privater Sektor


Die offiziellen Gewerkschaften behaupten, die Arbeiterinnen und Arbeiter im privaten Sektor würde kein Interesse an irgendeiner Form gewerkschaftlicher Organisierung zeigen. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn es stimmt nicht, dass sie kein Interesse gezeigt hätten, sondern sie haben Angst, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der völligen Schutzlosigkeit der Beschäftigten gehen diejenigen, die es wagen zu protestieren und Gewerkschaften zu organisieren, ein hohes Risiko ein, ihren Job zu verlieren. Und die Arbeiterinnen und Arbeiter, die am härtesten ausgebeutet werden, arbeiten gewöhnlich in kleineren Betrieben oder Geschäften, wo es ohne Verbindungen und Solidarität zwischen den Betrieben praktisch unmöglich ist, einen Streik oder ähnliche Aktionen zu organisieren. Bislang haben wir keine Bereitschaft zu solchen Aktionen gesehen. Mehr noch, die Beschäftigten in diesen Unternehmen sind meist jung und glauben nicht an die Möglichkeit von Kämpfen. Die meisten sind eingeschüchtert, unerfahren und, was ein sehr großes Problem ist, mit provinziellem Bewusstseinsstand. Leider haben die offiziellen Gewerkschaften nur allzu sicher nicht versucht, diese Beschäftigten in alternativen Organisationsformen zu organisieren oder ihnen in anderer Form zu helfen sich zu organisieren.

Vor wenigen Jahren hatte die Allianz der Gewerkschaften der Republik Srpska zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen, der völlig scheiterte. Er war ohne klare Ziele oder konkrete Forderungen organisiert worden, und die Arbeiterinnen und Arbeiter, die bereits jedes Vertrauen in die Führung verloren hatten, verweigerten in vielen Fällen die Teilnahme. In 2002 organisierten dieselben Gewerkschaften einen Protesttag in der ganzen Republik Srpska. Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Rentnerinnen und Rentner versammelten sich zu Stadtforen und formulierten ihre Forderungen. Diese Proteste waren nur schwach besucht. In Bijelma beispielsweise, einer Stadt mit 50 000 Einwohnern, beteiligten sich nur 400. Die Kommunistische Arbeiterpartei von Bosnien und Herzegowina (Radnicko-komunisticka partja Bosne i Hercegovine -RKP) beteiligte sich an dieser Aktion für sich allein und verteilte Flugblätter mit konkreten Forderungen, die die Arbeiter stellen sollten. Wir forderten auch von den Organisatoren, an der Kundgebung formell teilnehmen zu dürfen. Da dies abgelehnt wurde, schickten wir einen Genossen als Vertreter der „unabhängigen Rentner“, um zu der Versammlung zu sprechen.


Kerne von Organisierung


Anfang diesen Jahres schlug die RKP den örtlichen Führungen der Gewerkschaften und Rentnerverbände in Bijelina vor, gemeinsame Aktionen als Protest gegen die Entscheidung des Stadtparlaments, die Bezüge des Bürgermeisters auf monatlich 1600 Euro (was das Siebenfache eines Durchschnittslohns ist) zu erhöhen, vorzubereiten, doch sie lehnten unter dem Vorwand ab, dass dieses Thema nicht in ihre Kompetenz falle und dass sie sich nicht an den Aktionen irgend einer Partei beteiligen wollten. Tatsächlich verweigern die Gewerkschaften strikt jede Kooperation mit politischen Parteien und bemühen sich, ihren überparteilichen Charakter herauszustellen, obwohl sich die oppositionellen Gewerkschaften der Republik Srpska noch vor wenigen Jahren an einer vom Bund Unabhängiger Sozialdemokraten organisierten Protestaktion beteiligten, während die Führung des Bundes Unabhängiger Gewerkschaften von Bosnien und Herzegowina 2002 ein Treffen mit einer Delegation der Sozialdemokratischen Partei hatte.

Häufig werden von der Basis Aktionen organisiert, die von den zentralen Gewerkschaftsführungen nicht gebilligt oder unterstützt werden. Streiks werden hauptsächlich im Gesundheits- und Bildungssektor organisiert. Sie werden oft von Funktionären geführt, die zur zentralen Gewerkschaftsführung gehören, und sie sind manchmal recht erfolgreich. Leider kann man das nicht von den Funktionären in anderen Sektoren sagen, vor allem in Industrie und Handel, die wirtschaftlich am Boden liegen und in denen die Beschäftigten am schlimmsten ausgebeutet werden. Wenn die Gewerkschaftsbasis oder die Beschäftigten in den Betrieben Streiks organisieren und Hilfe von ihren Führern fordern, bekommen sie oft zu hören, es sei zu spät für einen Streik und unmöglich, ihnen auch nur technische und juristische Hilfe zu geben. Auf der anderen Seite sind unsere Streikenden in einigen Fällen fest entschlossen zu streiken, haben aber keinerlei Erfahrung. Manchmal müssen sie Gewerkschaftsgruppen neu zu gründen oder ein Streikkomitee zu bilden, wenn keinerlei Gewerkschaftsstrukturen existieren. Aber manchmal denken sie auch, dass sich mehr als die Hälfte der Beschäftigten an einem Streik beteiligen müssten, und wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, lassen sie den Gedanken an einen Streik fallen. Manchmal konnten Mitglieder der Kommunistischen Arbeiterpartei von Bosnien und Herzegowina (RKP) Gewerkschaftern mit juristischer oder organisatorischer Hilfe beistehen, so in den Städten Modrica, Banja Luka und Bijeljina. In Banja Luka konnte auf einer Betriebsversammlung von 600 Arbeiterinnen und Arbeitern der RKP-Präsident zu den Anwesenden sprechen. In Bihac schrieb die kommunistische Zeitung Stimme der Freiheit während eines 100-stündigen Hungerstreiks über den Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter und die Zeitung wurde von den Streikenden selbst verteilt. In Zenica nahmen Beschäftigte einer Fabrik Teile der Parteiplattform in ihren Forderungskatalog auf und in Sarajevo verlasen Arbeiterinnen und Arbeiter bei einer Verkehrsblockade unser Solidaritätstelegramm.

Generell gibt es mehr aktive Arbeiterinnen und Arbeiter auf Basisebene. Auch wenn man noch nicht von einer organisierte Arbeiterbewegung im Lande sprechen kann, bilden sich doch erste Konturen in Form untereinander nicht vernetzter Aktiver ohne ausreichend Erfahrung und mit nur unklaren Vorstellungen, was und wie es zu tun ist. Die meisten sind klar links-orientiert, aber keine Parteigänger, mit Respekt vor den revolutionären Traditionen Jugoslawiens, aber ohne revolutionäre Perspektive. Die meisten respektieren den Wunsch der RKP nach Kooperation und Unterstützung, aber sie fürchten, dass jeglicher Kontakt mit Kommunisten ihren Kampf erschweren könnte. Aber viele Dutzend sind mit unserem Vorschlag einverstanden, eine Konferenz aktiver Gewerkschafter zu organisieren und ein Koordinationskomitee der Arbeitergewerkschaften zu bilden. Eine Konferenz, die angeblich von unserer Partei veranstaltet werden soll. Doch unglücklicherweise haben weder wir noch unsere Genossen von den Gewerkschaften genug Geld, um so etwas zu organisieren. Trotz ihrer Bereitschaft, auf diesem Treffen zusammenzukommen und sogar im Komitee mitzuarbeiten, sind viele nicht bereit, mit den Gewerkschaften zu brechen, denen sie formal angehören.

Die offiziellen Gewerkschaften haben die vorherrschende neoliberale Ideologie akzeptiert und unterstützen den Prozess der Privatisierung. Obwohl sie immer wieder die Notwendigkeit der Erfüllung des sozialen Programms betonen, haben sie noch nie gesagt, wie das erreicht werden soll. Ausgearbeitete Programme ökonomischer und sozialer Maßnahmen, die die Regierung umsetzen soll, sind von den Gewerkschaften noch nie vorgestellt worden. So kann man wohl sagen, dass sie weder ein Grundsatzprogramm noch irgendeine Idee haben, welches die zur Durchsetzung dieser Ziele erforderlichen Mittel sind. Im Jahre 2002 hatten die Gewerkschaftsführer ein Treffen mit dem Hohen Repräsentanten [3] und akzeptierten die Notwendigkeit der Umsetzung der Bankrottpolitik. Ihre offizielle Position dazu ist folgende: Der Übergang zur Marktwirtschaft auf Grundlage privaten Eigentums ist notwendig und sogar nützlich, obwohl er mit Sozialprogrammen ergänzt werden sollte, die jene unterstützen, die ihren Arbeitsplatz im Zuge von Privatisierung und Bankrott verlieren könnten.


Gegen Privatisierung


Kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben eine etwas andere Position, obwohl sie denken, dass irgendetwas anderes als der Kampf für unmittelbare und sehr gemäßigte Forderungen blanke Utopie wäre. Doch in vielen Fällen forderten sie die Rücknahme der Privatisierung ihrer Betriebe, und dies manchmal sehr erfolgreich (die Unternehmen „Alhos“ in Sarajevo und „Zitoprerada“ in Bihac), während in anderen Fällen der Prozess der Rückumwandlung noch anhält (zwei Fälle in Bijeljina und einigen anderen Städten). Kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, ohne Antrieb oder gar Unterstützung durch die Führer aus den höheren Sphären ihrer Organisationen, griffen zu radikalen Kampfmethoden, um ihr Ziel, die Privatisierungen rückgängig zu machen, durchzusetzen. Einige organisierten Hungerstreiks während andere den Verkehr oder Regierungsinstitutionen blockierten. Bei diesen Aktionen wurden sie von Arbeiterinnen und Arbeitern aus anderen Städten unterstützt. In einzelnen Fällen organisierte die Kommunistische Arbeiterpartei von Bosnien und Herzegowina symbolische Solidaritätsaktionen. In einem großen Betrieb in Banja Luka mit Namen „Cajavec“ stellte eine unabhängige Gewerkschaft die bislang radikalste Forderung auf. Sie forderte von der Regierung, die Privatisierung des 35%.igen Staatsanteils rückgängig zu machen und diesen der Gewerkschaft zur Verwaltung zu übergeben. Wir haben diese Forderung eindeutig unterstützt. In einem Betrieb im Industriezentrum von Zenica kauften die Arbeiterinnen und Arbeiter Aktien auf und wurden Mehrheitseigner. Trotz dieser positiven Beispiele haben die Beschäftigten der meisten Betriebe kein klares Bild davon, was sie nach der Umkehr der Privatisierung tun sollen. Wir haben versucht sie zu überzeugen, nicht bei dieser Forderung stehen zu bleiben, denn nach der Umkehr der Privatisierung würden neue folgen, die ihre Position alle andere als verbessern würden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich eine Arbeiterbewegung in Bosnien und Herzegowina in elementaren Konturen abzeichnet. Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben sehr wohl verstanden, wer ihre Feinde sind und woher ihre Probleme kommen. Sie verstehen auch sehr gut, dass eine ethnische Spaltung der Arbeiterklasse zu nichts anderem führen würde als zu neuen und tiefen Niederlagen. Die meisten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gehören zu einer älteren Generation. Junge Beschäftigte beteiligen sich an den Kämpfen nur in verschwindend kleinem Anteil. Unsere Arbeiterinnen und Arbeiter brauchen die Hilfe von ihren Genossinnen und Genossen im Ausland um zu lernen zu kämpfen und sich in konkreten Situationen richtig zu verhalten. Und sie brauchen Hilfe beim Aufbau klassenkämpferischer Gewerkschaften.

Goran Markovic ist Präsident der Kommunistischen Arbeiterpartei von Bosnien und Herzegowina (RKP). Diese Partei wurde 2000 gegründet; sie ist gegen Nationalismus und für Arbeiterselbstverwaltung, partizipatorische Demokratie und den Wiederaufbau eines sozialistisch-föderalen Jugoslawiens. Internet: http://www.rkp-bih.cjb.net/?lang=english

Übers.: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 424/425 (März/April 2007) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Im Abkommen von Dayton 1995 blieb Bosnien-Herzegowina zwar erhalten; es wurde aber – etwa entlang der Waffenstillstandsgrenzen –in zwei „Einheiten“ geteilt: die (serbische) Republik Srpska und die (bosniakische) Föderation von Bosnien und Herzegowina – d.Üb.

[2] Andere Wirtschaftszahlen: Preissteigerung 1% pro Jahr, öffentliche Verschuldung entspricht 60% des BIP und das Haushaltsdefizit liegt bei 3% des BIP. Das BIP pro Kopf beträgt nur 8% des EU-Durchschnitts erreicht etwa 60% des Vorkriegswerts. Ausländische Direktinvestitionen stiegen von 161,1 Millionen Euro in 2000 auf 344,4 Millionen Euro in 2004. Die Auslandsverschuldung macht 33% des BIP aus. Die Wirtschaftswachstumsrate war unmittelbar nach dem Krieg sehr hoch, hauptsächlich in Folge der ausländischen Investitionen in die Infrastruktur. Doch dann fiel sie schnell und 2003 lag die Wachstumsrate nur noch bei 3,5%. Schätzungen zeigen deutlich, dass 60% der Betriebe ihre Potenziale und Möglichkeiten nicht voll ausnutzen. Das Außenhandelsdefizit hat einen Rekordwert von 3 Mrd. Euro in 2004 erreicht, was 50% des BIP entspricht. Wenn offizielle Zahlen etwa 20% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze sehen, ist das eine krasse Unterschätzung des Problems.

[3] Von der UNO eingesetzter faktischer Staatschef mit diktatorischen Vollmachten – d.Üb.