NORWEGEN

Internationalisten sammeln sich

In der norwegischen "Rød Valgallianse" (Rote Wahlallianz - RV) will ein Kreis von Sympathisanten der Vierten Internationale künftig offen auftreten. Sie haben jetzt den "Forbundet Internasjonalen" (Bund Internationale - FIN) gegründet und sich im RV-Mitgliedsblatt Opprør (Aufruhr) vorgestellt.

Bertil Videt

Alle FIN-Mitglieder sind aktiv in der RV und haben keine Ambitionen, eine andere Partei oder Organisation außerhalb der RV aufzubauen. Bjarke Friborg, Mitglied des FIN-Arbeitsausschusses, erläutert, dass das Hauptziel der FIN sei, eine Debatte über die Notwendigkeit einer neuen Internationalen zu beginnen und ganz allgemein einen antistalinistischen Marxismus zu stärken.

DER KAMPF IST INTERNATIONAL

Die Debatte über die internationale Arbeit von revolutionären Sozialistinnen und Sozialisten ist zentraler Punkt für den FIN. In Opprør schreibt die Gruppe unter anderem: "Ein endgültiger Sieg über das EU/EWR-System [1] ist ohne die Zusammenarbeit aller Gegenkräfte in Europa nicht möglich. In einer globalisierten Ökonomie werden immer mehr gewerkschaftliche Kämpfe international. Wenn die Besitzer in London oder Frankfurt sitzen, muss die Gewerkschaftsbewegung sich international orientieren. Das gleiche gilt für den Kampf für den Sozialismus. Auch er kann nur überleben, wenn die Bedrohung durch den Imperialismus überwunden wird, wenn der Imperialismus selbst überwunden wird. Sozialismus muss international sein, sonst ist er nichts."

Auszüge aus der Plattform des FIN

Wir meinen, dass die Vierte Internationale der reelle Ausgangspunkt für eine internationale Organisierung von Revolutionären ist. Es gibt eine Reihe anderer Strömungen, die sich auch international organisieren, aber in Wirklichkeit doch relativ unselbständige Ableger einer dominierenden Mutterpartei sind. Von all diesen Strömungen ist die Vierte Internationale die einzige, de sich als sammelnde und pluralistische Organisation auf erklärt marxistischer und revolutionärer Grundlage weiterentwickelt hat. Seit Mitte der 80er Jahre war dies eine immer bewusstere Linie und zugleich eine Kritik der Idee einer einheitlichen und zentralisierten Weltpartei mit dem Recht der Detailsteuerung der einzelnen Sektionen.

In den 90er Jahren zeichnete sich die Vierte Internationale als einzige klare Strömung mit einer bewussten Strategie zur Unterstützung und Förderung von Strömungen für sozialistische Sammlungsparteien und zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen ihnen aus. Diese Arbeit geschah zusammen mit dem Versuch der Vierten Internationale, ihre eigene Plattform auszuweiten und den Leerraum nach dem Zusammenbruch des Stalinismus zu füllen. Die Vierte Internationale hat - wie die RV - lange daran gearbeitet, einen ökologischen und feministischen Marxismus zu entwickeln. Sie betrachtet die Frauenunterdrückung als eine besondere Form von Unterdrückung mit tiefen historischen Wurzeln, die nicht automatisch zusammen mit dem Kapitalismus abgeschafft wird.

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Wir meinen, dass neue Antworten am besten gefunden werden können, wenn Gruppen und Initiativen durch politische Praxis, soziale Kämpfe und theoretische Auseinandersetzung lernen und diskutieren. Mit anderen Worten arbeiten wir für eine revolutionäre Umgruppierung, statt für den Versuch, einen festen Kern aus einem bereits fertig zusammengenagelten Programm heraus aufzubauen. Neue Antworten müssen langfristig durch den Aufbau einer glaubwürdigen Alternative gefunden werden und nicht durch Entlarven oder Niederkämpfen von Gegnern.

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Beim Arbeiten für eine größere Umgruppierung wäre es eine sinnlose Strategie, seine eigene Plattform zu verwässern, nur um sich anderen Kreisen zu nähern. Sammlung und Klärung müssen auf revolutionärer und demokratischer Grundlage Hand in Hand gehen. Es schafft keinen Enthusiasmus, Differenzen der Vergangenheit zuzudecken oder ständig Kompromisse zu suchen, um eine brüchige Einheit aufrecht zu erhalten. Respekt für andere Gesichtspunkte dient vor allem dazu, einen sicheren Raum für Debatten zu schaffen, in dem es möglich ist, offen um politische Inhalte zu kämpfen.

In diesem Zusammenhang nehmen wir vor allem deutliche gegen Teile des "orthodoxen Trotzkismus" Stellung, der die Vierte Internationale traditionell dominiert hat. Insgesamt möchten wir einen Beitrag zur kritischen Bearbeitung der Traditionen der Vierten Internationale leisten, bei dem Beiträge und Kritiken anderer Traditionen auf sachliche und offene Weise beurteilt werden. Konkret gilt dies vor allem ihrer alten Theorie, die die staatsbürokratischen Staaten als "degenerierte Arbeiterstaaten" bezeichnet. Eine Sichtweise, die unserer Meinung nach viel zur Unklarheit in den Fragen der Arbeitermacht und der Bedeutung von Demokratie (Mehrparteiensystem und Tendenz- und Fraktionsfreiheit in den revolutionären Parteien) beigetragen hat, die entscheidend für eine sozialistische Revolution sind.

Die Vierte Internationale hat die Abschaffung des privaten Eigentumsrechts als ausreichendes Kriterium gesehen, um eine Regime als "Arbeiterstaat" zu bezeichnen, selbst wenn die Arbeiterklasse während der Revolution am Rande stand und niemals eine selbstständige Machtposition innerhalb des neuen Staatsapparats bekam. Damit wurde der Klassencharakter der neuen bürokratischen Staaten wie beispielsweise China, Jugoslawien oder Kuba falsch eingeschätzt. Keines dieser Länder war jemals ein Arbeiterstaat und erst recht kein sozialistischer Staat, wie andere Richtungen meinten. Sie haben sich auf unterschiedliche Weisen und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit zu unterdrückenden Diktaturen entwickelt, die sich gegen unabhängige Gewerkschaften und wirkliche Arbeitermacht stemmten.

Für den FIN ist die internationale Zusammenarbeit im Kampf für den Sozialismus deshalb wichtiger als je zuvor. Der FIN meint jedoch nicht, dass es ausreiche, sich international zu orientieren: "Wir meinen, dass es sowohl natürlich als auch notwendig ist, sich in einer Internationale zu organisieren", schreiben sie in der Darstellung für ihre Genossen in der RV.

EINE NEUE INTERNATIONALE

Bjarke Friborg und die anderen im FIN wünschen sich eine neue Internationale, eine "zeitgemäße Internationale, die die unglücklichsten Spaltungen unter den revolutionären überwinden und Vertrauen in der Bevölkerung für den Versuch des Aufbaus des Sozialismus schaffen kann". Dem FIN ist klar, dass es diese Internationale heute nicht gibt, meint aber, dass "die Vierte Internationale ein reeller Ausgangspunkt für die internationale Organisierung der Revolutionäre ist, die aus dem Zusammenbruch des Stalinismus die vollen Konsequenzen gezogen haben." Die FIN bestreitet aber auch nicht, dass die Vierte Internationale "immer noch nur eine internationale Strömung unter vielen" ist. Der FIN bezieht sich insbesondere auf die Beschlüsse des letzten Weltkongresses der Vierten Internationale, sich für andere Strömungen zu öffnen und auf den Aufbau von Sammlungsparteien zu setzen, wie etwa die RV in Norwegen, Enhedslisten in Dänemark, Scottish Socialist Party, PT in Brasilien oder Rifondazione Comunista in Italien.

GEGEN DAS MILITÄR

Neben dem Verhältnis zur internationalen Politik sind es einige weitere ideologische Fragen, in denen der FIN sich hauptsächlich von der restlichen RV unterscheidet. Doch für den FIN gibt es nicht den geringsten Zweifel, die hauptsächliche politische Arbeit in der RV fortzusetzen und nach Kräften dazu beizutragen, die RV politisch und organisatorisch zu konsolidieren.

Von den innenpolitischen Fragen ist dem FIN vor allem die Diskussion über den Militärhaushalt wichtig. Bjarke Friborg sagt, dass die RV seit 1979 immer für den Militärhaushalt gestimmt habe. Die von der maoistischen AKP dominierte RV hatte die Analyse, von der Sowjetunion ginge eine reelle Bedrohung für Norwegen aus und die Invasion in Afghanistan sei ein Versuchsballon für einen Angriff auf den nordischen Nachbarn gewesen. Deshalb trat die RV für eine starke, defensive, norwegische Landesverteidigung ein, was nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion etwas gedämpft, aber doch nie völlig verworfen wurde. Ergebnis war, dass man - trotz der klaren Verurteilung des Krieges der NATO und damit Norwegens gegen Jugoslawien im letzten Jahr - sehr unklare Ansichten über das Militär hatte. Der FIN meint, dass die RV offensiv gegen die Militarisierung und auch gegen den Militärhaushalt auftreten sollte. In einem imperialistischen Land gibt es keine "progressive Hauptseite" beim Militär.

Der FIN arbeitet also als eine Fraktion, die die RV in einer internationalistische Richtung ziehen und damit die internationale Zusammenarbeit mit den RV-Schwesterparteien im übrigen Europa - also ähnlichen Bündnisparteien wie Enhedslisten oder Rifondazione - beeinflussen will. Einige der FIN-Mitglieder waren früher in der Arbeidermaktgruppa (AMG), der "alten" Plattform für Anhänger der Vierten Internationale in Norwegen, andere im Revolusjonært Forbund in Bergen. Einige sind auch früher Mitglieder der Gruppe "Internasjonale Sosialister". Bei der Gründung hatte der FIN gut zwanzig Mitglieder, die sich zunächst auf die Herausgabe einer Reihe von Heften von mehr theoretischem Charakter konzentrieren wollen.

Aus: Socialistisk Information Nr. 141 (April 2000)
Übersetzung: Björn Mertens


[1] Durch den Beitritt zum "Europäischen Wirtschaftsraum" (EWR) haben sich nicht-EU-Mitglieder wie Norwegen den Regeln der EU unterworfen.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 344