Italien

Rifondazione vor grundlegender Entscheidung

Der 4. Parteitag der Partei der Kommunistischen Neugründung (PRC) hat vom 12. bis 15. Dezember 1996 in Rom stattgefunden. In Anwesenheit von etwa hundert Gästen haben die 800 Delegierten von der gesamten Halbinsel über zwei alternative politische Richtungen diskutiert.

Livio Maitan

Auf ihrem 3. Parteitag konnte die „Partito per la Rifondazione Comunista“ durchaus zurecht eine positive Bilanz der ersten fünf Jahre ihres Bestehens ziehen. Niemand kann sie mehr als eine Ansammlung von Leuten betrachten, die einem Kürzel oder einem Abzeichen nachtrauern. Sie genießt die Unterstützung von breiten radikalisierten Sektoren der Gesellschaft. Sie hat ihre Wählerinnen- und Wählerbasis beträchtlich erweitert; ihre Abgeordneten sind für das Überleben der Regierungskoalition in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung unabdingbar.

La Corriere della sera, die wichtigste Tageszeitung der Halbinsel, schrieb in ihrer Ausgabe vom 21. Dezember: „Abgesehen von allen Huldigungen für sämtliche Häresien und für sämtliche Orthodoxien der revolutionären Bewegung und von ihrem ganzen institutionellen Konservatismus im Stile der alten PCI, die sie zu einer in mancher Hinsicht sympathisch vorgestrigen Kraft machen, ist Rifondazione auch etwas noch nie Dagewesenes und etwas, das Gewicht hat. (...) Sie ist entscheidend dafür, daß die Regierung bleiben kann, während sie zugleich von der Koalition unabhängig ist“.

Die Zeitung erfaßte zugleich, wo die Probleme liegen: „Während sie Fidel einen Gruß schickt und dazu aufruft, die Perspektive des Kommunismus nicht aus dem Blick zu verlieren, wird die gewerkschaftliche Forderung zum Programm und hauptsächlichen Tätigkeitsbereich einer Partei (...), die für den Primat in der Linken kämpft, wobei sie von eben diesem Terrain ausgeht, noch vor der ideologischen Konfrontation über Antagonismus und Reformer.“

Massimo D'Alema, der Sekretär der Demokratischen Partei der Linken (PDS), hat es bösartiger ausgedrückt: „Ich bin zufrieden, daß Rifondazione für Prodi stimmt, dann am Sonntag über die Alternative zwischen utopischem Kommunismus und Barbarei diskutiert und am Montag wieder für Prodi stimmt. Das birgt die Gefahr eines gespaltenen Bewußtseins.“ (20. Dezember.)

In der Tat steht die PRC vor der Frage, wie sie, ohne in alte Gewohnheiten zu verfallen, kommunistische Propaganda im authentischen Sinne des Wortes, die Beibehaltung einer antikapitalistischen Perspektive und die Präsenz in den sozialen und politischen Kämpfen auf allen Ebenen miteinander kombinieren soll. Niemand kann leugnen, daß ein solches Unterfangen äußerst schwierig ist und daß insbesondere Fausto Bertinotti sich bemüht, diese Schwierigkeit durch eine überbordende Aktivität und einen dauernden Druck auf die Regierung -- an der Grenze zur Erpressung -- zu überwinden, um Punkte zu machen, Errungenschaften zu verteidigen und der Koalition Zugeständnisse abzuringen. In diesem Sinn wird Rifondazione weiterhin als die politische Kraft wahrgenommen, die am besten fähig ist, die Interessen der am wenigsten bemittelten Schichten zum Ausdruck zu bringen. Dennoch ist es so, daß sie, in dem Maße wie sie die Regierung unterstützt und dadurch daß sie ihr vor kurzem geholfen hat, einen recht einschneidenden Haushalt durchzubringen, einen äußerst gefährlichen Weg eingeschlagen hat.

Im vollen Bewußtsein der Schwierigkeit und der Gefahr hat die engere Führungsgruppe der Partei die Diskussionsphase zur Vorbereitung des Parteitags eröffnet. Sie hat nicht gezögert zu behaupten, bei der Debatte gehe es viel weniger um die Bestätigung dieser Linie als darum, ein Nachdenken über strategische Achsen und eine kommunistische Perspektive auf lange Sicht einzuleiten. In erster Linie dank des großen Einflusses, den Fausto Bertinotti und Armando Cossuta ausüben (aus unterschiedlichen Gründen) und die den Entwurf für das Hauptdokument mit ihren eigenen Unterschriften vorgelegt haben, ist das Ziel, einen breiten Konsens zu erzielen, erreicht worden. Die Hauptachse war allerdings nicht diejenige, für die sich die Mehrheit entschieden hatte.

Auf der einen Seite ging der Entwurf Bertinotti-Cossuta nicht weiter, als Forderungen und gute Vorsätze zu benennen, es enthielt keine auch nur ansatzweise systematischen oder wirklich neuen Ideen zu grundsätzlichen strategischen oder ideologischen Themen. Auf der anderen Seite war es unvermeidlich, daß zu dem Zeitpunkt, wo die Aufmerksamkeit von allen sich auf die parlamentarischen Auseinandersetzungen um den Haushalt richteten, die Differenzen in bezug auf die Unterstützung der Regierung in den Vordergrund rückten.


Erfolg für die Minderheit


Vier Mitglieder der ausgehenden „Direzione“ (Vorstand), die mit dem Ansatz des Textes Bertinotti-Cossuta nicht einverstanden waren -- Giovanni Bacciardi (Florenz), Marco Ferrando (Savona), Franco Grisolia (Mailand) und Livio Maitan (Rom) -- legten einen alternativen Text vor, der von insgesamt 24 Mitgliedern des Nationalen Politischen Komitees (CPN) unterzeichnet worden ist. Die Meinungsverschiedenheiten bezogen sich im wesentlichen auf vier Bereiche. In erster Linie waren die Unterzeichner des alternativen Texts der Auffassung, der Prozeß der „rifondazione“ (Neugründung, Neufundierung) sei festgefahren und der Text der Mehrheit enthalte keine wirkliche Bemühung, damit man aus dieser Sackgasse herauskommt; selbst die Erklärung, man müsse zu Marx zurückkehren [1], sei insofern nicht hinreichend, als dabei nicht vorgeschlagen werde, daß man sich die Kategorie des revolutionären Bruchs neu aneignet. Zweitens unterstrichen sie, es gebe keinerlei Überlegungen über den Charakter der Partei und die Formen ihres Funktionierens, während dieses Funktionieren in Wirklichkeit weitgehend vertikalistisch [Abläufe von oben nach unten] sei. Drittens weiche die Mehrheit dem entscheidenden Problem der gewerkschaftlichen Orientierung und genauer der Präsenz von Parteimitgliedern in den unterschiedlichen Verbänden aus, während es sehr ernste Differenzen gibt, auch unter den Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen, die für den Text der Mehrheit sind. Und schließlich erklärte die Minderheit, die Partei müsse gegen einen Staatshaushalt stimmen, der im Geist von Maastricht gehalten sei, und sich wieder in die Opposition begeben.

      
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Åge Skovrind: Gibt es jemals einen „guten Haushalt”?, Inprekorr Nr. 305 (März 1997)
Rifondazione und der Euro-Haushalt, Inprekorr Nr. 305 (März 1997)
 

Bestimmte Verfahrensregeln, die für den Parteitag festgesetzt wurden (wie das Verbot, Abänderungsanträge vorzulegen), wurden heftig kritisiert, und die Minderheit kann der Mehrheit einige Schnitzer vorhalten, wie sie vor allem während der letzten beiden Wochen vorgekommen sind. Aber im wesentlichen konnten die Mitglieder demokratisch ihre Meinungen zum Ausdruck bringen und begegnete man einander mit Respekt; die Minderheitler sind nicht in überzogene Polemiken oder übertriebene Vereinfachungen verfallen, und die Mehrheitler haben oft eingeräumt, daß Punkte, die von ihren Diskussionspartnern angesprochen worden waren, durchaus begründet sind. So war auch die Atmosphäre auf dem nationalen Parteitag; einige Redebeiträge der Minderheit erhielten freudigen Applaus.

Das Ergebnis, das die Minderheit erhielt (15,37 % der Stimmen und deutlich höhere Zahlen in den Großstädten, mit Ausnahme von Mailand), stellt einen unbestreitbaren Erfolg; auch Cossuta hat es als „respektabel“ bezeichnet. Die große Presse und die Fernsehsender, die über alle Ereignisse des Parteitags ausführlich berichtet haben, nannten die Minderheit oft „trotzkistisch“. Wenn die trotzkistische Richtung bei drei der vier Unterzeichner des Texts für niemanden ein Geheimnis ist, so waren doch ein Kern dieser Richtung sowie Mitglieder, die aus der alten PCI gekommen sind (mit Abstand der größte Anteil), einige Kader der früheren „Democrazia Proletaria“ und Jugendliche, deren politische Aktivität erst vor einigen Jahren eingesetzt hat, zusammengekommen. Unter Jugendlichen und in bestimmten Arbeiterkreisen hat der alternative Text im übrigen das größte Echo gefunden.

Die Minderheit ist fast überall auf der Ebene der „circoli“ (Ortsvereine) und der Provinz- und Regional-Föderationen repräsentiert; dank der Ergebnisse bei den Abstimmungen ist die Zahl ihrer Sitze im CPN nun mehr als doppelt so groß (wobei die Mehrheit aus ihrem eigenen Bedarf heraus die Gesamtzahl spürbar erhöht hat); im Vorstand (der jedoch ein wenig kleiner ist als vorher) ist sie fast doppelt so stark vertreten.

Rom, Dezember 1996
Aus dem Französischen übersetzt von Friedrich Dorn.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 304 (Februar 1997). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] „Ritornare a Marx“ war eine der Hauptlosungen der PRC in der letzten Zeit. (Anm. d. Übers.)