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Lebensbild einer großen Sozialistin

25 Jahre nach dem gemeinsam mit Günter Radczun 1971 veröffentlichten Buch „Rosa Luxemburg. Ihr Wirken in der deutschen Arbeiterbewegung“ hat die Ostberliner Historikerin Laschitza eine Biographie herausgebracht, die das ganze Leben der großen Sozialistin und marxistischen Theoretikerin umfaßt.

Manfred Behrend

Die Autorin war bemüht, es in seinen politischen wie privaten Bezügen zusammenhängend darzustellen. Mit der Herkunft aus Russisch-Polen und der Studienzeit vornehmlich in Zürich beginnend entwirft sie das Bild einer sensiblen, zerbrechlichen und zugleich enorm widerstandsfähigen Frau, die vielseitig interessiert und begabt war, harte wissenschaftliche und Agitationsarbeit ebenso liebte wie schöngeistige Literatur und Malerei, den Umgang mit Menschen, Tieren und Pflanzen. Den Freunden, Kampfgefährten und dem sozialistischen Ideal blieb diese Genossin kompromißlos treu. Ihre Gegner wußte sie – auch insofern Leo Trotzki ähnlich – scharfzüngig, treffend und bisweilen verletzend zu attackieren. Als Quelle erster Ordnung nutzte Laschitza neben den Publikationen Briefe Rosa Luxemburgs. Sie tat dabei in einem Punkt des Guten zuviel: Die konsequente Verwendung von Briefzitaten als Zwischenüberschriften macht es oft unmöglich, zu erkennen, welches Thema im folgenden Text behandelt wird.

Mehr als andere Biographien verdeutlicht diese, daß Rosa Luxemburg gleichermaßen für die polnische, die russische, die deutsche und die internationale Sozialdemokratie tätig war. Sie scheute weder Illegalität noch sogenannte Kleinarbeit, werkte häufig bis zur Erschöpfung und war beim Analysieren und Schreiben enorm produktiv, wovon z. B. 107 Seiten druckreifer Polemik gegen Eduard Bernstein binnen zwei Tagen 1898 zeugen.

„Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ von 1906 war nicht nur ein hinreißendes Plädoyer für eine neue Kampfform, sondern auch die packendste Darstellung der damaligen Revolution in Rußland. Gegen das 1913 erschienene Werk „Die Akkumulation des Kapitals“ ist von stalinistischer Seite später viel eingewendet worden, besonders ein angeblich fehlendes Verständnis für Marx und die Nichtkongruenz mit Lenins Imperialismustheorie. Luxemburgs Überlegung, daß bei immer rascher sich anhäufendem Reichtum und gleichzeitig weit langsamer wachsender Konsumtion zur Fortdauer der Kapitalakkumulation nichtkapitalistische soziale Formationen unabdingbar wären, ist damit keineswegs vom Tisch. Gerade heute spricht vieles für diese Auffassung.

Außer mit dem Revisionismus und dem Nein rechter Sozialdemokraten zu außerparlamentarischen Kampfformen haben sich Rosa Luxemburg und die Linke mit dem Nationalismus, dem Ja zu Wehrhaftigkeit, Budgetbewilligung und unter Umständen – so Millerand in Frankreich als erster sozialistischer Minister der Welt – Beteiligung an einer Bourgeoisregierung kritisch auseinandergesetzt. Das brachte ihnen innerhalb der Partei Feinde ein, deren Stärke mit sozialdemokratischen Wahlerfolgen und der Gewinnung neuer Posten wuchs. Die Linke erlitt Einflußverluste. Ihre Beiträge auf Parteitagen wurden oftmals unterbrochen oder abgewürgt. Ihre Artikel und Broschüren fanden immer schwieriger Absatz. So versperrte ihnen der zum Zentristen gewandelte Parteiideologe Karl Kautsky den Weg ins Theorieorgan „Neue Zeit“. Beim Beschreiben dieser Vorgänge weist Laschitza darauf hin, daß Rosa Luxemburg andererseits an der Basis weiter Gesinnungsgenossen fand.

Gerade in der deutschen Sozialdemokratie, der stärksten von allen, schritt die Entwicklung nach rechts rasch voran. Rosa Luxemburg sah 1913 voraus, daß die Reichstagsfraktion eines Tages auch für die Bewilligung von Kriegskrediten stimmen würde. Als das ein Jahr später tatsächlich geschah, wirkte es gleichwohl wie ein schwerer Schock auf sie. Sie fürchtete, wahnsinnig zu werden und erwog den Selbstmord, hat sich aber angesichts der ungeheuren Katastrophe von Weltkrieg, Burgfrieden mit dem „eigenen“ Kapital und bewaffnetem Kampf gegen die Arbeiter anderer Länder wieder gefangen. Wie im vorliegenden Buch dargestellt, wurde sie zur entschiedensten Gegnerin des imperialistischen Krieges, seiner Treiber und sozialdemokratischen Unterstützer, die sie dafür mit tiefstem, oft antisemitisch unterfüttertem Haß bedachten.

Rosa Luxemburgs Arbeiten seit 1915, die meist in der Kerkerzelle geschrieben wurden, werden in der Biographie z. T. ausführlich gewürdigt. Am wichtigsten waren „Die Krise der Sozialdemokratie (Junius-Broschüre)“, die „Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie“, das Fragment „Zur russischen Revolution“ und die erste und beste Programmschrift der 1918 gegründeten KPD, „Was will der Spartakusbund?“ Neben einzelnen Fehleinschätzungen bergen sie eine Fülle weiter gültiger Erkenntnisse und Grundsätze. So die Absage an den Krieg der Imperialisten und an die Ausübung von Terror als Regierungsinstrument, die Forderung nach absolutem Vorrang der internationalen Belange vor den nationalen, das Bekenntnis zur sozialistischen Demokratie als Inhalt der Diktatur des Proletariats und dazu, daß siegreicher Sozialismus die Gewinnung der Mehrheit der arbeitenden Massen voraussetzt.

Im Schlußkapitel konstatiert Laschitza, Rosa Luxemburg und die KPD hätten sich 1918/19 über den Willen und die Bereitschaft der Massen getäuscht, die nach vier Jahren Krieg überwiegend Ruhe statt Revolution haben wollten. Das ist richtig, doch muß zugleich auf das unheilvolle Wirken sozialdemokratischer Führer und des Parteiapparats verwiesen werden, die unter Ausnutzung der Kriegsmüdigkeit Schritte gegen die Fortdauer imperialistischer Barbarei unmöglich machten. Trotz geringer Zahl der deutschen Linken sahen diese Kräfte in der KPD eine ernste Gefahr. Friedrich Ebert paktierte mit dem Generalstab, um den „Sieg des Bolschewismus“ in Deutschland zu verhindern. Gustav Noske billigte den Plan von Hauptmann Pabst, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu ermorden. Laschitza hat die sich steigernde Hetze gegen die beiden führenden Kommunisten nachgezeichnet und dabei das für den Meuchelmord entscheidende Telefonat Pabst-Noske nicht ausgelassen. Die heutigen SPD-Spitzen lassen sich daran nur ungern erinnern. Nach wie vor wollen sie Rosa Luxemburg für sozialdemokratische Traditionen vereinnahmen, denen sie wahrlich entwachsen ist.

      
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Jakob Moneta: „Sie war und bleibt ein Adler”, Inprekorr Nr. 279 (Januar 1995)
Ernest Mandel: Rosa Luxemburg und die deutsche Sozialdemokratie, Inprekorr Nr. 268 (Februar 1994)
 

Einen Nachweis für letztgenannten Umstand hat der Kölner ISP-Verlag in diesem Jahr mit dem Reprint der 1929 erschienenen Schrift von Luise Kautsky: „Rosa Luxemburg. Ein Gedenkbuch“ angetreten. In der 87 Seiten umfassenden, von der Bibliothek des Anderen Buchladens in Karlsruhe herausgegebenen Arbeit trifft die mit Rosa einst eng befreundete Frau Karl Kautskys auch die genauso richtige Feststellung, daß die entschiedene Gegnerin Leninscher Parteiorganisationsprinzipien und eines Sozialismus ohne „Freiheit der Andersdenkenden“ mit der Thälmannschen KPD ebenfalls nichts gemein gehabt hätte.

Die heutige Luxemburg-Biographie Annelies Laschitzas stellt, verglichen mit dem eingangs erwähnten Buch von 1971, eine bessere und gehaltvollere Fassung dar. Gleichzeitig birgt die 71er Arbeit eine Reihe Vorgänge und Fakten, die hier fehlen und hineingehört hätten. Nach meiner Ansicht wurde auch die berühmte Alternative: „Sozialismus oder Untergang in der Barbarei“ vor 25 Jahren prägnanter dargestellt.

Annelies Laschitza: Im Lebensrausch, trotz alledem. Rosa Luxemburg. Eine Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 1996, 687 Seiten.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 303 (Januar 1997). | Startseite | Impressum | Datenschutz