ÖKOLOGIE UND SOZIALISMUS

Resolution des XV. Weltkongresses der IV. Internationale (Februar 2003)

 

I. Vorwort

II. Elemente  der Umweltkrise

·       Klimaveränderung

·       Luftverschmutzung

·       Wasserverschmutzung und Bodenerosion

·       Waldzerstörung

·       Bedrohung der Artenvielfalt

·       Industriekatastrophen und atomare Gefahren

 

 

III. Strukturelle Ursachen der Umweltkrise

·       Die ökologische Krise in den imperialistischen Metropolen

·       Die ökologische Krise in den abhängigen Ländern

·       Die ökologische Krise in den vormals bürokratisierten        

Gesellschaften

 

IV.            ArbeiterInnenbewegung und Ökologie

V.              Errungenschaften und Grenzen der Ökologiebewegung

VI.            Umweltprobleme und bürgerliche Herrschaft

VII.          Erfahrungen mit der politischen Organisation der Ökologiebewegung.

VIII.        Die IV. Internationale und die Umweltkrise

 

IX.            Aktionsprogramm

1.     Verteidigung der Öffentlichen Dienste

2.     Kampf gegen Umweltverschmutzung

3.     Verteidigung der Arbeitsplätze

4.     Der Kampf um Land

5.     Abschaffung des Systems der Verschuldung

6.     Langzeitperspektive und Demokratie

 

 

I.                Vorwort

 

Die Menschheit ist auch in anderen Zeiten mit Umweltproblemen konfrontiert gewesen, aber heute haben sie aufgrund ihres Ausmaßes und Ernstes eine neue Dringlichkeit erhalten. Die Schädigung der Umwelt wirkt sich in vielen Fällen gewaltig und nicht mehr umkehrbar auf den Menschen und die Natur aus. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gefährdet die sich abzeichnende Umweltkrise das Leben von Millionen Menschen.

Im Gegensatz zu den vorherrschenden Strömungen der ArbeiterInnenbewegung, die dazu neigten, Umweltangelegenheiten zu missachten oder herunterzuspielen, kann den Umweltbewegungen und den Grünen Parteien unbestreitbar zugebilligt werden, dass sie diese entscheidenden Fragen auf die Tagesordnung gesetzt haben. Jedoch sind die von ihnen vorgeschlagenen Lösungsmodelle oft völlig falsch, weil sie von den inneren Verbindungen zwischen Umweltzerstörung und kapitalistischer Profitlogik absehen. Um den ökologischen Gefahren ernsthaft begegnen zu können, müssen wir aus dem vom Gewinnstreben beherrschten Rahmen ausbrechen und die Perspektive einer demokratisch geplanten sozialistischen Gesellschaft verfolgen.

 

II. Elemente der Umweltkrise

 

Die Umweltkrise als Ergebnis des menschlichen Einwirkens auf die Natur hat ein Ausmaß angenommen, dass mittlerweile das nackte Überleben der Menschheit in Gefahr geraten ist. Ausschließlich im wirtschaftlichen Interesse einer kleinen Minderheit werden immer schneller neue Produktionsmethoden eingeführt, ohne zuvor ihre ökologischen Folgen abzuschätzen. Und diese Interessen einer Minderheit haben auch zur Folge, dass als schädlich erkannte Produktionsverfahren aufrechterhalten werden. Das geschieht, obwohl der technische Fortschritt die Möglichkeiten der Naturbeherrschung ständig vergrößert und die Umwelt daher in Unordnung bringen oder zerstören kann.

Die industrielle Revolution, die mit dem Aufstieg des Kapitalismus im 19. Jahrhundert verbunden ist, hat die Menge der in die Atmosphäre ausgestoßenen Abgase drastisch vermehrt und die Gesundheit der Arbeiter und Stadtbewohner gravierend beeinträchtigt. Und ganz allgemein haben sich die vom Menschen verursachten Wellen ökologischer Erschütterungen um ein Mehrfaches erhöht.

Dennoch ist die ökologische Krise, wie wir sie kennen, nicht das lineare Ergebnis der industriellen Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert. Sie ist die Folge eines qualitativen Sprungs, wie er sich durch den kapitalistischen Wirtschaftsboom der fünfziger und sechziger Jahre ergab, bedingt durch die verallgemeinerte Nutzung des Erdöls, die unglaubliche Entwicklung des Autoverkehrs und der chemischen Industrie sowie deren Anwendung in allen wirtschaftlichen Bereichen, vor allem in der Landwirtschaft mittels Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel. Seit den 1970ern wurde dieser qualitative Sprung noch spektakulärer: einerseits infolge der Krise der bürokratisch geplanten Gesellschaften, in erster Linie und auf besonders dramatische Weise jedoch durch das zeitliche Zusammentreffen einer Wirtschaftskrise mit einer massiven Welle der Industrialisierung in der so genannten Dritten Welt.

 

Klimaveränderung

Menschliche Tätigkeit, die in der Energieproduktion und im Verkehr auf der Nutzung fossiler Brennstoffe beruht, sowie in der Dritten Welt die Nutzung von Feuerholz für Haushaltszwecke und die dadurch vorangetriebene dramatische Entwaldung, wie auch die Landwirtschaft sind hauptverantwortlich für die vor sich gehende globale Erwärmung. Durch diese Aktivitäten werden pro Jahr um die 7 Milliarden Tonnen Treibhausgase (CO2, CH4, N2O, FCKW) in die Atmosphäre ausgestoßen. Die Hälfte dieser Menge wird von den Wäldern und den Ozeanen nicht wieder aufgenommen. Infolge dieser Entwicklung ist der Treibhauseffekt – welcher für die Aufrechterhaltung von Temperaturen verantwortlich ist, die das Leben auf der Erdoberfläche ermöglichen – außer Kontrolle geraten. Das hat zum Beginn einer schwerwiegenden Zerrüttung der komplexen Systeme der Klimaregulation auf der Erde geführt, wovon die Erderwärmung nur ein Aspekt ist. 1989 wurde festgestellt, dass die achtziger Jahre so heiß waren wie kein Jahrzehnt zuvor. Im Jahr 2000 wurde klar, dass die 90er Jahre die bis dahin heißesten waren! Trotz dieser Daten gibt es noch bürgerliche Kräfte, die die entscheidende Bedeutung des Klimawandels und die Notwendigkeit abstreiten, unverzüglich zu handeln, um die Produktion von Treibhausgasen einzuschränken und die bereits heute unumkehrbaren Folgen zu begrenzen. In vielen Regionen werden die Folgen für die Wirtschaft großer menschlicher Gemeinschaften katastrophal sein. Die Störungen im Wasserkreislauf der Atmosphäre sind besonders Besorgnis erregend, da sie das Verhältnis zwischen Niederschlägen und Verdunstung verändern und die Anzahl und Gewalt der tropischen Wirbelstürme vermehren. Ein Anstieg des Meeresspiegels ist wahrscheinlich. Abhängig von seinem Ausmaß wird dies bestimmte Inseln und Küstengebiete gefährden.

Vorausberechnungen zufolge werden sich diese klimatischen Störungen mit dem weiteren Rückgang des stratosphärischen Ozons und einem entsprechenden Anstieg krebserregender ultravioletter Strahlung in Bodennähe verbinden. Die Zerstörung der Ozonschicht wird verursacht durch halogenierte Kohlenwasserstoffverbindungen – die Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW), die vor allem in Kühlhäusern, -schränken und Sprays Verwendung finden. Obwohl diese Verbindungen heute fast vollständig verboten sind, ist der zerstörerische Einfluss bereits freigesetzter FCKWs noch lange wirksam: Voraussagen zufolge wird er bis 2060 anhalten.

Weltweite Veränderungen der Steuerungsabläufe innerhalb und zwischen den Hauptkomponenten der irdischen Umwelt (Atmosphäre, Ozeane, Biosphäre…) werden das ganze 21. Jahrhundert hindurch anhalten. Der Zeitrahmen dieses Geschehens wird jeweils unterschiedlich sein, aber im Allgemeinen weit über den Zeitraum hinausgehen, den diese jeweilige menschliche Aktivität eingeplant hat. Diese Tatsache unterstreicht die Dringlichkeit, die  ökologischen Abhängigkeiten und Bedürfnisse in die Gesamtorganisation der Gesellschaften einzubeziehen.

 
Luftverschmutzung

Industrie, Verkehr und der Zerfall unterschiedlich lang haltbarer Konsumgüter geben eine Vielfalt giftiger Substanzen in die Luft ab. Das ungezügelte und offenbar nicht steuerbare Wachstum des KFZ-Verkehrs macht diesen zur Hauptquelle von Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid vor Industrie und Haushalt. Formaldehyd, Quecksilber, Asbest usw. sind Industriegifte. In einem beträchtlichen Ausmaß sind sie auch in Gütern des täglichen Gebrauchs enthalten, Formaldehyd und Asbest in Baustoffen, Quecksilber in Batterien.

Die Luft der Städte kann diese Gifte in der 1000-fachen Konzentration der Landluft enthalten. Die Luftverschmutzung ist zu einem richtigen Fluch für die großen städtischen Zentren geworden. Das gilt sowohl für die reichen Länder als auch für die wuchernden, anarchischen Mega-Städte der armen Länder. Im städtischen Umfeld hat diese Verschmutzung zu einer alarmierenden Zunahme von Atemwegserkrankungen wie Asthma, Bronchitis und Lungenkrebs geführt. Untersuchungen in Europa haben gezeigt, dass die Luftverschmutzung in den großen Metropolen Westeuropas für mehrere Zehntausend Todesfälle im Jahr verantwortlich ist.

Asbest verursacht mehrere tödliche Formen von Krebs bei Werft- und Bauarbeitern. Da diese Krebsformen erst nach einer Latenzzeit ausbrechen, steigt inzwischen die Sterberate pro Jahr sprunghaft an und enthüllt so das Ausmaß des Problems. Allein in Frankreich werden im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts mehr als 100 000 durch Asbest verursachte Todesfälle erwartet. Proteste gegen die asbestbedingten Gesundheitsrisiken haben die Verwendung dieses Stoffes in den reichen Industrieländern weitgehend eingeschränkt und zu einer Suche nach Ersatzstoffen geführt. Die Verwendung in der „Dritten Welt” nimmt jedoch weiterhin deutlich zu. Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid sind die Ursachen des sauren Regens, der vor allem die Wälder der gemäßigten Zonen der nördlichen Halbkugel schädigt.

 
Wasserverschmutzung und Bodenvergiftung

Der Abfall von Haushalten, Landwirtschaft und Industrie wird in die Gewässer der Welt entsorgt und verwandelt diese in eine gewaltige Kloake. Die Gewässer der Kontinente, Flüsse und Seen, sind am schwersten betroffen. Aber über Flüsse und an der Küste gelegene Städte erreicht die Verschmutzung immer stärker die Meere. Zu den unmittelbaren Folgen zählt die Anreicherung von Schwermetallen (Quecksilber, Kadmium usw., sowie deren  hochgiftige organische Verbindungen) in den Sedimenten des Ozeanbodens, den Fluss- und Seeböden. Darüber hinaus hat die Anreicherung mit Kunstdüngern, die Nitrate und Phosphate enthalten, zu einer ungehemmten Vermehrung von Algen und Wasserpflanzen geführt. Deren Zerfall verbraucht den Sauerstoff des Wassers und führt zu einem Massensterben allen Lebens im Wasser.

Der Zustand der Ozeane verschlechtert sich darüber hinaus rasch, da sie auch direkt verschmutzt werden: Eine Ursache ist die massive Zunahme des weltweiten Schiffsverkehrs. Der schlechte Zustand vieler Schiffe führt zum Verlust ungeheurer Mengen an Öl. Die systematischen Kostensenkungen durch die internationalen Ölmultis sind direkt für Umweltkatastrophen verantwortlich zu machen, wie sie sich beim Schiffbruch der Exxon Valdez, der Erika oder der Prestige ereignet haben. Zur sichtbaren Umweltverschmutzung der Ölteppiche (allein 1996 haben weltweit 70 Tanker Schiffbruch erlitten) kommen die riesigen Mengen von Öl hinzu, die aus unterseeischen Bohrlöchern und Schiffen austreten. Das Meer wird weiterhin zum Versenken von giftigem chemischem und radioaktivem Müll missbraucht.

Die Wasserverschmutzung ist eng mit der Bodenvergiftung verknüpft, die beide Ursache und Folge bestimmter Formen von Wasser- und Luftverschmutzung darstellen. Dies ist das Ergebnis landwirtschaftlicher Methoden, die aufgrund des Drucks der Märkte eingeführt wurden: Intensivlandwirtschaft (Missbrauch von Düngern und Pflanzenschutzmitteln), Monokulturen, Anbau von Feldfrüchten, die nicht dem lokalen Ökosystem und Klima entsprechen usw. Die Kriegsindustrie mit ihren radioaktiven Waffen, ihren untergegangenen atomaren U-Booten und ihren Minen, die ganze Landstriche unbebaubar machen, trägt zu dieser Verschlechterung bei. Das bedeutet weltweite massive Bodenzerstörung. Hier verbinden sich Verschmutzung, Bodenerschöpfung, Wüstenbildung und massive Erosion mit den wirtschaftlichen und sozialen Ursachen des Hungers, der gut 800 Millionen Menschen in der Dritten Welt betrifft.

 
Waldzerstörung

Eines der dramatischsten Symptome der Umweltkrise, die Zerstörung der Wälder dieser Welt, ist aufgrund des Ausmaßes seiner Folgewirkungen besonders beunruhigend. In 50 Jahren ist ein Drittel des Waldes der Erde verschwunden. Am schlimmsten sind die tropischen Länder betroffen. In den Industrieländern blieb der Umfang der Wälder weitgehend stabil, aber sie sterben eines langsamen Todes durch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden. Hingegen stellt die Entwaldung in der „Dritten Welt” den Kern der Umweltkrise dar. Die Entwaldung ist Folge eines Teufelskreises aus Armut und Erschöpfung des Ackerlands. Eine weitere Ursache ist die Übernutzung tropischer Edelhölzer ohne Rücksicht auf Nachhaltigkeit. Dieser Prozess zerstört die biologische Vielfalt (die tropischen Wälder beherbergen über 50% der Pflanzen- und Tierarten des Planeten) und die Ressourcen der Waldbevölkerung, um für die westlichen Bau- und Einrichtungsmärkte billigere Waren liefern zu können.

Darüber hinaus wurden seit 1997 Amazonien, Mittelamerika, Russland und Südostasien  von vermehrten Ausbrüchen von Waldbränden heimgesucht. In Indonesien betrafen die Auswirkungen ausgedehnter Waldbrände, die in nur 3 Jahren 10 Millionen Hektar Wald vernichteten, an die 70 Millionen Menschen und verursachten Kosten in Höhe von 4,5 Milliarden US-Dollar. Weltweit verstärkt die Entwaldung den Treibhauseffekt.

 
 
Bedrohung der Artenvielfalt            

Die Existenz zehntausender Arten wird durch die pausenlosen Angriffe auf die natürliche Umwelt bedroht. Ein Viertel der Artenvielfalt der Erde könnte daher innerhalb der nächsten 25 Jahre verschwinden. In bestimmten Fällen könnten diese Angriffe möglicherweise sogar das ökologische Gleichgewicht zerstören mit unvorhersehbaren Folgen für die Lebensbedingungen der menschlichen Gattung.

Die biologische Artenvielfalt muss verteidigt werden, nicht aus sentimentalen oder ästhetischen Gründen, sondern wegen unserer eigenen Gattung. Da die Menschheit die Auswirkungen der nicht umkehrbaren Veränderungen, die sie der Umwelt zufügt, nicht beherrschen kann, muss sie ihre Unternehmungen sorgsam und mit Respekt vor dem ökologischen Gleichgewicht der Natur in Angriff nehmen.

Der Kapitalismus kümmert sich nicht um Umweltverschmutzung und beutet die natürlichen Reichtümer ausschließlich unter dem Gesichtspunkt kurzfristigen Gewinns aus, sogar dann, wenn dies die nackte Existenz tropischer Regenwälder, einer Schatzkammer an Tier- und Pflanzenarten, oder des Meereslebens gefährdet. Er muss daher von allen, die die bestehenden ökologischen Gleichgewichte bewahren wollen, grundlegend in Frage gestellt werden. Gleichermaßen ist der Kapitalismus bestrebt, sich technologische Neuerungen – wie etwa genetisch veränderte Organismen – anzueignen (deren Ausbreitung in die Umwelt einen unumkehrbaren und gefährlichen Prozess einleiten kann) ohne sich um mögliche ökologische Folgen zu kümmern. Anstatt eine Labortechnik zu bleiben wurde die Herstellung genetisch veränderter Organismen zu einer Schlüsselbiotechnologie, die der Kapitalismus dazu benutzt, neue Märkte zu finden. Der Kapitalismus strebt auch die Kontrolle über die intimsten Ebenen an, die bislang noch außerhalb seiner Reichweite lagen: Fortpflanzung und genetische Kontrolle über Pflanzen-  und Tierarten.      

 

 

Industriekatastrophen und atomare Gefahren

Die verhängnisvollen ökologischen Folgen der kapitalistischen Produktion nehmen in Industrieanlagen wie Chemiefabriken oder Atomkraftwerken  auch die Form gigantischer Unfälle oder eines potentiellen Risikos für solche Unfälle an. Die Katastrophe von Bhopal mit ihren 15 000 Toten und dem Leiden der vielen Methylisozyanatopfer, die noch immer jedes Jahr zu Hunderten sterben, war zusammen mit Tschernobyl eines der tragischsten Beispiele.

Der besondere Charakter der Kernkraft, das unberechenbare Ausmaß ihrer widrigen Auswirkungen und besonders ihre extrem langfristigen Folgen stellen angesichts der Existenz von alternativen Lösungen ein besonders beängstigendes Beispiel für abwegige Entscheidungen dar, die hinsichtlich der Entwicklung der Produktivkräfte getroffen werden.

Das Risiko der Radioaktivität beschränkt sich nicht auf die Bedrohung durch große Unfälle. Obgleich die Atomindustrie seit gut 40 Jahren existiert, hat sie noch immer keine Lösung für das Problem der atomaren Abfälle gefunden. Vom Niedergang bedroht versucht sie nun, ihre ökologischen Tugenden hervorzukehren, um neue Atomstromprogramme aufzulegen, da es derzeit praktisch ein Moratorium gibt. Die Atomkraft wird als Weg zur Verminderung der CO2-Emissionen dargeboten. Diese Behauptung verharmlost die Risiken durch radioaktive Verseuchung (genehmigtes oder „wildes” Müllabladen) und die Tatsache, dass die Hauptursache der CO2 Emissionen der Transportsektor ist. Darüber hinaus würde ein derart unflexibles Energiesystem, das auf großen Produktionseinheiten beruht und Hunderte neuer Kraftwerke errichten würde, Investitionen zu Lasten anderer Systeme (Energiesparmaßnahmen, erneuerbare Energien) monopolisieren. Weiterhin begünstigten Überkapazitäten in der Energieproduktion und Verluste über die Verteilersysteme die Energieverschwendung. Dies würde auch ein Entwicklungsmodell, das sich längerfristig als schädlich erwiesen hat, verewigen.

Zu diesen dauerhaften Risiken treten noch die imperialistischen Angriffskriege hinzu, die wegen der Zerstörungskraft der eingesetzten Waffen schwerwiegende ökologische Folgen haben: Die Kriege in Vietnam, am Golf oder in Serbien-Kosovo legen davon Zeugnis ab.

 

Die ökologische Krise stellt nun keine neuartige Notlage dar, die alle „traditionellen“ wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme bedeutungslos werden ließe. Im Gegenteil – alle ihre Elemente sind eng mit diesen „traditionellen“ Angelegenheiten verknüpft.

Die Umweltkrise ist dramatisch, weitet sich aus und verursacht örtliche und Teilkatastrophen. Diese verursachen bisweilen nicht wieder gut zu machende Schäden, in anderen Fällen kann kurz -, mittel- oder auch langfristig über 2 bis 3 Jahrhunderte (dem Alter vieler Bäume) gegengesteuert werden, aber es entstehen auch globale Gefahren wie etwa die Erwärmung der Erdatmosphäre oder das Artenstreben. Alles hängt von den bewussten Entscheidungen der menschlichen Gemeinschaften ab.

 

 

III. Strukturelle Ursachen der Umweltkrise

 

Obwohl die kapitalistische Produktionsweise den Gesetzen der Natur nicht entrinnen kann, steht sie auf verschiedenen Ebenen in fundamentalem Gegensatz zur Natur und zum Prozess der natürlichen Evolution. Für das Kapital ist ausschließlich der quantitative Aspekt ausschlaggebend, der des Verhältnisses zwischen Arbeitszeit und Geld im Rahmen des Wertgesetzes. Qualitative und globale Bezüge können nicht berücksichtigt werden.

Die kapitalistische Produktion beruht auf der Durchführung eines zyklischen Prozesses, bei dem in der kürzest möglichen Zeit investiertes Kapital zum Investor zurückkehren soll. Folglich muss sie den natürlichen Prozessen einen Rhythmus und einen Rahmen aufzwingen, die ihnen fremd sind. Die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer kann den Zeitraum, den diese benötigen, um zu entstehen oder sich zu erneuern, nicht berücksichtigen. Die Ausbreitung der Warenproduktion kann keine Rücksicht nehmen auf vorher bestehende Formen der gesellschaftlichen Organisation. Indem sie sich den Raum nimmt, den sie für einen zügigen Produktionsprozess, die Energieversorgung und den Vertrieb benötigt, entwickelt sie sich ohne Rücksicht auf die natürliche Umwelt, die Pflanzen- und Tierwelt. Nicht der Mangel an Weisheit im Kapitalismus führt zur Umweltzerstörung, sondern eben die ihm zugrunde liegende Logik. Daher wird der Ruf der Sozialdemokratie nach „qualitativem Wachstum” durch die Logik des Kapitals vereitelt: Qualitatives Wachstum und Wertgesetz schließen sich gegenseitig aus.

Die kapitalistische Vernunft bestimmt die Bewegung der einzelnen Kapitale. Doch die Konkurrenz zwischen den Kapitalien macht das System als Ganzes irrational. Die Intelligenz, die benutzt wird, um die Produktion zu verbessern oder Rohstoffe einzusparen, endet am Fabriktor. Die Umwelt bezahlt die Rechnung, wo immer sich niemand verantwortlich fühlt – z.B. im Fall der Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung. Ferner führt die Konkurrenz zu periodischen Überproduktionskrisen, die enthüllen, dass ein beträchtlicher Teil von Energie und Rohstoffen in Waren investiert wurde, die sich nicht verkaufen lassen. Außerdem begünstigt der Markt die Produktion von aus Gebrauchswertsicht überflüssigen Produkten (Werbung, verschiedene Drogen, Waffen, etc.), die aber einen Tauschwert haben, der hohe Gewinne ermöglicht. Wettbewerb und die Jagd nach Profit und Extraprofit sind letztendlich die Ursache von verbrecherischem Verhalten, wie es von der kapitalistischen Gesetzgebung selbst erkannt wird: Missachtung von Umweltschutzgesetzen, Einsatz giftiger Stoffe, nicht angemessene Qualitätskontrolle, Fälschung von Inhaltsangaben, nicht genehmigte Müllentsorgung usw.

Der Begriff „Produktivismus“, wie er von der Ökologiebewegung popularisiert wurde, bringt auf konfuse Weise einen Aspekt der Irrationalität des kapitalistischen Systems zur Sprache. Die Entwicklung der Produktivität wird – statt eine Quelle für gesellschaftlichen Fortschritt zu sein – zum Mittel einer immer intensiveren Ausbeutung der Arbeitskraft, für Produktionsentscheidungen, die mit gesellschaftlichen Bedürfnissen und ökologischen Erfordernissen nichts zu tun haben, und für chronische Überproduktionskrisen. In einem blinden Markt funktioniert die Produktion, als sei sie ihr eigenes Ziel.

 

Die ökologische Krise in den imperialistischen Metropolen

 

Die ausgeprägteste Form der wirtschaftlichen Ausbeutung, d.h. die wirtschaftliche Inwertsetzung vorbestehender natürlicher, gesellschaftlicher und geschichtlicher Grundlagen findet sich in den entwickelten kapitalistischen Ländern. Heutzutage beherrscht die Warenproduktion alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, während der soziale Prozess der Produktion immer mehr zersplittert wurde. Die Besitzverhältnisse sind immer weiter zentralisiert worden – die Konkurrenz zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel verhindert, dass sie völlig einfrieren.

Das hat in allen imperialistischen Ländern zu den gleichen ökologischen Hauptproblemen geführt. Das beweist einmal mehr, dass diese Probleme nicht als „Betriebspannen” oder „Fehler” angesehen werden können. Sie stehen in der ganzen Welt im Einklang mit der Logik des Systems. Die Privatisierung der Öffentlichen Dienste, die unkontrollierte Expansion der Städte und ihre „Zubetonierung“ führen zu einer üblen Verschlechterung der Umweltbedingungen in den Städten; dabei verschwinden Grüngürtel, Bäume und Wälder und werden durch Straßen und Autobahnen ersetzt. Die praktisch völlige Ausbeutung der letzten Quadratzentimeter Land für die Nutzung als Industriegebiete, Shoppingcenter, Schlafstädte, Themenparks und Verwaltungszonen hat ungeheuer zugenommen und Zeit und Verkehr verändert, während die Struktur der Bedürfnisse im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Die Verkehrspolitik, die hauptsächlich auf der privaten Nutzung von benzinbetriebenen PKW beruht, hat zu chronischen Verkehrsstaus geführt, die alle großen Ballungsräume zu lähmen oder gar zu ersticken drohen.

Die Zentralisation der Eigentumsverhältnisse hat insbesondere im Energiesektor den Bau riesiger Kraftwerkskomplexe vorangetrieben, die mit fossilen Brennstoffen oder Atomenergie betrieben werden. Diese Entscheidung ist der Luftqualität abträglich und vom Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Energienutzung aus gesehen gänzlich unvernünftig.

Die Irrationalität des Marktes und das Profitstreben spielen eine entscheidende Rolle beim Abfallproblem. Für jede Firma wird es immer „vorteilhafter”, das in der Produktion Nutzlose wegzuwerfen, hinauszuspülen oder zu verbrennen. Daher sind die Berge von Müll, besonders von Giftmüll, zum Symbol der kapitalistischen Überflussgesellschaft geworden. Gar nicht zu reden von dem gigantischen Problem der militärischen Nuklearabfälle und der durch die Kriege – besonders die imperialistischen Militärexpeditionen – hervorgerufenen Umweltzerstörungen.

Die Folgen dieser grundlegenden Umweltprobleme sind: Naturzerstörung, wuchernde Städte, Überfüllung des Straßennetzes, Luftverschmutzung durch das Privatauto, Vergiftung durch die chemische Industrie, radioaktive Verseuchung durch die Kernenergie und ständig wachsende Müllberge. Der Kapitalismus ist nicht imstande, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Solange die natürlichen Reichtümer wie Wasser, Holz, Boden, „frei” verfügbar sind, werden sie im Kapitalismus verbraucht, verschwendet und verschmutzt – meistens ohne jede Kontrolle. Sie sind (und dies nicht nur im ökonomischen Sinn) „exogene Faktoren”. Sie bleiben abhängig, das heißt sie sind Objekte für das Streben nach privatem Profit. In anderen Worten: Die begrenzte Natur dieser Reichtümer wird nur von denen wahrgenommen, die sie kaufen müssen. Ihre Verkäufer haben ein grundlegendes Interesse an der Expansion und widerstehen jedem Versuch, sie sparsam einzusetzen.

Jeglicher Versuch, diese Entwicklung zu korrigieren, stößt sich an der aktuellen Kampagne der Kapitalisten für eine größere Deregulierung. Solche Versuche können ansonsten nur auf der Grundlage einer falschen Voraussetzung in Betracht gezogen werden, dass nämlich das Wertgesetz zwischen „guten” (umweltverträglichen) und „bösen” Profiten unterscheiden kann. Daher finden sich die imperialistischen Länder mit dem Versuch ab, eingetretene Schäden zu „reparieren“. Bestenfalls kann dies zu sehr begrenzter und unvollständiger Abhilfe führen – wie der verpflichtende Einbau von Filtern zur Wasser- und Luftreinigung etc.

Die kapitalistische Produktion verändert auch ihre eigenen VerbraucherInnen. Demgemäß ist das Verhalten der Einzelnen ein Element, das die Umweltkrise verschlimmert und ihre Lösung behindert. Ein bezeichnendes Beispiel ist das, was man die „Diktatur des Autos“ nennen könnte, also das ökologisch betrachtet katastrophale System des Individualverkehrs. Dies wird durch das Marketing der Autoindustrie, durch die individualistische bürgerliche Ideologie, durch die willentlich herbeigeführte Verschlechterung des Öffentlichen Verkehrs, aber auch durch die urbane Struktur der Großstädte, die die Arbeitenden zu weiten Wegen zwingt, vorangetrieben. Verhaltensänderungen der Einzelnen können insofern nur einen winzigen Einfluss auf die grundsätzlich umweltzerstörerische Natur der kapitalistischen Produktion haben.

 

Die Umweltkrise in den abhängigen Ländern

Eine hellsichtige Studie der UN-Umweltbehörde ist zu dem klaren Schluss gekommen, dass die Umweltprobleme der „Dritten Welt” Armutsprobleme sind. Das ist völlig zutreffend, wenn wir nicht außer Acht lassen, dass diese Armut keine Schicksalsfolge ist, sondern das Ergebnis der politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten der imperialistischen Länder darstellt. Durch Verdrehen der Tatsachen könnte es möglich sein, die Umweltkrise in den imperialistischen Ländern als Folge der Wohlstandsgesellschaft und nicht als Ergebnis der Marktwirtschaft darzustellen. Aber in den abhängigen Ländern von Asien, Afrika und Lateinamerika ist die Beziehung zwischen Wirtschafts- und Umweltkrise ganz und gar offensichtlich. Für Millionen Menschen sind die wachsende Zerstörung von Umwelt und  Biosphäre und der alltägliche Kampf ums Überleben nur zwei Seiten der gleichen unmittelbaren Erfahrung. Über 800 Millionen Menschen sind unterernährt, 40 Millionen sterben jährlich an Hunger und an Erkrankungen, die durch Mangelernährung bedingt sind. Fast 2 Milliarden haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser, als Folge sterben 25 Millionen jährlich. 1 ½ Milliarden Menschen leiden an akutem Mangel an Brennholz, häufig ihre einzige Energiequelle. In diesem Teil der Welt herrscht schwerwiegender Mangel an Nahrung, Wasser und Brennstoff – den drei wesentlichen Grundlagen für das nackte Überleben der Menschen. Die UNO schätzt, dass etwa 500 Millionen Menschen „Umweltflüchtlinge” sind, die gezwungen waren, ihre Heimat in der Folge von Dürre, Flut, Bodenerosion oder der Ausbreitung einer exportorientierten Landwirtschaft zu verlassen. Tatsache ist, dass die Umweltkrise in diesen Teilen der Welt keine „Zeitbombe” oder ein Problem der Zukunft ist, sondern eine reale Existenzkrise hier und heute.

Die Hauptursache der schrecklichen Armut und der Umweltkrise ist die kapitalistische Produktionsweise. Die altbekannten Strukturen der imperialistischen Abhängigkeit und der Weltmarkt, der sie beherrscht, haben die Umwelt der beherrschten Länder einer weit unmittelbareren und brutaleren wirtschaftlichen Ausbeutung unterworfen, als die der imperialistischen Länder. Dies gilt z.B. für den Export von industriellen oder nuklearen Abfällen hoch industrialisierter kapitalistischer Länder in den Süden, wodurch diese Länder zu riesigen Müllhalden für giftiges oder strahlendes Material gemacht werden. Dies gilt auch für die Biopiraterie kapitalistischer Unternehmen, vor allem im Pharmaziebereich, die sich traditionelle Kenntnisse der indigenen Bevölkerungen aneignen und patentieren.

Die Zerstörung der Umwelt entsprechend den Bedürfnissen des Weltmarkts und den Interessen der multinationalen Konzerne tritt in diesen Ländern in einen noch extremeren Gegensatz zu den durch die Geschichte weitergegebenen gesellschaftlichen Strukturen und Lebensweisen. All diese Länder hat der Imperialismus durch die Errichtung einer Infrastruktur umgestaltet, die beinah ausschließlich um Zentren herum erbaut wurde, deren wirtschaftliche Tätigkeit vom Weltmarkt abhängt. Das ist die Grundlage, auf der Rohstoffzonen, Geschäftszentren, Touristenzonen, Plantagen und Weideländer für die exportorientierte Produktion ausgewählt werden.

Das setzt die Menschen, die diesem Prozess zum Opfer fallen, unter gewaltigem Druck und treibt andere Lebensweisen und „altmodische” soziale Funktionen in die abgelegenen Regionen eines Landes. Die Auswirkungen waren und sind weiterhin viel schwerwiegender als in den kapitalistischen Metropolen, da diese Länder  Prozessen unterworfen sind, die von anderen in Bewegung gesetzt werden.

Wir können die verhängnisvollen Auswirkungen des Gesetzes der „ungleichen und kombinierten Entwicklung” in den abhängigen Ländern auch von einem ökologischen Standpunkt aus betrachten. Der Weltmarkt bringt seine umweltzerstörende Dynamik und seine schrecklichsten Widersprüche in die hintersten Winkel der Welt. Sein Werk ist hier unvergleichlich verheerender, die Gegenkräfte unvergleichlich schwächer. Wir können eine Reihe struktureller Eigenschaften dieses Mechanismus aufzeigen:

·       Die direkte Ausbeutung von Rohstoffen für den Weltmarkt (Mineralien, Holz, Baumwolle, Kautschuk, etc.) und die dazu parallele Entwicklung der Infrastruktur (Straßen, Eisenbahnen, Kraftwerke, etc.).

·       Die Umwandlung von Land in Ackerland oder Weide, reserviert für die Exportproduktion, durch eine Politik der Rodungen und unter massiver Verwendung von Kunstdünger und Pestiziden mit daraus folgender Umweltverschmutzung.

Diese zwei Prozesse machen die Landfrage zur brennendsten Streitfrage in den meisten abhängigen Ländern. Der Heißhunger der Unternehmen des Agrobusiness und die Politik der neoliberalen Strukturanpassungen haben zur Abholzung und Brandrodung tropischer Wälder und zur Auslaugung, Erosion und Zerstörung der fruchtbaren Bodenschichten geführt. Dadurch wurde das Risiko einer Klimaveränderung und einer Intensivierung von „Naturkatastrophen“ verstärkt. Es sind vor allem die Gemeinden der indigenen Bevölkerung, die zum Schutz der Umwelt mobilisieren (in Amazonien, in Ecuador, in Indien usw.) und die als HüterInnen des natürlichen Erbes der gesamten Menschheit fungieren, indem sie gegen die Schäden kämpfen, die von den Multis zu verantworten sind.

Die Verstädterung, die durch die besondere wirtschaftliche Struktur und die Landfrage hervorgebracht wird, stellt eine andere große Gefahr dar. Nach UN-Schätzungen wachsen die Städte der abhängigen Länder dreimal schneller als in den kapitalistischen Industrieländern. In diesen Städten sind die üblichen städtischen Probleme noch verheerender für die Umwelt und die Lebensbedingungen. Die Luftverschmutzung durch den Autoverkehr und den Hausbrand stellt eine akute Bedrohung dar. Die Qualität des Trinkwassers ist das zweite Problem, mit dem die Städte in den abhängigen Ländern zu kämpfen haben. Die Müllentsorgung ist das Dritte. In den meisten großen Städten in Asien, Afrika und Lateinamerika wird der Abfall einfach aufgehäuft oder an der freien Luft verbrannt.

Das Problem der Verschuldung abhängiger Länder bei Banken und imperialistischen Regierungen ist heutzutage das meistbesprochene Thema. Im Zeitraum von 1990-1995 war die Entwaldung in den 33 afrikanischen Ländern, die zu den Ärmsten und Höchstverschuldeten gehören, um 50% größer als in den anderen afrikanischen Ländern und um 140% größer als die durchschnittliche Rate der weltweiten Entwaldung. Gleichzeitig gibt es keine Gelder, um Naturschutzmaßnahmen zu finanzieren. Die internationalen Finanzinstitutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfond fordern einen immer höheren Tribut von Mensch und Natur für den Schuldendienst. Im Bereich der Landwirtschaft hat die durch die Strukturanpassungen durchgesetzte Sparpolitik zum Abbau von Subventionen, die gewisse Preise garantierten, und zur Liberalisierung der Agrarmärkte geführt. Die fehlenden öffentlichen Investitionen verschärfen noch die Infrastrukturprobleme bei Transport oder Bewässerung. Seit 1994 haben die Abkommen über die WTO den Prozess der Zerstörung der Landwirtschaft in den abhängigen Ländern noch beschleunigt. Die wilde Suche nach Einkünften aus dem Export zu Lasten der Lebensmittelproduktion hat in mehreren Ländern Afrikas und Asiens zu Ernährungskrisen geführt. Die verschärfte Armut und die Landflucht nehmen im gleichen Maß zu, wie die Umweltbedingungen sich verschlechtern.

All das wird zynisch ergänzt durch eine Reihe von unmittelbar naturzerstörenden Handlungen und Umweltverbrechen, die von den imperialistischen Multis begangen werden. Gefährliche Produktionsanlagen (besonders der chemischen Industrie) werden in die abhängigen Länder verlagert. Hier ziehen sie nicht nur den Nutzen aus der billigen Arbeitskraft, sondern können auch ungestraft die Umwelt vergiften.

Die Regierungen der meisten abhängigen Länder sind angesichts der Umweltkrise völlig machtlos. Ihre Verbindung mit den imperialistischen Interessen und ihre eigenen Privilegien oder Klasseninteressen vergrößern die wirtschaftliche Abhängigkeit und die Umweltkrise. Sogar bestimmte internationale Hilfsprogramme (zur Bekämpfung des Hungers, zur Bekämpfung von Umweltkatastrophen oder die neuen Pläne zur teilweisen Entschuldung im Austausch für Umweltschutzmaßnahmen) tragen häufig nur zur Bereicherung der herrschenden Eliten bei.

Die Lösung der Umweltkrise in den abhängigen Ländern ist ohne den Bruch mit der Abhängigkeit vom Imperialismus undenkbar. Der Versuch einer „Modernisierung” mit Krediten und Schulden zur Lösung der dringenden sozialen Probleme war ein Irrtum, der die Lage nur verschlimmert hat. Das trifft noch mehr auf die Umweltkrise zu. Armut und wirtschaftliche Abhängigkeit zwingen Millionen Menschen dazu, sich so zu verhalten, dass die Umwelt verheerend geschädigt wird, aber sie könnten anders nicht überleben. Das bedeutet, dass im Prozess der antiimperialistischen Revolution, der „permanenten Revolution” in den abhängigen Ländern bewusst ökologische Anliegen aufgegriffen und in das Kampfprogramm gegen den kapitalistischen Raubbau aufgenommen werden müssen. Dies ist die Voraussetzung für den erfolgreichen Aufbau alternativer, sozialistischer Produktionsverhältnisse.

 
Die ökologische Krise in den vormals bürokratisierten Gesellschaften

Trotz des Verschwindens der UdSSR und der meisten nach Sowjetvorbild gestalteten Gesellschaften ist es notwendig, kurz deren Umweltpolitik zu beleuchten. Das ökologische Sündenregister der UdSSR und der Länder mit einem System der bürokratischen zentralen Planung ist genauso schlimm, wenn nicht schlimmer, als das der imperialistischen Metropolen, besonders hinsichtlich der Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung, der Atomenergie (Tschernobyl!) und der Probleme, mit denen die großstädtischen Regionen zu kämpfen haben.  

Einer der Gründe für diese Situation ist, dass diese Gesellschaften nur teilweise darin erfolgreich waren, das kapitalistische Wertgesetz und die mit ihm verbundenen objektiven Zwänge in der Produktion zu überwinden. In vielen Schlüsselsektoren war die Abhängigkeit vom Kapitalismus und dem Weltmarkt noch gegeben. Die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer für die Exportwirtschaft und die Abhängigkeit von Produkten und Technologien, die von kapitalistischen Industrien herrührten, führten auch in diesen Ländern zu einer zwangsläufigen Zerstörung der Umwelt. Dies geschah auf eine Art und Weise, die mit dem, was wir in den abhängigen Ländern sehen, vergleichbar ist.

Die Planwirtschaft war ein Anlauf, um eine unmittelbar soziale Wirtschaft zu entwickeln. Im Gegensatz zum Kapitalismus, in dem die Nützlichkeit der Arbeit allein vom Markt abhängt, das heißt von der Fähigkeit, Waren zu verkaufen, versuchten nichtkapitalistische Gesellschaften die sozialen Bedürfnisse vor der Produktion zu bestimmen und dann dafür zu planen. Offensichtlich kann dieser Versuch nur erfolgreich sein, wenn alle menschlichen Bedürfnisse und besonderen Interessen in einen umfassenden Prozess demokratischer Beratung und Entscheidungsfindung eingebracht werden. Wenn ein wirklicher Mangel verteilt werden muss, wird die Demokratie noch bedeutsamer. Aber die Bürokratisierung der Übergangsgesellschaften beseitigte die Demokratie völlig. Die Vielfalt der gesellschaftlichen und nationalen, der kulturellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse verschiedener Menschen wurde genormt und gewaltsam in einen von oben diktierten Plan eingefügt. Da alle qualitativen Bezüge mit der Demokratie begraben wurden, konnten die entscheidenden Kennzeichen des Plans nur quantitative Maßstäbe und Wachstumsraten sein. Auf diese Weise legten die Übergangsgesellschaften die Betonung auf quantitatives Wachstum, manchmal sogar mehr als die kapitalistischen Gesellschaften. Diese Raten wurden mittels Dekret bekannt gegeben und mit Gewalt durchgesetzt. Der Schutz der Ressourcen und der Umwelt war in diesen Plänen bestenfalls in Form von quantitativen Begriffen enthalten (Zahl der Kläranlagen, Filter, bestimmte Budgetposten, usw.). Diese Planung war von Beginn an mit Irrtümern, Planungsfehlern und weißen Flecken (und einem entsprechenden Missbrauch von Ressourcen) behaftet. Ohne gesellschaftliche Kontrolle wurde das nur berichtigt, wenn es letztlich „weiter oben” bemerkt wurde.

Darüber hinaus entsprachen die unterschiedlichen Teile des Plans den Interessen verschiedener Fraktionen der Bürokratie, die sie ausarbeiteten. Das ist die Ursache für den Gigantismus, der so typisch für die UdSSR und die anderen bürokratisierten Staaten war. Je größer der Maßstab und je zentralisierter diese Vorhaben waren (Beispiel: Veränderung des Laufs der sibirischen Ströme), umso mehr Macht bedeutete das für die Bürokraten. Ab den siebziger Jahren wurden Bürokraten, die mit Umweltangelegenheiten zu tun hatten,   eingesetzt, aber sie hatten keine Macht und verblieben in kleinen Abteilungen auf der unteren Ebene.

Optimismus und Fortschrittsglauben waren die verpflichtenden Lehren der Ideologie der Bürokratie. Die Bürokratien  betonten die Vorstellung von „einem Wettbewerb zwischen den zwei Systemen” und „dem Überholen” der kapitalistischen Gesellschaften. Von diesem Standpunkt aus wurden die kapitalistischen Modelle des Konsums und der Modernisierung, die der Umwelt solchen Schaden zugefügt haben, hochgeschätzt. Diese Modelle wurden als ideologische Werte übernommen und spielten eine große Rolle bei der Planerstellung. Die Bürokratie akzeptierte nur Modelle, die auf der Quantifizierung natürlicher Ressourcen beruhten (namentlich Modelle, wie sie vergleichbar von konservativen bürgerlichen Ökonomen benutzt werden).

Ganz offensichtlich konnte sich die ökologische Krise im Rahmen der Plünderung der Wirtschaft und des wilden Kapitalismus, wie er in Russland seit dem Verschwinden der UdSSR mit Unterstützung der Westmächte und des IWF am Werk ist, nur verschlimmern.

Der Fall Kuba liegt insoweit anders, als aus Gründen der Notwendigkeit, aber auch ökologischen Überzeugungen sich die Planwirtschaft seit den 1990er Jahren vom sowjetischen, produktivistischen und die Umwelt zerstörenden Modell entfernt hat. Gleiches gilt für die teilweise Ersetzung von Autos durch Fahrräder im städtischen Verkehr.

 

 

IV.            Arbeiterbewegung und Ökologie

 

Die Ökologen bezichtigen Marx und Engels des Produktivismus. Ist diese Anschuldigung gerechtfertigt? Nein, weil sich niemand mit solcher Kraft wie Marx gegen die kapitalistische Logik der Produktion um der Produktion Willen, die Kapitalakkumulation, den Reichtum und die Warenproduktion als Selbstzweck ausgesprochen hat. Die eigentliche Idee des Sozialismus ist (im Gegensatz zu ihrer elenden bürokratischen Karikatur) die Produktion von Gebrauchswerten, das heißt von Gütern, die gebraucht werden, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Das höchste Ziel des technischen Fortschritts ist in den Augen von Marx nicht ein unendliches Wachstum von Gütern (das „Haben”), sondern ein kürzerer Arbeitstag und mehr Zeit für Muse (das „Sein”).

Dennoch ist es wahr, dass wir manchmal bei Marx und Engels und noch häufiger im späteren Marxismus eine Tendenz finden, die die „Entwicklung der Produktivkräfte” zur Haupttriebkraft des Fortschritts macht und eine verhältnismäßig unkritische Haltung zur industriellen Zivilisation, insbesondere hinsichtlich ihrer zerstörerischen Beziehung zur Umwelt. Der folgende Abschnitt aus den Grundrissen ist ein schlagendes Beispiel für die allzu unkritische Bewunderung von Marx für die „zivilisatorische” Mission der kapitalistischen Produktion und ihre rohe Instrumentalisierung der Natur:

„So schafft das Kapital erst die bürgerliche Gesellschaft und die universelle Aneignung der Natur wie des gesellschaftlichen Zusammenhangs selbst durch die Glieder der Gesellschaft. Hence the great civilising influence of capital; seine Produktion einer Gesellschaftsstufe, gegen die alle frühren nur als lokale Entwicklungen der Menschheit und als Naturidolatrie erscheinen. Die Natur wird erst rein Gegenstand für den Menschen, rein Sache der Nützlichkeit; hört auf, als Macht für sich anerkannt zu werden; und die theoretischen Erkenntnisse ihrer selbständigen Gesetze erscheint selbst nur als List, um sie den menschlichen Bedürfnissen, sei es als Gegenstand des Konsums, sei es als Mittel der Produktion, zu unterwerfen.” (MEW, Band 42, 1983, S. 323)

Andererseits finden wir bei Marx auch Texte, die ausdrücklich die Verheerungen erwähnen, die das Kapital der natürlichen Umwelt zugefügt hat und die Zeugnis von einer dialektischen Sicht der Widersprüche des „Fortschritts”, die von den Produktivkräften herbeigeführt werden, ablegen – zum Beispiel, in der berühmten Passage über die kapitalistische Landwirtschaft im Kapital:

„Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt in der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen des Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.” (MEW 23, S. 529-530)

Sogar bei Engels, der so häufig die „Überlegenheit” und die „Herrschaft” des Menschen über die Natur gefeiert hat, können wir Texte finden, die unsere Aufmerksamkeit ausdrücklich auf die Gefahren einer solchen Sichtweise richten. Als Beispiel können wir die folgenden Abschnitte aus dem Artikel „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen” erwähnen:

„Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, dass sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen.(...)

Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen, und dass unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen anderen Geschöpfen ihre Gesetze zu erkennen und richtig anwenden zu können.” (MEW 20, S. 452-453).

Es ließen sich leicht weitere Beispiele finden. Tatsächlich fehlte Marx und Engels jedoch eine umfassende ökologische Zielsetzung. Die ökologische Frage ist eine der größten Herausforderungen für eine Erneuerung des marxistischen Denkens zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie verlangt von den MarxistInnen eine sorgfältige und kritische Neubeurteilung ihres traditionellen Konzepts der „Produktivkräfte” und einen radikalen Bruch mit der Ideologie eines linearen Fortschritts und dem technologischen und ökonomischen Paradigma der modernen industriellen Zivilisation. Trotz dieser Schwächen bleibt die marxistische Kritik der kapitalistischen politischen Ökonomie grundlegend für jedes emanzipatorische Projekt und die Ökologiebewegung kann sich eine Auseinandersetzung mit ihr nicht ersparen.

Entsprechend der Entwicklung des Reformismus in den Reihen der Arbeiterbewegung wurde Marx‘  und Engels‘  kritische Betrachtung über die Bedrohung der Natur durch die kapitalistische Zivilisation heruntergespielt. Der Reformismus übernahm Schritt für Schritt die produktivistischen Konzepte und Anschauungen der bürgerlichen Gesellschaft und zwar genau in dem Maße, wie er sich darin integrierte und als eingegliederter Teil derselben sich mit ihren Haupteinrichtungen (Staat, Armee, Gesetze etc.) abfand. Zum Beispiel erklärte der Deutsche Metallarbeiterverband (DMV), die von der Sozialdemokratie geführte Organisation der deutschen Metallarbeiter, zu Ende des 19. Jahrhunderts in einer bezeichnenden Stellungnahme: „Je rascher die technische Entwicklung voranschreitet, desto rascher wird die kapitalistische Produktionsweise den Punkt erreichen, wo sie sich selbst hemmen wird und von einer höheren Produktionsweise abgelöst werden muss.”

Sozialdemokratie und Stalinismus hatten beide trotz ihrer Meinungsverschiedenheit in vielen Fragen ein produktivistisches Wirtschaftskonzept und einen völligen Mangel an Sensibilität in Umweltfragen gemein. Wir müssen auch einräumen, dass revolutionäre Strömungen im Allgemeinen und die IV. Internationale im Besonderen die ökologische Frage erst mit erheblicher Verspätung in ihre Programmatik einbezogen haben.

Die lang anhaltenden Wirkungen ökologischer Katastrophen, das Wachstum von Umweltschutzbewegungen, die Teilerfolge dieser Bewegungen und ihre Versuche, sich politisch zu strukturieren („Grüne” Parteien, etc.), haben innerhalb der Arbeiterbewegung zu Differenzierungen geführt. In einer Reihe von Ländern widersetzen sich ganze Gewerkschaften oder zumindest starke Minderheiten in ihren Reihen der „friedlichen” Nutzung der Atomkraft und entfalten eine erhöhte Sensibilität in ökologischen Fragen: die CGIL in Italien, Britische Bergarbeiter, die CUT in Brasilien, SUD in Frankreich, die Arbeiterkommissionen in Spanien, die IG Metall in Deutschland etc.

Gegenwärtig können wir in den Parteien und Gewerkschaften, die sich auf die ArbeiterInnen berufen, hinsichtlich der Ökologiefrage vier Strömungen unterscheiden:

a)     Die „Beton“-Fraktion, die so weitermachen will, als hätte sich nichts verändert. Sogar diese Fraktion musste vor dem Hintergrund der verhängnisvollen Entwicklungen der Umwelt einige Anpassungen vornehmen. Diese Strömung fordert nun Grenzwerte für Emissionen und neue Regelungen, befürwortet aber den weiteren Einsatz der Kernkraft. Ohne ihre kurzsichtigen Positionen zu überarbeiten, erklärt sie sich mit einem ökologischen Flickwerk einverstanden, insbesondere wenn dies neue Märkte eröffnet.

b)     Eine technokratische Strömung, die glaubt, sie könne die ökologischen Probleme mit Hightech-Methoden lösen. Tatsächlich würden diese meistens nur die Probleme verschieben: Zum Beispiel, was macht man mit den enormen Mengen an Filterstaub, Klärschlamm und anderem Abfall? Peter Glotz von der deutschen Sozialdemokratie regt eine Zusammenarbeit mit der sogenannten „end of the pipe technology“ des Großkapitals an: Durch ein Bündnis der „traditionellen Linken, der technischen Eliten und der kritischen Minderheiten unter den Kapitalisten, die vernünftige Ansichten Sachen Wachstum haben”  könnte eine gesellschaftlich gelenkte Modernisierung erreicht werden. Er lehnt ausdrücklich jede Infragestellung des Privateigentums an den Produktionsmitteln ab.

c)     Die Menschen, die der dritte Strömung, dem  „Ökoreformismus”, zuzurechnen sind, weigern sich ebenfalls, über die Produktionsverhältnisse zu sprechen. Einmal mehr behaupten sie, dass es möglich sei, den Kapitalismus, oder die „Industriegesellschaft”, wie sie ihn vornehm nennen, von den Sünden gegen die Umwelt zu befreien. Erhard Eppler erklärte als Vorsitzender der „Grundwertekommission” der deutschen SPD: „ Mehr denn je ist es die Pflicht der Sozialdemokratie, durch eine neue Politik der Reformen mit demokratischen, menschlichen und ökologischen Verbesserungen der Industriegesellschaft fortzufahren.”

d)     Die vierte Strömung, eine Minderheit, aber zahlenmäßig durchaus nicht unbedeutend, ist der Ökosozialismus, der die grundlegenden Errungenschaften des Marxismus aufnimmt und ihn von seiner produktivistischen Schlacke befreit. Die Ökosozialisten verstehen, dass Markt und Profitlogik genauso wie das autoritäre Regierungssystem der untergegangenen ehemaligen „Volksdemokratien” mit ökologischen Bedürfnissen unvereinbar sind. Sie kritisieren die von den führenden Strömungen der Arbeiterbewegung vertretene Ideologie, verstehen aber auch, dass die ArbeiterInnen und ihre Organisationen eine unentbehrliche Kraft für die Umwandlung des Systems sind.

Der Ökosozialismus ist unter den Strömungen der Arbeiter- und Ökologiebewegung diejenige, die am meisten auf die Interessen der Arbeiter und der Völker des Südens achtet. Er bricht mit der produktivistischen Ideologie des Fortschritts in ihrer kapitalistischen und/oder bürokratischen Form (des so genannten „real existierenden Sozialismus”) und widersetzt sich der grenzenlosen Ausbreitung einer umweltzerstörenden Produktions- und Konsumptionsweise. Er versteht, dass eine „nachhaltige Entwicklung” innerhalb des Rahmens der kapitalistischen Marktwirtschaft unmöglich ist.

Als Revolutionäre haben wir das Ziel, unsere Kräfte mit dieser Strömung zu verbinden und die ArbeiterInnen davon zu überzeugen, dass partielle Reformen vollkommen unangemessen sind. Die Mikrorationalität (Teilrationalität) muss durch eine sozialistische und ökologische Makrorationalität (Gesamtrationalität) ersetzt werden, was eine ernsthafte Veränderung der Zivilisation verlangt. Dies ist ohne eine tiefgehende technologische Umorientierung unmöglich, die nach einem Ersatz der derzeitigen Energiequellen durch andere, nicht verschmutzende und erneuerbare, wie etwa die Sonnenenergie, sucht.

Das erste auf der Hand liegende Problem ist dabei die Frage nach der Kontrolle der Produktionsmittel und darüber hinaus vor allem nach der Entscheidungsgewalt über Investitionen und den technologischen Wandel.

Eine umfassende Reorganisation der Produktions- und Konsumptionsweise tut Not. Sie muss auf Kriterien beruhen, die dem kapitalistischen Markt fremd sind: die wirklichen Bedürfnisse der Menschen und die Sicherung der Umwelt; mit anderen Worten: eine Wirtschaft im Übergang zum Sozialismus, die auf den demokratischen Entscheidungen der Menschen über Prioritäten und Investitionen und nicht auf den „Gesetzen des Marktes” oder den Entscheidungen eines allwissenden Politbüros beruht. Eine geplante Wirtschaft, die fähig ist, dauerhafte Wege zu finden, auf denen die Spannungen zwischen der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse und den ökologischem Erfordernissen überwunden werden können. Eine Verwandlung, die zu einer alternativen Lebensweise, einer neuen Zivilisation führen wird, die jenseits der Herrschaft des Geldes, des von der Werbung künstlich angeheizten Konsumverhaltens und der immer weitergehenden Produktion umweltschädlicher Güter (Privatautos!) stehen wird.

 

V. Errungenschaften und Grenzen der Ökologiebewegung   

              

Die grundsätzliche Errungenschaft der Umweltbewegung, die zu einer tiefgreifenden Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung von Umweltfragen geführt hat, war und bleibt das Verständnis dafür, in welchem Ausmaß der Spätkapitalismus die Umwelt zerstört hat. Die Zerstörung der Natur hat solche Ausmaße erreicht, dass die ganze Menschheit bedroht ist. Hier geht es, wie im Fall eines nuklearen Weltkriegs, mittlerweile um das Überleben. Jedoch im Gegensatz zur Gefahr der nuklearen Vernichtung handelt es sich dabei um eine stets „neue” und in ihrer Bedeutung sich zuspitzende Frage. Trotzdem darf man nicht wie die große Mehrheit der ÖkologInnen – weil nun die Problematik als vital für das Überleben der ganzen Menschheit anerkannt wird – nach klassenübergreifenden Lösungen suchen und dabei den Klassenkampf gegen das Kapital außer Acht lassen. Die Unterscheidung zwischen denjenigen, die unter allen Umständen an der Aufrechterhaltung des Systems interessiert sind, und denjenigen, die es stürzen möchten, ist nicht aufgehoben – ganz im Gegenteil.

Eine weitere Errungenschaft der Umweltbewegung ist die Art und Weise, wie sie das Konzept des „Fortschritts“ hinterfragt. Sie hat die Mängel der marxistischen Analyse des Spätkapitalismus aufgezeigt. Wir können nicht länger von einer positiven Entwicklung der Produktivkräfte sprechen (wie zu Beginn der kapitalistischen Entwicklung) oder davon, dass sie nur durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln gehemmt oder auf Kosten des Proletariats entwickelt werden. Immer mehr verwandelt der Kapitalismus, der viel länger überlebt hat, als es zu ihrer Entwicklung historisch erforderlich gewesen wäre, die Produktivkräfte in Destruktivkräfte. Aber das bedeutet auch, dass diese Kräfte nicht als solche „befreit“ werden und in einem sozialistischen System zugunsten von allen verwendet werden können. Sie werden überprüft und kritisch untersucht werden müssen. Das ist nicht bloß eine theoretische Frage, sondern eine ausgesprochen praktische, die auch eine Kritik an der Idee vom „Überholen des Kapitalismus” beinhaltet, die für das stalinistische bürokratische Denken typisch war. Darüber hinaus wird das erste Mal eine sorgfältige Analyse der materiellen (Gebrauchswert-)Seite der Produktion durchgeführt, indem danach gefragt wird, welche Güter von einem ökologischen und gesellschaftlichen Standpunkt aus wünschenswert sind etc.

Nach den Rückschlägen, die auf die 1968er Bewegung folgten, hat die Umweltbewegung neuerlich eine „utopische“ Dimension in die Politik eingebracht. Die Diskussionen über einen grundlegenden Wechsel des Gesellschaftssystems, eine andere Art zu leben und zu produzieren, werden auf der Basis von ökologischen Forderungen wiederbelebt. Die zuvor erwähnte Debatte über den Gebrauchswert von Produkten beinhaltet auch eine Diskussion über gesellschaftlich nützliche Produktion. Neue utopische Ideen über eine andere Gesellschaft werden geäußert und konkrete „Pläne einer Rekonversion” werden skizziert.

Die Umweltbewegung entwickelte sich zuerst in Europa. Sie zog bedeutende Massenmobilisierungen nach sich, sogar in Ländern, in denen wie in Österreich, der Schweiz und Deutschland, die Arbeiterbewegung auf dem Rückzug war. Militante und handfeste Formen des Kampfes wie Demonstrationen, Blockaden und Geländebesetzungen begünstigten das Auftauchen einer „Kultur des Widerstands”. Anfangs konzentrierten sich diese Kämpfe vor allem auf die Frage der Atomenergie, aber die Bewegung griff sodann auf andere mobilisierungsfähige Fragen über wie etwa die Luft- und Wasserverschmutzung und die Genmanipulation. Skandale wie die BSE-Krise haben die öffentliche Aufmerksamkeit auf das „junk food” und die Gefahren gerichtet, die von der Logik des  kapitalistischen Marktes ausgehen. In Frankreich war die Vereinigung der Kleinbauern (Confédération paysanne) der Katalysator für eine radikale Entwicklung. Ausgehend von einer symbolischen Aktion (Zerlegung einer McDonalds-Filiale in Millau) als Vergeltung gegen die von den USA verhängten Sanktionen gegen das französische Importverbot von hormonbehandeltem Rindfleisch, weitete sich der Kampf aus, um es – mit Unterstützung von Gewerkschaften, Umweltorganisationen und Linksparteien und einer starken Sympathie der öffentlichen Meinung – mit der WTO aufzunehmen. Im Juni 2000 wurde den Kleinbauern, die in Millau (Südfrankreich) vor Gericht gestellt wurden, durch eine Solidaritätskundgebung starke Unterstützung zuteil.

Wichtige ökologische Mobilisierungen haben auch in den USA stattgefunden und eine komplexe, heterogene Bewegung entstehen lassen, die sich von „deep ecology” – sie fordert, den Pflanzen- und anderen Tierarten Vorrang vor dem Menschen einzuräumen – bis hin zum Ökosozialismus erstreckt. Die Mobilisierung von Seattle (Herbst 1999) enthüllte die Stärke dieser Bewegung und die Bereitschaft einiger ihrer Strömungen, wie z. B. der großen Umweltvereinigung „Freunde der Erde”, ihre Kräfte mit denen von Gewerkschaften und Linken im Kampf gegen die WTO und die Vermarktung der Welt zu bündeln. Seattle ermöglichte im Kampf auch eine beginnende Annäherung von Bewegungen aus Nordamerika, Europa (die Confédération paysanne war durch ihren Sprecher José Bové vertreten) und der Dritten Welt. Es waren auch Gruppen der Direkten Aktion mit öko-libertärem Hintergrund zugegen, die aus sehr kämpferischen jungen Leuten bestanden; sie spielen eine nicht unerhebliche Rolle in allen großen Mobilisierungen gegen den Neoliberalismus.

Man würde sich sehr irren, wenn man dächte, dass ökologische Probleme nur die Länder des Nordens beträfen, also ein Luxus reicher Länder wären. Immer häufiger tauchen soziale Bewegungen mit einer ökologischen Komponente auch an der Peripherie des Kapitalismus im  „Süden” auf.

Diese Bewegungen reagieren auf die sich verschlimmernden Umweltprobleme in Asien, Afrika und Lateinamerika, die eine Folge der bewusst betriebenen Politik der imperialistischen Länder ist, die „Umweltverschmutzung zu exportieren” und die „Konkurrenzfähigkeit” durch ungezügelte Produktivitätsentwicklung voranzutreiben. Wir sind Zeugen des Auftretens von allgemeinen Mobilisierungen im Süden, die die kleinbäuerliche Landwirtschaft, sowie den gemeinschaftlichen Zugang zu den natürlichen Ressourcen verteidigen, welcher von der aggressiven Ausdehnung des Marktes (oder des Staates) mit Vernichtung bedroht wird. Andere Kämpfe entstehen, um die Schädigung der unmittelbaren Umwelt zu bekämpfen, die durch den ungleichen Tausch, die abhängige Industrialisierung und die Entwicklung des Kapitalismus (Agrobusiness) auf dem Land hervorgerufen wird. Häufig bezeichnen sich diese Bewegungen nicht als ökologisch, aber ihr Kampf hat doch eine wesentlich ökologische Dimension.

Ein Text von 1991, geschrieben vom peruanischen Bauernführer Hugo Blanco (Mitglied der IV. Internationale) beschreibt auf hervorragende Weise die Bedeutung jener „Ökologie der Armen“: „Auf den ersten Blick erscheinen die Vorkämpfer für die Umwelt oder die Umweltschützer als leicht beschränkte nette Leute, deren wichtigstes Ziel im Leben es ist, das Aussterben des blauen Wals oder des Panda-Bären zu verhindern. Die einfachen Menschen haben Wichtigeres zu tun, etwa, wie sie es schaffen, ihr tägliches Brot zu erwerben. (...) Trotzdem gibt es in Peru viele Menschen, die Umweltschützer sind. Natürlich, wenn man ihnen sagte, ihr seid ja Ökologen’, würden sie wohl antworten, ihr seid ja verrückt’! Und dennoch: Die EinwohnerInnen der Stadt Ilo und der Nachbargemeinden kämpfen gegen die Umweltverschmutzung der Southern Peru Copper Corporation (Kupfergesellschaft) – sind sie etwa keine UmweltschützerInnen? (...) Und die Bevölkerung am Amazonas, sind das nicht wirkliche ÖkologInnen, wenn sie mit ihrem Leben ihre Wälder gegen die Abholzung verteidigen? Oder die arme Bevölkerung von Lima, die sich gegen die Verschmutzung des Wassers wehrt?“

Brasilien ist eines der Länder, wo die Verbindung des Sozialen mit der Ökologie ein hohes Niveau erreicht hat. Wir können sehen, wie die Bewegung der landlosen Bauern (MST) gegen  gentechnisch veränderte Organismen mobilisiert, was zu direkter Konfrontation mit einem der größten  multinationalen Konzerne –  Monsanto – führt. Stadtgemeinden und Provinzen, die von der Arbeiterpartei (PT) regiert werden, versuchen, ökologische Ziele zu einem Teil ihres Programms der Beteiligungsdemokratie zu machen. Die Regierung des Bundesstaats Rio Grande do Sul, die [bis zu den letzten Wahlen, d. Ü.] der MST und der PT nahestand, beabsichtigte, genetisch veränderte Organismen aus der Region zu verbannen. Die reichen Landbesitzer der Region sind empört und sprechen sich gegen diese ihrer Meinung nach „archaischen Ansichten” aus. Sie betrachten den Kampf gegen transgenes Saatgut als eine „Verschwörung zur Durchsetzung der Landreform”.

Die indigenen Völker, die unmittelbar im Regenwald leben, zählen zu den ersten Opfern der vom Agrarkapitalismus verursachten „Modernisierung”. In der Folge mobilisieren sie sich in vielen lateinamerikanischen Ländern, um ihre herkömmliche Lebensweise, die im Einklang mit ihrer Umwelt steht, gegen die Planierraupen der kapitalistischen Zivilisation zu verteidigen. Unter den unzähligen Erscheinungsformen der brasilianischen „Ökologie der Armen” ist eine Bewegung als besonders beispielhaft hervorzuheben, und zwar auf Grund ihres sozialen und ökologischen, örtlichen und planetaren, „roten” und „grünen” Horizonts: Nämlich der Kampf von Chico Mendes und der Vereinigung der Völker der Regenwalds zur Verteidigung der Amazonasregion gegen den zerstörerischen Heißhunger der Großgrundbesitzer und des multinationalen Agrobusiness.

Vergegenwärtigen wir uns kurz der Hauptereignisse in dieser Auseinandersetzung. Chico Mendes war ein Gewerkschaftsaktivist, mit Beziehungen zur CUT und zur Arbeiterpartei (PT). Unter ausdrücklicher Berufung auf den Sozialismus und die Ökologie organisierte er in den frühen 1980er Jahren Landbesetzungen mit den Kautschuksammlern (seringueiros), Kleinbauern, die die Gummibäume anzapfen, gegen die Großgrundbesitzer, die Bulldozer schickten, um den Wald niederzuwalzen und ihn durch Weideland zu ersetzen. Später vereinigte er erfolgreich Kleinbauern, Landarbeiter, Kautschuksammler, Gewerkschafter und Indigene – mit der Unterstützung von kirchlichen Basisgemeinden –  zur Allianz der Regenwaldbewohner, der es gelang, viele Rodungen zu verhindern. Das internationale Echo auf diese Aktionen sicherte ihm 1987 den Alternativen Nobelpreis. Kurze Zeit später, im Dezember 1988  jedoch, ließen ihn die Großgrundbesitzer einen hohen Preis für diesen ökologischen Kampf bezahlen, indem sie gedungene Mörder anheuerten, die ihn umbrachten.

Diese Bewegung kann ein Vorbild für die Volksbewegungen des „Südens” werden, vorausgesetzt die Verbindung zwischen sozialen und ökologischen Kämpfen, Kleinbauern und indigenem Widerstand, Überleben der ortsansässigen Bevölkerung und Schutz eines globalen Gebots (Erhaltung des letzten großen tropischen Regenwalds) bleibt festgeschmiedet.

In bestimmten Ländern – vor allem in Europa – war die Umweltbewegung bei der Erringung von Reformen, die teilweise das halsbrecherische Tempo der Umweltzerstörung verlangsamt haben, erfolgreich. Zum Beispiel werden tatsächlich fast keine neuen Atomkraftwerke gebaut, die Herstellung bestimmter chemischer Erzeugnisse (Fluorkohlenwasserstoffe, Kunstdünger, etc.) wurde eingeschränkt, und für bestimmte Fabriken, Kraftfahrzeuge usw. wurden Grenzwerte in Kraft gesetzt. Eine kapitalistische Umweltindustrie ist entstanden und ökologische Reformen haben ihren Weg in die Programme sogar von bürgerlichen Parteien gefunden.

Und dennoch, trotz aller Reformversuche, trotz der Umweltindustrie, ist die Zerstörung auf Weltebene schlimmer geworden als sie je zuvor war. Die Verschmutzung der Meere, die Rodung tropischer Regenwälder und die Klimaveränderung zeigen deutlich, dass die globale Dynamik der Umweltkrise ungebrochen bleibt. Von diesem Blickpunkt aus gesehen zeigt diese Krise die Dringlichkeit für eine grundlegende Veränderung in unserer Gesellschaft auf.

Da die Ökologiebewegung kein schlüssiges revolutionäres Programm besitzt und es unterlässt, die ArbeiterInnen als revolutionäres Subjekt zu sehen, ist sie weit davon entfernt, ihr Bestreben konkret werden zu lassen, das darin besteht, eine neue soziale Kraft zu werden, die den Platz der Arbeiterbewegung besetzen oder sie beerben kann. Nichtsdestotrotz bleibt die Ökologiebewegung, sofern wir ausdrücklich bürgerliche oder reaktionäre Gruppen, deren Anzahl klein ist, ausnehmen, ein wichtiger Bündnispartner der Revolutionäre im allgemeinen Kampf gegen das kapitalistische System.

 

VI. Umweltprobleme und bürgerliche Herrschaft

 

Aufgrund des Einflusses der kapitalistischen Produktion auf die Umwelt hat die Zerstörung der natürlichen Grundlage menschlicher Gesellschaften eine neue Ebene erreicht. Dies ist zu einem Problem an sich für die bürgerliche Ideologie und Ordnung geworden.

·       Die Umweltkrise ist weltweit und kann, im Rahmen der dem Kapitalismus innewohnenden Konkurrenz, nur als allgemeines Übel wahrgenommen werden;

·       Manche Ursachen der Umweltkrise reichen viele Jahre zurück, andere sind das Ergebnis der miteinander kombinierten Entwicklung verschiedener Einzelfaktoren. Aus diesem Grund ist es schwierig, ihre zeitlichen und stofflichen Ursachen festzustellen und zu datieren. Zugleich verlangt die Beherrschung der Umweltkrise Zeit und Investitionen, die eine Zurücknahme aller bürgerlichen Konzepte von Input/Output- Kreisläufen bedeuten würden;

·       Schließlich können die beherrschten und ausgebeuteten Klassen, im Gegensatz zu dem, was bei klassischen Wirtschaftskrisen, bei den schädlichen sozialen Folgen des Kapitalismus und sogar bei den Nachwirkungen von militärischen Konflikten beobachtet werden kann, nur gezwungen werden, einen Teil der Rechnung für die Umweltkrise zu bezahlen. Aber es ist nicht zu leugnen, dass die unterdrückten Klassen deren Hauptlast tragen, besonders in den abhängigen Ländern. Das gilt noch mehr, wenn der Zusammenhang zwischen sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Krise in Betracht gezogen wird.

Die wachsende Aufmerksamkeit für die Umweltkrise und die Umweltbewegung, die sich seit den 1960ern entwickelt, bedeutet einen energischen Angriff auf eines der Schlüsselkonzepte der bürgerlichen Ideologie: auf die Idee, dass die bürgerliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung in der Lage ist, einen dauerhaften „Fortschritt für alle” zu garantieren, dass die Unterwerfung der Natur schon an sich positiv ist und dass alle Probleme, die damit zusammenhängen, gelöst werden können.

Angesichts dieser ideologischen Herausforderung hat es Versuche gegeben, die bürgerliche Ideologie auf den neuesten Stand zu bringen. Der erste war der weltweit bekannte Bericht des Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums”,1972). Dieser Bericht dokumentierte den raschen Fortschritt der Umweltzerstörung und schlug eine übernationale Politik gegen Bevölkerungswachstum, Vergeudung von Naturschätzen, Umweltzerstörung usw. vor. Diese Studie und die anderen, die folgten, hatten zwiespältige Auswirkungen.

Einerseits übernahmen die Wissenschaft und die bürgerliche Ideologie wieder die Initiative in Umweltfragen; die ihr anhängenden Wissenschaftlerinnen führten eine Diskussion über Prognosen und Lösungen, die vorzuschlagen wären. Andererseits stützten diese Studien pessimistische Anschauungen über die Zukunft der Welt und waren eine weitere Motivation für die Umweltbewegung. Die existierende Ordnung der kapitalistischen Weltwirtschaft verlor ihre Aura der Überlegenheit. Ihre Begrenztheit und ihre Mechanismen wurden von  Innen her hinterfragt. Gleichzeitig führten diese Analysen zu mehr oder weniger ausgearbeiteten Forderungskatalogen, die dazu neigten, eine weltweite Planung und eine politische Regulierung der Wirtschaft zu unterstützen. Auf diese Weise kamen sie direkt mit der kapitalistischen Marktwirtschaft, dem Wirtschaftsliberalismus und der Deregulierungspolitik in Konflikt – Offensiven, die seit damals weltweit auf der Tagesordnung der Herrschenden stehen.

Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre erwies sich die Notwendigkeit einer zweiten bürgerlichen Offensive im Umweltbereich. Seither wurde es erforderlich, Lösungen dieser Widersprüche besonders auf der Ebene konkreter Politik vorzuschlagen. Der Brundtland-Bericht („Unsere gemeinsame Zukunft”), der 1988 von der UN-Vollversammlung angenommen wurde, brachte dies zum Ausdruck. Er ist bereits völlig von der bürgerlichen Überzeugung geprägt, dass der Kapitalismus, obwohl er unglücklicherweise die Umwelt schädigt, auch in der Lage ist, die notwendigen Reparaturen durchzuführen. So forderte der Bericht, dass die Elemente für eine ausgeglichenere Form des Wachstums („nachhaltige Entwicklung”) zusammengeführt werden sollten.

Die 1990er Jahre brachten eine Vertiefung des Widerspruchs zwischen den Versprechungen auf neue internationale Regulierungen für den globalisierten Kapitalismus und den sehr heftigen sozialen und ökologischen Auswirkungen dieses Systems. Sicherlich führte die Erklärung von Rio, die das Ergebnis der Gipfelkonferenz von 1992 war, gewisse Grundsätze ein, wie das Vorsorgeprinzip, was einen Fortschritt im Bewusstsein bezüglich der Elemente der Umweltkrise darstellt. Weder die Agenda 21, eine umfassende Mischung von 2 500 Maßnahmen, noch die internationalen Abkommen zu Artenvielfalt und zum Klimawandel haben zu den notwendigen radikalen Lösungen geführt. Nach der Gründung der WTO, die die Umwelt noch mehr den Auswirkungen des liberalisierten internationalen Handels unterwirft, haben diese Abkommen sehr geringe Auswirkungen. Feierliche Verkündigungen zur Verteidigung der Artenvielfalt sind machtlos gegen die fortgeführte Zerstörung der natürlichen Umwelt. Auf politischer Ebene stellen sie sich gegen die Interessen der multinationalen Konzerne in der Agrochemie und der Pharmazie, die versuchen, sich Leben durch vermehrten Gebrauch von genmanipulierten Organismen und die Patentierung von Genen anzueignen.

Das Kyoto-Protokoll (1997) zum Treibhauseffekt wurde von der Bush-Administration mit Unterstützung der Energie-Lobby abgelehnt. Der 2001 getroffene zerbrechliche Kompromiss zwischen anderen imperialistischen Ländern erlegt ihnen keinerlei Verpflichtung auf, heimische Maßnahmen zu treffen, die Treibhausgasemissionen zu verringern; es läuft darauf hinaus, sogar auf die schon sehr unzureichenden Zielsetzungen des ursprünglichen Protokolls zu verzichten. Denn das Protokoll sieht eine Reduzierung der CO2-Emissionen um nur 5,2% vor, wiewohl man diese Emissionen um über 50% reduzieren müsste, damit die Konzentration von CO2 in der Luft nicht 550 ppm übersteigt –, das Doppelte wie zur Zeit vor der Industrialisierung – und damit die Durchschnittstemperatur auf dem Globus um nicht mehr als 20 C ansteigt!

Investitionen von 125 Milliarden US-$ in 10 Jahren wurden in Rio für eine Politik zur Verteidigung der Umwelt auf Weltebene angekündigt. Im Jahr 1996 wurden dafür gerade mal 315 Millionen US-$ ausgegeben. In der Auseinandersetzung zwischen den reformistischen Ideen, wie sie vom Brundtland-Bericht und später in Rio veröffentlicht wurden und dem vorherrschenden ultraliberalen imperialistischen Modell, hat des letztere derzeit die Nase vorn. Der Gipfel von Johannisburg im September 2002 ist kläglich gescheitert: es wurde keine internationale Maßnahme von Bedeutung beurkundet. Hingegen hat dieser Gipfel gezeigt, dass es den großen Multis binnen weniger Jahre gelungen war, ihre Sichtweisen in den internationalen Institutionen zum Durchbruch zu bringen. So verfügten sie über eine Tribüne, um für die Privatisierung der Ressourcen und öffentlicher Güter einzutreten, indem sie Begriffe wie „public-private partnership“ kreierten. Das Weltwasserforum vom März 2003 in Kyoto hat dieselben Orientierungen angenommen.

Die Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO), die in Rio und auf den anderen Konferenzen stark vertreten waren, haben sich bisweilen von den Umweltschutz-Reden der G 7-Länder und der internationalen Institutionen an der Nase herumführen lassen. In Zukunft wird ihnen nur die Wahl bleiben zwischen einer völligen Integration als ökologischer Fassade des Kapitalismus oder einer Rückkehr zu einer radialökologischen Kritik, die in vielen Fällen bei ihrer Gründung Pate stand.

Heute ist ein praktisches Herangehen an Umweltprobleme Teil jedes bürgerlichen Regierungsprogramms. Im Allgemeinen bemüht man sich, der Verschmutzung der Luft, der Böden und des Wassers Grenzen zu setzen. Dazu kommen Stufenpläne zur Verminderung der gefährlichen Folgen der Rückstände aus dem Produktionsprozess. Diese Pläne werden in internationalen Verträgen peinlich genau festgelegt. Wenn alles gesagt und getan ist, handelt es sich um Behelfsmaßnahmen, die die wirklich stattfindende Zerstörung nicht aufhalten können. Wirtschaftsprogramme und politische Richtungen, die eine „ökologische Marktwirtschaft” einfordern, haben ebenfalls an Bedeutung gewonnen. Bis jetzt sind die Versuche, die kapitalistische Wirtschaft auf ein umweltfreundliches Funktionieren umzuorientieren, nicht über das Reißbrettstadium hinausgekommen.

Im Zusammenhang mit der kapitalistischen Globalisierung ist jedoch eine ungeheure Offensive in Gang, auf Weltebene ein System zur „Vermarktung des Rechts zur Verschmutzung” einzurichten, mit dem Ziel, die Menge an Treibhausgas zu vermindern. Dieser Mechanismus wurde zuerst von den USA befürwortet und in der Folge von der EU akzeptiert. Dies ist eine gefährliche Entwicklung, die bekämpft werden muss. Erst schafft sie freie Bahn für die Verstärkung der Abhängigkeit der unterentwickelten Länder vom Norden: In einem Szenario, das jedem Land einen tauschbaren Anteil an Verschmutzung zuteilt, gehört die entscheidende Macht jenen, die die finanzielle Möglichkeit haben, nach Belieben mit den Verschmutzungsrechten zu handeln. Die hochverschuldeten Länder des Südens und des Ostens laufen Gefahr, ihre Anteile an den Norden verkaufen zu müssen, obwohl die letzteren bei weitem die größten Umweltverschmutzer sind.

Darüber hinaus bezweckt das System, aus der Verschmutzung eine Ware zu machen, also eine Quelle des Profits. Wie können wir uns unter diesen Umständen vorstellen, dass das zu einer wirksamen Verminderung der Verschmutzung führen könnte?

Schließlich muss betont werden, dass es der Zweck dieses Mechanismus – das Schlüsselelement der neoliberalen Offensive auf dem Gebiet des Umweltschutzes – darin besteht, die subversive Macht der ökologischen Kritik zu entschärfen, deren Logik dazu tendiert, das Funktionieren des kapitalistischen Systems insgesamt in Frage zu stellen. Er zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit der Idee, dass der Markt das beste Instrument zur Bekämpfung der Verschmutzung ist, in dem Sinn wiederherzustellen, dass mehr Kapitalismus zu einem wesentlich „saubereren” Kapitalismus beitragen würde.

Diese Idee muss ebenso bekämpft werden wie die These, die besagt, dass der Umweltschutz zum Motor einer „neuen Modernisierung der kapitalistischen Wirtschaft” werden könnte.

Ein großer Graben trennt die reichen Staaten von den armen. Während in den wohlhabenden imperialistischen Ländern in den vergangenen Jahren ein gewisser Fortschritt in der Eindämmung der schlimmsten Probleme der Verschmutzung und Zerstörung erzielt worden ist, versagen in den armen Ländern sogar die unbedeutendsten notwendigen Maßnahmen wegen Geldmangels oder angesichts der Interessen einiger weniger Firmen, die erfolgreich durch Umweltzerstörung Profite machen. Angesichts solcher Hindernisse vertreten reaktionäre Ideologen und manchmal auch gewisse Ökologen die Idee, die Überbevölkerung sei eine wesentliche Ursache für die Umweltprobleme und eine Politik der Geburtenkontrolle durch staatlichen Zwang sei in den unterentwickelten Ländern nötig. Diese These enthält eine grundlegend autoritäre, ja rassistische Vorstellung von gesellschaftlicher Organisation. Sie muss in aller Schärfe verurteilt werden.

 

 

VII. Erfahrungen in der politischen Organisation der Ökologiebewegung

 

In einer wachsenden Anzahl von Ländern entwickeln sich grüne Parteien. In Westeuropa sind sie in so verschiedenen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien, Schweden und Portugal in den Parlamenten vertreten und sie stellen eine bedeutende Gruppe von 47 Abgeordneten im Europaparlament. Sie waren an Regierungen von Linkskoalitionen in drei Ländern der Union beteiligt: Deutschland, Frankreich und Belgien. Man findet Grüne Parteien auch in abhängigen Ländern (Brasilien, Türkei, etc.). In den Vereinigten Staaten symbolisiert die Kandidatur von Ralph Nader im Präsidentschaftswahlkampf die politische Entstehung einer Front aus vereinigten Umweltschützern, von Jugendlichen und Gewerkschaftern auf der Grundlage von Kämpfen gegen die Globalisierung.

Natürlich kann die Entwicklung grüner Organisationen und Parteien in den letzten 20 Jahren durch das Auftauchen der Umweltkrise mit globaler Dynamik erklärt werden. Dennoch kann sie nicht ohne ergänzende politische Faktoren wie das Fehlen einer allgemeinen Perspektive  bei den traditionellen Führungen der Arbeiterbewegung oder dem Mangel an revolutionären Durchbrüchen im kapitalistischen Europa seit 1968 verstanden werden.

Es ist vollkommen falsch, alle verschiedenen „grünen” Erfahrungen in dieselbe Schublade zu stecken. Abhängig von den Ländern, der politischen Kultur und ihren konkreten historischen Ursprüngen haben sie besondere Eigenschaften. Ihre Bandbreite reicht von einem starken Einfluss bürgerlicher und kleinbürgerlicher Kräfte bis zur Koexistenz von Linksradikalen, Alternativen und Ökosozialisten und schließt reformistische grüne Strömungen ein.

Wir können im Allgemeinen und mit der gebührenden Vorsicht feststellen:

·       Es handelt sich um Organisationsversuche innerhalb der reformistischen Linken, meistens irgendwo links von der traditionellen Führung;

·       Obwohl häufig 75 Prozent ihrer sozialen Basis aus Lohnabhängigen besteht, sehen sich diese Strömungen nicht als Teil der Arbeiterbewegung;

·       Zwar haben Grüne Bewegungen oft als informelle Wahlplattformen auf der Grundlage umweltzentrierter Programme begonnen, aber sie haben auch kritische Standpunkte auf anderen Gebieten (Sozialpolitik, Rüstungswettlauf, Dritte Welt, etc.) bezogen.

Die Aktivitäten der Grünen haben das Gepräge einer Kombination aus häufig richtiger Kritik an sozialen Ungerechtigkeiten in bestimmten  Sektoren neben trügerischen reformistischen „Strategien“. In den meisten Fällen würgt die Regierungs- oder Parlamentsarbeit praktisch die Basisaktivität der Grünen Parteien ab, begünstigt das Erscheinen traditioneller Formen der Machtdelegation und neigt dadurch zur Untergrabung der radikalen Natur dieser Bewegung. Noch schlimmer: Die deutschen Grünen, z.B. befinden sich in einem Prozess, in dem sie all die utopische Fracht verlieren, die die ökologische Kritik verkörpert, und verwandeln sich in eine einfache „Reformpartei” unter vielen. Die Schockwellen setzten sich mit dem schwierigen Kompromiss in der Kernenergiefrage, dem Kosovokrieg und dem verschärften neoliberalen Kurs der Regierungspolitik fort. Trotzdem ist es fruchtlos, über den Rhythmus und die Formen der Veränderungen Vermutungen anzustellen, die die ökologistischen Parteien durchmachen werden und bis zu welchem Ausmaß sich die eigentliche Natur der Grünen durch die Entscheidungen, die sie treffen und die politischen Schwenks, die sie durchmachen, verändern wird.

Revolutionäre MarxistInnen beurteilen die politischen Akteure nicht in erster Linie auf der Grundlage ihrer Forderungen, ihrer Programme oder ihres Bewusstseins über die eigene Rolle, sondern zuallererst auf der Grundlage ihrer aktuellen Funktion im Klassenkampf. Allgemein können wir bekräftigen, dass das Auftauchen der grünen Organisationen und Parteien kein Schritt zurück gewesen ist, sondern im Gegenteil in vielen Fällen den Aktionsradius der Linken erweitert hat. Die Grünen dürfen nicht ignoriert werden, im Gegenteil, es muss eine aktive Politik in ihre Richtung entwickelt werden: gemeinsame Aktionen, Debatten über ihre theoretischen Positionen, etc. In bestimmten Ländern sind Protestparteien und Umweltbewegungen entstanden, die Wahlbündnisse bilden und einen Ausschnitt der kritischen Meinung nutzbar machen. Es obliegt jeder Sektion der Internationale, die beste Form der Zusammenarbeit mit solchen Parteien oder Bewegungen konkret festzulegen.

 

VIII.      Die Vierte Internationale und die Umweltkrise

 

Wie wir in Kapitel IV. gesehen haben, finden wir die Ausgangsüberlegungen für eine radikale ökologische Kritik des Kapitalismus in den ursprünglichen marxistischen Texten. Aber unsere Internationale versäumte es, ebenso wie die meisten Parteien der Arbeiterbewegung, in den ersten  Jahren ihrer Existenz diese Kritik aufzunehmen. Es wäre beispielsweise nutzlos, im Übergangsprogramm, dem grundlegenden Dokument des Gründungskongresses von 1938, danach zu suchen. Im Zeitraum nach dem II. Weltkrieg übersahen die revolutionären MarxistInnen die Umweltzerstörung oder die Luft- und Wasserverschmutzung keineswegs. Dennoch wurden diese Phänomene als Teil der negativen Folgen eines ausbeuterischen, unmenschlichen Gesellschaftssystems gesehen und nicht als eine weltweite Erscheinung betrachtet, die die Grundlage allen Lebens auf der Erde zu zerstören droht.

Das hat sich seit Anfang der 1970er Jahre geändert, als die Tendenz zur Selbstzerstörung der kapitalistischen Gesellschaft zu einem weithin diskutierten Thema wurde, einem Diskussionsgegenstand selbst für so bürgerliche Ideologen wie die des Club of Rome 1972. Mitgliedern unserer Bewegung verfassten seitdem viele Artikel und kritische Studien.

Aber die wirkliche Prüfung für die Organisationen der Arbeiterbewegung war die Geburt einer Massenbewegung gegen die Atomenergie, insbesondere in Japan, Westeuropa und den Vereinigten Staaten.

Praktisch waren alle Sektionen der IV. Internationale an diesen Massenbewegungen beteiligt, obgleich sehr wenige Sektionen beim Zurückfluten der Anti-AKW-Bewegung in der Lage waren, ihre Arbeit zu ökologischen Themen zu konsolidieren. Die Erfahrungen dieser Bewegungen fanden ihren Weg in unsere Diskussionen auf dem Weltkongress. Während in den Texten des X. Weltkongresses (1973) die Ökologie und verwandte Themen nicht einmal erwähnt werden, wurde auf dem folgenden Kongress im Jahr 1979 der Kampf gegen die Atomindustrie als eine „Überlebensfrage für die Arbeiterklasse” bezeichnet und es wurde erklärt, dass es die Pflicht der Internationale und ihrer Sektionen sei, „durch die Einbeziehung von Industriearbeitern die Bewegung zu stärken”. Auf dem Kongress von 1985 wurden die Positionen besser ausgearbeitet. Die Dokumente liefern eine detailliertere Analyse für alle drei Sektoren der Weltrevolution. Die wichtigste Entschließung forderte die Internationale und ihre Sektionen auf, der Umweltfrage in ihrer Propaganda und ihren Aktivitäten größeres Gewicht zu geben und gemeinsame Aktionen an der Seite der Umweltbewegung zu organisieren. 1990 erarbeitete eine Kommission, die von verschiedenen Sektionen gebildet wurde, den Entwurf für eine Ökologieresolution, der während der Diskussionen auf dem 13. Kongress vorgestellt wurde; dort wurde aber beschlossen, weitere Debatten zu führen, bevor eine Entschließung verabschiedet würde.

Heute betrachtet die IV. Internationale die Umweltzerstörung als eine der Hauptbedrohungen für die Menschheit, als ein Problem, das der berühmten Formulierung von Rosa Luxemburg „Sozialismus oder Barbarei” eine neue Bedeutung verleiht. Sie sieht ihre Hauptaufgabe auf diesem Gebiet darin, eine Verbindung zwischen der Arbeiterbewegung und ihren Organisationen mit dem Kampf gegen die Zerstörung des Planeten zu schaffen. Sie ist bestrebt, den Weg für eine Zusammenarbeit zwischen der sozialen Bewegung und der Umweltbewegung zu ebnen, nicht nur gegen die verschiedenen Formen der Zerstörung, sondern auch gegen das Gesellschaftssystem, das in erster Linie dafür verantwortlich ist. Sie möchte sich an den Diskussionen in diesen Bewegungen beteiligen und versuchen, den weitverbreiteten Illusionen über einen „sauberen” Kapitalismus entgegenzuwirken.

In vielen Ländern spielt die Internationale eine aktive Rolle in den laufenden Kämpfen, so beim Kampf gegen genmanipulierte Organismen oder die Zerstörung des Amazonasregenwalds in Brasilien. Die europäischen Sektionen sind zunehmend an der Umweltbewegung ihrer Länder beteiligt. In unserer Analyse stellt das Umweltthema einen der wichtigsten Pole dar, um den sich die Arbeiterbewegung reorganisieren muss.

All das bedeutet nicht, dass es keine Probleme dabei gegeben hätte, diese neuen Themen in die Aktivitäten unserer Bewegung einzubringen. Viele GenossInnen sahen die Umweltprobleme auch weiterhin als einen der vielen Widersprüche des Kapitalismus neben anderen. Sie haben sie nicht als Probleme begriffen, die eng mit dem alltäglichen Überlebenskampf der Arbeiterklasse gegen unmenschliche Lebens- und Arbeitsbedingungen und die Kriegsdrohung verbunden sind. Die meisten Sektionen begannen erst über Umweltfragen nachzudenken, als es im Anschluss an Aktionen anderer Kräfte dicke Schlagzeilen in den Zeitungen gab. Deswegen hat die Debatte in der Internationale eher langsam Gestalt angenommen. Während andere Strömungen und Individuen die Frage von Ökologie und Sozialismus bereits viele Jahrzehnte lang erörtert haben, blieben die revolutionären MarxistInnen verhältnismäßig still. Es wird immer deutlicher, dass die MarxistInnen sich besonders anstrengen müssen, ihre Methoden auf diese Themen anzuwenden. Es ist nicht länger möglich, einfach ein paar Elemente ökologischen Denkens aufzugreifen und sie etwas rot anzustreichen.

Die IV. Internationale möchte sich nicht nur in die Diskussionen um die konkrete Umweltpolitik einbringen. Sie will auch die politischen und organisatorischen Schritte nach vorne tun, die für die Massenaktionen notwendig sind. Denn nur durch die Aktion von Massenbewegungen können die gegenwärtigen Bedingungen verändert werden.

 

IX. Aktionsprogramm

 

Heute gibt es auf der ganzen Welt ein breites Spektrum von Initiativen und Bewegungen gegen die Ausplünderung und Zerstörung der Natur. Die IV. Internationale unterstützt diese Initiativen und Bewegungen und beteiligt sich an ihnen, bisweilen kritisch, da die allgemeinen Ansichten gewisser ÖkologInnen bisweilen verworren sind. Die Erfahrungen der Umweltbewegung zeigen, dass nur breite Mobilisierungen und Massenproteste es ermöglichen, die öffentliche Meinung zu gewinnen und wirkliche Erfolge zu erzielen.

 

A.    Vorschläge

Wir möchten daran erinnern, dass gewisse grundlegende ökologische Probleme gelöst werden müssen, wenn die Menschheit nicht untergehen soll. Alle diese Probleme können nur auf internationaler Ebene angegangen werden. Hier möchten wir unsere Kräfte konzentrieren (etwa im Rahmen von internationalen Kampagnen), unsere Vorschläge einbringen und aufzeigen, mit welchen Mitteln sie umgesetzt werden können.

Diese Mobilisierungen können um folgende Vorschläge herum entwickelt werden, wobei die Liste keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit stellt:

 

Forderungen:

·       Radikaler Bruch in der Dritten Welt mit dem ausbeuterischen System der landwirtschaftlichen Produktion für den Export, ein System, das die Quelle von Hunger und Elend ist;

·       Gegen das zerstörerische kapitalistische Agrobusiness, das die Umwelt zerstört und schwere Gesundheitsprobleme hervorbringt (beispielsweise BSE);

·       Sofortiger Ausstieg aus der Atomkraft;

·       Nein zur Abholzung der tropischen Wälder und der Zerstörung von Wäldern in den Industrieländern;

·       Meer, Flüsse und Seen sind keine Mülleimer!

·       Gegen die kapitalistische Patentierung von Lebewesen!

·       Stoppt die Gentechnik!

·       Nein zur privaten Aneignung öffentlicher Güter, etwa Wasser!

·       Stoppt die beschleunigte Vernichtung von Arten; erhaltet die Artenvielfalt!

 

Alternativen:

·       Die landwirtschaftliche Produktion in der Dritten Welt muss zuvörderst die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten!

·       Rationeller und geplanter Einsatz der Energie angesichts der Plünderung nicht erneuerbarer Energieträger: Entwicklung von alternativen Energieformen wie die Sonnen- und Windenergie, die Biomasse etc.

·       Organisierung der landwirtschaftlichen Produktion nach ökologischen Kriterien;

·       Gegen die Entwicklung des Individualverkehrs Entwicklung des öffentlichen Verkehrs und der Eisenbahn;

·       Eine Politik, die radikal auf Müllvermeidung setzt und den anfallenden Müll recycelt: Die Installierung von Filtern und Reinigungen usw. genügt sich nicht selbst; wir brauchen einen grundlegenden Umbau der Industrie, der die Umweltverschmutzung bereits an der Quelle verhindert.

 

Wie kann man diese Alternativen realisieren?

Wir müssen kämpfen für:

·       eine tiefgreifende Agrarreform in der Dritten Welt;

·       die völlige Annullierung der Schulden der unterentwickelt gehaltenen Länder;

·       die Entwicklung von alternativen Energieplänen, die von der Arbeiter- und Ökologiebewegung in Zusammenarbeit mit fortschrittlichen WissenschaftlerInnen ausgearbeitet werden;

·       die Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses (das z.B. ermöglicht, den Ausstoß von Giften zu verstecken) und die Verpflichtung, spezifische Register über die Rohstoffe und die eingesetzten Stoffe zu führen und freien Zugang zu diesen Registern zu gewähren;

·       Aufbau einer „ökologischen Gegenmacht“ mittels gesellschaftlicher Kontrolle der Produktion;

·       Eine Produktion, die ökologischen Kriterien gehorcht und auf dem Grundsatz der Bedürfnisbefriedigung und nicht auf dem des Profits oder der Macht der Bürokratie beruht;

·       Eine freie, demokratische, pluralistische und selbstverwaltete sozialistische Gesellschaft, die die Umwelt respektiert.

 

B.    Konvergenzen zwischen der Ökologie und dem Sozialen

 

In einem großen Ausmaß werden die Umweltkrise und die soziale Krise von den gleichen Mechanismen geschürt. Die Interessen der großen Wirtschaftslobbys, die immer ausschließlichere Diktatur der „Märkte”, die Weltordnung, die durch WTO, IWF, Weltbank, G 8 usw. verkörpert wird, tragen dazu bei, Menschen und Natur ausbluten zu lassen. Gemeinsame Elemente wirken in der gegenwärtigen Umwelt- und der sozialen Krise, gemeinsame Heilmittel können und müssen aufgeboten werden: Wir müssen den Würgegriff des „Wirtschaftsliberalismus” brechen und die menschlichen Bedürfnisse und die ökologischen Erfordernisse ins Zentrum der Entscheidungen stellen. Daher gibt es eine Gemeinsamkeit des ökologischen und sozialen Kampfes und einen gemeinsamen Bereich für eine Annäherung.

 

1.     Verteidigung der Öffentlichen Dienste

Das Beispiel des Verkehrs zeigt deutlich, in welchem Ausmaß eine auf öffentliche Dienstleistungen beruhende Logik für eine angemessene Antwort auf die sozialen und ökologischen Bedürfnisse erforderlich ist. In Europa erfordert die Logik des Marktes die Beschneidung des Eisenbahnnetzes auf „gewinnbringende” Technologien und Strecken, wobei man für alles Übrige auf Straßen und Autobahnen vertraut. Soziale Belange (billiger öffentlicher Verkehr, ein das ganze Staatsgebiet umfassendes  Streckennetz, anständige Löhne und Arbeitsbedingungen) und ökologische Erfordernisse (Verminderung der am stärksten verschmutzenden, gesundheitsschädlichsten und am meisten Energie verbrauchenden Formen des Verkehrs) erfordern die Entwicklung des kollektiven Verkehrs gemäß einer Logik öffentlicher Dienstleistungen. Dasselbe gilt für viele andere Bereiche.

Aber diese Feststellung beendet nicht die Auseinandersetzung darüber, wie die öffentlichen Dienste in der modernen Welt organisiert sein sollen. Tatsächlich neigen die staatlichen Monopole dazu, ihre Politik auf der Grundlage undemokratischer Ziele zu entwickeln. (Auf dem Gebiet der Energieversorgung können wir Verbindungen zwischen Erdölproduzenten und imperialistischen Interventionen in Afrika oder die Verbindungen zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Kernkraft feststellen.) Sie benutzen beschränkte kapitalistische Managementmethoden und Produktionsmodelle und verwenden Effizienzstandards, die von privaten Monopolen übernommen sind.

 

2.     Der Kampf für das Wasser und gegen die Umweltverschmutzung

Wir werden uns der menschlichen (Schädigung der Gesundheit, Preiserhöhungen, usw.) und der natürlichen Kosten (Angriffe auf die Artenvielfalt) der Umweltverschmutzung immer stärker bewusst, wie auch der Rolle, die bei der Verschärfung dieses Problems durch viele eingesessene wirtschaftliche Interessen gespielt wird. Dies gilt für die beherrschende Stellung des Autos, die Luftverschmutzung und die wachsenden Gesundheitsprobleme in den städtischen Zentren. Dies gilt für die Macht des Agrobusiness, die scheußliche Verschmutzung der Gewässer und die fast nicht wieder rückgängig zu machende Verschmutzung des Grundwassers. Dies gilt für das Gewicht der Atomlobby und die Aufhäufung radioaktiven Abfalls über sehr lange Zeiträume in Frankreich und anderen Ländern. Dies gilt für die Rolle, die von wichtigen privaten Interessen bei der in sozialer Hinsicht unerträglichen Erhöhung der Trinkwasserkosten im Norden – sowie für den weitverbreiteten Mangel beziehungsweise fehlenden Zugang zu Trinkwasser im Süden. In jedem dieser Bereiche muss man in den ökologischen und sozialen Kämpfen eine alternative Logik als Gegengewicht zu der von den herrschenden wirtschaftlichen Kräften vertretenen anwenden.

In der Wasserfrage gibt es bereits Massenkämpfe, im Norden (Spanien) wie im Süden (Bolivien). Man muss genauso stark gegen die Privatisierung wie gegen die Verschmutzung kämpfen, wie sie aus den Praktiken der kapitalistischen Industrie und der Großlandwirtschaft herrühren. Es handelt sich hier um eine Schlüsselfrage für die globalisierungskritische Bewegung, die den Kampf ums Wasser bereits auf die Tagesordnung verschiedener regionaler Foren oder des Weltsozialforums gebracht hat.

Der Ernst der Umweltverschmutzung und der Probleme der öffentlichen Gesundheit haben zu einer gesteigerten öffentlichen Aufmerksamkeit geführt. Es ist schwieriger geworden, so genannte Umweltangelegenheiten als Randfragen, die keinen Zusammenhang mit sozialen Fragen haben, oder als elitäre Sorgen und kleinbürgerlichen Luxus abzutun. In Europa bezeichnete die „BSE-Krise” wahrscheinlich einen Gezeitenwechsel – vergleichbar mit Tschernobyl auf dem Gebiet der Atomenergie. Sie warf Licht auf die ernste Bedrohung, die von der Produktionsweise der Agrarindustrie ausgeht.

Es ist auch erforderlich, unnachsichtig illusorische Strategien zu bekämpfen, wie den Markt für Verschmutzungsrechte, den die Länder des Nordens auf diesem Planeten einzuführen versuchen. Die Umweltverschmutzung muss beseitigt und darf nicht an den Meistbietenden verkauft werden.

 

3.     Verteidigung der Arbeitsplätze

Eine Umweltschutzpolitik würde auf zahlreichen Gebieten viele neue Arbeitsplätze schaffen. Wir müssen unbedingt darauf hinweisen, dass die herrschende Wirtschaftslogik, die die natürliche Umwelt übermäßig ausbeutet, ebenso die Arbeitslosigkeit hervorruft. Dies ist eindeutig im Fall des Agrobusiness, das die ländlichen Gegenden sowohl ihrer natürlichen (drastische Verminderung der Landschafts- und Artenvielfalt) als auch ihrer menschlichen (drastischer Rückgang der Beschäftigung und Landflucht) Kennzeichen beraubt. Das ist ebenso der Fall bei der Autoindustrie, die massiv Arbeitskräfte abbaut, während sie ihre Produktionskapazität erhöht und deren Wünsche hinsichtlich Verkehrsangelegenheiten, Stadt-  und Regionalplanung sowie Stadtentwicklung Gesetz sind. Eine alternative sozio-ökonomische Logik würde es möglich machen, Produktionsverhältnisse zu entwickeln, die weniger räuberisch gegenüber der Natur und unserer Lebensweise sind und gleichzeitig mehr Arbeitsplätze schaffen.

Es ist besonders wichtig, zusammen mit der Gewerkschaftsbewegung ein ökologisches Programm um folgende Themen herum zu entwickeln:

·       Verhältnis Gesundheit der Arbeitenden und Umwelt: Die Produktion von Giften schadet sowohl den ArbeiterInnen wie der Natur;

·       Notwendigkeit der Arbeiterkontrolle über die Produktion, um nicht die Umwelt schädigende Techniken durchzusetzen;

·       Ökologische Rekonversion der Industrie, des Transports und der Landwirtschaft als Politik der Schaffung von Arbeitsplätzen. Es kann nicht darum gehen, die bestehenden Arbeitsplätze (in den AKWs, in der Rüstungsindustrie) zu garantieren, sondern allen eine Beschäftigung und ein Einkommen zu garantieren, wie immer der notwendige Umbau der Produktion aussehen wird.

 

4.     Der Kampf um Land

 

Auf internationaler Ebene ist der Kampf um Land einer der bedeutendsten Vermittler für die Annäherung zwischen sozialen und Umweltbewegungen. Nicht zufällig sind die von einem sozialen Standpunkt aus radikalsten bäuerlichen Bewegungen auch jene mit dem entwickeltsten Umweltbewusstsein. Sie stehen auf gegen das umweltverschmutzende Agrobusiness mit seinen gentechnisch veränderten Organismen, seinen Kunstdüngern und Pflanzenschutzmitteln, die die Umwelt vergiften. Sie beziehen Stellung gegen die kapitalistische Landwirtschaft, die den Boden und die Wälder zerstört. In den Ländern des Südens ist dieser Kampf untrennbar mit dem Kampf für eine radikale Landreform, gegen das Monopol der Großgrundbesitzer auf das Eigentum an Land und für die Neuverteilung des Bodens verknüpft. Aber der Kampf für eine alternative Landwirtschaft, die mit der Umwelt achtsam umgeht und die auf der Arbeit von Kleinbauern, Kooperativen, ländlichen oder indigenen Gemeinschaften beruht, ist eine planetare Herausforderung, die sowohl die Dritte Welt als auch die kapitalistischen Metropolen angeht. Eine der wichtigsten Kräfte in dieser Schlacht um Land ist „Via Campesina”, ein internationales Netzwerk der bäuerlichen Linken, das von so wichtigen Bewegungen wie der brasilianischen Landlosenbewegung (MST) und der französischen Kleinbauernvereinigung (Confédération paysanne) getragen wird. Diese sozialen Bewegungen kämpfen für eine andere Auffassung von landwirtschaftlicher Produktion mit dem Ziel, die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung statt die des globalen kapitalistischen Marktes zu befriedigen, und sie achten das Recht der Völker, sich selbst zu ernähren.

 

5.     Abschaffung des Systems der Verschuldung

 

Die „Entwicklung durch Verschuldung” die zunächst von den Finanzmächten des Nordens eingesetzt wurde, führte zu einem System der Kontrolle über die Wirtschaftspolitik der Schuldnerländer (vor allem im Süden) und mehrte die Macht von IWF und Weltbank (auch im Norden). Das Diktat der Zinsforderungen und der ultraliberale Kanon der WTO haben unheilvolle Folgen für die menschlichen Gesellschaften (Zerstörung der sozialen Netze, der Subsistenzwirtschaften) und für die Natur (Zerstörung natürlicher Ressourcen für Exportzwecke). Das bedeutet, dass die grundlegenden Mechanismen dieses Systems der Vorherrschaft sowohl von der sozialen als auch der ökologischen Seite her bekämpft werden müssen. Die vom GATT und später von der WTO formulierten Regeln für den Welthandel verstärken die Vorherrschaft der wichtigsten Multis im Norden. Indem sie lokale Märkte für ihre Waren aufbrechen, haben diese Institutionen die Abhängigkeit (sogar von Nahrungsmitteln) vergrößert, das soziale Gleichgewicht untergraben und zu einem verrücktem Wachstum des Welthandels geführt, das die Energie- und Umweltkrise speist.

 

 

6.     Langzeitperspektive und Demokratie

 

Die Umweltfrage verlangt, dass wir sehr langfristige Folgen in Betracht ziehen, da die Rhythmen der Natur einen ganz anderen Zeitrahmen haben als die notwendigerweise kurzen des Marktes. Viele soziale Bedürfnisse (Bildung, Gesundheit, usw.) verlangen ebenso einen längeren Zeitraum als der „allmächtige Markt”, um ihre Zwecke zu erreichen. Das ist einer der Hauptgründe, warum sie öffentliche Dienste im eigentlichen Sinn sind. Die ökologischen Folgen und die menschlichen Bedürfnisse verlangen beide, dass unsere alternative Politik diese langen und sehr langen Zeiträume berücksichtigt. Dies bedeutet im Sinne einer Solidarität zwischen Generationen  zu denken. Die Ökologie verschafft – neben der Verteidigung der sozialen Bedürfnisse – dem Konzept der Planung neue Legitimität. Was bedeutet Planung anderes als die Langzeitwirkungen in Betracht zu ziehen? Aber die Ökologie hat auch Anteil an der Entwicklung einer umfassenden Kritik der bürokratischen Erfahrungen in den früheren Ostblockländern.

Ist dieses unerlässliche Zusammenfinden von ökologischen, demokratischen und sozialen Zielen und Kräften möglich? Ja, weil die zeitgenössische Umwelt- und soziale Krise ihren gemeinsamen Ursprung im Kapitalismus haben. Gemeinsame Ursachen rufen nach gemeinsamen Lösungen. Der Antikapitalismus ist keine Sammlung „negativer” Ideen. Tatsächlich ermöglicht er es, das Terrain des Zusammentreffens von ökologischen und sozialen Kämpfen vorauszusehen. Er ist auch dabei behilflich, gemeinsame Alternativen in einem positiven Geist der Solidarität zu schaffen. Er klärt uns über Ursachen und Lösungen auf. Andererseits, sollte die politische Ökologie dabei versagen, die Kritik am Kapitalismus in ihre Konzeptionen einzubeziehen, läuft sie Gefahr, sich dem Mainstream anzupassen, ihre radikalen Kanten zu verlieren und in elitäre, letztlich antidemokratische Lösungen zurückzufallen, die zugleich sozial unausgewogen, ungerecht und ohnmächtig sind.

Dies verlangt nach wirklichen Verknüpfungen, nicht nur danach, die Ökologie in ihren sozialen Auswirkungen zu sehen. Das ökologische Denken hat tatsächlich eine wesentliche Dimension erschlossen, die als solche im sozialen Denken nicht auffindbar ist, eine Analyse der Beziehung zwischen der menschlichen Gesellschaft und der Natur. Das ist sein wesentlicher Beitrag und sein eigenes Gebiet. So können wir festhalten, dass wir weder die Umweltfrage auf den sozialen Bereich beschränken, noch die sozialen Gegensätze im Namen der weltweiten ökologischen Erfordernisse missachten dürfen.

 

Übersetzung: Hans Peter Meister, Überarbeitung: Paul B. Kleiser und D. Berger