Italien

Der Aufstand der Arbeitsimmigranten in Rosarno

Charles-André Udry

In der kalabresischen Gemeinde Rosarno brach am 7. Januar ein Aufstand der Arbeitsimmigranten, die überwiegend aus Afrika stammen, aus. Die Immigranten besetzten zu ihrer Verteidigung die Straße, um zu zeigen, dass sie nicht gewillt sind, länger unsichtbare menschliche Wesen und rechtlose Handlanger zu sein, die zwar die duftenden Clementinen sorgfältig ernten sollen, im Übrigen aber unter den Ratten und wie die Ratten leben müssen.


Die Jagd auf die Schwarzen


Bereits im Dezember 2008 waren die Arbeitsimmigranten aus Ghana und Burkina Faso in Rosarno auf die Straße gegangen: Zwei von ihnen waren aus einem Auto heraus mit Maschinenpistolen beschossen und schwer verletzt worden – einer dieser zahlreichen „Unfälle“, die typisch sind für die „Jagd auf die Schwarzen“. Dahinter steht die unmenschliche Ausbeutung, die sich gleichermaßen auf Mafianetze und die Politik der Regierung Berlusconi in Gestalt des Ministers Roberto Maroni von der Lega Nord stützt. Und dort in Kalabrien nehmen es die Handlanger der Mafia nicht hin, dass die Immigranten aufmucken oder sich wehren. Dies wäre nämlich ein Angriff auf die „pax mafiosa“, die die „billige“ Ernte der Zitrusfrüchte erst ermöglicht.

Die Vertreterin des UN-Flüchtlingskommissariats erklärte dazu, dass sie sehr besorgt sei, dass es in Rosarno zu einer „Immigrantenjagd“ kommen könne. Zumal Maroni am Vortag vehement behauptet hatte, dass die Situation durch „zuviel Toleranz gegenüber der heimlichen Immigration“ zustande komme.


Die Überlebenden einer Odyssee in der Verdammnis


Die Immigranten, die in dieser Region ankommen, sind die Überlebenden einer Odyssee, auf der sie gezwungen waren, den Tod ihrer Schicksalsgenossen mit anzusehen: in der Wüste, auf dem Meer oder in den „Rückhaltelagern“, die von der EU und Schweiz finanziert werden. Sie haben ihre Länder verlassen, die von Kriegen gepeinigt sind, hinter denen die Minen- und Ölkonzerne stecken, und durch neokoloniale Ausbeutung mithilfe der korrupten und kollaborierenden „Eliten“ zerstört werden.

Sie kamen zu Tausenden in eine Gegend, in der nur ihre Arme zum Zitronenpflücken ab November gebraucht werden und die sie nach der Orangenernte im März wieder verlassen, um – je nach Erntezeit – von einer Region in Italien zur anderen zu ziehen. Ohne feste Behausung, Wasser, Strom und Sanitäranlagen, mitunter abgeschieden in leerstehenden Fabrikgebäuden. Um mit ihren Worten zu sprechen: „Wir leben zwischen den Ratten und der Angst.“ Oder wie sich ein anderer gegenüber La Repubblica äußerte: „Ich lebe in der Angst, dass meine Familie mitkriegen könnte, wie ich in Europa lebe.“

Ende des Jahres kommen in der Region von Rosarno jeden Morgen die „Vorarbeiter“ mit Kleinlastern vorgefahren, um diese Arbeitsimmigranten zu engagieren, die buchstäblich nichts als ihre Hände haben – junge Männer, die täglich 12 bis 14 Stunden arbeiten und 20 Euro dafür bekommen, wobei 5 noch für den „Transport“ draufgehen.

Die Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“, die durchaus Erfahrungen in Ländern mit „schwierigen“ Bedingungen gesammelt haben, sind fassungslos über das, was sie hier vorfinden. Die Kälteeinbrüche und der Rauch von den Feuern, die in den Baracken zum Kochen und Heizen entzündet werden, verursachen schwerwiegende Schädigungen der Atemwege. Dazu kommen diverse Infektionen und Hauterkrankungen. Die Projektleiterin der „Ärzte ohne Grenzen“ meint: „Viele von ihnen leiden unter Depressionen. Denn sie erleben diese Entwürdigung ihrer Lebensbedingungen als ein Trauma, von dem sie sich nie wieder erholen werden. Und wenn sie mit Zuhause telefonieren, sagen sie, dass alles gut sei, und diese Lügen, die sie sich selbst vormachen, deprimieren sie noch weiter.“


Ein Kampf für sich zwar, aber einer mit Vergangenheit


Diese Arbeitsimmigranten stehen am Ende einer Kette. Die Großerzeuger haben mithilfe der Mafia verhindert, dass sich die Kleinbauern zu Kooperativen zusammenschließen. Die Preise für die Clementinen und Orangen sind stark gefallen: Die Supermärkte und die Exporteure diktieren die Preise.

In Süditalien gibt es demnach eine Wanderarmee ohne Einwanderungspapiere. Die allermeisten von ihnen werden keine Aufenthaltserlaubnis erhalten, da sie eine Ausweisungsverfügung mit Rückkehrverbot erhalten haben. Daher pilgert eine regelrechte „Reservearmee“ von „Illegalen“ je nach Saison durch das Land, um Tomaten in Foggia zu ernten, Clementinen und anschließend Orangen in Rosarno, danach Oliven in Alcamo und Kartoffeln in Cassibile – durch ein Süditalien also, dessen Landwirtschaft mitten in der Krise steckt.

Die Ausbeutungsmechanismen, die sie vorfinden, erinnern – mutatis mutandis – an jene der Tagelöhner in Süditalien, die nach dem 2. Weltkrieg harte Kämpfe ausfechten mussten und Landbesetzungen durchgeführt haben. Damals galten diese Tagelöhner offiziell auch als Kriminelle. Und in diese Tradition der Kämpfe reiht sich der Aufstand der afrikanischen Arbeitsimmigranten, die in Rosarno auf die Straße gegangen sind, weil sie es satt hatten, als Schießscheibe zu dienen (zwei Jugendliche wurden mit Luftgewehren attackiert), und „wie Tiere behandelt zu werden“, um eine ihrer gängigen Formulierungen zu gebrauchen. Sie haben sich als Menschen gewehrt, deren Zorn ihr Leiden mildert – mit ein paar kaputten Autos und Fensterscheiben – und wurden dabei von der Polizei wie „Tiere“ niedergeknüppelt.

Charles-André Udry ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des Beirats von Attac Schweiz
Quelle: Gekürzt aus à l’encontre
Übersetzung: MiWe



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 460/461 (März/April 2010).