Britannien

Ein Wirrwarr an Vorwürfen und Verfälschungen –
Antwort auf Chris Harman

Die linke Wahlalternative „Respect“ hat sich gespalten. Hintergrund sind heftige Auseinandersetzungen hauptsächlich zwischen dem Parlamentsabgeordneten George Galloway auf der einen und der SWP auf der anderen Seite. Alan Thornett, führendes Mitglied der britischen Sektion der Vierten Internationale, antwortet hier auf den Beitrag von Chris Harman.

Alan Thornett

Chris Harman behauptet, sein Beitrag „Die Krise in Respect“ sei ein Versuch, die politischen Hintergründe der Krise in Respect auszumachen. Nichts dergleichen ist er. Er ist eine Forstsetzung der Methode, die die SWP in der Debatte dieser Frage von Anfang an verfolgt hat:, nämlich die politischen Hintergründe in einem immer größeren Wirrwarr an Vorwürfen und Verfälschungen hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, gegen George Galloway und Salma Yaqoob zu ertränken. Soweit er sich mit Politik befasst, ist er der Versuch, das nicht zu Verteidigende zu verteidigen, nämlich das Organisationsmodell des „lockeren Bündnisses“, das die SWP für Respect festgelegt hatte, und die Art und Weise, wie die SWP-Führung auf George Galloways Brief Ende August reagiert hatte.

Harman behauptet, die Krise sei durch eine Reihe von Angriffen gegen die SWP ausgelöst worden. Das wurde sie nicht. Sie wurde ausgelöst durch die erstaunliche Überreaktion der SWP-Führung auf George Galloways Brief, der zu einigen eher begrenzten Änderungen an Organisationsstruktur und Abläufen in Respect aufrief. Der Brief bedeutete keine Krise oder Spaltung von Respect. Er erweiterte, das stimmt, die Kritik an der SWP und der Art und Weise, wie sie Respect steuert. Aber ohne das wäre es auch unmöglich, irgendeinen Aspekt an Respect zu kritisieren, da sie Respect von oben nach unten steuert. Respect war bisher praktisch ein 100%-iges Tochterunternehmen der SWP. Und genau das war tatsächlich der springende Punkt des Problems, den der Brief versuchte anzusprechen.

Harman behauptet auch, der Brief sei dazu bestimmt gewesen, Respect nach rechts zu drücken. Das war er nicht. An dem Brief war absolut nichts, was einen solchen Schwenk hätte belegen können. Die Punkte, die Harman sich als Nachweis herauspickt, waren das Infragestellen (im Kontext von Finanzfragen) der Entscheidung, in einer Zeit, als Respect kein Geld hatte, 2000 Pfund [ca. 3000 €] für das Anmieten eines teuren Festwagens für Schwulenparade 2007 auszugeben, und des Ressourceneinsatzes für die „Organising Fighting Unions“-Konferenz (OFU) [1] einschließlich des anschließenden Verlusts von 5000 Pfund [ca. 7000 €]. Man kann in diesen Fragen geteilter Meinung sein, aber beide waren völlig berechtigte Fragen, und keine von beiden beinhaltete auch nur den Hauch eines Belegs für einen Rechtsschwenk.

Sich gerade die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) herauszupicken, um den Brief anzugreifen, ist angesichts der bisherigen Haltung der SWP in Respect zu diesem Thema eine denkbar unglückliche Wahl. Es hat tatsächlich Zusammenstöße mit George Galloway in dieser Frage gegeben. Während Galloway die LGBT-Rechte seit langem unterstützt, hat er bei verschiedenen Gelegenheiten kontroverse Beiträge gehalten, diese Frage in den Respect-Materialien weniger stark in den Vordergrund zu stellen. Das Problem für Harman ist jedoch, dass die SWP Galloway bei jeder Gelegenheit gegen Vorschläge von Socialist Resistance [2] (SR) und anderen, die das Thema stärker in den Vordergrund stellen wollten, unterstützt hat.

Dies war der Fall auf den ersten beiden Respect-Konferenzen, wo SR-Unterstützer von SWP-Führungspersonen angegriffen wurden, weil sie Resolutionen zur Betonung von LGBT-Rechten eingebracht hatten. Dies war auch der Fall beim ersten Respect-Manifest, das ich geschrieben hatte, und wo George Galloway ebenfalls von SWP- Führungspersonen unterstützt wurde, als er dafür eintrat, dieses Thema etwas zurückzunehmen. Ob es nun richtig war, plötzlich so viel Geld für den Auftritt auf der 2007-er Gay-Pride-Parade auszugeben, nachdem zuvor die SR-Unterstützer einen langen Kampf um die Finanzierung eines Flugblatts für die Parade führen mussten, kann diskutiert werden. Aber das ist kein Rechtsschwenk. Es ist, was es ist: das Infragestellen einer einzelnen Ausgabe in einer Zeit, in der Respect kein Geld für Wahlkampf oder irgendwas sonst hatte.

Es war immer berechtigt, die Art und Weise, wie die OFU-Konferenz durch das Respect-Büro und die Hauptamtlichen aufgebaut und finanziert wurde, zu hinterfragen. Ich war von Anfang gegen diese Art des Aufbaus und weigerte mich entsprechend, am Organisationsausschuss teilzunehmen. Ich bin für eine Konferenz eingetreten, die gemeinsam mit Teilen der Gewerkschaftslinken und wenn möglich mit der britischen KP (CPB) organisiert wird, um die Verbindungen zwischen Respect und der Gewerkschaftslinken und anderen Partnern in diesem Projekt zu stärken. Dieses Konzept wurden vom Respect-Sekretariat zugunsten einer von Respect selbst organisierten Konferenz verworfen – mit dem Hauptziel einer möglichst großen Beteiligung. Im Ergebnis hat die Konferenz trotz ihrer Größe rein gar nichts zu einer Stärkung der Beziehungen zwischen Respect und der Gewerkschaftslinken beigetragen. Es war absolut berechtigt von Galloway, die vom Respect-Büro in das Projekt gesteckten Ressourcen und den Verlust von 5000 Pfund zu kritisieren.


Zustand von Respect


Doch Gay Pride und OFU waren nur Nebenpunkte in Galloways Brief. Jedenfalls sagt Harman an anderer Stelle in seinem Artikel, der Rechtsschwenk sei das Ziel hinter dem Brief und nicht so sehr des Textes selbst. Womit er sich nicht befasst, sind die Kernaussagen des Briefs über den Zustand von Respect. Die nackte Tatsache ist, dass die Respect-Mitgliedschaft von 5500 vor zwei Jahren auf 2200 im August 2007 zurückgegangen ist – etwas, was man normalerweise als Krise bezeichnen würde. Nicht nur waren vielen der Respect-Ortsgruppen dabei einzugehen oder bereits inaktiv, Respect war auch politisch enger geworden, da die Masse der Ausgeschiedenen politisch Unabhängige waren. Es gab Finanzprobleme, und man war in keiner Weise auf einen landesweiten Wahlkampf vorbereitet. Es gab Probleme mit den Entscheidungsprozessen, dem Funktionieren seiner gewählten Ausschüsse und der undemokratischen Kontrolle von oben nach unten durch die SWP. Dies waren die wirklichen Probleme, die Auslöser für den Brief waren.

Keines davon waren neue Probleme. Einige von uns haben sie schon vor Jahren angesprochen. Die Respect Party Platform (RPP) hatte versucht, sie in die Respect-Konferenz im Oktober 2007 hineinzutragen und war von John Rees (Respect-Nationalsekretär und führendes SWP-Mitglied) abgebügelt worden, damals noch mit Unterstützung von George Galloway. Die rückläufigen Mitgliederzahlen wurden offenkundig vertuscht. Tatsächlich wurden der Konferenz von John Rees sogar verfälschte Angaben zur Mitgliedschaft vorgelegt, die den Eindruck erwecken sollten, Respect sei gewachsen, während es in Wirklichkeit Verluste gab. Alle Proteste gegen diese Manipulation wurden ignoriert.

Der Konferenz wurde gesagt, dass die Mitgliederzahlen auf jeden Fall nicht der beste Maßstab für die Stärke von Respect seien, dass es viele Respect unterstützten, ohne bereit zu sein einzutreten, auf die man aber trotzdem in wichtigen Kampagnen wie Wahlkämpfen zählen könne. Das war ein versteckter aber aufschlussreicher Bezug auf de SWP-Mitglieder und auf die Art und Weise, wie die SWP Respect sieht. Also dass es gar keine reale Organisation mit realen Mitgliedern braucht, weil ja genug SWP-Mitglieder bereit stünden, um als Fußvolk eingesetzt zu werden. Das hieße, dass Respect gar keine reale Organisation wäre, sondern eine Front für die SWP! Sie hätte keinerlei internes politisches Leben für sich selbst, weil sie kein internes Leben braucht. Sie wäre ein Anhängsel der SWP, ein Werkzeug in Wahlkampfzeiten. Ein SWP-Mitglied nach dem anderen trat an das Redepult, um uns der Unwahrheit zu bezichtigen und zu behaupten, ihre Respect-Gruppe sei voller Leben und würde wachsen, es gebe keine Krise und es sei bösartig, etwas Anderes zu behaupten. Im Folgenden ein Auszug aus der kurz nach der Konferenz veröffentlichten Bewertung der RPP:

„Die reale Situation in Respect war der „Elefant im Raum“ [3], der auf keinen Fall erwähnt werden durfte. Wie konnte Respect, nach den großen Wahlerfolgen wie dem Gewinn eines Sitzes in Westminster (Parlament) und dann 16 Ratssitzen bei den Kommunalwahlen, zum Zeitpunkt der Konferenz kleiner und politisch enger als jemals seit ihrer Gründung sein, trotz aller Gewinne in Ost-London.

Nach dem Jahresbericht, wie er vom Nationalrat vor der Konferenz diskutiert worden war, hatte Respect im letzten Jahr ein Drittel seiner Mitglieder verloren, von etwas über 3000 herunter auf etwas über 2000, und viele Ortsgruppen waren in schlechter Verfassung. Doch statt die Konferenz zu nutzen, über das Problem zu diskutieren und wie damit umzugehen sei, wurde das Ganze unter den Teppich gekehrt. Die Version des Jahresberichts, die an die Delegierten ausgeteilt wurde, war sogar abgeändert und alle Mitgliederzahlen entfernt worden. Eine sorgfältig geschliffene Formulierung war statt der Zahlen eingesetzt worden, die den Eindruck erweckte, die Mitliederzahl sei gestiegen. Ein Zauberkunststück aus Rauch und Spiegeln. Aus einer schrumpfenden Respect war eine wachsende geworden. George Galloway behauptete in seiner Eröffnungsrede nicht nur, auf dem Hof sei alles in bester Ordnung, sondern sogar dass Respect gerade 10 000 Studentinnen und Studenten rekrutiert habe. Respect sei die ‚am schnellsten wachsende Partei in Britannien’. John Rees bestand darauf, dass ‚Respect größer als im letzten Jahr’ sei.

Alle Vorschläge, die wir auf der Konferenz einbrachten um mit dieser katastrophalen Situation umzugehen, wurden von der SWP-Mehrheit abgeblockt. Die Schlussfolgerung war: Da es keine Krise gab – außer in den Köpfen einer grantelnden Minderheit – gab es auch keinen Bedarf, nach irgendwelchen Lösungen zu suchen. Wir wurden erfolgreich isoliert und geschlagen.“

Dies war der reale Hintergrund für George Galloways Brief. Was neu war, war, dass sie [die Probleme] sich in einem schlechten Ergebnis bei Parlamentsnachwahl in Southall niedergeschlagen hatten, dass allgemeine Neuwahlen vor der Tür standen und dass George Galloway selbst sie angesprochen hatte. Der Brief war ein Versuch, mit dieser Situation umzugehen. Er machte Vorschläge für eine dringend erforderliche Mitgliederwerbungs- und Spendenkampagne und eine beschränkte Reorganisation der Respect-Führungsstrukturen, um ein bisschen Pluralität in die Spitze zu bringen. Wenn die SWP bereit gewesen wäre, diese Fragen politisch zu diskutieren und einige Kompromisse einzugehen, um ihre Bereitschaft zu zeigen, anderer Leute Ansichten zu berücksichtigen, hätte es ein positives Ergebnis geben können. John Lister (das andere SR-Mitglied im Respect-Nationalrat) und ich hatten eine Stellungnahme herausgegeben, die Galloways Brief begrüßte, soweit er ging, aber ihn aufforderte weiterzugehen, vor allem bei der Demokratisierung der internen Abläufe und Strukturen von Respect und bei der Verantwortlichkeit.


Spaltungsdynamik


Harman sagt ziemlich herablassend, dass diejenigen Linken wie ich und John Lister (und Ken Loach und andere), die den Brief und schließlich Respect Renewal (Erneuerung) unterstützten, verwirrt seien! Aber wir haben nie einen Zweifel gelassen, was wir an dem Brief unterstützten. Er zeigte Probleme auf, die wir schon lange angesprochen hatten, und forderte Veränderungen, die wir schon lange vorgeschlagen hatten. Ebenso gab es niemals auch nur die geringste Möglichkeit, dass wir die SWP-Führung unterstützen könnten, seit klar war, dass sie den Brief zugunsten eines inakzeptablen Status quo ablehnen. Wenn die Fiktion einer Links/Rechts-Spaltung dazu dienen sollte, uns ins SWP-Lager zu ziehen, konnte das nie funktionieren.

Das war die Reaktion praktisch aller Nicht-SWP-Mitglieder im Nationalrat (NC). Es war eine bemerkenswerte Situation. Die SWP-Führung schaffte es innerhalb weniger Wochen sich selbst praktisch allen aktiven Nicht-SWP-lern im Nationalrat zu entfremden, mit denen sie dreieinhalb Jahre zusammengearbeitet hatte. Es gab 50 NC-Mitglieder, von denen 44 aktiv beteiligt waren. Als der Brief geschrieben wurde, stellte die SWP 19 Mitglieder des Nationalrats. Zum Zeitpunkt der Spaltung unterstützten 19 NC-Mitglieder Respect Renewal und 21 unterstützten die SWP, von denen 17 SWP-Mitglieder waren (einige andere wollten sich nicht für eine der beiden Seiten entscheiden).

Zu den Unterstützerinnen und Unterstützern von Respect Renewal gehörten Linda Smith (nationale Vorsitzende von Respect und führendes Mitglied der Feuerwehrgewerkschaft), Salma Yaqoob (stellvertretende nationale Vorsitzende und gewähltes Ratsmitglied in Birmingham), Victoria Brittain (bekannte Schriftstellerin und Dramatikerin) und Jerry Hicks (führender betrieblicher Aktivist und SWP-Mitglied zum Zeitpunkt des Beginns der Krise). Dazu gehörten auch der Filmemacher Ken Loach, Abjol Miah (Respect-Leitung im Stadtrat von Tower Hamlets), Yvonne Ridley (auch eine Journalistin) und Nick Wrack, der erste nationale Respect-Vorsitzende und SWP-Mitglied beim Ausbruch der Krise.

Ein Kennzeichen des SWP-Teils von Respect nach der Spaltung ist, dass das Verhältnis von SWP-Mitgliedern zu Unabhängigen im am 9. Oktober gewählten Nationalrat noch größer ist: 70 Prozent der Mitglieder des künftigen Nationalrats werden der SWP angehören. Auf dieser Basis wird es schwierig werden, von so etwas wie einem Bündnis zu sprechen.

Harman behauptet, die SWP habe „alles versucht, um einen Kompromiss zu finden“, um die Spaltung zu verhindern. Das tat sie nicht. Tatsächlich war es die völlige Ablehnung eines Kompromisses durch die SWP, die die Spaltungsdynamik auslöste. Statt Zugeständnisse zu machen, ging die SWP in die entgegen gesetzte Richtung. Sie nahm den Brief als Frontalangriff auf die SWP und startete eine landesweite Tour durch alle SWP-Bezirke; dabei verunglimpfte sie George Galloway und nannten ihn und Salma Yaqoob skandalöserweise „Kommunalisten“ [4] mit den spalterischen Anklängen von brutalen Kolonialpogromen und imperialistischem „Teile und Herrsche“, die das Wort für Menschen vom [indischen] Subkontinent hat – und charakterisierten seinen Brief als rechten Angriff auf die Linke in Respect.

 

Diskussion zur Spaltung von Respect

Einleitung, François Duval

Krise in Respect, Chris Harman

● Ein Wirrwarr an Vorwürfen und Verfälschungen, Alan Thornett

George Galloways Brief an den Respect-Nationalrat

Frühere Artikel

Respect baut sich auf, Frédéric Leplat, Inprekorr 410/411 (2006)

Respect nach Sieg in East London etabliert, Terry Conway, Inprekorr 404/405 (2005)

Geburt einer neuen Linken, Alan Thornett, Inprekorr 390/391 (2004)

Der Augenblick für die radikale Linke ist günstig, Alex Callinicos, Inprekorr 390/391 (2004)

Der Vorwurf des Kommunalismus war besonders abscheulich im Fall von Salma Yaqoob, die ihm alles andere als nah stand und ihn stattdessen in Birmingham engagiert und aktiv bekämpfte – was sie in ihrer Antwort auf den SWP-Text „Challenges for Respect“ überzeugend darlegte.

Es mag Beispiele gegeben haben, dass Respect sich zu sehr auf den Aufbau in einer einzelnen Volksgruppe oder auf die Arbeit durch deren Netzwerke in bestimmten Gebieten konzentriert hat. Dies SWP liegt aber völlig falsch, dies als „Kommunalismus“ zu bezeichnen, und Harman setzt diese gefährliche Linie auch noch fort. Natürlich darf man sich von solchen Netzwerken nicht abhängig machen, vor allem dort, wo sie von Männern dominiert sind. Anders als die Labour Party müssen wir jedoch für transparente Prozesse kämpfen, wie beim Streit um die Briefwahl [5]. Wenn es hier Konzessionen gegeben hat, muss die SWP sagen, was sie damals dagegen unternommen hat, und nicht einfach ohne jeden Beleg behaupten, dass George Galloway an allem schuld sei. Salma Yaqoob behandelt einige dieser Dinge ausführlicher in ihrer exzellenten Antwort an Harman „A Spectre is Haunting Respect?“ [„Ein Gespenst geht um in Respect“].

Auf jedem der internen Treffen der SWP wurden die Angriffe auf Galloway wütender. Eine Minderheit, die sich in der SWP als Opposition gegen all dies bildete und die dafür eintrat, Kompromisse einzugehen, bevor es zu spät war, wurde abgebürstet und einige wurden später ausgeschlossen. Aus heutiger Sicht ist es wahrscheinlich, dass es, nachdem die SWP-Führung begonnen hatte, ihre Mitgliedschaft in dieser Weise gegen Galloway aufzuhetzen, unmöglich war, die Spaltung zu verhindern. Es wäre sehr schwierig gewesen, nach all den unbewiesenen Anschuldigungen und der entstandenen Verbitterung wieder zurückzurudern. Die SWP-Führer fanden sich plötzlich in einem Loch und gruben immer weiter. Tatsächlich setzt sich der Tonfall auch in Harmans Beitrag weiter fort. Dort findet sich nicht nur der Vorwurf einer Hexenjagd gegen die SWP, sondern auch dass sie die Stimmung des Kalten Kriegs der 1950er Jahre und der Hinaussäuberung von Trotzkisten aus der Labour Party in den 1980ern widerspiegele. Ja, an anderer Stelle vergleicht er uns sogar mit der Rifondazione-Führung, die in die Prodi-Koalition eingetreten ist.

Man sollte darauf hinweisen, dass der George Galloway, den die SWP jetzt verunglimpft, derselbe George Galloway ist, den die SWP seit Gründung von Respect immer wieder gegen Kritik von uns und anderen abgeschirmt hat, nicht nur wegen der LGBT-Rechte, sondern auch in anderen Fragen. Jetzt beschuldigen sie ihn der Unzuverlässigkeit, doch während des „Celebritiy Big Brother“-Spektakels setzten sie Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn gegen den geringsten Zweifel an seiner Zuverlässigkeit zu verteidigen. Erfolgreich blockten sie jede von Respect ausgedrückte Kritik an seiner Entscheidung, an dem Programm teilzunehmen, ab. Harman wiederholt die krassesten Argumente, die die SWP damals verbreitet hat, um ihre Aktionen zu verteidigen. Etwa dass George Galloways Auftritt in der Container-Show nicht so schlimm war wie die Invasion im Irak durch Tony Blair und New Labour! Wie wahr! Nach dem Maßstab hätte er völlig freie Hand gehabt zu tun, was immer ihm beliebt!


Führungsanspruch der SWP


Harmans Antwort auf den Vorwurf, die SWP habe Respect undemokratisch dominiert – was für Nicht-SWP-Mitglieder offensichtlich war – ist zu behaupten, das könne nicht wahr sein, weil die SWP so einen guten Ruf in Kampagnen wie der „Anti-Nazi League“ und dem „Stop the War“-Bündnis habe! Egal ob diese Behauptung stimmt, zeigt die Antwort schon das Ausmaß des Problems. Denn die SWP hat Respect tatsächlich immer als Ein-Punkt-Kampagne behandelt und sich bemüht, sie wie ihre berüchtigte Einheitsfront der besonderen Art aufzubauen – obwohl sie mehr so etwas wie eine politische Partei hätte sein müssen, um erfolgreich zu sein. Der Grad an Demokratie, die Beteiligung der Mitglieder und die gemeinsame politische Erfahrung und Entwicklung sind sehr unterschiedlich in einer Organisation (egal ob man sie Partei nennt oder nicht), die um politische Ämter kämpft, als in einer Ein-Punkt-Kampagne, die sich einem begrenztes Ziel verschrieben hat. Auch dies gehörte zum Kern des Problems.

Harman behauptet, George Galloway und andere hätten den demokratischen Zentralismus und die leninistische Organisation angegriffen. In Frage gestellt wurde jedoch nicht der demokratische Zentralismus als solcher, sondern die Art und Weise, wie die SWP ihren demokratischen Zentralismus in Respect umsetzte und welche Wirkung das für die Demokratie in der Organisation hatte. Mit anderen Worten: die bürokratische Konzeption des „demokratischen“ Zentralismus der SWP und dessen Anwendung auf Respect.

Der Einwand war nicht, dass die SWP eigene Treffen als SWP hatte, sondern das Verhältnis zwischen ihrem Entscheidungsprozess und dem von Respect selbst. Vielen in Respect, die nicht in der SWP waren, wurde schmerzlich bewusst, zu was das führte. Es bedeutete, dass die großen SWP-Delegationen in den Respect-Führungsgremien unter demokratisch-zentralistischer Disziplin als normaler Praxis handelten, ohne Versuch, die Auswirkungen dessen zu begrenzen oder eine wirkliche Diskussion stattfinden zu lassen. Dies ließ für alle anderen die Anwesenheit zur Zeitverschwendung werden, da alle wichtigen Entscheidungen schon vorab getroffen worden waren. Ich hatte meine Kandidatur zum Respect-Sekretariat („officers group”) nach der Konferenz 2006 aus eben diesem Grunde zurückgezogen, weil meine Anwesenheit sinnlos war. Die gewählten Gremien waren absolut nicht die wirklichen Entscheidungsträger. Sie waren Scheinveranstaltungen, die von den parallelen Entscheidungsstrukturen der SWP kontrolliert wurden. Gefasste Beschlüsse wurden nur ausgeführt, wenn sie den Plänen der SWP entsprachen.

Diese merkwürdige Art des Funktionierens erforderte eine Führung von oben nach unten mit einem „wichtigen Führer“ an der Spitze, der sowohl Respect als auch die SWP steuerte. Und genau das wurde durch George Galloways Vorschlag, einen nationalen Organisator mit gleicher Autorität neben dem Nationalsekretär einzuführen, in Frage gestellt. Das erklärt auch, warum dieser Vorschlag von der SWP so heftig abgelehnt wurde. Es wurde als direkte Bedrohung von [Nationalsekretär] John Rees und seiner Möglichkeit, die Dinge weiter bisher zu steuern, gesehen.

Es waren eher diese Fragen als die Ereignisse in Tower Hamlets in Ost-London, die treibende Kraft bei der Spaltung des Nationalrats (NC) waren. Nach vielen Debattenstunden auf zwei NC-Sitzungen – wo die SWP-Delegierten kurz davor waren, George Galloway aus Respect hinauszujagen – wurde eine Vereinbarung zur Ernennung eines nationalen Organisators mit gleichem Status wie John Rees erreicht. Von den Nicht-SWP-Mitgliedern im NC wurde dies als Durchbruch gesehen.

Doch ein Sekretariatstreffen warf diese Entscheidung wieder über den Haufen und legte das Thema der Respect-Konferenz vor. Diese Entscheidung hob die Krise auf ein neues Niveau. Sie war das deutliche Signal, dass die SWP ihr zentrales Führungskonzept bis zum bitteren Ende verteidigen würde und das es wohl zu spät sei, Respect in ihrer bisherigen Form zu retten. Erst dies brachte die Krise in Tower Hamlets zum Ausbruch und löste den Kampf um die Delegiertenmandate aus. Wenn alles durch Kampfabstimmung auf der Konferenz entschieden werden sollte, würde die Delegiertenfrage entscheidend werden.


Tower Hamlets


Es hat größere Probleme und Konflikte in Respect in Tower Hamlets gegeben, das stimmt. Viele davon spiegelten wirkliche Probleme wider, die aus den Respect-Wahlerfolgen entstanden waren, wofür sich jedoch niemand entschuldigen sollte. Respect gelang ein großer, für die Linke beispielloser Durchbruch bei den verarmten proletarischen Minderheiten in Ost-London und Birmingham unter Menschen, die voller Wut auf den Krieg waren. Eine große Zahl neuer Mitglieder, von denen viele wenig Erfahrungen mit der Arbeiterbewegung oder der traditionellen Linken hatten, mit verschiedenen Traditionen politischer Organisierung, strömten zu Respect. Aber wie diese Erfolge konsolidiert und ausgebaut und wie die daraus unausweichlich entstehenden Probleme (egal um welche Volksgruppe es ging) gelöst werden konnten, war eine ganz andere Frage.

Es stimmt, dass Respects Ruf als Antikriegspartei eine durchschlagende Wirkung bei muslimischen Gemeinschaften hatte, in einer Weise, wie es in Gebieten der weißen Arbeiterklasse nicht der Fall war. Es waren und sind Restaurantbesitzer, die Respect stark unterstützen, ebenfalls in einer Weise, wie es in Gebieten der weißen Arbeiterklasse nicht der Fall war. Aber dies ist Ergebnis sowohl der Position, in der sich solche Menschen als Migranten in der britischen Gesellschaft wiederfinden, ihrer politischen Erfahrungen in der Heimat, als auch der Natur des sogenannten Kriegs gegen den Terror mit seiner Dämonisierung muslimischer Menschen.

Doch zuglauben, ein paar Restaurantbesitzer, die Respect Renewal unterstützen, würden den Klassencharakter dieser Unterstützung bestimmen, wäre ein großer Fehler. Die Masse der muslimischen Unterstützerinnen und Unterstützer von Respect gehören zu den am meisten verarmten Teilen der britischen Arbeiterklasse. Es wirft einen Schatten der Schande auf die SWP, dass sie jetzt zu Argumenten greift, die früher von der Rechten oder der Ultralinken kamen.

Die aus alldem entstehenden Probleme wurden natürlich niemals in Respect auf Ebene des Nationalrats oder auch nur des Sekretariats diskutiert. Harman äußert eine Reihe von Mutmaßungen über Respect in Tower Hamlets, über nicht-linke Mitläufer und dergleichen. Aber warum wurde nichts davon damals in den gewählten Gremien angesprochen? Tatsächlich wurde von den SWP-Führern eine bewusste Entscheidung getroffen, sie nur innerhalb von Tower Hamlets und der SWP zu behandeln, da die gewählten Gremien nicht als reale Führung gesehen wurden, denn das war ja die SWP. Statt Probleme, wo sie existierten, gemeinsam zu diskutieren, wurden sie internalisiert und verschlimmert. Das war ein schlimmer Fehler. Für die gewählte Führung war es unmöglich, Verantwortung für solche Probleme zu übernehmen, wenn sie über deren Existenz nicht informiert wurde. Statt Diskussion und Debatte über auftauchende Fragen, war die SWP-Antwort eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Konflikte wurden vermieden, aber nichts gelöst.

Das politische Muster hinter all dem war das Konzept des „lockeren Bündnisses“, das die SWP unbedingt Respect überstülpen wollte, statt des Aufbaus einer vollwertigen politischen Partei. Bei einem losen Bündnis lagen die Prioritäten nicht bei politischer Entwicklung und der Schaffung gemeinsamer politischer Erfahrungen. Diese wurden als Domäne der SWP selbst gesehen, was logische Folge eine Einheitsfrontkampagne ist. Für eine solche Kampagne oder lockeres Bündnis war die Priorität, Stimmen herbeischaffen zu können, wenn sie gebraucht werden. Wie sich die Organisation selbst entwickelte, war eine zweitrangige Frage.

Das hatte auch Konsequenzen für die innere Demokratie. Ein lockeres Bündnis bedingt nicht denselben Grad an Demokratie oder Verantwortlichkeit wie eine Partei. Und es bedingt auch nicht die detaillierten Regeln, die man zum Eintreten für politische Entscheidungen in politischen Ämtern braucht: Mitgliedschaftsstatus, Auswahlkriterien und Verantwortlichkeit. Harman behauptet Unregelmäßigkeiten in Tower Hamlets, vor allem eine große Zahl von Mitgliedern, die zum niedrigen Tarif für Erwerbslose eintraten – von denen jedoch einige, wie er sagt, beschäftigt sein müssten. Es ist schwer zu sagen, ob an diesen Behauptungen etwas dran ist. Aber es ist klar, dass die SWP eine erschreckende Tradition hat, solche Unregelmäßigkeiten zu übersehen, wenn sie ihr zugute kommen, was Fragen aufwirft, wieso einer solchen Situation, wenn sie überhaupt existiert, erlaubt wurde sich zu entwickeln. Sowohl die Respect-Konferenz 2006 als auch die von der SWP organisierte Konferenz 2007 hatten eine große Zahl studentischer Delegierter, die überhaupt keinen legitimen Status hatten. Sie wurden „gewählt“ von studentischen Listen, die einfach ein Interesse an Respect in der Erstsemesterwoche gezeigt hatten, aber nie eintraten und in den meisten Fällen auch nie wieder gesehen wurden. Dies war einer der Faktoren, die die Konferenz zu einem undemokratischen und inakzeptablen Ereignis machten, das nicht länger als eine Konferenz der Einheit betrachtet werden konnte. Einen Tagesordnungspunkt „Bestätigung der Delegierten“ hätte man wahrscheinlich nie überstanden, ohne dass alles in die Luft geflogen wäre, was keiner Seite gut getan hätte.


Erneuerung


Harman versucht nicht ernsthaft, den dramatischen Schwenk in der Haltung der SWP gegenüber George Galloway zu erklären, vom unangefochtenen Führer zum Hauptfeind der Linken. Es stimmt, dass Galloway ein Einzelgänger und umstrittener Politiker ist. Aber beides war er schon, als Respect gegründet wurde, und er blieb es bis zum Tag der Spaltung. Bei der Gründung von Respect schien es der SWP wichtig, jemanden wie Galloway bei einem Projekt wie Respect dabei zu haben, damit es breiteren Anklang findet. Und damit hatten sie recht, zumindest im Prinzip – auch wenn sie in der Praxis falsch lagen. Man kann keine breite Partei für revolutionäre Sozialisten und linke Reformisten haben ohne linke Reformistinnen oder Reformisten mit einem gewissen Gewicht und Einfluss. Und Galloway ist bislang der einzige linke Labour-Abgeordnete, der mit Labour gebrochen hat, als er wegen der Kriegsfrage ausgeschlossen wurde und sein Gewicht zum Aufbau einer Alternative einsetzte. Er ist – eine nicht gerade unwichtige Eigenschaft – der beste öffentliche Redner der Linken und war und ist wichtigster Führer der Antikriegsbewegung. Es sind hauptsächlich diese beiden Faktoren, die ihm die größte Wahlunterstützung von allen Linken außerhalb der Labour Party geben. Politisch steht er [immer noch] auf der Linken von Labour, wie er auf der „Respect Renewal“-Konferenz sehr deutlich gemacht hat. Aber genau dies hatte er von Anfang an in Respect eingebracht – eine authentische Komponente der Labour-Linken.

Harman hat auch nicht recht, wenn er eine Parallele zwischen der Big-Brother-Episode und Galloways anderen Medienauftritten zieht, insbesondere der Talk-Sport-Show zweimal wöchentlich. Das ist eine linksorientierte Show und ein Dient für die Linke. Er nutzt sie, um linke Themen und linke Gedanken vor einem Halbmillionenpublikum zu fördern. Es fällt schwer, dagegen irgendwelche Einwände zu finden.

Das Ausmaß des Erfolgs von Respect Renewal seit der Spaltung ist ein Beleg dafür, dass die politischen Verhältnisse für solch eine Partei weiter gut sind. Respect Renewal bleibt fragil und wird sich nur erfolgreich entwickeln, wenn sie auf den Rest der Linken zugeht. Die Stärke von Respect Renewal ist jedoch, dass es ihr, anders als der ursprünglichen Respect unter der SWP, ernst ist mit einer Annäherung an andere Teile der Linken wie der Gewerkschaftslinken und der Kommunistischen Partei (CPB), um mit einer breiteren Sammlung der Kräfte das Problem der Krise der [politischen] Vertretung der Arbeiterklasse anzugehen. Sie meint es ernst, wenn sie sagt, sie sehe sich nicht selbst als die Antwort, sondern nur als ein Teil der Antwort. Und wenn sie sagt, dass sie einer möglichen breiteren Sammlung keine organisatorischen Vorbedingungen in den Weg stellen würde, dann meint sie das so. Die einzige Vorbedingung wäre, dass dies einen Schritt vorwärts beim Aufbau der neuen Partei bedeuten würde, die die arbeitende Klasse braucht, um auf den Verrat der Sozialdemokratie zu antworten.

All diese Fragen hätten im Rahmen der alten Respect diskutiert werden können, wenn die SWP anders reagiert hätte. Unglücklicherweise war das nicht der Fall. Vielmehr gab es sogar Widerstand dagegen. Aufgabe ist daher jetzt, Respect Renewal zu dem Erfolg zu machen, der zu werden sie die Voraussetzungen hat. Sie hatte einen ermutigenden Start; die Aufgabe ist nun, auf diesem Anfangserfolg aufzubauen.

Alan Thornett ist führendes Mitglied der International Socialist Group, der britischen Sektion der Vierten Internationale..


Übersetzung, Zwischentitel und Anmerkungen: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 436/437 (März/April 2008).


[1] Eine von Respect organisierte Tagung klassenkämpferischer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter – siehe Fußnote 12 im Artikel von Chris Harman.

[2] Ökosozialistisches Netzwerk, das 2002 von Socialist Solidarity Network und International Socialist Group gegründet wurde und eine Zeitschrift gleichen Namens herausgibt. Ziel ist es, den Kampf für eine breite sozialistische Partei in England nach dem Muster der schottischen SSP oder der italienischen Rifondazione zu unterstützen. Internet: http://www.socialistresistance.net/

[3] Englische Redensart, die eine eigentlich nicht zu übersehende Tatsache beschreibt, die von niemandem angesprochen wird.

[4] Als Kommunalismus werden in Südasien verschiedene Formen des kommunalen und religiösen Fanatismus bezeichnet.

[5] Respect hatte die Wahlen 2005 wegen Verdacht auf Wahlbetrug bei der Briefwahl angefochten. Eine Labour-nahe Gewerkschaft hatte vorgedruckte Anforderungsformulare verteilt nebst Freiumschlägen, mit denen die ausgefüllten Stimmzettel an das Gewerkschaftsbüro geschickt werden sollten.