Indonesien

Breite Linke Partei entsteht

Ende Juli wurde auf einer Demonstration in Jakarta zur Bildung einer neuen breiten, linken Partei in Indonesien aufgerufen. Die 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen überwiegend aus den ärmeren Stadtvierteln, die Mehrzahl waren Frauen. Die Nationale Befreiungspartei der Einheit (PAPERNAS) ist eine Initiative der wichtigsten revolutionären Organisation des Landes, der Demokratischen Volkspartei (PRD). Für Ende 2006 (nach unserem Redaktionsschluss) war der Gründungskongress geplant. Während der Vorbereitungen sprachen wir mit einigen Gründungsmitgliedern der neuen Partei über die Situation der Linken in ihrem Land und die Aufgabe, die verschiedenen Kämpfe gegen Neoliberalismus und religiösen Fundamentalismus zusammenzuführen.

Interview mit Dominggus Oktavianus, Vivi Widyawati, Zely Ariane und Katarina Pujiastuti

 Vor acht Jahren blickte die ganze Linke weltweit nach Indonesien und war begeistert von der großen, scheinbar revolutionären Erhebung, die das repressive und korrupte Suharto-Regime stürzte. [1] Doch heute scheint den der materielle Nutzen der Demokratisierung für die meisten Menschen gering, das alte System der Korruption besteht weiter, es gibt ein Anwachsen des religiösen Konservativismus und die Linke wirkt recht isoliert. Was ist also falsch gelaufen?

Dominggus: Was mit der demokratischen Bewegung nach 1998 passierte, war, dass sie strukturell und konzeptionell damals nicht in der Lage war, den Kampf des Volkes zu führen. So konnten die traditionellen Eliten die Unruhen und den Aufstand ausnutzen, um ihre traditionelle Politik wieder zu verankern. Das ist das Erste. Sie ergriffen gezielt die Führung mit dem Plan, das Bewusstsein des Volkes wieder in ihrem Rahmen formaler Demokratie zu kanalisieren und die Situation mit freien Wahlen, freier Presse und so weiter zu stabilisieren. Dies zeigte sich deutlich bei den Wahlen von 1999, an denen 48 Parteien teilnahmen.

Zwar hat sich mit dieser neuen Demokratie die Dynamik der Volkskämpfe enorm entwickelt. Aber sie sind sehr zersplittert, geografisch um örtliche Fragen und organisatorisch in verschiedene Zusammenschlüsse. Das bedeutet, dass diese Volksorganisationen und die demokratische Bewegung nicht wirklich führen und das Bewusstsein des Volkes entwickeln können. Weil sie so zersplittert sind, können sie keine wirkliche Alternative vorschlagen oder den Erwartungen des Volkes gerecht werden.

Zely: Sie sind so dynamisch, weil nach 1998 Bereichsorganisationen überall wie Pilze aus dem Boden schossen. Aber sie haben keine Verbindungen auf nationaler Ebene. So ist es sehr dynamisch, aber eben auch schrecklich zersplittert. Es gibt kein nationales Thema, um sie zusammen zu bringen, und keine nationale Kraft, um sie zu führen.

 Erzählt uns bitte mehr darüber, was das für zersplitterte Kämpfe sind. Für was für Dinge mobilisieren sich die Menschen; in ihren Orten oder wo sonst?

Unsere Gesprächspartnerinnen und -partner:

  • Dominggus Oktavianus, Generalsekretär der FNPBI (Nationalfront der indonesischen Arbeiterkämpfe) und Vorsitzender von PAPERNAS
  • Vivi Widyawati, Nationale Koordinatorin des Nationalen Netzwerks für die Befreiung der Frau (Perempuan Mahardhika)
  • Zely Ariane, Sekretärin für internationale Verbindungen der PRD (Demokratische Volkspartei)
  • Katarina Pujiastuti, Sekretärin für internationale Verbindungen des KP-PAPERNAS (Vorbereitungskomitee für die Nationale Befreiungspartei der Einheit).
 

Dominggus: Ihr müsst daran denken, dass unter Suhartos Regime der „Neuen Ordnung“ Massenorganisationen nur für einzelne Bereiche erlaubt waren: Für Bauern gab es die HKTI, für Arbeiter die SPSI und so weiter. So führte in der „Reformasi“ nach 1998 die allgemeine Unzufriedenheit mit den bisherigen Organisationen die Menschen zur Bildung neuer Organisationen, besonders im Arbeiterbereich. Dort war es besonders deutlich, dass die SPSI, die traditionelle „gelbe“ Gewerkschaftsorganisation, die getäuscht und betrogen hatte, und viele neue Organisationen wurden gegründet. Im Jahre 2000 waren ungefähr 12 000 unabhängige Arbeiterorganisationen entstanden.

 Waren das betriebliche Gewerkschaften?

Zely: Es gab viele verschiedene Formen – Organisationen an den Arbeitsplätzen, in den Städten und für ganze Regionen – sie verteilten sich einfach überall, alle unabhängig und zu lokalen oder betrieblichen Fragen …

 Was waren das für Ziele, für die diese betrieblichen und lokalen Organisationen sich organisierten und kämpften?

Dominggus: Vielfach wirtschaftliche Fragen wie Löhne und Entlassungen, Themen wie Outsourcing und soziale Sicherheit. Seit 1998 gibt es unter Arbeiterinnen und Arbeitern die Tendenz, sich um örtliche und betriebliche Fragen zu organisieren. Aber zu bestimmten Anlässen, etwa wenn die Regierung einmal im Jahr über den nationalen Mindestlohn spricht, gelingt es ihnen sich zu vereinen. Dasselbe gilt für die Reform des Arbeitsgesetzes, sowohl das aktuelle wie auch das vorige. Tatsächlich hat es seit 1998 sogar drei Reformen des Arbeitsgesetzes gegeben. Also nur um solche Fragen hat es eine gewisse Einheit gegeben. Aber wenn es um größere politische Fragen auf nationaler Ebene geht, spalten sie sich für gewöhnlich wieder auf.

 Vermutlich sind stabile Beschäftigungsverhältnisse die Ausnahme in Indonesien. Welcher Art sind dann die Verbindungen mit örtlichen, Wohnviertel-basierten Organisationen, Themen und Kampagnen?

Dominggus: Tatsächlich gibt es sehr lose Verbindungen zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern sowie den Bewohnerinnen und Bewohnern von Stadtvierteln. Deren Bewegungen bleiben meist getrennt. Natürlich wissen sie beispielsweise in Fällen wie Entlassungen, dass das eine auch eine Auswirkung auf das andere hat, dass es also beispielsweise die Arbeitslosigkeit erhöhen wird. Aber es gibt keine gemeinsame Kraft, um sie zusammenzuführen und mehr zu fordern. Dies zum Teil, weil sie nach 1998 größtenteils von der internationalen Sozialdemokratie gebildet und geschult worden waren, beispielsweise von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung oder dem mit der amerikanischen AFL-CIO verbundenen American Centre for International Labour Solidarity (ACILS). Von denen haben sie gelernt, sektoral zu bleiben und nur die Themen ihrer eigenen Bereiche aufzugreifen. Das ist der erste Grund.

 Gibt es auch Verbindungen zu Parteien wie der PDI-P (Indonesische Demokratische Partei / Kampf, die Partei der früheren Präsidentin Megawati Sukarnoputri)?

Zely: Nein, da gibt es keine Verbindung.

Dominggus: Einige Gewerkschaftsorganisationen wie die SPN haben sich den großen Parteien wie der PDI-P oder der Golkar (frühere Regierungspartei unter Suharto) oder der PKS (Gerechtigkeits- und Wohlstandspartei, eine konservativ-islamistische Partei) angeschlossen. Aber die breite Mitgliedschaft weiß davon wenig oder gar nichts.

 Aber wenn ihr von sektoralen Organisationen sprecht, die überall aufblühen, für welche Ziele kämpfen beispielsweise all diese örtlichen Organisationen? Geht es um Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen?

Zely: Eigentlich haben wir keine Tradition von Organisationen einzelner Bevölkerungsgruppen oder Stadtteile. Wir haben die Bewegung der städtischen Armen, wir haben die Frauenbewegung und die Studentenbewegung. Aber wir hatten nie Bewegungen in den Wohnvierteln, die die Befestigung ihrer Straßen oder Zugang zu Trinkwasser und medizinischer Versorgung usw. fordern.

 Aber auf dem Vorbereitungstreffen für die neue Partei PAPERNAS in Jakarta kamen die meisten aus der Bewegung der städtischen Armen. Für was kämpfen die?

Zely: Tatsächlich begannen wir schon 1998 die städtischen Armen zu organisieren, weil wir verstanden, dass sie eine Verbindung zwischen verschiedenen Sektoren sein könnten. Beispielsweise arbeiten in Kapuk, einem industriell geprägten Stadtteil von Jakarta, Arbeiter und städtische Arme zusammen. Sie leben im selben Gebiet und haben dieselben Grundprobleme, vor allem die medizinische Versorgung. So organisierten wir die städtischen Armen um Fragen wie einen kostenlosen Gesundheitsdienst.

Drei Monate vor dem PAPERNAS-Vorbereitungstreffen hatten wir begonnen, mit den städtischen Armen eine Kampagne für Gesundheitsversorgung, Bildung und Löhne zu organisieren – dies ist eine Möglichkeit, Arbeiterinnen und Arbeiter mit der städtischen Armen in ganz Jakarta zusammen zu bringen. Und wir wollen diese Strategie auch anderswo anwenden.

Sowohl vor als auch nach 1998 waren wir die Kraft, die immer nach Wegen gesucht hat, diese Situation der Fragmentierung zu überwinden. PAPERNAS ist der jüngste derartige Versuch, aber auch vorher hatten wir eine Reihe von Einheitsfrontinitiativen, um zu versuchen, ein gemeinsames Thema zu finden, das dieses Problem lösen kann.

 Ich will gleich auf die Frage der PAPERNAS zurückkommen. Aber eins, was Leute, die von außen auf Indonesien schauen, – vielleicht irrtümlich – zu erkennen glauben, ist eine bedeutende Stärkung der religiösen Rechten seit 1998, einschließlich konservativ-islamistischer Kräfte. Dies kann eine durch die Medienberichterstattung verursachte Täuschung oder hat das einen wahren Kern und wenn, was genau passiert da?

Dominggus: Strukturell existierte die islamische Bewegung schon unter Suharto. Es gibt verschiedene Arten islamischer Bewegungen. Die einen haben keine reale ideologische Basis; sie sind einfach Instrumente in den Händen des alten Golkar-Parteiapparats oder der Geheimdienste. Die anderen – und davon gibt es nur wenige – sind viel deutlicher ideologisch. Abu Bakar Ba’asyir und seine Anhänger gehören zu dieser Kategorie, die zu Suhartos Zeiten unterdrückt wurde. Wenn man sich also die so genannten „gemäßigten“ oder nicht-ideologischen islamischen Kräfte wie die PKS ansieht, die heute die größte derartige Kraft im Parlament ist, so haben wir deutliche Anzeichen, dass einige ihrer wichtigsten Führer wie Suripto vom indonesischen Geheimdienst trainiert und geführt wurden und werden. Das sind die gemäßigten Kräfte, und die sind etwas anderes als Ba’asyir.

Diese Bewegung bekam ihre Chance als Ergebnis der Krise nach 1998. Weil das eine Situation war, in der liberale Politik mit einer wirtschaftlichen Situation zusammentraf, die von De-Industrialisierung – also Zerstörung der ohnehin schon schwachen industriellen Basis Indonesiens – und allen extremen sozialen Konsequenzen des Neoliberalismus geprägt ist. So gab es beispielsweise durch die steigende Arbeitslosigkeit unter Frauen offenkundig mehr Prostitution, ein zunehmendes Drogenproblem, Kriminalität usw. Sie griffen das als moralische Frage auf, machten das zu ihrer Sache, indem sie sagten: Wir müssen zurück zur Religion und uns dieser Art moralischen Verfalls widersetzen. So wurden die extremen sozialen Auswirkungen der Krise zu ihrer Triebkraft.

Gleichzeitig waren die alternativen Bewegungen oder Kräfte nicht ausreichend auf die Situation vorbereitet, um den Menschen zu erklären, was geschieht und was unsere Lösung wäre – eine wissenschaftliche oder politische Lösung, nicht die moralische. Wir haben nicht die Durchschlagskraft und die Strukturen, um diese Situation auszunutzen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt muss man sagen, dass sie diesmal gewonnen haben, dass sie es waren, denen es gelang, die Situation auszunutzen.

 Welche Auswirkungen hatte die Stärkung des konservativen Islams auf die ärmeren indonesischen Frauen?

Vivi: Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass die großen konservativen oder gemäßigten islamischen Kräfte wie die NU (Nahdlatul Ulama) und die Muhammadiyah selber Frauen organisieren, allerdings hauptsächlich Mittelklassenfrauen. Sie wurden um religiöse Themen organisiert, nicht um wirtschaftliche Fragen. Das bedeutet, dass es eine Kluft gibt zwischen der konservativen religiösen Bewegung und der Bewegung der Armen. Denn Frauen mögen die religiösen Argumente akzeptieren, aber sie machen sich nicht viel daraus. Das hat alles nichts zu tun mit den drängenderen wirtschaftlichen Fragen.

Aber hat dieser Trend Auswirkungen auf ihr tägliches Leben? Fühlen Frauen sich mehr eingezwängt, weniger frei?

Vivi: Wollen wir es so sagen: Arme Frauen haben in ihrem täglichen Leben nichts zu schaffen mit der Politik des konservativen Islams. Aber in manchen Gegenden wie Tangerang außerhalb von Jakarta oder Aceh und anderen, die spezielle örtliche Scharia-Gesetze haben, fühlen sich die Frauen allmählich in ihren Aktivitäten beschränkt. Wie du weißt, sind die meisten Frauen Arbeiterinnen, entweder im formalen Sektor oder in der informellen Wirtschaft. Da kommen sie oft erst spät nach Hause, und diese Gesetze machen ihnen da Schwierigkeiten. Daher gibt es in einigen dieser Regionen Widerspruch von Seiten der Frauen, und die örtliche Regierung von Tangerang musste die Einführung des Gesetzes verschieben. Aber in der Praxis haben diese Frauen keine Wahl, wann sie abends nach Hause kommen, egal ob die Scharia-Gesetze das „verbieten“. Wenn das durchgesetzt werden soll und Frauen verhaftet werden, dann beginnen sie dagegen zu kämpfen.

 Welche Form nimmt dieser Widerstand gegen die Scharia-Gesetze an?

Vivi: In Tangerang gab es Demonstrationen. Die meisten Frauen in Tangerang sind Arbeiterinnen, und daher sind sie tendenziell politischer und mutiger. Dort war die Opposition gegen die Scharia-Gesetze am stärksten. Sie haben auch juristische Schritte an den Gerichten unternommen und Lobbyarbeit gegenüber den Parlamentsabgeordneten gemacht. Doch wir meinen, dass die Durchsetzung konservativer Politik paradoxerweise zeigt, dass die islamistischen Kräfte politisch geschlagen sind. Denn sie müssen zum Gesetz greifen, um ihre Moralpolitik durchzusetzen. Diese Themen, wie das Scharia-Gesetz, werden von der PKS und einigen anderen gemäßigten Kräften ins Parlament getragen, weil ihnen der Einfluss auf die Massen entgleitet. Das Beten alleine wirkt nicht mehr.

 Das ist interessant; denn wenn du Recht hast, bedeutet das, dass es für die Mehrheit des indonesischen Volkes keine Stärkung des konservativen Islam gibt?

Vivi: Ja, das stimmt.

Dominggus: Traditionell gibt es zwei Arten von Islam in Indonesien. Der eine ist der „Islam santri“, der stärker religiös und enger mit den Koranschulen oder „pesantren“ verbunden ist, der andere ist der „Islam abangan“, der eher eine Mischung aus Islam und javanesischen Traditionen des Animismus, Hinduismus usw. ist. Der letztere ist größer und weiter verbreitet. Im nationalen Bewusstsein nach der indonesischen Unabhängigkeit gab es auch ein starkes nationales Identitätsgefühl für das Indonesien nicht einfach nur islamisch war, sondern dass es eine Vielfalt von Kulturen mit starker säkularer [weltlicher – d.Red.] Basis gab, so dass Indonesien kein islamischer Staat werden konnte. Und dieses Bewusstsein ist immer noch stark.

 Ihr sagt also, dass der Nationalismus mit seiner starken säkularen Basis einer der Gründe dafür ist, dass der islamische Fundamentalismus – derzeit – in Indonesien nicht funktioniert?

Dominggus: Ja, bei den letzten nationalen Wahlen (2004) haben die einzigen fundamentalistischen Parteien, die kandidierten, die PKS und die PBB (Partai Bulan Bintang) zusammen nur etwa 10% bekommen. Die Nationalisten wie Golkar, PDI-P und PKB oder Nationale Erweckungspartei (die letztere könnte man als religiös-nationalistische Partei bezeichnen, weil sie den Gedanken von Gus Dur oder Abdurrahman Wahid, dem früheren Präsidenten, folgt) und auch die Partai Demokratik bekamen hingegen viel mehr, zusammen fast 60%. Daraus kann man sehen, dass die Ideen des fundamentalistischen Islams in Indonesien immer noch nicht so stark sind. Gewiss haben sie Fortschritte gemacht, und sie können viele Menschen auf den Straßen mobilisieren. Aber gleichzeitig kann man auch sehen, dass der Nationalismus immer noch eine säkulare Basis hat und dass die meisten Menschen immer noch daran glauben.

 Sprechen wir konkret über das Anti-Pornographie-Gesetz. Erklärt uns bitte, wie es zu diesem Vorschlag kam und welche Konsequenzen es für Frauen haben würde.

Vivi: Das Pornographie-Gesetz ist immer noch im Entwurfsstadium. Ursprünglich wurde es von der PDI-P-Regierung unter Megawati Sukarnoputri eingebracht. Es ist sonderbar, aber es war tatsächlich Megawatis Ministerium für religiöse Angelegenheiten, das erstmals mit dieser Idee herauskam. Aber es wurde nichts daraus. Natürlich bringen, wie Dominggus sagte, die konservativen islamischen Parteien wie PKS und PBB, wo immer sich eine Gelegenheit bietet, ihre Forderung ein, dass Indonesien ein islamischer Staat werden soll.

So war es die PKS, die während der SBY-Regierung (von Präsident Susilo Bambang Yudhoyono) das Anti-Pornographie-Gesetz erneut aufgriff. Dafür hatte sie zwei Gründe. Das erste von ihnen benutzte Argument war die ganze Liberalisierung des sozialen Lebens, so etwas wie der offenherzigere Kleidungsstil vieler indonesischer Frauen, den sie aus moralischen Gründen ablehnen.

Aber zum zweiten hatte die Initiative, wie sie uns gegenüber in Gesprächen ausdrücklich zugegeben haben, die Funktion, Unterstützung für ihren Wahlkampf 2009 zu sammeln. Denn ihnen ist klar, dass sie wegen der Unterstützung der gegenwärtigen SBY-Regierung bis hin zur Absegnung der Brennstoffpreiserhöhung im letzten Jahr und anderer Elemente der liberalen SBY-Wirtschaftspolitik Vertrauen verloren haben. Daher hoffen sie, dass ihnen diese Initiative einen Teil der Unterstützung aus dem Volk zurück bringen könnte, die sie verloren haben.

 Welche Auswirkungen hätte dieses Gesetz auf die Frauen?

Vivi: Bevor ich dazu komme, möchte ich festhalten, dass außer der PKS die meisten der im Parlament vertretenen Parteien derzeit dieses Gesetz unterstützen, einschließlich der PDI-P. Es richtet sich hauptsächlich gegen Frauen, denn es gibt einige Artikel im Entwurf, die Frauen tatsächlich kriminalisieren.

Vor allem gibt es einen Paragraphen, der es Frauen untersagen will, die „sinnlichen Teile ihrer Körper“ zu enthüllen, womit Beine, Brüste oder Bäuche gemeint sind. Es scheint also, wie manche meinen, dass sich die Regierung mehr um die Kontrolle der Körper als um die Kontrolle der Wirtschaft kümmert!

Die zweite große Auswirkung wird die auf Frauen sein, die nachts arbeiten, wozu nicht nur Prostituierte gehören, sondern auch Frauen, die in Bars, Clubs oder sonst wo arbeiten. Und es richtet sich sehr persönlich gegen Frauen als solche – so zum Beispiel in der Model-Branche, wo den einzelnen weiblichen Models Verfolgung droht, aber nicht den Betrieben, die sie in diese Lage bringen.

Zely: Das ist also vor allem ein Thema der Mittelklasse.

 Warum das? Betrifft das nicht die Körper der Frauen der Arbeiterklasse genauso?

Vivi: Der Punkt ist, dass es hauptsächlich Mittelklassefrauen sind, die auf solche Fragen reagieren, weil sie sich der Rechte von Frauen, über ihren Körper selbst zu bestimmen, bewusster sind, während sich arme Frauen darum nie viel geschert haben.

Aber in der Praxis wird die Regierung große Probleme bekommen, wenn sie versucht, dieses Gesetz durchzusetzen. Denn in der Praxis leben viele arme Frauen in sehr offenen Situationen. Beispielsweise sind ihre Schlafräume nicht völlig abgeschlossen, sie duschen auf dem Hof oder baden im Fluss, vielleicht nackt, und das ist kein Problem, keine Belästigung, kein Missbrauch. Es wird also einfach unmöglich sein, dieses Gesetz durchzusetzen. Man müsste Frauen in großer Zahl verhaften! Die Regierung versteht auch, dass, wenn das Leben der Frauen in den armen Quartieren nach diesen Begriffen „unmoralisch“ ist, dann aus wirtschaftlichen Gründen.

Wirklich spüren werden das Gesetz also Frauen die nachts arbeiten, in Clubs und so weiter. Und Mittelklassefrauen sind darauf vorbereitet, dagegen zu mobilisieren. Allerdings hat der Widerstand gegen das Gesetz auf dieser Grundlage – dem demokratischen Recht, über unsere Körper selbst zu bestimmen – in letzter Zeit abgenommen. Der Widerstand basiert jetzt mehr auf Argumenten der kulturellen Vielfalt, wie das Argument, dass wir so viele ethnische und kulturelle Gruppen in Indonesien haben, wie die Papuas, von denen sich einige überhaupt nicht mit Kleidern bedecken, und so weiter.

 Du meinst, es gibt eine Art ideologischen Rückzug der Opposition gegen das Antipornographiegesetz?

Vivi: Es ist eine Frage der Taktik geworden. Grundsätzlich wird die Frauenbewegung alles tun, um die Verabschiedung des Gesetzes zu blockieren oder wenigstens zu verzögern. Und das Argument der Vielfalt stößt auf breitere Zustimmung. Weil sie den Kampf mit dem islamischen Kräften nicht direkt aufnehmen können. Und die Frage der Selbstbestimmung über die Körper ist ein sensibles Thema.

Du meinst, es ist einfacher die Stammesriten der Papua zu verteidigen?

Zely: Das stimmt. Tatsächlich gibt es zwei Fronten in diesem Kampf. An der ersten geht es immer noch um die Frage der Selbstbestimmung über unsere Körper, an der zweiten ist das Thema die kulturelle Vielfalt. Und auf der Basis dieses zweiten Arguments ist es möglich, Unterstützung beispielsweise in Bali zu gewinnen, das mehrheitlich hinduistisch ist, und in Manado, Nord-Sulawesi, wo der Islam eine Minderheit gegenüber dem Christentum ist, und in Papua und anderen säkularen oder überwiegend christlichen Provinzen. So wird es für die sehr schwer werden, dieses Gesetz durchzusetzen.

 Was ist die Strategie von Perempuan Mahardhika, um damit umzugehen?

Vivi: Natürlich lehnen wir dieses Anti-Pornographie-Gesetz ab. Aber in der Praxis ist das nicht unsere erste Priorität. Unsere Strategie ist, beide bestehenden Fronten gegen das Gesetz, die wir beschrieben haben, zu stärken. Die breite Kampagne geht jetzt um die Frage der kulturellen Vielfalt, aber darin werfen wir immer auch die wirkliche Frage auf, die der Selbstbestimmung. Und unsere Kampagne dreht sich darum, welche Auswirkungen das Anti-Pornographie-Gesetz auf arme Frauen haben wird, beispielsweise auf Frauen, die nachts arbeiten. Wir haben zum Beispiel gerade eine Demonstration armer Frauen zu Gesundheitsfragen organisiert. Und darin haben wir die Frage des Anti-Pornographie-Gesetzes aufgeworfen, und die Situation nachts arbeitender Frauen schlägt tatsächlich eine Brücke zwischen beiden Themen.

Grundsätzlich wird das Gesetz Frauen aller Sektoren treffen, vor allem arme Frauen. Aber wie wir sagten, ist es sehr schwierig, eine Bewegung armer Frauen gegen dieses Gesetz aufzubauen. So ist es zur Verantwortung der Mittelklassefrauen geworden, ihr Verständnis der Frage zu verbreiten und das Bewusstsein der Menschen zu schärfen.

Arme Frauen lehnen dieses Gesetz spontan ab, insofern als zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sie ohnehin schon haben, weitere hinzukommen. Aber sie haben sich um mehr Grundbedürfnisse zu kümmern, als dass sie sich so einfach zur Frage des Anti-Pornographie-Gesetzes organisieren würden. Es ist wirklich etwas verwirrend, und es ist sehr, sehr schwierig, eine breite Bewegung von Frauen dazu aufzubauen, weil die armen Frauen das Gesetz zwar ablehnen, sich aber andererseits auch nicht genug daran stören, um dagegen aktiv zu werden. Sie werden bestimmt sauer sein, wenn es beschlossen wird. Und sie werden bestimmt nicht diese Schleier oder sonst was tragen. Daher sehen sie es nicht als Thema.

Dominggus: Wenn ihr in die einfachen Wohnviertel geht, seht ihr, dass das Leben der Frauen wirklich ziemlich „liberal“ ist. Sie tragen Shorts und T-Shirts und rauchen… Sie werden dieses Gesetz einfach nicht akzeptieren. Das ist eine Art Tradition in Indonesien. Sie beschließen ein Gesetz, aber es ist einfach nur ein Gesetz – niemand erwartet, dass es wirklich umgesetzt wird.

 Ich höre, was ihr sagt, aber auf der von der PKS organisierten Demonstration zugunsten des Anti-Pornographie-Gesetzes waren vielleicht eine Million Menschen. Und die meisten von ihnen kamen sicher aus der Arbeiterklasse oder waren Arme, und viele davon Frauen, einige vielleicht Landfrauen?

Zely: Nein, nicht wirklich.

Dominggus: Nein, wirklich nicht. Die meisten waren Mittelklassefrauen, Studentinnen, Angestellte, Frauen von …

Zely: Die sind nicht arm. Vielleicht Hausfrauen aus der Mittelklasse … die kommen nicht einmal aus den Dörfern. Die PKS und die islamische Bewegung haben ihre Basis hauptsächlich in der städtischen Mittelklasse.

 Lasst mich etwas weitergehen. Stimmt es, dass die Gründungsplattform der PAPERNAS, der neuen Partei, die ihr bilden wollt, das Anti-Pornographie-Gesetz nicht erwähnt? Meint ihr, dass das zu schwierig ist, dass es zuviel Uneinigkeit in den verschiedenen Teilen des Volkes dazu gibt? Oder weil ihr denkt, dass das niemanden interessiert? Oder warum?

Dominggus: Das macht uns tatsächlich auch zunehmend Sorge. Wir versuchen den Menschen zu erklären, was ihre wirklichen Probleme sind, all die Fragen, die mit neoliberaler Politik zusammenhängen: Privatisierung, Auslandsschulden, De-Industrialisierung usw. Wir versuchen das zu betonen, um den Menschen zu zeigen, dass die Probleme, denen wir ausgesetzt sind, nicht moralische oder religiöse Fragen, sondern wirtschaftliche und politische Fragen sind.

Das sind die elementaren Dinge, die das Leben der Menschen betreffen. Aber wir sehen auch, dass die islamische Bewegung Ergebnis des Fehlens einer Alternative in dieser Situation ist. Und sie können so schnell wachsen, weil es für die meisten Menschen keine sichtbare Alternative gibt, die irgendeine Lösung für ihre grundlegenden Probleme anbietet. Deshalb mobilisieren diese Kräfte auf der Basis, dass der Islam die Alternative, die Lösung sei. Und wir müssen den Menschen einfach erklären, dass die Alternative in der anti-neoliberalen Bewegung und dem Kampf für eine Regierung, die uns von neoliberaler Globalisierung befreit, liegt. Aber wir haben keine spezielle Kampagne zur Frage des Fundamentalismus. Das ist ein sensibles Thema. Denn ihr müsst euch erinnern, dass es seit den Massakern von 1965 völlig stigmatisiert ist, antireligiöse Gefühle mit Kommunismus zu verbinden.

 Was ist denn nun die Hauptplattform der neuen breiten Partei, PAPERNAS, an deren Gründung ihr beteiligt seid?

Katarina: Unser Hauptprogramm ist das, was wir die drei Banner der Einheit nennen: Nichtanerkennung der Auslandsschulden, Nationalisierung der Öl-, Energie- und Bergbaubetriebe, was eine Grundfrage der nationalen Souveränität ist, und ein Programm der nationalen Industrialisierung, von dem wir uns die Schaffung von Arbeitsplätzen erwarten.

 Was sind die verschiedenen Kräfte, die an der Bildung von PAPERNAS beteiligt sind?

Katarina: Auf nationaler Ebene sind es drei Gewerkschaften, die FNPBI, in der ich organisiert bin, die SPB (Arbeitersolidaritätsgewerkschaft) und die Automobilarbeitergewerkschaft aus dem Fahrzeugbau. Dann gibt es eine fortschrittliche Partei, die PRD, wie auch nationale Studentenorganisationen wie die Buddhistische Studentenorganisation und den LNMD (Nationaler Studentenbund für Demokratie) sowie die Organisation der städtischen Armen (SRMK).

Aber es gibt nicht nur nationale Gründungsorganisationen. Wir haben eine Anzahl lokaler Organisationen, Bauernverbände, örtliche Gewerkschaftsgruppen und Studentenorganisationen, die unabhängig von nationalen Verbänden sind. Daher versuchen wir, auch örtliche PAPERNAS-Gründungskonferenzen überall im Lande zu organisieren, um so viele örtliche Organisationen wie möglich in der einen Bewegung zusammenzuführen.

 Und warum gerade jetzt?

Katarina: Das Hauptziel ist, die Bewegung zu vereinigen um sie zu stärken. Die Menschen haben dem Neoliberalismus auf alle möglichen Arten Widerstand geleistet, aber sehr zersplittert. Wir haben es nie geschafft, uns als stärkere Kraft zu vereinen, um zu zeigen, dass es wirklich eine Alternative gibt.

 Wie fügt sich das alles in die allgemeine Situation der antineoliberalen Bewegung in Asien ein? Ich erinnere mich, dass jemand mal vor einigen Jahren sagte, die „Global Justice“-Bewegung habe die politische Situation für die Linke in Europa und auf andere Weise in Nord- und Lateinamerika geändert. Aber sie werde niemals die internationale Situation wirklich verändern, solange sie nicht tiefe Wurzeln in Asien geschlagen habe…

Zely: Die Situation ist anders als in Lateinamerika. Dort gibt eine längere Geschichte des Widerstands gegen den Neoliberalismus. Weite Teile Lateinamerikas waren das erste Laboratorium für das neoliberale Programm, als Washingtoner Konsensplan bekannt geworden. Für uns ist es eine relativ neue Erfahrung. Tatsächlich ist es eine enorm wertvolle Gelegenheit für die Bewegung in Indonesien und im übrigen Asien, da die Menschen bewusster werden für die Auswirkungen des Neoliberalismus. Sie verstehen, dass Privatisierung eine Bedrohung ihrer Löhne und Arbeitsplätze ist, dass Liberalisierung des Handels eine Bedrohung für die Bauern ist, und gleichzeitig sehen wir, dass Kampagnen außerhalb Asiens Alternativen entlang des „Eine andere Welt ist möglich“ entwickeln, und dass es auch Entwicklungen in Lateinamerika gibt.

Das gibt uns den Rückenwind, um über Alternativen zu sprechen. Aber die Situation ist noch nicht sehr reif, denn wir haben erst sechs oder sieben Jahre lang Kampagnen auf diese Fragen des Neoliberalismus konzentriert. Deshalb müssen wir die richtige Strategie erst noch finden. Die Initiative für PAPERNAS ist unser Versuch, die richtige Strategie zu finden, um den Neoliberalismus anzugreifen und eine wirkliche Alternative zu entwickeln.

Aber immer noch ist die Situation in Asien sehr verschieden von der anderswo, vor allem in Lateinamerika. Denn ich denke, zu einem gewissen Grad hat es [bei uns] eine Niederlage der demokratischen Bewegungen nach der Zeit der Diktatur gegeben. Die meisten Parteien oder wichtigsten Organisationen, die die politischen Kampagnen unter der Diktatur führten, haben große Verluste an Mitgliedern erlitten.

Daher gibt es einen großen Bruch zwischen der Ära der Diktatur und der demokratischen Periode. Das gilt für Indonesien und ebenfalls für die Philippinen. Somit stehen wir vor der Aufgabe des Wiederaufbaus einer Linken, um dem neoliberalen Programm zu begegnen. Das ist die subjektive Situation … bitter für Asien!


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 422/423 (Januar/Februar 2007).


[1] Siehe Inprekorr Nr. 320 und 321/322 (Juni und Juli/August 1998).