Globalisierung

Die WTO muss außer Gefecht gesetzt werden!

Die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong muss scheitern! Verliefe sie erfolgreich, hätte dies zur Folge, dass die Völker der Welt sich noch mehr der Waren- und Profitlogik fügen müssten.

Michel Husson

Zuvörderst geht es den beherrschenden Ländern in der WTO darum, die Länder des Südens dazu zu veranlassen, ihre Grenzen noch weiter für die multinationalen Konzerne zu öffnen. Im Gegenzug wollen sich die reichen Länder verpflichten, die Hilfen und Subventionen für die Landwirtschaft zu senken. Dies wäre freilich ein schlechter Handel, da sie gar nicht die Absicht haben, die Agrarsubventionen tatsächlich aufzugeben. Die europäischen Länder spielen ganz ungeniert mit falschen Karten indem sie die Protektionen für die „sensiblen“ Bereiche wie Milch- und Getreideproduktion beibehalten. Die USA und Europa stehen den Großexporteuren des Südens (der Cairns-Gruppe, angeführt von Argentinien und Australien) gegenüber. Allerdings sind sie sich wie auch die europäischen Länder untereinander in dieser Frage nicht einig und werden längst nicht alle südlichen Länder überzeugen können.

Und das ist auch gut so, da die Handelsliberalisierung Hunger und Armut weiter vorantreibt, indem die Weltmarktpreise für Reis, Bananen, Milch, Geflügel, Zucker, Baumwolle usw. verfallen und weite Bereiche der traditionellen Landwirtschaft zerstört werden. Erst kürzlich belegte eine Studie der FAO den proportionalen Zusammenhang zwischen Unterernährung und Handelsöffnung. Dieses Desaster kann nur überwunden werden, wenn die Nahrungsmittelproduktion und die bäuerliche Landwirtschaft in einem Land unterstützt und gegen Einflussnahme von außen geschützt werden und die Weltagrarmärkte reguliert werden.

Die Konferenz wurde von den Protesten mehrerer tausend Globalisierungsgegner vor den Toren des abgeriegelten Konferenzzentrums begleitet. Die von ihnen geforderte Aussetzung der Agenda sowie eine Analyse der Auswirkungen der Liberalisierung fand genau so wenig Gehör wie der Resolutionsentwurf seitens Kubas und Venezuelas, die sich zum Sprachrohr der Interessen der Entwicklungsländer gemacht hatten. Stattdessen wurde eine Abschlusserklärung akzeptiert, in der die neuen Verhandlungsmodalitäten beim Dienstleistungsabkommen anvisiert werden, die – wie oben ausgeführt – alle beteiligten Staaten unter Druck setzen werden. Durch die „Schweizer Formel“ werden die Schutzzölle der Entwicklungsländer überproportional gesenkt werden. Im Gegenzug sind für diese Länder lediglich Brosamen abgefallen, wie die Beendigung der Agrar-Exportsubventionen – die freilich nur einen Teil der Subventionen in der Landwirtschaft ausmachen – im Jahr 2013. Diese Makulatur wird von etlichen größeren Entwicklungsländern unter der Führung Brasiliens und Indiens noch als Verhandlungserfolg verkauft.
MiWe
 

(...) Die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen des Freihandels sind wohl bekannt, da die Liberalisierung die Befriedigung sozialer Bedürfnisse gefährdet. Der Handel von Dienstleistungen, ganz besonders bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen (Wasser, Gesundheit, Erziehung, Kultur und Wohnen), wie er im GATS geregelt werden soll, muss daher unterbunden werden. Ebenso mit sämtlichen Produkten aus natürlichen Quellen (Forst, Fischerei), die in dem Abkommen über den Marktzugang für Nicht-Agrargüter (NAMA) geregelt werden sollen.

Jedes Land muss das Recht haben, den Umfang der öffentlichen Dienste zu bestimmen und sie der Konkurrenz zu entziehen. Der konkrete Zugriff aller Menschen auf Medikamente gegen AIDS, Malaria oder Tbc muss Vorrang vor dem Schutz des „geistigen Eigentums“ haben, da dies nur die Profite der Pharmaindustrie schützt. Ebenso muss die Patentierung lebender Organismen verboten werden und Umweltschutz, öffentliche Gesundheit und Ernährung als unabdingbare Vorsorge anerkannt werden.

In ihrem Aufruf: „10 Jahre WTO sind genug!“ fordern 24 französische und internationale Organisationen und Verbände, dass das Mandat der Europäischen Kommission bei der WTO neu verhandelt werden muss. Es geht hierbei um einen wesentlichen Punkt, nämlich um das vehemente Eintreten der EU für andere Verhandlungsregeln. Bisher war üblich, dass ein Land „Angebote“ macht und Marktöffnungen für Dienstleistungen Zug um Zug ausgetauscht werden. Natürlich steht diese „Freiwilligkeit“ bloß auf dem Papier, angesichts der von den imperialistischen Ländern ausgehenden enormen Pressionen. Das neue Verfahren, das sog. Benchmarking, würde diesen Druck jedoch noch beträchtlich erhöhen. Im Rahmen des GATS würden hiermit mindestens 163 Dienstleistungssektoren liberalisiert werden: 93 für die Entwicklungsländer und 139 für die Industrieländer. Die Zahl der Dienstleistungen, die als „sensibel“ deklariert und aus dem GATS-Katalog herausgenommen werden können, soll auf 18% dieser 163 Sektoren für die Industrieländer und auf 10% für die Entwicklungsländer begrenzt werden.

Indem jetzt verpflichtend wird, was zuvor offiziell freiwillig war, wären die Staaten des Südens in ihrer Entscheidungsfreiheit noch weiter eingeschränkt. Aber auch die EU wäre davon betroffen. Bislang hat sie nur solche Dienstleistungen zur Marktöffnung vorgeschlagen, die zuvor auf EU-Ebene liberalisiert worden waren. Insofern erwuchsen der EU bis jetzt keine Verpflichtungen aus dem GATS. Dies könnte sich freilich ändern, wenn die EU durch dieses selbst auferlegte WTO-Reglement zur weitergehenden Liberalisierung gezwungen wäre. Insofern geht uns der Kampf gegen die WTO in zweifacher Weise an: Erstens dient er der Solidarisierung mit den Völkern, die dem Joch unseres Imperialismus unterworfen sind; und zweitens ist er Teil unserer Mobilisierung für ein anderes Europa. Daher gereicht das Scheitern der WTO-Konferenz in Hongkong für uns zum Sieg.

rouge v. 15.12.05
Übersetzung und Bearbeitung MiWe
Michel Husson ist Mitglied der LCR Der hier vorliegende Artikel wurde vor der WTO-Konferenz verfasst. Zu den Ergebnissen der Konferenz vgl. auch den Kasten.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 410/411 (Januar/Februar 2006).