PAKISTAN

Repression gegen die APP

Im Laufe des März 2001 wurden mehrere führende GenossInnen der Arbeiterpartei Pakistans [APP; engl. Labour Party of Pakistan, LPP] durch das Militärregime von General Pervaiz Musharaf festgenommen. Sie gehörten zu einer Versammlung von hunderten anderer politischer Parteien, die eine Kundgebung am 23. März in Lahore durchführen wollten.

Farooq Tariq

Die meisten Festnahmen geschahen vor Beginn der Kundgebung. Die politischen AktivistInnen wurden am frühen Morgen in ihren Wohnungen aufgegriffen. Die zentrale Leitung des Bündnisses für die Wiederherstellung der Demokratie (BWD), darunter auch ich selbst, wurde am 21. März verhaftet. Wir befanden uns in einem Haus eines Moslem-Führers, in dem wir ein Treffen hatten, um letzte Einzelheiten des öffentlichen Treffens zu besprechen. Die Führung des BWD erklärte, dass sie mit den Vorbereitungen der Kundgebung trotz der Festnahmen und Platzverbote weiter machen wolle. Sie bat die beteiligten Parteien, die Durchführung der Versammlung fortzusetzen.

Am 23. März wurde die Mochi-Gate-Anlage, wo die Demonstration stattfinden sollte, von der Polizei und einem großen Kontingent der Nationalgarde, die rund um das Gebiet stationiert wurde, abgeriegelt. Es handelte sich um eine unerklärte Ausgangssperre für die Gegend um Mochi-Gate. Die Musharaf-Regierung war entschlossen, keine TeilnehmerInnen zur Kundgebung durchzulassen und sie zum Verzicht auf die Demonstration zu bewegen. Die APP schaffte es, dass wenigstens zwanzig führende GenossInnen den Treffpunkt erreichten, das Verbot durchbrachen und Parolen zur Verteidigung der Demokratie riefen. Der Vorsitzende der APP, Shoaib Bhatti war für die gesamte Aktion verantwortlich. Er war bis dahin nicht von der Polizei festgenommen worden. Alle führenden GenossInnen waren bemüht, sich als die besten KämpferInnen der ArbeiterInnenklasse zu bewähren.

Mindestens zehn AktivistenInnen konnten den Versammlungsort trotz verschiedener Polizeiblockaden erreichen, an denen jede und jeder Einzelne durchsucht wurde. Es war bereits vier Uhr nachmittags und noch keiner der politischen Aktivisten irgendeiner der Parteien war angekommen. Alle APP-GenossInnen waren allein oder in Zweiergruppen und warteten auf die Aufforderung vom Genossen Shoaib, weiter vorzudringen. Die ersten Verhaftungen an der Mochi-Gate-Anlage trafen zwei Führerinnen der Volkspartei Pakistans. Eine ist Sekretärin von Benazir Bhutto, und ihre Begleiterin ist die Vorsitzende der Frauenabteilung der Volkspartei in Lahore. Beide wurden brutal in ein Polizeiauto verfrachtet. Dann erschien Zafar Awan, der Generalsekretär der APP Pandschab und Vorsitzender der Vereinigung der Beschäftigten im Gesundheitswesen von Pakistan. Er rief Parolen zur Wiederherstellung der Demokratie und für die Freilassung von Farooq Tariq. Mehrere Dutzend Polizisten begannen, mit Holzknüppeln auf ihn einzuschlagen, aber er wich nicht zurück und skandierte weiterhin Parolen, bis auch er in ein Polizeiauto gestopft wurde. Daraufhin begann Tariq Shahzad, stellvertretender Herausgeber der Wochenzeitung Masdoor Jeddohuhd, mit ähnlichen Aktivitäten und auch er erlitt die gleiche Behandlung durch die Polizei. Nun war die Reihe an Maqbool, dem Vorsitzenden der Innenstadtgruppe der APP in Lahore. Auch er wurde verhaftet.

Die beiden Genossinnen Nazli Javed, Co-Sekretärin der APP, und Azra Shad, die Generalsekretärin der APP in Lahore, "verdienten" sich ihre Festnahme mit ebensolchen Parolen und mit dem selben Mut. Auch sie wurden verhaftet, genau wie mehrere AktivistInnen der Volkspartei. Alle APP-Mitglieder warfen Handzettelchen in die Luft, auf denen die Wiederherstellung der Demokratie gefordert wurde. Die Tageszeitung Daily Dawn lobte den Mut der APP-GenossInnen und schrieb, dass von insgesamt 18 politischen Parteien nur die AnhängerInnen der APP und der Volkspartei in der Lage waren, den Versammlungsort zu erreichen.

Trotz alledem verkündete die Regierung in den Zeitungen, sie hätte die öffentliche Kundgebung der BWD erfolgreich verhindert. Aber die Botschaft des BWD ist um die ganze Welt gegangen, dass dieses Regime eine undemokratische Regierung ist, die nur mittels Repression all derjenigen in Schach halten kann, die nach der Wiederherstellung der Demokratie rufen.

Die erste Herausforderung durch das BWD seit dessen Gründung am 3. Dezember 2000 hat bereits die extrem schwache soziale Verankerung des Regimes deutlich gemacht. Die Vorstellung, die erste Kundgebung des BWD könne erfolgreich werden, hat das Regime erschreckt. Sie könnte weitere Menschen dazu bringen, initiativ zu werden, und neue, noch mehr Machtproben aus dem Widerstand mit dem Regime kämen auf die Tagesordnung.

Mit der Unterdrückung der öffentlichen Kundgebung vom 23. März ist es dem Regime gelungen, die Massenbewegung unter der Führung des BWD kurzfristig zu verzögern. Aber dies hat seine gute und schlechte Seite. Damit wurde das Massenbewusstsein geschärft, dass das Regime von den politischen Parteien in Frage gestellt wird, und dass es keine Möglichkeit mehr gibt, so weiter zu machen wie in den letzten eineinhalb Jahren. Gleichzeitig wurde auch eine wirkungsvolle Grundlage der Opposition gegen das Regime angelegt. Und es wurde ein Weg eröffnet, den Vormarsch der religiösen, fundamentalistischen Kräfte zu stoppen, die bisher als die einzige tatsächliche Opposition gegen das "System" angesehen wurden.

Mit dieser Initiative hat das BWD aufgezeigt, wie eng die Politik der religiösen fundamentalistischen Kräfte mit dem Regime zusammenarbeitet. Um ihre Unabhängigkeit vom Regime zu zeigen, musste Jammat-i-Islami, die wichtigste Gruppierung der religiösen Fundamentalisten, das Regime wegen der Unterdrückung der Demonstration verurteilen. Zum ersten Mal missbilligten die Leitartikel fast aller großen Mainstream-Zeitungen, darunter Daily Jang, Nawa-i-Waqat, Pakistan, News International, Nation, Dawn und Business Recorder diese Handlungsweise der Regierung. Einige der bekannten KolumnistInnen vertraten die Ansicht, dass das BWD im günstigsten Fall nicht mehr als 10.000 Menschen hätte versammeln können, wenn ihr die Durchführung der Demonstration erlaubt worden wäre. Mit dieser Einschätzung liegen sie falsch. Auf dieser Demonstration wäre gerade der massenhafte Unmut kund getan worden, den das Regime fürchtet. Wäre dem BWD gestattet worden, den Aufmarsch weiter fortzusetzen, dann hätte die Mochi-Gate-Anlage eine der bestbesuchten öffentlichen Versammlungen in diesem historischen Park erlebt. Der Grund dafür ist das veränderte Massenbewusstsein gegenüber dem Regime.

Dieses Massenbewusstsein hat sich in den letzten Jahren ziemlich rasant entwickelt. Es ist ein ums andere Mal auf die Probe gestellt worden, wurde enttäuscht und hat neue Schlussfolgerungen aus den sich verändernden objektiven Umständen gezogen. Auf dem Höhepunkt ihrer "Popularität" verfügte die Nawaz-Regierung über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. In den zweieinhalb Jahren seit deren Entmachtung durch den Putsch von General Musharaf hat dieser fast alle Sympathien bei den Massen verloren. Als Musharaf am 12. Oktober 1999 die Macht übernahm, hatten die Massen durchweg eine Haltung zwischen "Erleichterung" dass die Nawaz-Regierung weg war, und "Abwarten und schauen, was kommt".

Aber um die Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu erfüllen, griff das Musharaf-Regime zu noch nie da gewesener Steuerpolitik und Preiserhöhungen für fast alle Verbrauchsgüter. Dadurch verloren die Massen ihre Illusionen in das Regime. Die Massen waren nicht durchweg glücklich mit der Musharaf-Regierung, aber die Zeiten der Nawaz- und Benazi-Regierung waren für die meisten auch nur schwer zu verkraften. So gibt es jetzt das Dilemma von Verzweiflung und Misstrauen in Verbindung mit Wut und Enttäuschung.

APP
Arbeiterpartei Pakistans (LPP)
BWD
Bündnis zur Wiederherstellung der Demokratie
Vor diesem Hintergrund muss die vom BWD beabsichtigte Kundgebung vom 23. März gesehen werden. Das Bewusstsein hat sich gewandelt, aber noch nicht bis zu einer Bereitschaft zum Widerstand bei den Massen. Doch es ist immer die Aufgabe der politisch Aktiven, mit mutigen Schritten den Weg zu mehr Widerstand zu eröffnen. In dieser Hinsicht ging die erste Runde an das BWD.

Obwohl die Mehrheit der AnhängerInnen der Nawaz-Gruppe innerhalb der Moslem-Liga noch nicht die Konsequenz gezogen hat, dass Widerstand nötig ist, tendiert die Entwicklung doch in diese Richtung. In der Moslem-Liga entsteht eine neue Führungsschicht, die äußerst gereizt auf das Militärregime reagiert. Sie verweigert die normale traditionelle Politik der Moslem-Liga, die aus Versöhnung und Kompromiss mit der herrschenden Elite besteht, und ist bereit, sich verhaften zu lassen. Die neue Sorte von Führern der Volkspartei im Pandschab ist ein Ergebnis der 90er Jahre. Sie haben noch keinen Test in der Hitze realer Auseinandersetzungen bestanden. Als sie jetzt zum ersten Mal ins Gefängnis kamen, konnten die neuen Verantwortlichen der Volkspartei im Pandschab ihre Verbundenheit zu den Traditionen der Volkspartei stärken, die in der Vergangenheit immer gegen die Militärregimes gekämpft hat. Die Awai National Party und die Jamhoori Watan Party stehen im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen in der Nordwest-Grenzprovinz (Peshawar). Die Provinz Belutschistan wird sich wahrscheinlich in zukünftigen Mobilisierungen des BWD noch als Testfall erweisen.

Das Auftreten der APP ist neu und bisher erfolgreich. Laut Ehsan Wain, dem Vorsitzenden der Awai National Party, musste die APP unter den politischen Gruppen innerhalb der BWD nach der Volkspartei und der Moslem-Liga die drittmeisten Verhaftungen verkraften.

Einige linke Intellektuelle und politische Gruppen, darunter Imran Khan von der Tehrik Insaaf und Abid Hasan Mito von der Nationalen Arbeiterpartei, stehen in Opposition zum BWD. Ihr Argument ist, dass es sich um dieselben alten Parteien handelt, die korrupt wären und das Staatsvermögen plünderten. Ihre Position kann in der Formel zusammengefasst werden: "Ein guter Militärputsch ist besser als eine schlechte Demokratie". Für sie ist das "Ausmisten des Saustalls" durch das Militärregime notwendig, bevor die Demokratie wieder hergestellt werden kann.

Sie schätzen die Situation aber falsch ein. Sie übersehen die wahren Absichten des Militärregimes, an der Macht zu bleiben. Es geht nicht um die Beseitigung des Chaos, das die politischen Parteien hinterlassen haben, sondern um die Durchführung des Strukturanpassungsprogramms und der neoliberalen Politik, die von den internationalen Finanzinstitutionen diktiert werden. Dabei werden Mittel angewandt, die von den vorhergehenden zivilen Regierungen nicht erfolgreich eingesetzt werden konnten. Die wesentlichen ökonomischen Vorhaben des gegenwärtigen Regimes unterscheiden sich nicht von denen der Vorgänger. Der Unterschied ist nur, dass sie in einem Ausmaß verwirklicht werden können, wie es früher nicht möglich war.

In den neunziger Jahren gab es erfolgreiche zivile Regierungen. Sie wurden durch Erlasse des Präsidenten entmachtet und durch die Einrichtung von Übergangsregierungen für drei Monate ersetzt. Diese Dreimonats-Übergangsregierungen sollten weitreichende Wirtschaftsreformen durchführen zu Gunsten der internationalen Monopole, um dann Wahlen durchzuführen, nach denen die künftigen zivilen Regierungen entlang der vorgegebenen politischen Linie handeln sollten. Der Unterschied zu dieser Zeit ist, dass eine Übergangsregierung nun nicht für drei Monate, sondern für drei Jahre an die Macht gekommen ist. Aber die Amtsführung der jetzigen Dreijahresregierung ist nicht anders als die der dreimonatigen.

Die bedeutendsten Gruppierungen innerhalb des BWD, die Volkspartei und die Moslem-Liga, sind die Hauptopfer der Angriffe durch die Militärregierung. Sie können nicht drei Jahre darauf warten, vom Regime abgeschlachtet zu werden. Deshalb müssen sie etwas tun. Sie haben gut eineinhalb Jahre gezögert, bis sie zu der Schlussfolgerung kamen, in die Offensive zu gehen. Sie mussten so lange warten, bis sich das Massenbewusstsein geändert hatte.

Die APP teilt ihr politisches Programm nicht mit den übrigen politischen Parteien. Die beste Lösung wäre ein linkes Bündnis zum Sturz des gegenwärtigen Regimes. Aber unter den realen Umständen, in denen die übrig gebliebene, unbedeutende Linke auf Grund unterschiedlicher Einschätzungen des Regimes auf traurige Weise zersplittert ist, darauf zu warten, dass sie zu der Einsicht kommt, eine linkes Bündnis aufbauen zu müssen, wäre ein krimineller Fehler.

Die vorherrschende Stimmung innerhalb der ArbeiterInnenklasse Pakistans ist der Wunsch, das Militärregime loszuwerden. Ebenso ist es wahr, dass die APP zur Zeit auch eine zu unbedeutende Kraft ist, um mit ihrer Handvoll von GenossInnen im Alleingang die Demokratie wieder herzustellen. War es deshalb eine richtige Entscheidung, sich diesen Parteien der Reichen innerhalb des Bündnisses anzuschließen, denen wir in der Vergangenheit keinerlei Unterstützung gegeben haben? Ja, das war es, und die Erfahrungen mit kommenden Ereignissen werden noch mehr bestätigen, dass die APP richtig entschieden hat, sich dem Bündnis anzuschließen. Das ist keine Kompromittierung des revolutionären Programms der APP. Die gemeinsame Handlungsgrundlage des BWD ist kein Minimalprogramm, sondern nur der eine Punkt, dass ein Kampf erforderlich ist, um das Militärregime davonzujagen und sofortige Parlamentswahlen durchzuführen. Jede Partei innerhalb des BWD hat ihre eigene Interpretation von "Demokratie". Sie können für ihre Ideen streiten, um die Unterstützung der Massen zu finden. Auch die APP wird für ihr Verständnis von Demokratie und ihr eigenes sozialistisches Programm werben.

Der Kampf gegen Kapitalismus und Feudalismus wird durch den Kampf zur Überwindung des heutigen Militärregimes gestärkt. Wir kennen keinen Kampf in Etappen. Der Kampf gegen das Militärregime für einen demokratischen Aufbruch geht Hand in Hand mit unserem Kampf gegen Kapitalismus und Feudalismus. Dafür stehen die unabhängigen Aktionen der APP, die zur gleichen Zeit wie der gemeinsame Kampf des BWD stattfinden. Die APP hat durch die Mitarbeit im BWD nichts zu verlieren, aber eine Menge zu gewinnen. Dem BWD wird nichts anderes übrig bleiben, als eine Art Massenbewegung gegen das Regime aufzubauen, auch wenn einige der politischen Parteien sich dem künftigen Kurs entgegen stellen und Zuflucht in dem Argument suchen werden, die Massen wären noch nicht bereit.

Die APP wird sich dem entgegen stellen und für Massenaktivitäten zum Sturz des jetzigen Militärregimes eintreten.

Farooq Tariq ist Generalsekretär der Arbeiterpartei Pakistans (APP).
Übersetzung aus dem Englischen: Thies Gleiss.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 357/358 (Juli/August 2001).