Die Aussichten des "Friedensprozesses"

Der Bericht von Associated Press vom Abend des 26. Juli über das Treffen in Camp David beginnt mit den Worten: "Die Nahost-Friedensgespräche von Camp David scheiterten am Dienstagabend an unversöhnlichen Forderungen bezüglich Ostjerusalems. Enttäuscht erklärte Präsident Clinton, er habe mehrere Anläufe unternommen, jedoch zu keiner Lösung gefunden." Clinton drückte die Hoffnung aus, der Friedensprozess werde bis zu einer Lösung der Jerusalem-Frage fortgesetzt werden, mit der dann die größten Grundsatzfragen geklärt seien.

Um genau zu erfassen, was hier vor sich geht, ist es hilfreich, einige Schritte zurückzutreten und auf die aktuellen Ereignisse aus einer etwas breiteren Perspektive zu schauen.

Von Noam Chomsky

Jede Diskussion über das, was "Friedensprozess" genannt wird, seien es die gerade in Camp David ablaufenden Gespräche oder etwas anderes, muss sich über ein wesentliches Faktum im Klaren sein: "Friedensprozess" wird grundsätzlich darüber definiert, was die US-amerikanische Regierung gerade durchzusetzen wünscht. Wird dieses Prinzip erkannt, dann wird durchaus verständlich, dass ein Friedensprozess zuweilen gerade dadurch vorangebracht werden kann, dass Washington mit recht offen dargelegten Vorhaben operiert, die einen Frieden unmöglich machen.

Zur Illustration: Im Januar 1988 berichtete die Presse über die "Friedensmission" vom Außenminister George Shultz in Mittelamerika mit der Schlagzeile: "Friedensmission von Shultz geplant". Die Titelunterzeile erklärte dann die Zielsetzung: "Friedensmission ist der allerletzte Versuch, die Opposition zur Contra-Unterstützung zu zerstreuen". Regierungsmitarbeiter erklärten, dass die "Friedensmission" die einzige Möglichkeit sei, die Fortsetzung der Hilfe für die "Contras" in Nicaragua angesichts einer "wachsenden Opposition im Kongress" sicherzustellen.

Der Zeitpunkt ist dabei von Bedeutung: Im August 1987 hatten die Staatschefs von Mittelamerika, nach heftigem Widerstand seitens der US-Regierung, ein Friedensabkommen für die bitteren Konflikte in Mittelamerika, das "Esquipulas-Abkommen" erzielt.

Die US-Regierung reagierte sofort, um diese Verträge zu unterlaufen und hatte damit im Januar weitgehend Erfolg. Sie erreichte, dass der einzige "unverzichtbare Punkt" in diesem Abkommen faktisch außer Kraft gesetzt wurde: die Beendigung der Unterstützung der "Contras" durch die USA: Die Versorgungsflüge der CIA verdreifachten sich und der Contra-Terror nahm zu. Die Regierung in Washington hebelte auch die zweite wichtige Vertragsregelung aus, dass die Menschenrechtsbestimmungen sowohl für Nicaragua als auch für die USVerbündeten gelten. Nach US-Interpretation galten sie allein für Nicaragua. Washington erreichte auch, dass die von ihr verachteten internationalen Beobachter die Arbeit beendeten, weil sie sich des Verbrechens schuldig gemacht hatten, wahrheitsgemäß über das zu berichten, was seit Abschluss des Abkommens im August passiert ist. Zur Verwunderung der Reagan-Regierung akzeptierte Nicaragua dennoch die US-Auslegung der Verträge, was zur "Friedensmission" von Shultz führte.

Mit ihr sollte der "Friedensprozess" durch eine Bekräftigung "vorangetrieben werden", dass es kein Zurück in der zerstörerischen Operation gäbe.

Kurzum, die "Friedensmission" war eine "allerletzte Anstrengung", den Frieden zu verhindern und die Unterstützung des Kongresses zu gewinnen, für die "rechtswidrige Anwendung von militärischer Gewalt", für die die US-Regierung gerade vom Internationalen Gerichtshof verurteilt worden war.

MITTELAMERIKA UND NAHER OSTEN

Die Bilanz des "Friedensprozesses" im Nahen Osten ist vergleichbar, wenn auch noch extremer. Seit 1971 stand die US-Regierung auf der internationalen Arena praktisch allein in ihrem Bemühen, eine diplomatische Verhandlungslösung im Konflikt zwischen Israel und Palästina zu blockieren. Der "Friedensprozess" ist die Bilanz dieser Entwicklungen. Um das Wesentliche kurz in Erinnerung zu rufen: Im November 1967 nahm der Weltsicherheitsrat auf Initiative der USA die Resolution 242 zur Frage "Land gegen Frieden" an. Die US-Regierung und die anderen Unterzeichnerstaaten verstanden die Resolution 242 ausdrücklich als eine Aufforderung zu einem Friedensabkommen in den Grenzen von vor Juni 1967 mit höchstens kleineren und einvernehmlichen Anpassungen, ohne irgendein Angebot an die Palästinenser. Als im Februar 1971 der ägyptische Präsident Sadat die offizielle US-Position akzeptierte, revidierte Washington seine Interpretation der Resolution 242 in Richtung eines Teilrückzuges der israelischen Besetzung nach dem Ermessen der israelischen und der US-Regierung. Diese einseitige Uminterpretierung ist heute das, was "Land für Frieden" genannt wird.

Darin spiegelt sich die Macht der US-Regierung auf dem Gebiet der Ideologie und der internationalen "Doktrinen" wider.

Der anfangs erwähnte AP-Bericht über den Abbruch der Camp David Verhandlungen beschreibt, dass die letzte offizielle Stellungnahme "in einer Geste zugunsten Arafats" ausführt, dass der einzige Weg zum Frieden über die Sicherheitsratsresolutionen, die nach den Nahostkriegen von 1967 und 1973 angenommen wurden, führt. Diese fordern Israel zum Verzicht auf besetzte arabische Gebiete auf, im Austausch gegen sichere Grenzen. Die Resolution von 1967 ist Nummer 242, worin ein vollständiger Rückzug der israelischen Armee gefordert wird zusammen mit höchstens kleineren und einvernehmlichen Regelungen. Die Resolution von 1973 bekräftigt lediglich die Resolution 242 ohne weitere Änderungen. Aber die Interpretation der UN-Resolution 242 hat sich seit Februar 1971 auf Grund des Diktats aus Washington erheblich verändert.

Sadat warnte, dass die Zurückweisung der Resolution 242 durch die USA und Israel zum Krieg führen werde. Weder die US-Regierung noch Israel nahmen ihn ernst - aus bemerkenswert triumphalistischen und rassistischen Gründen, die später in Israel bitter beklagt wurden. Ägypten begann im Oktober 1973 den Krieg. Er führte Israel und die Welt an den Rand einer Katastrophe: Die Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung war nicht gering.

Der Krieg von 1973 machte selbst Henry Kissinger klar, dass die ägyptische Regierung kein Blödmann war, der getrost übergangen werden konnte. Deshalb änderte Washington die bisher selbstverständliche Unterstützungsstrategie: Ägypten sollte aus dem Konflikt herausgehalten werden, damit Israel fortfahren konnte, mit wachsender US-Unterstützung die besetzten Gebiete zu integrieren und den Libanon anzugreifen.

Dieses Ziel wurde mit dem Camp David Abkommen von 1978 erreicht, was seitdem immer als das Urdokument des "Friedensprozesses" gepriesen wird.

Unterdessen legte die US-Regierung ihr Veto gegen Sicherheitsratsresolutionen ein, die eine diplomatische Lösung auf Basis der Resolution 242 aber unter Einschluss der Rechte der Palästinenser forderten. Die USA stimmten auch alljährlich gegen ähnliche Resolutionen der Vollversammlung der Vereinten Nationen - zusammen mit Israel und manchmal mit dem einen oder anderen Vasallenstaat und blockierten andererseits alle Bemühungen zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes, die von europäischen, den arabischen Staaten oder von der PLO initiiert wurden. Diese nachhaltige Verweigerung einer diplomatischen Lösung ist der sogenannte "Friedensprozess". All diese Tatsachen wurden lange Zeit von den Medien bestritten und selbst in Kreisen der Wissenschaft verneint, obwohl es ein Leichtes ist, sie aufzudecken.

DIKTAT DER US-REGIERUNG

Nach dem Golf-Krieg kam die US-Regierung letztlich in eine Position, aus der sie ihren eigenen einseitigen Verweigerungsstandpunkt einbringen konnte. Das geschah erstmals Ende 1991 in Madrid und dann in dem 1993 folgenden Abkommen zwischen Israel und der PLO. Dank dieser Maßnahmen wurde der "Friedensprozess" in Richtung von Bantustan-ähnlichen Vereinbarungen gelenkt, wie sie von den USA und Israel gewollt waren und wie es jeder sehen kann, der oder die sehen will. Auch die Bilanz der Dokumente ist eindeutig und noch eindeutiger ist die Bilanz der Fakten vor Ort. Und damit sind wir in der aktuellen Etappe, den Camp David-Verhandlungen vom Juli 2000.

Während der wochenlangen Beratungen wurde stets berichtet, dass das größte Hindernis die Frage von Jerusalem sei. Der letzte Bericht wiederholt diese Einschätzung, und diese Beobachtung ist nicht falsch, aber sie führt auch ein wenig in die Irre. Es wurden "kreative" Lösungen vorgeschlagen, die eine symbolische palästinensische Verwaltung in Jerusalem, oder Al-Quds, wie die Stadt im Arabischen genannt wird, erlaubten. Die schlossen auch eine palästinensische Verwaltung von arabischen Vierteln ein (wenn es sinnvoll ist, wie Israel eher sagen würde), Abkommen über islamische und christliche Religionsstätten sowie eine palästinensische Hauptstadt in der Gemeinde Abu Dis in der Nähe von Jerusalem, die mit einen kleinen Taschenspielertrick in "Al Quds" umbenannt werden könnte. Diese Bemühungen hätten von Erfolg gekrönt sein können und könnten noch immer erfolgreich sein. Doch es türmte sich ein viel größeres Problem auf, je mehr eine Grundsatzfrage gestellt wird: Was ist Jerusalem?

Als Israel im Juni 1967 die Westbank besetzte, annektierte es auch Jerusalem. Dabei ging Israel nicht gerade zimperlich vor. So wurde jüngst in Israel enthüllt, das die Zerstörung des arabischen Mughrabi-Viertels in der Nähe der Klagemauer am 10. Juni so hastig durchgezogen wurde, dass eine unbekannte Anzahl von Palästinensern in den Ruinen, die Bulldozer hinterließen, vergraben wurden. Israel dehnte unverzüglich die Grenzen der Stadt um das Dreifache aus. Die folgenden Entwicklungsprogramme, die mit geringfügigen Variationen von allen Regierungen durchgeführt wurden, hatten das Ziel, die Grenzen von "Groß-Jerusalem" weit darüber hinaus auszudehnen. Die heutigen israelischen Karten illustrieren diese grundsätzlichen Pläne deutlich genug. Am 28. Juni veröffentlichte die führende Tageszeitung in Israel Ha'aretz eine Karte, die "Israels Vorschläge für eine dauerhafte Regelung" aufschlüsselte. Sie sind praktisch identisch mit der "Karte des letztendlichen Status", die einen Monat früher von der Regierung veröffentlicht wurde. Das Gebiet, das rund um das mächtig erweiterte "Jerusalem" annektiert werden soll, wird in alle Richtungen ausgedehnt. Nach Norden reicht es weit über Ramallah und nach Süden weit über Bethlehem hinaus, den beiden größeren palästinensischen Städten in der Nähe. Diese sollen unter palästinensischer Kontrolle bleiben, aber grenzen an israelisches Gebiet, und sind im Fall von Ramallah von palästinensischem Gebiet im Osten abgeschnitten. Wie das gesamte palästinensische Gebiet sind beide Städte durch israelisch besetztes Gebiet von Jerusalem getrennt, dem Mittelpunkt des Lebens der Westbank. Nach Osten schließt das zu besetzende Gebiet die rasch wachsende israelische Stadt Ma'ale Adumim ein und dehnt sich bis Vered Jericho aus, einer kleinen Siedlung am Rand der Stadt Jericho. Seine Ausläufer grenzen an Jordanien. Das gesamte Gebiet entlang der jordanischen Grenze soll von Israel annektiert werden zusammen mit dem "Jerusalem"-Gebiet, das die Westbank zerteilt. Ein weiterer Strang, der weiter im Norden annektiert werden soll führt praktisch zu einer weiteren Aufteilung.

Der intensive Ausbau und neue Siedlungsprojekte der vergangenen Jahre verfolgten die Absicht, vollendete Tatsachen zu schaffen, die letztlich zu dieser "dauerhaften Lösung" führen sollen. Dazu haben sich alle auf einander folgenden Regierungen seit dem ersten "Oslo-Abkommen" vom September 1993 verpflichtet. Im Gegensatz zur Ansicht vieler Kommentare, verfolgten die offiziellen "Tauben" (Rabin, Peres, Barak) letztlich genauso diese Zielsetzung wie der viel verachtete "Falke" Benjamin Netanjahu, obwohl sie diese Pläne unter weniger Protest verfolgen konnten solche Geschichten sind uns zur Genüge vertraut. Im Februar dieses Jahres berichtete die israelische Presse, dass die Anzahl der Neuansiedlungen gegenüber 1998 (dem Jahr Netanjahus) unter der Regierung Barak um fast ein Drittel anwuchs. Eine Analyse des Israel-Korrespondenten Nadav Shragal zeigte auf, dass nur ein kleiner Teil des Landes, das für Siedlungen vorgesehen ist, aktuell für landwirtschaftliche oder andere Zwecke genutzt wird. Für Ma'ale Adumin zum Beispiel, ist das vorgesehene Land 16 mal so groß wie das tatsächlich genutzte Land und ähnliche Verhältnisse gibt es überall. Die Palästinenser haben gegen die Expansion von Ma'ale Adumin Eingaben beim Obersten Gerichtshof Israels gemacht, aber sie wurden zurückgewiesen. Im letzten November erklärte ein Richter am Obersten Gerichtshof zur Klageabweisung, dass "für die Bewohner der palästinensischen Gemeinden einige Vorteile durch die ökonomische und kulturelle Entwicklung Ma'ale Adumin entstehen würden", die praktisch die Westbank zerteilt.

Diese Pläne konnten auch durch mit Hilfe von Zahlungen, die der US-amerikanischen Steuerzahler aufzubringen hat, umgesetzt werden, und zwar über verschiedene "kreative" Kunstgriffe, mit denen man die Tatsache umging, dass US-Hilfe offiziell nicht für solche Siedlungsprojekte benutzt werden darf.

Die beabsichtigte Zielsetzung ist, dass ein eventueller Staat Palästina aus vier Kantonen der Westbank bestehen würde: 1. Jericho; 2. der südliche Kanton, der bis Abu Dis, dem neuen arabischen "Jerusalem" reicht; 3. der nördliche Kanton einschließlich der Städte Nablus, Jenin und Tulkarem und 4. ein mittlerer Kanton, einschließlich Ramallah. Die Kantone sind vollständig von Gebiet umschlossen, das Israel für sich beansprucht. Die Gebiete, in denen sich die palästinensische Bevölkerung konzentriert, sollen unter Verwaltung Palästinas kommen - eine Nachahmung traditioneller kolonialistischer Muster. Das ist das einzige Resultat, das Israel und den USA sinnvoll erscheint. Die Pläne für den Gaza-Streifen, ein fünfter Kanton, sind noch unklar. Israel könnte auf ihn verzichten oder sich auf die südliche Küstenregion beschränken sowie auf einen weiteren Teil, der den Gaza-Streifen praktisch unterhalb von Gaza-City zerteilt.

Diese Pläne entsprechen den Vorschlägen, die seit 1968 vorgebracht wurden, als Israel den "Allon-Plan" annahm, der zwar niemals offiziell präsentiert wurde, aber offensichtlich beabsichtigte, ungefähr 40 Prozent der Westbank Israel einzuverleiben.

Seit dieser Zeit wurden spezifische Pläne vom ultrarechten General Sharon, der Arbeiterpartei und anderen vorgestellt. Sie sind sich ziemlich ähnlich in Konzeption und Zielsetzung. Das Grundprinzip ist, dass die nutzbaren Gebiete innerhalb der Westbank und die entscheidenden Ressourcen, vor allem Trinkwasser, unter der Kontrolle Israels bleiben, die Bevölkerung aber von einer palästinensischen Satelliten-Regierung kontrolliert wird, die erwartungsgemäß korrupt, rücksichtslos und gefügig ist. Die Kantone unter palästinensischer Verwaltung wären dann ein Reservoir an billiger und leicht ausbeutbarer Arbeitskraft für die israelische Wirtschaft oder die Bevölkerung wird langfristig auf die eine oder andere Art irgendwohin "umgesetzt", wie es den lang gehegten Hoffnungen entspricht.

Es sind "phantasievolle" Modelle denkbar, die diplomatische Lösungen für Fragen im Zusammenhang mit den religiösen Stätten und der Verwaltung der palästinensischen Viertel in Jerusalem finden. Aber die wichtigeren Probleme liegen woanders. Es ist überhaupt nicht klar, ob sie vernünftig im Rahmen von Nationalstaaten gelöst werden können, wie sie überall auf der Welt durch westliche Eroberung und Vorherrschaft geschaffen wurden, mit all den mörderischen jahrhundertelangen Konsequenzen innerhalb Europas selbst, gar nicht zu reden von den bis heute andauernden Auswirkungen darüber hinaus.

Übersetzung: Thies Gleiss


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 347