Ist Österreich eine Nazi-Republik, wie das anderenorts so gesehen wird? Oder ist alles gar nicht so schlimm, und darf man vor allem Haiders WählerInnen nicht ausgrenzen, wie es Klestil und Klima -- besorgt um Österreichs Image -- vertreten? Oder ist alles ganz anders?
Boris Jezek
Tatsache ist, dass die SPÖ-WählerInnen bei den vergangenen Wahlen in Scharen (169.000 waren es laut Wählerstromanalyse) zur FPÖ überliefen und damit einen Trend beibehielten, der seit Jahren besteht. Die Politologen stellten fest, dass die FPÖ zur "neuen Arbeiterpartei" geworden sei. Die Medien sind eifrig bemüht, diesen Unsinn weiter zu verbreiten, wie die diversen Schlagzeilen zeigen. Noch nie war eine Partei eine "Arbeiterpartei", bloß weil sie von der Mehrheit der ArbeiterInnen gewählt wurde.
Eine "Arbeiterpartei" mit einem Grundbesitzer als Parteiführer, mit zahlreichen UnternehmerInnen in zentralen Positionen, mit einem neoliberalen Wirtschaftsprogramm, mit einer Parteigeschichte, die nichts mit der ArbeiterInnenbewegung, aber sehr viel mit alten Nazis zu tun hat? Nur JournalistInnen, die keinen Zugang zu sozialen Kämpfen haben, können auf eine derart absurde Idee kommen, die FPÖ als ArbeiterInnenpartei zu bezeichnen. Aber selbst die SPÖ reagierte wie das Kaninchen vor der Schlange. Traumatisiert von der Abwanderung der ArbeiterInnenstimmen verstummte sie, und es blieb an der Kabarettistin Dolores Schmidinger, den treffenden Vergleich mit Schafen, die für ihren Schlächter stimmen, zu ziehen.
Die Motive für die Stimmabgabe für die FPÖ sind bedrückend: 63 Prozent der FPÖ-WählerInnen gaben an, sie wollten "frischen Wind und Veränderung". Doch sämtliche Umfragen und Interviews ergaben, dass dahinter nur eine vage Unzufriedenheit mit den "politischen Zuständen" in Österreich steht, eine konkrete Alternative wurde nie genannt. Besonders alarmierend sind die 47 Prozent, die die FPÖ wählten, weil sie "gegen die Zuwanderung von Ausländern" seien.
Das verständnisvolle Ansprechen der "Ängste der Menschen" durch die SPÖ konnte von der FPÖ keine Stimmen zurückholen, denn es geht längst nicht mehr um Ängste, es geht nicht um latente AusländerInnenfeindlichkeit. Unter einem beträchtlichen Teil der österreichischen Bevölkerung herrscht eine aggressive AusländerInnenfeindlichkeit. Die FPÖ mit ihren rassistischen Inhalten ist die Partei eines Teils dieser Bevölkerungsgruppe, die anderen stießen sich zumindest nicht an Haiders Rassismus.
Bundeskanzler Klima spricht Jörg Haider aus der Seele, wenn er sich gegen die "Ausgrenzung" der FPÖ-WählerInnen ausspricht. Dabei liegt in dieser WählerInnengruppe das gefährlichste und reaktionärste Potenzial der Gesellschaft. Denn eines kann man Jörg Haider und der FPÖ nicht vorwerfen: dass sie im Wahlkampf Kreide gefressen und eine andere Politik vorgegeben hätten. Wer FPÖ wählte, wusste wofür seine/ihre Stimme gut war: AusländerInnenfeindlichkeit und Rassismus, Law-and-Order, unternehmerInnenfreundliche Wirtschaftspolitik, Leistungsideologie.
Ist Österreich also doch eine Nazirepublik? Jörg Haider ist ein Politiker der extremen Rechten, wie es ihn in vielen anderen europäischen Staaten gibt. Sein Hauptanliegen ist es, sich von den "Altparteien" abzugrenzen. Als Rechten stört es ihn nicht, wenn er in historischen Fragen provoziert, für augenzwinkernde Geschichtsverdrehungen Applaus von alten Nazis und jungen Skinheads erhält. Doch dieselben antisemitischen, rassistischen oder kriegsverherrlichenden Reden sind auch auf ÖVP- und SPÖ-Stammtischen zu hören. In der Geschichte der 2. Republik konkurrierten diese beiden Parteien stets um die Stimmen der Nazis.
Antisemitische "Ausrutscher" und Law-and-Order-Rufe gab es in beiden Lagern, genauso wie es AusländerInnenfeindlichkeit und Rassismus in den Reihen beider Parteien gibt. Während sie Haider vorwerfen, die SS gelobt zu haben, verschweigen sie, dass ihre eigenen Landespolitiker den Ehrenschutz bei Veranstaltungen des Kameradschaftsbundes übernehmen.
Dennoch existiert in Österreich keine gesellschaftliche Kraft - auch die FPÖ ist keine solche -- die ein geschlossenes Weltbild vertritt, das ihre AnhängerInnen als Nazis identifizieren würde. Damit aus dem Dunstkreis der gestärkten und selbstbewussten Rechten um die FPÖ keine derartige Strömung entsteht, ist aber ein entschlossenes politisches Auftreten nötig. Das hat die angeschlagene Sozialdemokratie bisher völlig verabsäumt, im Gegenteil schmiert sie den Haider-SympathisantInnen Honig ums Maul, statt ihnen einen Spiegel vorzuhalten.
Bundeskanzler Viktor Klima setzt gar zu einer internationalen Image-Tour an, um zu erklären, dass die Haider-WählerInnen gar nicht so übel wären. Jörg Haider kann sich ins Fäustchen lachen, denn was tut der Bundeskanzler anderes, als ihm internationale Reputation zu verschaffen?
Egal, welche Regierung gebildet werden wird und welche Rolle die FPÖ im Parlament innehaben wird, Jörg Haider kann sich keine besseren Gegner wünschen als es die SPÖ und die FP-kritischen Zeitungen sind.
Aus: Die Linke, 22. Oktober 1999
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 337/338