SÜDKOREA

Die Lohnabhängigen in einer immer schlankeren Welt

Mit umfangreichen Arbeitsniederlegungen reagiert der Koreanische Verband der Gewerkschaften (KCTU) auf den Versuch, die Wirtschaftskrise auf Kosten der Lohnabhängigen zu lösen.

Von Lee Oh-wol und Terry Lawless

Die kleinen Geschäftsleute und die arbeitende Bevölkerung sind täglich mit den Auswirkungen der andauernden Wirtschaftskrise konfrontiert. Es sind Probleme der Unsicherheit und Ungewissheit: nicht ausbezahlte Löhne, die Schwierigkeit, Kredite oder auf Kredit erworbene Waren abzusichern, Inflation und Entlassungen.

Der Währungsverfall verbilligt die Exporte aus Korea, wenn auch bei geringerer Profitabilität, in einen Markt, der scharf, aber ungleich beschnitten wurde, weil sich einerseits die Krise in Asien verallgemeinerte, während andererseits in der übrigen Welt, insbesondere in den USA, der Boom fortdauert. Aber derselbe Währungsverfall hat zur Preissteigerung bei Importen geführt, vor allem bei den für die verarbeitende Industrie des früheren asiatischen Tigers bestimmten Halbfertigprodukten. Diese scharfe Kostensteigerung hat das Koreanische Institut für Finanzen (KIF) veranlasst, öffentlich davon zu sprechen, dass die "industrielle Basis am Rande des Zusammenbruchs" stehe.

Die wirtschaftliche Situation in Korea ist komplex, aber insgesamt düster. Bestimmte Industrien aus dem Exportsektor sind auf Grund der Währungsabwertung konkurrenzfähig geblieben. Dies trifft in erster Linie auf die Industrien zu, die in ihren gesamten Produktionsprozessen nicht all zu sehr von Importen von Halbfertigprodukten abhängen. In dieser Hinsicht ist die gleichzeitige Schwäche des japanischen Yen eine kleine Erleichterung für viele der großen Verarbeitungsindustrien, die vor dem Zusammenbruch der Kaufkraft des koreanischen Won stehen. Obwohl die Yen-Schwäche für die großen Industriekombinate (Chaebols), die direkt mit der japanischen Industrie konkurrieren, gleichermaßen Probleme schafft. Denn trotz allem ist dieser Sektor anfällig für die möglichen Schockwirkungen von Währungsproblemen irgendwo in der Welt. Eine Abwertung der chinesischen Währung im kommenden Frühjahr zum Beispiel würde verheerende Auswirkungen auf die verarbeitende Industrie haben.

Die meisten koreanischen ArbeiterInnen stehen den gleichen wirtschaftlichen Problemen gegenüber wie die Menschen in Südostasien nach den massiven Währungsabwertungen vom Sommer und Herbst 1997. Sie sind mit der Perspektive konfrontiert, dass ihre Zukunft weniger gesichert und wahrscheinlich schlechter sein wird als die aller Generationen seit Mitte der sechziger Jahre.

In allen Industriebereichen, aber vielleicht besonders in den großen Wirtschaftssektoren, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, können die Löhne monatelang nicht ausbezahlt werden. Nicht ausgezahlte Löhne sind der Hauptgrund für die meisten der wilden Streiks, die seit den Sanierungsmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds ausgebrochen sind. Weil jedoch oftmals einkommenslose Arbeitslosigkeit die Alternative zur unbezahlten Arbeit wäre, glauben viele ArbeiterInnen, sie hätten keine Chance als ihre Arbeit fortzusetzen und auf das Beste zu hoffen.

Die gleichzeitig stattfindende tiefe Bankenkrise, die zur Zwangsschließung von fünf Banken führte und zum Krediteinbruch für die übrigen, nur um international akzeptierte Liquiditätsstandards zu erreichen, hat praktisch die Kredite für kleine und mittlere Geschäftsleute abgewürgt. Viele gesunde Unternehmen müssen aus keinem anderen Grund schließen als dem Mangel an Kredit.

Das ganze Ausmaß der Wirtschaftskrise wird durch das Fehlen von Gewerkschaften in vielen Bereichen der koreanischen Industrie noch verschleiert und spiegelt sich nur teilweise in dem steilen Anstieg von betrieblichen Arbeitskämpfen sowie in der Erwerbs- und Obdachlosigkeit wider. Die Frauen erleben besondere Schwierigkeiten und Unterdrückung in der patriarchalen Gesellschaft in Korea. Große Unternehmen wie Samsung Everland und Daewoo Motors haben weiblichen Arbeitskräften einfach massenweise gekündigt. Und weil es praktisch keine unabhängige Frauenbewegung in Korea gibt, gibt es kaum koordinierten Protest gegen solche Entlassungen.

Auch die Selbstmordrate ist dramatisch angestiegen, insbesondere unter Menschen mittleren Alters. Viele ertragen die Vorstellung nicht , arbeitslos zu sein. Andere hatten das Unglück, neue Kredite aufzunehmen, die dann verfaulten. Wieder andere hatten Bürgschaften für Freunde, Familienangehörige oder örtliche Unternehmen übernommen, und können jetzt nicht mehr die Rückzahlungsforderungen bedienen. Eine aktuelle Untersuchung erklärt, dass dreißig Prozent der Koreaner bereits einmal Selbstmordgedanken hegten.

DIE WÄHRUNGSKRISE

Die wichtigste Veränderung in Korea seit dem Ausbruch der Währungskrise ist der vollständige Abbau all der verschiedenen protektionistischen Maßnahmen, die notwendige Bestandteile des langen wirtschaftlichen Aufschwungs des Landes gewesen waren. Die Rolle des internationalen Finanzkapitals hat gleichermaßen wesentlich zugenommen. Bisher jedoch gab es nur wenig oder gar keine neuen Investitionen in der Produktion durch die ausländischen multinationalen Konzerne. Der erste Versuch, die bankrotten Unternehmen Kia und Asia Motors zu versteigern, scheiterte, weil alle Bietenden, einschließlich Ford und General Motors, zu viele Zugeständnisse und Abschreibemöglichkeiten von der Regierung verlangten. Ein zweiter Versteigerungsversuch soll bald gestartet werden.

Die koreanische Börse erholte sich in den ersten Monaten 1998 allein auf Grund der Gelder vom Internationalen Währungsfonds ein wenig, um dann gegen Ende Juni auf einen neuen Tiefstand zu fallen. Seitdem hat sie sich ein bisschen stabilisiert, weil es weiterhin nicht zu größeren Schocks anderswo in der Welt gekommen ist. Etwas überraschend hat sich der Won auf ein Level von ungefähr 1300 für einen Dollar verbessert, ausgehend vom Tiefpunkt 2000 zu einem Dollar. Dies hat zu Differenzen in der Regierung darüber geführt, was das optimale Niveau der Währungsabsicherung ist.

Ein starker Won inmitten schwacher asiatischer Währungen ist eine Belastung für den Export, während andererseits ein schwächerer Won zu Problemen für viele der Chaebols führen würde, die vorgefertigte Teile zur Endproduktion importieren müssen, vor allem aus Japan. Dies erzeugt auch Unzufriedenheit bei der Bevölkerung, die an ein relativ hohes Niveau des Konsums gewöhnt war.

In den meisten Industrien gingen die Geschäftstätigkeiten stark zurück. Das KIF berichtete im Juni, dass der Absatz der Lederindustrie in den ersten drei Monaten des Jahres um 110,9 Prozent schrumpfte. Die Holz- und Möbelindustrie ging in der Gesamtheit ihrer Geschäftstätigkeit - Produktion, Verkauf, Lagerbestände, Lohnzahlungen und Unternehmensoperationen - ebenfalls um 100 Prozent zurück. Die Metallverarbeitung, Automobil- und Anhängermontage verringerte sich um gut 95 Prozent, während die Gummi- und Kunststoffindustrie um 49 Prozent sank.

Auf der anderen Seite blähte sich die Produktion von Transportausrüstungsgütern um 78 Prozent auf und der Telekommunikations- und Audio/Video-Sektor vermeldete ein Plus von 56,7 Prozent. Die Anlageinvestitionen verringerten sich um 40,7 Prozent, die Bauinvestitionen um 7,7 und die private Spartätigkeit um 10,3 Prozent.

Das Bruttoinlandsprodukt Koreas sank im zweiten Quartal 1998 um absolut 6,6 Prozent, was das schlechteste Quartalsergebnis seit dem zweiten Ölschock von 1980 bedeutet.

Einige unabhängige Wirtschaftswissenschaftler sagen zur Zeit ein generelles Minuswachstum von sieben Prozent in diesem Jahr voraus, wenn sie auch an einem realen Wirtschaftswachstum von einem Prozent für 1999 festhalten. In dem Bericht des KIF, der vor dem Bekanntwerden des ganzen Ausmaßes des Rückgangs des Bruttoinlandsproduktes verbreitet wurde, wurde bereits an die Regierung appelliert, "revolutionäre Maßnahmen zu ergreifen, um die absinkende Wirtschaft aufzurichten".

STAAT UND INDUSTRIE

Dabei ist paradox, dass die Regierung von Kim Dae-jung nicht gerade gut geeignet ist, solche Maßnahmen zu ergreifen, weder nach ihrer eigens erklärten Wirtschaftsphilosophie noch mit ihren tatsächlichen Einflussmöglichkeiten. Seit Mitte der achtziger Jahre sind die größten Chaebols derart gewachsen, dass sie es nicht mehr nötig haben, Befehle der Zentralregierung entgegenzunehmen, und stattdessen ärgern sie sich nur über solche.

Obwohl die Wirtschaft Koreas in der Praxis immer noch recht beachtlich von zentralen politischen Vorgaben abhängt, ist der Hauptmotor für das Wirtschaftswachstum, wie er vom früheren Armeegeneral und Präsidenten Park Chun-hee entwickelt wurde, ziemlich veraltet. Unter der hochgradig ungeschickten Vorgängerregierung des arroganten Kim Young-sam geriet dieser Motor in eine Reihe ernster Schwierigkeiten. Die neugewonnene politische Freiheit der ArbeiterInnenklasse, vor allem nach dem großen Streik von 1987 für die Beendigung der Militärdiktatur, brachte auch das geheime System der Diktatur aus Bestechungen, Provisionen und gesicherten Staatsaufträgen ins Schwanken.

Durch die Mitgliedschaft in der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), die Korea im Dezember 1996 gewährt wurde, wurden die koreanischen Unternehmen gezwungen, sich einer genaueren Prüfung zu stellen, um die gewünschten großen ausländischen Kredite zu erhalten, die nötig sind, um im internationalen Konkurrenzkampf zu bestehen. Dabei kamen auch viele der mehr der weniger dubiosen Finanzierungspraktiken ans Licht.

Schließlich bedeutet die wachsende Internationalisierung von vielen Chaebols, dass es nahezu unmöglich ist, dass der Staat die Binnenwirtschaft leitet oder manipuliert, um die zerstörerischen Auswirkungen der Überproduktionskrise zu umgehen.

Diese widersprüchlichen Tendenzen wurden durch die Wahl von Kim Dae-jung lediglich auf politischer Ebene zum Ausdruck gebracht. Kim hat das autokratische Wirtschaftsregime, das durch das Sanierungspaket des Internationalen Währungsfonds, eingeführt wurde, vollständig akzeptiert. Dennoch ist er von WählerInnen gewählt worden, die in ihm immer noch das Symbol des Kampfes gegen die Diktatur sehen. Er versteckt sich hinter Behauptungen, dass er sowohl für den freien Markt nach Art des Internationalen Währungsfonds als auch für Demokratie sei. Aber solch starker Tobak erlaubt wenig Spielraum für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, schon gar nicht auf "philosophische Weise". Aber es war die aktive staatliche Intervention, die die koreanische Wirtschaftsentwicklung in den letzten dreißig Jahren bestimmt hat und mit der Korea in die Reihen der hochindustrialisierten Länder aufschließen wollte.

Als Kim Dae-jung vor sechs Monaten sein Amt antrat, verkündete er lautstark die Notwendigkeit der radikalen Umstrukturierung der Chaebols. Aber diese Forderung wurde von den maßgeblichen Chaebol-Führern geflissentlich ignoriert, die es sogar in den meisten Fällen nicht für nötig halten, sich bei den regulären monatlichen Treffen mit dem Präsidenten blicken zu lassen.

Das wirkliche Kräfteverhältnis zwischen der Industrie und dem Staat in Korea kann an dem Neun-Punkte-Abkommen abgelesen werden, das am 4. Juli zwischen der Regierung und den Führern des Verbandes der Koreanischen Industrie unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen stellt es den Chaebols frei, die Krise so zu lösen, wie es bei der Verfolgung der eigenen Interessen gerade passt.

In den Monaten seit seiner Amtseinführung hat Kim Dae-jung grundsätzlich jeden Versuch aufgegeben, die Chaebols aufzufordern, sich an der "radikalen Umstrukturierung" zu beteiligen. Stattdessen hat er die Idee von sogenannten "big deals" akzeptiert, die von den Chaebol-Familien lanciert wurde. Mit anderen Worten haben die Chaebols sich verpflichtet, ihrer Schuld dadurch nachzukommen, dass sie die riskanteren Formen des Konkurrenzkampfes untereinander einstellen. Es ist noch nicht einmal klar, ob die versteckten Schulden, die die Chaebols unter ihren diversen Beteiligungen mitschleppen, durch diese "big deals" aufgelöst oder nur aus steuerlichen Gründen umverteilt werden.

Berichten zufolge wird unter diesen "big deals" auch die Trennung des Samsung-Konzerns vom Automobilgeschäft sein, möglicherweise an Hyundai, während Samsung selbst das Halbleitergeschäft der LG-Gruppe übernimmt. Dadurch erhält Samsung fast ein Monopol bei den Halbleitern. Hyundai wird wiederum den petrochemischen Bereich an LG abtreten und LG wird auch die Hausgeräteherstellung von Samsung und den Bereich Kommunikation von Hyundai übernehmen.

UMBAU UND UNZUFRIEDENHEIT

Vor Beginn der Krise der Wechselkurse gab es in der Sprache Koreas solch Vokabular wie "ökonomischer Umbau" überhaupt nicht. Für notorische Optimisten unter den Besitzern der Chaebols ist diese Krise nichts als ein kurzfristiges Alarmsignal, dass die gröbsten Übel der laufenden Praxis geändert werden müssen. Ist dies erst einmal erledigt, wird sich die Angelegenheit normalisieren, möglicherweise in zwei oder drei Jahren. In einer etwas pessimistischeren Analyse erscheint die gegenwärtige Krise als Hinweis, dass ein völlig neues Modell der wirtschaftlichen Modernisierung entwickelt werden muss, möglicherweise zusammen mit einer höheren Rate realer Erwerbslosigkeit, um die Militanz der ArbeiterInnen und auch die Löhne niederzudrücken, damit Korea für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewappnet ist.

"Umstrukturierung" oder "Umbau" kann deshalb alles und nichts bedeuten. Das reicht von der Schließung unrentabler Fabriken über Arbeitsverdichtung, Rationalisierung, Massenentlassungen, finanzielle Transparenz und allgemeine Unternehmensmodernisierung bis zur tatsächlichen Reform der Chaebols, einschließlich bestimmter Demokratisierungen.

Im zuletzt genannten sinnvollen Kontext wird die "Umstrukturierung" von einer Reihe von Bürgerinitiativen, wie der PSPD und der "Bürgervereinigung für Gerechtigkeit in der Wirtschaft" sowie einigen linksliberalen Intellektuellen gefordert. Und diejenigen Bürokraten des "Verbandes der koreanischen Gewerkschaften" (FKTU), die sich am engsten mit Kim Dae-jung verbunden haben und am aller wenigsten Bereitschaft zu Kämpfen zeigen, bewegen sich auf diese Position, wenn auch oftmals mehr oder weniger unbewusst.

Welches Umbaukonzept auch immer am plausibelsten erscheint, es bleibt die Frage der Beziehung zwischen den Chaebols und der ArbeiterInnenbewegung oder allgemeiner die zwischen den großen Unternehmen und der ArbeiterInnenklasse insgesamt im Mittelpunkt. Werden die Chaebols versuchen, die Krise dafür auszunutzen, der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung mittels Massenentlassungen und einem neuen, diesmal ökonomischen, Regime der Angst das Rückgrat zu brechen?

Angesichts des Fehlens eines sozialen Sicherheitsnetzes ist es unklar, ob die gegenwärtige Krise wirklich der ideale Zeitpunkt ist, einen solchen Kampf zu führen. Korea ist seit langem politisch instabil - trotz seiner Position als erklärter Bastion des Antikommunismus. Die Regierung hat dies im Hinterkopf und verfolgt deshalb im wesentlichen die Strategie, die absolute Zahl der Erwerbslosen so gering wie möglich zu halten, denn ein Land ohne nennenswertes soziales Sicherheitsnetz birgt gewaltige Risiken einer sozialen Explosion. Präsident Kim brachte dies ziemlich unverhohlen zur Sprache, als er vorschlug, dass "zwanzig Prozent der Bevölkerung leiden müssen, damit es nicht hundert Prozent müssen."

Die koreanische Wirklichkeit holt diese Aussage Kims schnell ein. Im August 1998 betrug die Erwerbslosenrate 7,6 Prozent - das höchste Niveau seit 1966. Eine private Expertenkommission deutete an, es sei eine weitere Steigerung der Rate zu erwarten, und sagte einen Höchstpunkt von zehn Prozent für 1999 voraus. Es scheint, als ob sich die Situation im Laufe des Sommers verschlimmert hat. Im Juli sank die Beschäftigung um 6,5 Prozent - der größte Einbruch seit sechzehn Jahren.

Der Hauptschauplatz dieser Auseinandersetzung zwischen den Regierungsinteressen, ein bestimmtes Niveau an sozialer Stabilität zu erhalten, und den Unternehmenszielen, profitabel zu bleiben, sind die großen Chaebols. Vor allem diejenigen, die direkt von der gegenwärtigen Überproduktionskrise betroffen sind. Hyundai war der erste der Chaebols, der einen konkreten Plan für Entlassungen vorlegte. Er beabsichtigte, 2678 ArbeiterInnen zu feuern und weitere 2000 für die nächsten zwei Jahre zu beurlauben. Zuvor hatte Hyundai verkündet, man erwarte eine Dauer der Krise von drei bis fünf Jahren.

Das Abkommen, dass am 24. August zur Beschränkung der Zahl der unbefristeten Entlassungen bei Hyundai geschlossen wurde, widerspiegelt teilweise das Fehlen einer langfristigen Strategie. In einer Marathonsitzung mit Vertretern der ArbeiterInnen, des Managements und Repräsentanten der politischen Partei "Nationaler Kongress für neue Politik" wurde vereinbart, 277 ArbeiterInnen zu entlassen und 1261 in einen 18monatigen unbezahlten Urlaub und eine sechsmonatige bezahlte Umschulung zu schicken. Obwohl danach 63 Prozent der Beschäftigten gegen dieses Abkommen stimmten, scheint es wenig wahrscheinlich zu sein, dass daraus mehr folgt, als der erzwungene Rücktritt der Gewerkschaftsführer, die diese Vereinbarung ausgehandelt haben. Es ist kaum vorstellbar, dass der Streik wieder aufgenommen wird, und es gibt einen klaren Mangel an strategischen Perspektiven über das weitere Vorgehen.

Am Beispiel von Hyundai ist der widersprüchliche Charakter der abnehmenden Einflussnahme der Regierung auf die Unternehmen zu erkennen. Hyundai ist gerade in politisch heikle Verhandlungen verwickelt, in Nordkorea eine Reihe von wirtschaftlichen Verbindungen zu knüpfen, um die Krise seiner Profitrate zu überwinden. Die Verlagerung wenigstens einiger der Produktionsbereiche in den Norden würde Hyundai in die Lage versetzen, sowohl die Kosten für Löhne und Transporte einschneidend zu verringern, als auch das Risiko mindern, in die gegenwärtigen internationalen Währungsturbulenzen einbezogen zu werden.

Das politische Taktieren, um den Druck der Politik auf die Chaebols weiter zu reduzieren, wird auch deutlich in der aktuellen Berufung einer Kommission zur Untersuchung der Gründe der Währungskrise vom letzten November. Regierungssprecher schlugen vor, dass die Unternehmensleitungen nicht von möglichen Nachforschungen befreit werden. Der Unterschied zwischen der begrenzten Macht von Kim Dae-jung und den vorhergehenden Militärregierungen sollte klar sein: Präsident Park Chung-hee hatte es in den siebziger Jahren nicht nötig, mit einer Kommission zu drohen, um die Chaebols anzuleiten, das zu tun, was er wünschte. Er teilte ihnen lediglich mit, das zu tun, was er wollte, oder erklärte sie anderntags für bankrott.

Das Fazit aus all dem ist, dass es eine breite Übereinstimmung in der Regierung darüber zu geben scheint, dass die Erwerbslosigkeit, insbesondere in den kämpferischen und organisierten Sektoren der ArbeiterInnenklasse, so weit wie möglich gering gehalten werden muss. Dies war die offizielle Begründung für die Regierungsintervention in den Konflikt bei Hyundai, obwohl Regierungsvertreter seitdem verkündeten, dass es keine weiteren Interventionen geben werde.

Wo es möglich ist, wird die Kim Dae-jung-Regierung die schwächer werdenden politischen Druckmittel dazu ausnutzen, die Umstrukturierungspläne der Chaebols einzusehen, besonders dort, wo sie eine mögliche soziale Explosion wegen der Rücksichtslosigkeit der Chaebols fürchtet. Kim Dae-jung versucht der schmalen Linie zwischen den Interessen der Chaebol-Familien und des konservativen Flügels der organisierten ArbeiterInnenklasse zu folgen. Dies ist ein Ergebnis seiner politischen und sozialen Distanz zu den meisten Chaebol-Familien und seiner immer noch existierenden Unterstützerbasis in den Schlüsselsektoren der organisierten ArbeiterInnenklasse und bei den kleinen Händlern.

Dieser problematische Mittelweg ist eine Folge der Biografie von Kim als wichtigster Figur in der Dissidentenbewegung in Korea. Der Mittelweg führt die Regierung manchmal zu Gesprächen mit und manchmal zu Angriffen gegen streikende ArbeiterInnen, um die kämpferische Vorhut zu isolieren. Die Zerschlagung des siebzehn Tage dauernden Streiks bei Mando Machinery durch Tausende von Bereitschaftspolizisten in den frühen Morgenstunden des 3. September zeigte, dass die Kim Dae-jung-Regierung bereit ist, Gewalt anzuwenden, wenn sie meint, dass dies zur Aufrechterhaltung der industriellen Produktion nötig ist.

Darüber hinaus ist die wirtschaftliche Planung der Zukunft in Korea noch weitgehend unklar. Die staatlichen Wirtschaftsfachleute und der größte Teil der Bourgeoisie haben die asiatische Krise nicht vorhergesehen. Zudem wurde in den wenigen Fällen, wo Ökonomen die möglichen Probleme des aufkommenden Defizits in den Zahlungsbilanzen ansprachen, daran geglaubt, dass Korea stark genug sei, einen Angriff von Spekulanten zu überstehen. Die koreanische Bourgeoisie teilte den Optimismus der Weltbank und der diversen Verkünder des kommenden asiatisch-pazifischen Jahrhunderts. Die Mitgliedschaft Koreas in der OECD wurde zum Beweis der Wirtschaftskraft Koreas. Obwohl es heute schwer zu glauben ist, legten Regierungs-Ökonomen der Kim Youn-sam-Regierung ungefähr ein Jahr vor Ausbruch der asiatischen Wirtschaftskrise einen 25-Jahr-Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung vor.

DIE AKTUELLE ARBEITERiNNENBEWEGUNG

Die Gewerkschaftsbewegung hat sich seit der unglücklich verlaufenen Unterzeichnung des Drei-Parteien-Abkommens aus den ersten Tagen der Kim-Regierung ziemlich schnell wieder erholt. Der KCTU, der oppositionelle Gewerkschaftsverband, der seine Wurzeln in der Gründung von unabhängigen ArbeiterInnengruppen während der Zeit der "Großen Kämpfe" hat, bewies ein gutes Verständnis der gegenwärtigen Periode und der Art und Weise, wie die Militanz der ArbeiterInnen und das Selbstvertrauen wieder belebt werden können.

Zur Zeit sind einige Kräfte aus der Führung des KCTU im politischen Bewusstsein, aber nicht, was die Wut angeht, wahrscheinlich vielen der Basismitglieder voraus. Seit dem Wiederaufleben der Militanz am Ersten Mai hat der KCTU viele der jetzt aufkommenden Beschwerden aufgegriffen, um das Vertrauen der ArbeiterInnen in den Klassenkampf zu stärken. Sie reichen von der Nichtauszahlung der Löhne, dem Nichteinhalten bestimmter Vertragsabsprachen, der Drohung mit längerfristigen Entlassungen bis zu direkten Kündigungen.

Dies ist ein schwieriger Prozess, weil die meisten ArbeiterInnen erkennen können, dass die wirtschaftliche Lage ziemlich hoffnungslos ist. Das Problem ist, dass die meisten ArbeiterInnen auf die Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu verlieren, mit verständlicher Angst reagiert haben und mit dem Wunsch, mit den Betriebsleitungen zusammenzuarbeiten, um die Jobs zu sichern. Die Betriebsleiter und die Regierung haben auf diese Weise recht erfolgreich mit der Legende gearbeitet, dass Streiks das Gleichgewicht zuungunsten der möglichen Arbeitsplatzsicherung stören würden.

Als Ergebnis davon ist das Niveau der Radikalisierung in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft sehr unterschiedlich entwickelt. Studentinnen, Männer und Frauen aus dem öffentlichen Dienst und männliche Beschäftigte aus der Schwerindustrie sind im Moment besonders kämpferisch. Die Studentinnen erleben, dass ihre Aussichten auf einen Arbeitsplatz um einiges schlechter sind als früher. Die älteren männlichen Beschäftigten spüren, dass sie in gewissen Schlüsselindustrien wie der Stahl- und Automobilproduktion Massenentlassungen ausgeliefert sind, weil diese Industrien unmittelbar von der weltweiten Überproduktion betroffen sind.

Unterdessen sind beim Streik im öffentlichen Dienst von Myongdong Kathedrale vom 14. bis 16. Juli mehr als die Hälfte der Streikenden Arbeiterinnen aus allen Altersstufen gewesen. Im Gegensatz dazu scheinen die männlichen Studierenden zu glauben, dass sie eine Anstellung erhalten, wenn sie brav den Kopf einziehen.

EIN FAZIT

Das größte Problem vor dem die ArbeiterInnenbewegung in Korea bei ihren Versuchen steht, gegen diese Welt der immer "schlankeren Produktion" zu kämpfen, ist, dass die ArbeiterInnen im Allgemeinen nur dann bereit zu Mobilisierungen sind, wenn sie sich unmittelbar bedroht fühlen. Die Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie und im Bankwesen, die nicht von Betriebsschließungen betroffen waren, haben in der dritten Juliwoche zum Beispiel gezögert aktiv zu werden.

Zur Zeit bewegt sich der FKTU und bis zu einem bestimmten Punkt auch der KCTU nur dann, wenn sie dazu angestoßen und von der Mitgliederbasis breit unterstützt werden. Letztere beginnt solchen Druck wiederum erst dann, wenn es bereits fast zu spät ist. Die ArbeiterInnen benötigen deshalb die Erfahrung, dass Streikaktionen Erfolg bringen. In dieser Hinsicht ist der teilweise Erfolg angesichts der Angriffe bei Hyundai positiv, weil dadurch die Chaebols angeregt wurden, noch einmal über ihre radikale Umstrukturierung nachzudenken.

Die Gewerkschaftsführung muss eine konkrete Analyse der gegenwärtigen Krise mit der Fähigkeit verbinden, eine radikale Strategie zu entwickeln, die die unmittelbaren Forderungen der Basismitglieder aufgreifen und in Richtung von Forderungen nach Strukturreformen im Interesse der ArbeiterInnenklasse und der kleinen Händler lenken kann. Die Entwicklung einer solchen Perspektive wird in den kommenden Monaten entscheidend sein, je mehr ArbeiterInnen ihren Glauben daran verlieren, dass die Krise noch ein gutes Ende finden wird.

Aus: International Viewpoint Nr. 305 (November 1998)
Übersetzung und Bearbeitung: Thies Gleiss


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 327/328. In derselben Ausgabe erschien ein weiterer Artikel zur Entwicklung der Linken in Südkorea.