Früher oder später...

Je länger der Korea vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgezwungene "Reformprozeß" andauert, desto größer wird die Möglichkeit einer Arbeiterrevolte.

Terry Lawless

In den späten 70er Jahren ist Südkoreas Wirtschaft rasant gewachsen, vor allem im Vergleich zu den G-7-Ländern, die seit der Weltrezession von 1974-75 niedrige Wachstumsraten haben. Auch die nicht-kapitalistischen Länder wie die Sowjetunion, die DDR und Nordkorea bekamen ungefähr zur gleichen Zeit langanhaltende wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Zum ersten Mal seit der russischen Revolution schien es, als gebe es für die Menschen in der sogenannten Dritten Welt eine kapitalistische Alternative zur sozialistischen Revolution. Amerikanische Publikationen wie Newsweek und Time veröffentlichten Artikel, die das "Wunder vom Han- Fluß" verherrlichten. Sie priesen die Vorteile von gewerkschaftlich nicht organisierten, schwer arbeitenden Menschen an, die der Familie positiv gegenüber stehen und aufgrund ihrer eigenen konfuzianischen Werte mit der Diktatur zurechtzukommen, ihren Wunsch nach Geld über die Freiheit stellen und eine starke Identifikation mit ihrer Firma haben. Der generelle Tenor dieser Kommentare impliziert, daß der Verlust solcher Tugenden den wirtschaftlichen Abschwung im Westen verursacht habe und nicht der tendenzielle Fall der Profitrate. Die Begriffe "Newly Industrialized Country" ("Neuindustrialisiertes Land", im Deutschen üblicherweise "Schwellenland") und "Asiatische Tiger" verbreiteten sich schnell.

Dieses "Wunder" war in Wirklichkeit die Ausdehnung der dritten Welle des technologischen Wachstums auf die Regionen, die zuvor nicht davon beeinflußt waren. Von Mitte der 40er Jahre bis zur Mitte der 70er Jahre erlebten Japan, Nordamerika und Westeuropa ein zuvor unbekannten Ausmaß wirtschaftlicher Expansion: das Wachstum des Dienstleistungssektors; die Massenproduktion von Autos und elektronischen Waren für die Privathaushalte, wie Fernseher, Kühlschränke, Telefone, Waschmaschinen und Stereoanlagen; das Aufkommen von transatlantischem und später weltweitem Luftverkehr; der Einsatz von riesigen Containerschiffen, um Handelswaren schnell um die Welt zu bringen, usw.

Mit der unvermeidlichen Verlangsamung der Produktion nach dem Aufbau dieser neuen Infrastruktur wurden plötzlich große Mengen Kapitals frei, die in Geldform anderswo nach hohen Zinsen suchten. Dieses Finanzkapital, dessen Größe und Einfluß in der Weltwirtschaft seitdem exponentiell angewachsen ist, wurde benutzt, um das Wirtschaftswachstum in ausgewählten Regionen in Südostasien, die dem Kommunismus gegenüber als grundsätzlich immun angesehen wurden, anzutreiben. Regionen wie Südkorea.

Als der lange wirtschaftliche Boom bis in die 80er Jahre andauerte, traten jedoch in Südkorea die gleichen Probleme zu Tage wie in den führenden kapitalistischen Ländern: eine im hohen Maße unruhige Studentenbewegung; das Aufkommen von Arbeiterprotesten und das Entstehen von gewerkschaftlicher Organisation, die die schlecht bezahlten Arbeiterinnen einschloß; das Infragestellen von autoritärer und unmenschlicher Arbeitsethik und das plötzliche Interesse von Studenten und Arbeitern an regimekritischer und sozialistischer Literatur.

DER "GROSSE KAMPF"

Während der 80er Jahre gaben viele regimekritische koreanische Intellektuelle, von der revolutionär- sozialistischen Theorie beeinflußt, ihre Mittelschichtjobs als Lehrer, Professor und Journalist auf, um in die großen Industriezentren des neuindustrialisierten Koreas zu wechseln. Sie waren davon überzeugt, daß die Arbeiterklasse mobilisiert werden müsse, damit der Druck der militanten Studentenbewegung auf die Diktatur erfolgreich werden könne.

Diese Einschätzung der politischen Situation stellte sich als richtig heraus. Die ungeahnte Welle der Arbeiterproteste 1987 reichte aus, um selbst die unentschlossene Mittelschicht davon zu überzeugen, daß die Tage der bürgerlichen Diktatur gezählt sind.

Die Anwesenheit einer großen Zahl von Büroangestellten und "Gehaltsempfängern" auf den Straßen Seouls während des Großen Kampfes 1987 zum Sturz der Militärdiktatur von Chun Doo-hwan verwirrte viele Historiker. Sie dachten nun, daß die Mittelschicht für die Veränderungen verantwortlich sei.

Aber diese "Schlips-Revolution" bestätigt eigentlich nur Leo Trotzkis Beobachtung, daß die Mittelschicht in Krisenmomenten entweder der Bourgeoisie oder dem Proletariat folgen kann, was davon abhängig ist, wer den meisten Mut, die meiste Intelligenz und die meiste Weitsicht zeigt. Die "Gehaltsempfänger" sahen, daß die Arbeiter und die Studenten, mehr als das Militär und die Besitzer der chaebols (konzernähnliche Unternehmen, die von wenigen, sehr reichen, machtbewußten Familien beherrscht werden; A.d.Ü.), die beste Alternative für Koreas zukünftige politische Entwicklung darstellten - und so standen sie auf deren Seite.

Die dramatischen politischen Veränderungen der letzten zehn Jahre in Korea spiegeln auf der politischen Ebene das neue Gleichgewicht der Klassenkräfte wider, wie es sich 1987 im Großen Kampf herauskristallisiert hat. Das System der Einparteien-Militärherrschaft wurde durch ein instabiles System der bürgerlichen Wahlmaschine ersetzt, das typischerweise um einen prominenten Politiker zentriert ist, der seine Wahlunterstützung aus einem bestimmten Gebiet Koreas bezieht. Die direkte Wahl des Präsidenten führte 1987 zuerst zur Wahl von Chun Doo-hwans Klassenkameraden Rho Tae-woo und dann 1992 zur Wahl des bürgerlichen Regimekritikers Kim Young-sam.

Seit dem Großen Kampf gibt es den beständigen immer energischeren Versuch, eine Arbeiterpartei zu gründen, die auf den Gewerkschaften basiert. Trotzdem ist die Bewegung für eine Arbeiterpartei immer noch eine sehr kleine Kraft in der politischen Szene Koreas. Der Organisationsgrad der Gewerkschaften hat sich bei 12 Prozent stabilisiert, und zwar vorrangig in der Schwer- und Großindustrie wie dem Schiffsbau, der Autofabrikation und der Stahl- und Halbleiterproduktion.

1995 führte die große Spaltung im staatlich sanktionierten und durch den kalten Krieg initiierten koreanischen Gewerkschaftsbund (KFTU) zur Gründung des kämpferischen Gewerkschaftsverbands KCTU. Die Gesamtmitgliedschaft in den zwei Organisationen beläuft sich auf ungefähr 1 Millionen Arbeiter, wobei etwas mehr als die Hälfte bei der KFTU organisiert sind.

Der Kern der KCTU-Führung hat seinen Ursprung im Beginn des Großen Kampfes, als die regimekritischen Mittelschichtintellektuellen den Arbeitern bei der Organisierung von unabhängigen Gewerkschaftsaktivitäten halfen und sie unterstützten. Der Vorsitzende der KCTU, Kwon Young-gil, der Präsidentschaftskandidat der Partei "People's Victory 21" im Jahre 1997, war ehemals Journalist und ist Absolvent der renommierten Nationaluniversität von Seoul und tat sich in den 80er Jahren mit den Arbeitern zusammen.

GLOBALISIERUNG UND UNZUFRIEDENHEIT

1992 wurde Kim Young-sam Präsident und kündigte eine "Globalisierungskampagne" an, die im Dezember 1996 in der Aufnahme Südkoreas in die OECD (den Club der westlichen Industriestaaten) gipfelte. Die Mitgliedschaft in der OECD wurde als notwendig erachtet, um die Finanzierung der unbeschreiblich geldgierigen chaebols zu unterstützen, den südkoreanischen Firmen wie Hyundai, Samsung, Daewoo und Lucky Goldstar (LG). Diese sind in den letzten 25 Jahren rasch gewachsen, indem sie große kurzfristige Kredite aufnahmen, um massive Investitionen zu finanzieren. Dank des langanhaltenden wirtschaftlichen Booms in Südostasien waren sie in der Lage, die Produktivität und die Profitabilität schnell genug zu steigern, um diese Kredite zurückzahlen und noch größere Kredite aufnehmen zu können. Die bedeutenden Banken in Europa, Nordamerika und Japan konnten dem nicht widerstehen.

Die Grenzen dieses Erfolges hätten klar sein müssen, zumindest denjenigen, die mit Ernest Mandels Theorie der langen Wellen der kapitalistischen Entwicklung vertraut sind. Je mehr die Region ein mit den G-7-Ländern vergleichbares Niveau der technologischen Infrastruktur erreichte, desto mehr begann die Profitspanne der chaebols deutlich abzusinken.

Kim Young-sams Globalisierungsstrategie war ein kurzfristiger Versuch, den gesättigten Inlandsmarkt und die fallenden Profitraten zu kompensieren. Durch die Öffnung der Wirtschaft hoffte er, den chaebols den Weg zu internationalen Investitionen und internationaler Produktion zu öffnen, damit sie in anderen Ländern die Vorteile von niedrigeren Arbeitskosten und Investitionsanreizen nutzen könnten.

Aber das Problem war, daß die globale Überproduktion schließlich die Preise der Schlüsselprodukte niederzwang. Die generelle Überproduktionskrise Koreas gefährdete nicht nur, sondern blockierte die ganze Wirtschaftsstrategie der chaebols.

WARUM DIE GEWERKSCHAFTEN SICH GEWEHRT HABEN ...

In den frühen 90er Jahren meinten einige Wirtschaftswissenschaftler, daß eine größere wirtschaftliche Umstrukturierung notwendig sei, wenn Korea weiterhin konkurrenzfähig in der Weltwirtschaft sein wolle. Sie verlangten den Abbau von großen Teilen des Yushin- Systems japanischen Stils des ehemaligen Präsidenten Park Chung-hee, was staatliche Unterstützung für die Schlüsselindustrie, feste Wechselkurse, Marktprotektionismus und lebenslange Beschäftigung bedeutet hatte. Das Yushin- System hatte Korea in die Lage versetzt, unverhältnismäßig viel vom langen Wirtschaftsboom in Südostasien zu profitieren - aber das schien vorbei zu sein.

Zum Teil lag der Wechsel der Regierungsmeinung an der Rekrutierung einer Generation von jungen Wirtschaftswissenschaftlern, die an US-amerikanischen Institutionen wie der neoliberalen Harvard Business School ausgebildet waren, im Gegensatz zu den Bürokraten der Militärdiktatur direkt nach dem Koreakrieg, die in Japan ausgebildet worden waren.

Aber der Hauptgrund war sicherlich, daß es praktisch keine glaubwürdigen bürgerlichen Stimmen gab, die sich gegen die Ideologie des Neoliberalismus ausgesprochen hätten. Das Weltbild der Finanzinvestoren und der internationalen Handelsgesellschaften dominiert vollkommen die Sitzungssäle der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation und der jährlichen Treffen der G-7-Länder - von den Massenmedien und dem politischen Bewußtsein vieler Menschen ganz zu schweigen.

Trotz seines neuentdeckten Enthusiasmus für die neoliberale Lösung der Wirtschaftsfragen, hat das Kim Young-sam-Regime in Park Chung-hees definitiv nicht neoliberalem Buch geblättert, als es in einer geheimen 12 Minuten dauernden Sitzung der Nationalversammlung Ende Dezember 1996 eine Reihe von strittigen Gesetzen verabschiedete. Am folgenden Tag riefen die Gewerkschaften den größten Generalstreik in der Geschichte Koreas aus. Zwischen 500.000 und 1 Millionen Arbeiter waren in der einen oder anderen Weise an der Auseinandersetzung beteiligt. Ihr vorrangiges Ziel war es, die Verabschiedung eines Gesetzes zu verhindern, das Massenentlassungen zulassen würde, um Umstrukturierungen von Firmen zu erleichtern. Der Streik war das Ergebnis des allerersten gemeinsamen Streikaufrufs der KFTU und der immer noch verbotenen KCTU.

Der Generalstreik war nur teilweise erfolgreich. Obwohl die Regierung von Kim Young-sam ihre Massenentlassungspläne ständig aufschob, war die tatsächliche Stärke der Mobilisierung viel geringer als die Gewerkschaften gehofft hatten. Diese Erkenntnis brachte die Gewerkschaften dazu, wieder mit der Regierung zu verhandeln.

Die Gewerkschaften konnten einige Zugeständnisse herausholen (einschließlich der Legalisierung der KCTU), die Korea auf den der Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Praxis der G-7-Länder brachten.

Vom bürgerlichen Standpunkt aus war diese Schlappe, das Gesetz für die Massenentlassungen nicht erzwingen zu können, eine Katastrophe. Die Wirtschaftskrise, die sich im dramatischen Fall der Halbleiterpreise und dem globalen Rückgang der Stahlnachfrage im Jahr 1996 andeutete, wurde von Monat zu Monat ernster. Im Januar erklärte Hambo Steel seinen Bankrott, im August Kia Motors, und im November war die Halla Corporation an der Reihe. Jede der in Konkurs gegangenen chaebols ging mit einem riesigen Schuldenberg unter, in der Regel das sechzehn bis zwanzigfache ihres Nettovermögens.

... ABER DANN AUFGABEN

Die zwei Hauptgewerkschaften hatten ständig mit einem zweiten Generalstreik gedroht, wenn die Nationalversammlung versuchen würde, das Entlassungsgesetz erneut einzubringen. Aber im Januar 1998 erklärten sich beide Organisationen zu einem Drei-Parteien-Gespräch zwischen Gewerkschaften, Wirtschaft und Regierung bereit. Eins der erklärten Ziele dieser Gespräche war es, das Gesetz über die Entlassungen zu einem Abschluß zu bringen.

Dieses Zurückweichen spiegelt den Zusammenbruch des Selbstvertrauens der meisten normalen Koreaner wider. Die politische Situation hatte sich durch den traumatisierenden Effekt der IWF-Rettungsaktion völlig verändert. Vor ihrer aller Augen sahen die Koreaner ihr Wirtschaftswunder sich in Luft auflösen. Als die Wechselkurse des US-Dollars von 880 auf 2000 WON abrutschten, halbierte sich das durchschnittliche Einkommen innerhalb einiger Monate. Im August 1997 lag das durchschnittliche Einkommen bei ungefähr 10.000 US-Dollar, im Dezember eher bei 5000 - ein Niveau, das die meisten Arbeiter als seit zehn Jahren überwunden glaubten.

Die Präsidentschaftswahlen im Dezember 1997 konnten für die Arbeiterklasse zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen. Tragischerweise war der ganze brodelnde Zorn, der sich gegen das Regime von Kim Young-sam richtete, auf die Niederlage der Regierungspartei kanalisiert. Die regimekritische Vergangenheit des erfolgreichen Oppositionskandidaten Kim Dae-jung verlieh ihm größere Glaubwürdigkeit als dem wankelmütigen amtierenden Präsidenten. Die Unterstützung für Kim Dae-jung war in den Gebieten Koreas besonders stark, die das Banner der Demokratie gegen die aufeinanderfolgenden Militärdiktaturen am unermüdlichsten hochgehalten hatten. Welcher Kandidat wäre besser gewesen um die Situation zu stabilisieren?

Das schwache Bild des von der KCTU unterstützten Kandidaten der People's Victory 21, Kwon Young-gil, der etwa ein Prozent der Stimmen bekam, war ein offensichtliches Indiz des realen Zustands des Klassenbewußtseins unter den koreanischen Arbeitern. Nur in Ulsan in der Provinz Süd-Kyongsang (eine der größten Industriestädte der Welt, in der die KCTU sehr stark ist), hatte Kwon Young-gil einigermaßen Erfolg und gewann sechs Prozent der Stimmen.

Aber selbst hier stimmte eine Mehrheit der Arbeiter für den Kandidaten der Regierungspartei, Lee Hoi-chang. Aus regionalen Vorurteilen heraus bevorzugten sie die örtlichen Unterstützer der traditionellen Partei der Militärdiktatur vor dem in Cholla geborenen Kim Dae-jung.

In Kwangju (Cholla) unterstützten erstaunliche 97 Prozent der Wähler Kim Dae-jung, und eine riesige Menschenmenge feierte auf den Straßen den Sieg "ihres Jungen".

Auch die Mehrheit der Studenten stimmte für Kim Dae-jung. Hanchongryon, der koreanische Studentenbund, der von einer pro- Nordkorea-Tendenz dominiert wird, unterstützte den bürgerlichen Regimekritiker im Rahmen ihrer Zwei-Etappen- Theorie für eine sozialistische Revolution in Süd-Korea.

DAS NATIONALE SCHAMGEFÜHL

Kim Dae-jung erklärte sich schnell dazu bereit, die Anfang Dezember ausgearbeitete Kreditvereinbarung mit dem IWF über 57 Milliarden US-Dollar zu respektieren. Dies kennzeichnete den Anfang einer großangelegten Kampagne zur Sparsamkeit und wirtschaftlichem Aufschwung, die sich auf koreanische Traditionen wie Antiimperialismus und bürgerlichen Nationalismus und sogar auf das Angedenken der Olympischen Spiele in Seoul stützte.

Diese Kampagne erlangte weitverbreitete Popularität. In Korea existiert ein echtes nationales Schamgefühl. Das Gefühl des Stolzes auf nationale Leistungen hatte begonnen, den Mangel an Selbstvertrauen durch die Jahre des japanischen Kolonialismus und die Teilung des Landes seit dem Koreakrieg zu überwiegen. Doch dieses Gefühl ist nun stark angeschlagen. Es herrscht sogar ein Unterton der Angst, daß das, was momentan passiert, auf die Verhängung eines durch die USA und Japan arrangierten neuen Kolonialismus hinausläuft.

Im Moment kann die koreanische Bourgeoisie diese Gefühle ausnutzen, indem sie auf Selbstbeherrschung, hartes Arbeiten und die Bereitwilligkeit, Führern blind zu folgen, drängt. Diese Gefühle können und werden nicht ewig anhalten, aber im Augenblick stellen sie ein immenses Hindernis für unabhängige politische Kämpfe der Arbeiterklasse dar.

Am 7. Februar endeten die Drei-Parteien-Gespräche mit der Unterstützung der Gewerkschaftsvertreter für die Einführung der Massenentlassungen. Als Gegenleistung erhielten die Gewerkschaften eine Anzahl von Zugeständnissen. Nach der überarbeiteten Vereinbarung können Firmen nur in "Notfallsituationen" Arbeiter entlassen, wie z.B. bei finanziellen Schwierigkeiten oder im Fall von Fusionen oder Übernahmen. Die Vereinbarung bedingt außerdem, daß das Management die Arbeiter 60 Tage vor geplanten Entlassungen benachrichtigen und das Arbeitsministerium informieren muß. Die Arbeitgeber werden zudem gebeten zu versuchen, entlassene Arbeiter erneut einzustellen, wenn die Geschäfte besser gehen. Die Gewerkschaften haben nun das Recht, sich politisch zu betätigen. Lehrern wird es ab Juli 1999 erlaubt sein, Gewerkschaften zu gründen. Dieses Zugeständnis ist die de facto Anerkennung der ehemals illegalen Chongyojo (National Teachers and Educational Workers Union). Staatsbediensteten ist es ab 1999 ebenso erlaubt eine "beratende Körperschaft" zu gründen. Der Fonds der Arbeitslosenversicherung ist auf fünf Milliarden Won festgesetzt (1 Won = 1,20 DM), was 23 Prozent der bedrohten Arbeiterschaft abdeckt.

Das Gremium entschied, die Diskussion über die Zahlung der Löhne von freigestellten Gewerkschaftern durch die Arbeitgeber aufzuschieben. Das Drei-Parteien-Gremium wird eine dauerhafte Einrichtung, deren Vorsitz der Präsident hat.

DIE KRISE DER KCTU

Aus Sicht der KCTU-Aktivisten ist das größte Problem der Vereinbarung nicht der genaue Inhalt der Bedingungen, sondern die Tatsache, daß die Gewerkschaftsführer unterschrieben haben, ohne zuerst Rücksprache mit der restlichen KCTU-Mitgliedschaft gehalten zu haben. Am folgenden Tag stimmten 67 Prozent der 272 KCTU-Vertreter dafür, die Zustimmung ihrer Gewerkschaft für nichtig zu erklären. Sie lösten die Leitung auf und ersetzten sie durch ein spezielles Notstandskomitee unter Vorsitz von Tan Byong-ho, dem Vorsitzenden der koreanischen Metallarbeitergewerkschaft. Es wurden Pläne für einen Generalstreik gemacht, der am 13. Februar beginnen sollte. Es ist nicht überraschend, daß der IWF die Warnung aussprach, daß Arbeiterunruhen das Vertrauen von Investoren unterminieren würde, was zu neuer Devisenflucht und weiteren Konkursen führen würde. Die KCTU berief ein außerordentliches, achtstündiges Treffen ein und entschied, den Streik abzublasen.

Die Gewerkschaft war nicht so sehr beeinflußt von der Bedrohung durch strenge Repressalien der Regierung, als vielmehr vom Gefühl, daß der Streik selbst nicht umfangreich genug unterstützt werden könnte. Der Wortführer der KCTU, Chong Song-hi, sagte: "In Anbetracht der öffentlichen Sorge, daß Arbeiterkämpfe die finanzielle Krise vorantreiben würden, haben wir entschieden, den Streik abzusagen."

Um die Sache noch schlimmer zu machen, fuhr die KCTU fort zu erklären, daß sie streiken würden, wenn das Gesetz die Nationalversammlung passieren würde. Aber als dies am 16. Februar passierte, tat die Gewerkschaft nichts.

Die Gewerkschaften haben eine schwere Niederlage erlitten - in einer Situation, in der eine Niederlage ohnehin das wahrscheinlichere Resultat war.

Es gibt natürlich noch die Möglichkeit eines wilden Streiks, vor allem bei dem Teil der Arbeiter, die sich tatsächlich mit Entlassungen oder einem Management konfrontiert sehen, das die Bedingungen der Vereinbarung nicht einhält. Der Widerstand könnte wirksam sein, da die Regierung nicht derart neoliberal ist, daß sie untätig daneben steht, wenn Firmen Bankrott gehen. Das Arbeitsministerium hat bereits davor gewarnt, daß ungerechtfertigte Entlassungen bestraft werden. Z.B. steht die Kia Corporation nun unter dem Schutz der Regierung, während ein neuer Besitzer gesucht wird.

MILITANZ ODER MÄSSIGUNG?

Dennoch sind die Aussichten auf militante Kämpfe begrenzt. Bis sich eine neue Stimmung des Grolls und der Verbitterung unter den Arbeitern und den kleinen Geschäftsleuten verbreitet hat gegen das, was in Korea tatsächlich (entgegen den Behauptungen der neoliberalen Ideologen) passiert, werden die kämpferischen Gewerkschafter nur eine kleine Zuhörerschaft finden. Eine Möglichkeit wird aber die Nominierung von Arbeiterkandidaten in Arbeiterstädten wie Ulsan und Taejon für die Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen am 4. Juni sein.

Wenn sich unter den koreanischen Arbeitern wieder Militanz regt, werden sie sich mit den typischen Problemen auseinandersetzen müssen, denen die Gewerkschaftsbewegung in den meisten industrialisierten Ländern ins Auge blicken muß: eine hohe Arbeitslosenrate, besonders unter den Jugendlichen und den Studenten; die verheerenden Auswirkungen von Arbeitsplatzverlust und -verlagerung, vor allem für ältere Arbeiter; und eine verminderte Fähigkeit zu langangelegtem Widerstand in der Schicht der weniger klassenbewußten Arbeiter.

Aber es wird auch größere Freiheiten für politische Kämpfe geben, die zum ersten Mal auch Lehrer und evtl. die niedrigeren Dienstgrade der Regierungsbeschäftigten miteinbeziehen könnten.

Die Glaubwürdigkeit und die Macht der Agency for National Security and Planning (dem koreanischen Geheimdienst) schwindet, da die Enthüllungen über ihre offensichtlich antidemokratischen Praktiken in der Bevölkerung immer bekannter werden. Die Abneigung gegen den Kapitalismus und den bürgerlichen Fortschritt wird unter Jugendlichen und Studenten immer größer.

All dies vergrößert die Wahrscheinlichkeit des Bruchs zwischen den fortschrittlichen Koreanern, die weiterhin Kim Dae- jung unterstützen, und denen, die mit ihm brechen. Das könnte zur Entstehung einer Arbeiterpartei mit Massenbasis beitragen und vielleicht sogar das Ende des Monopols der selbstgewählten stalinistischen Führer der Studentenbewegung bedeuten: eine Manifestation des politischen Kompromisses, den Präsident Kim verkörpert.

Es gibt eine kleine Chance, daß in den kommenden Wochen Arbeiterkämpfe ausbrechen, da die traditionellen Frühjahrsverhandlungen über neue Verträge anstehen. Aber es ist viel wahrscheinlicher, daß der Wiederbeginn von Klassenkämpfen gegen Ende der einjährigen Gnadenzeit, die sich Präsident Kim Dae-jung nach seinem Wahlsieg letzten Dezember erbeten hatte, stattfindet.


Aus: International Viewpoint Nr. 299 (April 1998)
Übers.: Saskia Schuhmann

Dieser Artikel erscheint in Inprekorr Nr. 320.