"An alle kämpfenden indonesischen Patrioten"

Im Februar richtete sich die verbotene Demokratische Volkspartei (PRD) mit einem Aufruf an das von Diktatur und Wirtschaftskrise geplagte Volk. Während wir diese Ausgabe der Inprekorr fertigstellen, erreichen die Unruhen in Indonesien täglich neue Radikalität und der Rücktritt des Diktators Suharto scheint unmittelbar bevorzustehen. Doch durch wen oder was soll er ersetzt werden?

Aufruf der PRD:

Das Suharto-Regime, das die kapitalistischen Interessen der Suharto-Familie und ihrer Verwandten vertritt, ist die Ursache der Zerstörung der Ökonomie des Volkes. Seit seine Machtübernahme gelang es Suharto, den Wohlstand des Volkes für die Interessen seiner Familie auszubeuten. Die Widersprüche der ökonomischen und politischen Interessen des Imperialismus in Indonesien haben zur Zerstörung der indonesischen Ökonomie mit beigetragen.

Die korrupte und manipulative Suharto-Regierung hat ein kapitalistischen System hervorgebracht, das verfault und ineffizient ist. Die (von der Suharto-Familie) verursachten Privatschulden können von den Interessen des internationalen Kapitalismus (Imperialismus), die in diesem Fall vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank vertreten werden, nicht mehr länger toleriert werden.

Aber während die von IWF und Weltbank angebotene Lösung im Interesse des Imperialismus (USA und Europa) liegt, repräsentiert Suhartos Alternative, das Währungsbeirat-System[1], ausschließlich die Interessen von Suhartos Familie, seinen Verwandten und den einheimischen Kapitalisten. Doch beide Lösungen sind weit entfernt von den ökonomischen Interessen des Volkes.

Der internationale Kapitalismus (Imperialismus), vertreten durch IWF und Weltbank, will sicher einen ökonomischen und politischen Wechsel in Indonesien. Der Imperialismus will ein neues Regime, das das effiziente Wirken des internationalen Kapitalismus in Indonesien sichern und die indonesische Ökonomie vollständig kontrollieren kann. Die Wünsche des Imperialismus, in diesem Fall von IWF und Weltbank, sind inkonsistent, weil es keine Opposition gibt, die Suharto wirklich ersetzen und zugleich die imperialistischen Interessen in Indonesien schützen könnte.

Ein Währungsbeirat, wie er vom Suharto-Regime immer noch erwogen wird, liegt im Interesse der Wiederherstellung der Wirtschaftsmacht von Suhartos Familie und Verwandten. Es ist klar, daß sie ihre private Wirtschaftsmacht durch ausländische Kredite wieder aufbauen wollen. Aber die Abzahlung der Kredite wird dem Volk, dem Staat überlassen. Das ist dieselbe Habgier, die jetzt schon seit über 30 Jahren das Volk und das Land aussaugt.

Der Beratende Volkskongreß[2] ist eine Marionette Suhartos, die nur bezahlt wird, damit er an der Macht bleibt. Aber dieser Kongreß wird sich als ein Grab erweisen, das Suharto selbst für sich und das von ihm geschaffene politische System der Neuen Ordnung geschaufelt hat, denn das Volk wird sich weiter gegen die Diktatur erheben, bis zum letzten Blutstropfen.

Die Verschlechterung der ökonomischen und politischen Situation wird zu einem totalen Bankrott führen. Indonesien ist kein sicherer Ort für Kapitalinvestitionen, solange Suharto an der Macht ist. Die internationale Gemeinschaft hat keine andere Wahl, als den Kampf des Volkes zum Sturz Suhartos zu unterstützen und dem Volk zu helfen, ein demokratischeres ökonomisches und politisches System aufzubauen.

Oppositionelle wie Megawati Sukarnoputri[3], Amien Rais, Emil Salim, Sri Bintang Pamungkas und Budiman Sudjatmiko haben an Selbstvertrauen gewonnen, da es eine immer stärkere Volksbewegung zum Sturz Suhartos gibt. Doch diese Oppositionspolitiker werden die Unterstützung des Volkes nur bekommen, wenn sie konsequent und bereit sind, den Kampf des Volkes für die Souveränität des Volkes zu unterstützen, und wenn sie den Mut haben, Risiken einzugehen, sich zu vereinigen und gemeinsam mit dem Volk die Suharto-Diktatur zu stürzen.

Im Verlaufe der sich entwickelnden Massenkämpfe hat das Volk den in Erscheinung tretenden Oppositionspolitikern wenig Beachtung geschenkt. Obwohl es viele Oppositionspolitiker gibt, gibt es auch viele, die nicht bereit sind [mit dem Volk zu kämpfen], weil sie sich vor Suhartos Drohungen fürchten. Inzwischen verschlimmert sich das Leiden des Volkes. Der Hunger nimmt zu, die Preise steigen und auf den Menschen wird herumgetrampelt. Das Volk will nicht nur die Suharto-Diktatur ersetzen, es will auch das ökonomische und politische System reorganisieren und es durch ein System ersetzen, das für das Volk und eher in der Lage ist, Volkssouveränität, soziale Gerechtigkeit und Demokratie zu sichern.

Das Volk glaubt jetzt, daß die einzige Lösung für die indonesische Nation der Sturz der Suharto-Diktatur ist. Wenn es keinen Weg gemäß der Verfassung mehr gibt, weil sie zerstört und volksfeindlich geworden ist, wird das Volk sich mit dem Gesetz der Revolution bewegen. Das ist ein Volksaufstand, um die Suharto-Diktatur, die Regierung und all ihre nichtsnutzigen und verfaulten Institutionen durch eine souveräne Volksregierung zu ersetzen, die gerecht und demokratisch ist. Nur auf diesem Weg kann politische und wirtschaftliche Demokratie vom Volk aufgebaut werden.

Die von Suharto bestochenen Marionettenparlamente MPR und DPR[4] müssen vom Volk ersetzt werden. Ein unabhängiger und souveräner Volksrat (Dewan Rakyat) muß gebildet werden, um die Funktion der Marionettenparlamente zu ersetzen. Er muß auf allen Ebenen gebildet werden: in den Dörfern, Siedlungen und Städten, auf Bezirks-, Kreis-, Provinz- und Staatsebene. Volksräte müssen auch in den Universitäten, Schulen, Fabriken und Büros gebildet werden.

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DIE DRINGENDSTEN AUFGABEN IN INDONESIEN

1. Bildet Unabhängige Volksräte in allen Regionen und an allen Arbeits- und Studienplätzen.

Alle Menschen, die für Demokratie kämpfen, müssen Unabhängige Volksräte bilden. In den Räten sollten örtliche Vertreter und Vertreter aller arbeitenden Gruppen sitzen, aller [ökonomischen] Sektoren und Berufe, der [politischen] Parteien und unabhängigen Massenorganisationen, die mit dem Volk für Demokratie kämpfen wollen. Diese Räte werden das höchste Instrument des Kampfs des Volkes sein, weil sie auf Initiative des Volkes gebildet werden. Die erste Aufgabe der Räte ist es, Führer des Volkes zu bestimmen, die ehrlich, mutig und bereit [für das Volk zu kämpfen] sind.

2. Bringt weiter die Forderungen des Volkes zu den Herrschenden!

Benutzt alle Kampfformen, um die zentralen Forderungen [des Volkes] an die Regierung heranzutragen. Die zentralen Forderungen des Volkes sind:

3. Führt Proteste und Streiks durch!

Das Volk muß weiterhin überall Widerstand durch Streiks leisten: in den Universitäten, Fabriken, Büros und Schulen. Besetzt und kontrolliert all diese Orte! Beendet jegliche Produktionsarbeit, jeden Transport oder Unterricht, sofern diese gegen das Volk gerichtet sind. Beginnt allgemeine Streiks auf Ebene der Städte, der Provinzen und des Staates in allen [ökonomischen] Bereichen. Die Forderungen aller Sektoren, Berufe und Regionen müssen zusammen mit den zentralen Forderungen des Volkes angegangen werden.

4. Beendet die Konflikte im Volk und vereint euch, um Suharto zu stürzen!

Beendet die Konflikte und den Haß zwischen religiösen und ethnischen Gruppen, zwischen Chinesen und Nicht-Chinesen. Diese Konflikte sind politisch gesteuert von Suharto um die eine gegen die andere Seite auszuspielen. Ziel dieser Manipulation ist es, die Tatsache zu verschleiern, daß Suharto die Ursache aller Probleme und des Leidens des Volkes ist, um so Suharto zu retten. Das Volk muß einig Widerstand gegen Suharto leisten, weil er die Ursache aller Leiden des Volkes ist. Das Volk muß begreifen, daß Suhartos Vermögen mindestens 40 Milliarden Dollar umfaßt. Suharto ist die drittreichste Person [in der Welt] nach Bill Gates (USA) und dem Sultan von Brunei. All dieses Vermögen gehört dem Volk und muß dem hungernden Volk zurückgegeben werden.

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ANWEISUNGEN AN DIE KADER DER PRD

Unsere augenblicklichen Aufgaben sind:

Bleibt weiter fest und bereit, euch am Volkskampf zu beteiligen, bis das Volk siegt und die volle Macht erringt.

Alles was wir erlitten haben - Tod, Gefängnis, Mißbrauch, Beleidigungen - ist nicht so schlimm wie das Leiden des Volkes. Unser Blut und unsere Tränen werden nur die Flammen des Volkskampfes ausbreiten, um die Suharto-Diktatur zu stürzen und eine wirkliche Demokratie zu errichten.


Im Auftrag des zentrales Leitungskomitee der PRD, Mirah Mahardhika, 20.2.1998

Quelle: ASIET ( http://www.peg.apc.org/~asiet/prdinfo/dewan2.htm)
Übersetzung und Anmerkungen: James Balowski (ASIET), Björn Mertens

Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 320



[1] Anfang des Jahres hatte die Regierung vorgeschlagen, einen Währungsbeirat einzusetzen, um die Rupie bei 5000 zum US-Dollar zu stabilisieren. Dieser Plan war von IWF, Weltbank und den USA heftig kritisiert worden.
[2] Der Beratende Volkskongreß (Mejalis Permusyawaratan Rakyat - MPR) ist das höchste gesetzgebende Gremium, von dessen 1000 Mitglieder nur 425 gewählt, die anderen ernannt werden. Er tritt alle fünf Jahre zusammen (meist ein Jahr nach den allgemeinen Wahlen), um einen Bericht des Präsidenten zu hören, die Allgemeinen Richtlinien der Staatspolitik (Gasir Besar Haluan Negara - GBHN) zu verfügen und über die Ernennung des Präsidenten und des Vizepräsidenten abzustimmen.
[3] Die Absetzung von Megawati Sukarnoputri als Vorsitzende der (legalen) PDI hatte Mitte 1996 zu schweren Unruhen in Indonesien geführt (vgl. Inprekorr Nr. 301). Im Herbst 1996 begannen Prozesse gegen 139 angebliche Rädelsführer. Im April 1997 wurde der Vorsitzende der PRD, Budiman Sudjatmiko, zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.
[4] Die "Repräsentative Versammlung des Volkes" (Dewan Perwakilan Rakyat - DPR), das Parlament, besteht aus 500 Mitgliedern, von denen 425 von den drei offiziell anerkannten politischen Parteien vorgeschlagen und in allgemeinen Wahlen bestimmt werden. Die übrigen 75 nicht-stimmberechtigten Mitglieder sind vom Präsidenten ernannte Vertreter des Militärs, das nicht wählen darf. Die drei zugelassenen Parteien sind die (Staatspartei) Golkar, die (moslemische) Vereinigte Entwicklungspartei PPP und die Indonesische Demokratische Partei PDI.
[5] Die fünf Gesetze zur politischen Repression wurden 1985 verabschiedet. Sie erlauben nur drei politische Parteien, verbieten jede Parteiaktivität in Dörfern und Kleinstädten, erlauben der Regierung, 575 nichtgewählte Mitglieder (davon 75 Militärvertreter) für den MPR zu ernennen, schreiben eine einheitliche Staatsideologie für alle sozialen, politischen und kulturellen Organisationen vor und geben dem Staat das Recht, in alle internen Angelegenheiten von Organisationen einzugreifen.