DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO:

Warum sich beunruhigen über Kabila?

Ein Jahr nach Sturz der Mobutu-Diktatur gibt die Situation in der Demokratischen Republik Kongo Anlaß zu verschiedenerlei Sorge. Doch nicht jede öffentliche Sorge ist auch unsere Sorge.

Eric Toussaint

Lehrpersonal, Beschäftigte im Gesundheitswesen und andere Funktionsträger des Staates seit Monaten ohne Gehalt, neoliberaler Diskurs, Einschränkung der freien Meinungsäußerung für die Opposition (ich spreche nicht von den Mobutisten!) wie für Kräfte, die die regierende Allianz unterstützen, Integration mobutistischer Elemente an der Spitze wie der Basis des Staates, das Fehlen einer nationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Verbrechen gegen Zivilisten in der Zeit vom Beginn der Befreiungsoffensive im November 1996 bis zum Sturz der Mobutu-Diktatur im Mai 1997 - gibt es nicht genügend Grund, sich zu beunruhigen?

Es scheint, als müsse die Antwort positiv ausfallen. In diesem Falle wäre es jedenfalls besser, man würde seine Vorbehalte deutlich machen, als eine Vogel-Strauß-Politik unter Verweis auf die (unbestrittene) Verantwortlichkeit der kapitalistischen Mächte (allen voran Frankreich und Belgien) zu betreiben. Eine solche Kritik steht nicht im Widerspruch dazu, die Anstrengungen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse im Land zu unterstützen.

Sicher, der Sturz der Mobutu-Diktatur und die damit verbundenen Perspektiven für die Menschen im Kongo geben Anlaß, sich zu freuen. Doch dieser Enthusiasmus weicht der Beunruhigung, wenn man die Politik betrachtet, die von den Behörden in Kinshasa eingeschlagen wurde, denn sie scheint nicht darauf ausgerichtet zu sein, die Lebensbedingungen der Massen zu verbessern oder deren Selbstorganisation zu befördern. Angepeilt wird eine "soziale Marktwirtschaft", doch dahinter steckt nichts anderes als die Anerkennung der Interessen der Mächtigen. Im Kongo ist es, wie anderswo, unmöglich, die Interessen von Ausbeutern und Ausgebeuteten miteinander zu versöhnen.

WIRTSCHAFTLICHE SITUATION

Nach Aussagen des im November 1997 von der Regierung in Kinshasa beschlossenen "Programms zur Stabilisierung und Wiederbelebung der Wirtschaft" ist der Umfang der kongolesischen Wirtschaft auf das Niveau von 1958 zurückgefallen, während sich die Bevölkerung seither verdreifacht hat. Der traditionelle Export von Mangan, Palmöl, Baumwolle, Kautschuk, Kupfer, Kobalt und Zink ist in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen, "wenn er nicht ganz verschwunden ist" (sic!). Die inländische Einsenbahnlinie von Shaba nach Matadi und die transkontinentale Linie von Lobito (Angola) nach Daressalam (Tansania) sind nicht mehr in Betrieb. Die Flußschiffahrt, die angesichts der Größe des Landes und der Länge der Regenzeit besonders wichtig ist, steht bei einem Zehntel des Niveaus, das sie in den 50er Jahren erreicht hatte. Drei Viertel aller Straßen sind in einem sehr schlechten Zustand. Und die öffentlichen Fernsehanstalten sind weit davon entfernt zu funktionieren.

SCHWIERIGE LEBENSBEDINGUNGEN

Eine Untersuchung über die Bildungs- und Gesundheitsbedingungen, die die Mobutu-Diktatur hinterlassen hat, förderte Schlimmes zutage. Mindestens 40% der Kinder zwischen 6 und 11 Jahren gehen nicht zur Schule. Unter den Kindern aus ärmeren Familien sind es sogar über 53%, während 93% der Kinder aus reichen Familien die Schule besuchen.

Die Entwicklung seit Ende der 70er Jahre ist dramatisch: Die Rate der Schulbesuche ist von 71,8% in den Jahren 1978/79 auf 58,5% in 1994/95 gefallen. Diese Daten entstammen einer Studie, die 1995 im Auftrag der UN durchgeführt wurde. Dieser Untersuchung zufolge ist der Analphabetismus bei Erwachsenen auf 33% gestiegen (59,9% der Frauen, die in ländlichen Regionen leben, sind Analphabetinnen).

Die Wohnsituation ist noch schlimmer: 78% der Haushalte (97,3% auf dem Land, 22,7% in den Städten) leben in Hütten, deren Boden aus festgetrampelter Erde besteht. Das heißt, daß ein Großteil der Bevölkerung einer Vielzahl von Mikroben ausgesetzt ist, denn solche Böden bilden den idealen Nährboden für Krankheitserreger.

60% aller Haushalte leben in Gebäuden mit einem oder zwei Schlafräumen. Wenn man sich klar macht, daß ein durchschnittlicher kongolesischer Haushalt aus 6 Personen besteht, dann wird deutlich, in welchem Klima der Promiskuität die Mehrheit der Menschen im Kongo lebt.

Die zitierte Untersuchung, die von den Behörden in Kinshasa im November 1997 vorgelegt wurde, schließt mit einer katastrophalen Bilanz: "Es wurde festgestellt, daß Unterernährung bei Kindern sich seit 1991 verdoppelt hat. (.) Das ist nicht verwunderlich, denn eine durchschnittliche Familie ißt nur jeden zweiten Tag ausreichend. (.) Die Impfrate ist gefallen und die Cholera, die auf wenige bäuerliche Gegenden zurückgedrängt war, ist auf dem Vormarsch in den Städten, auch in Kinshasa. Ansteckende Krankheiten wie die Schwarze Pest treten wieder auf, ehemals zurückgedrängte Krankheiten werden wieder alltäglich. Niedrige Einkommen, gepaart mit ungenügenden Gesundheitsausgaben, führen zu einem Anstieg von Todesfällen wegen Unterernährung, Tuberkulose, Typhus, Malaria usw."

In manchen Regionen müssen PatientInnen 80% der Kosten tragen. Unter Mobutu finanzierte der Staat nur 5% der laufenden Kosten des Gesundheitssektors.

DIE FINANZIERUNG DES WIEDERAUFBAUPROGRAMMS

Anfang Dezember 1997 fand in Brüssel die "Konferenz der Freunde des Kongo" statt, an der die Weltbank, VertreterInnen der westlichen Regierungen und von Privatunternehmen teilnahmen. Die Demokratische Republik Kongo war vertreten durch drei MinisterInnen und den Gouverneur der Nationalbank. Den Finanzaufwand, der 1998 nötig sei, um den Wiederaufbau des Landes einzuleiten, schätzte Kinshasa auf 1,3 Mrd. Dollar, von denen 728 Millionen von der Internationalen Gemeinschaft gefordert werden. Auch wenn die Konferenz einen mittelbaren politischen Erfolg für Kinshasa brachte, so besteht doch die Gefahr, daß die wirtschaftlichen Resultate auf sich warten lassen werden. Die USA, die Kabila wohl aktiv unterstützen werden, haben 10 Millionen Dollar Soforthilfe zugesagt und darüber hinaus 20 Millionen für die Zukunft, ein eher symbolischer Betrag. Die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright bestätigte den Betrag von 10 Millionen Dollar wenige Tage später vor der OAU (Organisation der Afrikanischen Einheit) in Addis Abeba und auf ihrer Reise nach Kinshasa. Frankreich hat nicht vor, in der nahen Zukunft etwas zu verleihen oder zu verschenken, und der Vertreter Belgiens verkündete vor der Presse, daß Belgien den MinisterInnen aus dem Kongo einen Scheck in ungenannter Höhe überreicht habe. Die Weltbank hat vorgeschlagen, einen Treuhandfonds einzurichten, in den Staaten und internationale Institutionen einzahlen können. Über diesen Fonds solle Kinshasa verfügen können, vor allem um LehrerInnen und Pflegepersonal zu entlohnen. Die Weltbank hat aber nicht erkennen lassen, daß sie selbst aus ihrer eigenen Kasse Geld zur Verfügung stellen wolle. Kurz gesagt, die Großmächte sind weder heute noch morgen bereit, den Wiederaufbau des Kongo zu finanzieren. Trotzdem hofft man in Kinshasa, wenigstens das Verhältnis zur EU zu normalisieren; die EU könnte bis zu 400 Millionen Ecu bereitstellen. Doch es wäre erstaunlich, wenn EU-Finanzhilfen anders als tröpfchenweise fließen würde. Genaueres wird sich in der ersten Hälfte 1998 zeigen, wenn Britannien den EU-Vorsitz hat (Britannien wird als Kabila-freundlich eingeschätzt; man wird sehen). Die EU könnte 1998 prinzipiell 77 Millionen Ecu für den Kongo freigeben.

KINSHASA ERKENNT MOBUTUS SCHULDEN AN

Eine grundlegende Voraussetzung mußte erfüllt werden: Um die Unterstützung der in Brüssel Zusammengekommenen zu erhalten, mußte Kinshasa das Schuldenerbe annehmen, das Mobutu (sowie die Regierungen des Nordens und die Privatunternehmen, die ihn stützten) hinterlassen hatte. Die Auslandsverschuldung liegt nach Angaben aus Kinshasa und des IWF bei 13 Milliarden Dollar. Und bevor die Demokratische Republik Kongo daran gehen kann, diese Auslandsschuld auch nur minimal zu reduzieren, muß sie zunächst einmal die noch ausstehenden Verpflichtungen des Kongo gegenüber seinen Gläubigern erfüllen (Zaire war seinen Zahlungsverpflichtungen schon seit ein paar Jahren nicht mehr nachgekommen). Dazu aber muß die Republik sich im Ausland Geld leihen, was ihre Gesamtverschuldung noch erhöhen wird. In Brüssel erklärte die Regierung des Kongo deshalb, daß sie eine Kommission auf die Beine gestellt habe, die "feststellen wird, welchem Land der Kongo wieviel schuldet. So wird die Regierung in die Lage versetzt, ihren Partnern die Lösung dieses schwierigen Problems zu ermöglichen." Und sie fügte hinzu, daß "die Regierung nicht hoffen kann, in absehbarer Zeit spürbare Ergebnisse zu erzielen" was die "Neuverhandlung ihrer Außenschuld" anlange.

MASSAKER-VORWÜRFE

Regelmäßig werden gegen Kabila Vorwürfe erhoben, daß die Allianz und ihre Verbündeten in der Zeit 1996/97 Massaker an ruandischen Flüchtlingen begangen hätten.

In Kinshasa hält sich eine Untersuchungskommission der UNO auf: Ihre Handlungsfreiheit und ihre Zusammensetzung waren und sind Gegenstand komplizierter Verhandlungen zwischen der UNO und der Regierung in Kinshasa. Am besten wäre es sicherlich, wenn Kinshasa selbst für Klarheit sorgen und die Schuldigen verfolgen würde.

Viele derjenigen, die die neue Regierung in Kinshasa verleumden - allen voran Emma Bonino von der EU -, versuchen zu beweisen, daß die Truppen der Allianz und ihre ruandischen Verbündeten einen Genozid begangen hätten. Dieser Kampagne muß man entschieden entgegentreten, weil sie darauf zielt, den Genozid zu verharmlosen, der 1994 an einer Million Tutsi in Ruanda begangen worden ist.

Eher mehr als wenige der wirklichen FreundInnen des kongolesischen Volkes meinen, daß solche Massaker mit Tausenden von Toten wirklich stattgefunden haben. Colette Braeckman schreibt nach einer Reise nach Kinshasa: "Die Massaker, denen höchstwahrscheinlich mehrere tausend Flüchtlinge zum Opfer gefallen sind, und der Tod von vielen Tausend im Urwald lasten schwer auf dem Ruf der Regierung. Sie muß auf die Anschuldigungen reagieren und zulassen, daß eine internationale Untersuchungskommission zusammengestellt wird, die immer noch größte Schwierigkeiten haben wird, sich auf dem Gebiet zu bewegen."

EINE AUTORITÄRE FORM DER DEMOKRATIE

Mehrerlei ist beunruhigend: der ungeklärte Tod von Kissasse, einem Mitkämpfer Kabilas, zu Beginn der Offensive 1996. Fortschrittliche Kräfte im Kongo schätzen, daß Kabila einen potentiellen Konkurrenten losgeworden ist, der seinen Einfluß hätte schmälern können. Ende November 1997 wurde Massassu verhaftet. Bis zu diesem Moment war er als der wichtigste militärische Führer der Regierung angesehen worden. Von heute auf morgen ist er verhaftet und schwerer Vergehen beschuldigt worden: Unterhaltung eines Privatgefängnisses, Drogenhandel, sexuelle Delikte. Das ist nicht wenig. Wenn die Anschuldigungen stimmen, stellen sich Fragen: Wie war es möglich, daß ein militärischer Führer und Mitgründer der Allianz so weit gehen konnte? Gibt es andere Fälle? Wie wird Kontrolle ausgeübt? Warum beteuern MinisterInnen und WortführerInnen in Kinshasa, daß Massassu nur ein kleines Rädchen gewesen sei, das seinen Generalsposten unrechtmäßig usurpiert habe?

Des weiteren grenzen einige Äußerungen von MinisterInnen der Regierung ans Absurde, denn sie behaupten, daß es im Lande keine wirkliche Opposition gebe: "Wir sind der Meinung, daß es keine wirkliche Opposition gegen Kabila gibt. All diejenigen, die früher gegen Mobutu gekämpft haben, sind heute automatisch unsere Verbündeten. Hören Sie: Wenn es irgendwann die Möglichkeit gibt, eine Opposition aufzubauen, dann gibt es auch Menschen, die sich als Opposition gegen uns bezeichnen, das ist ganz normal." (Bizima Karaha, Außenminister des Kongo in Le Soir vom 6./7. Dezember 1997)

Solche Deklarationen transportieren einen ganz und gar instrumentalistischen Begriff von Opposition. In der Praxis laufen sie darauf hinaus, jede Hoffnung auf einen grundlegenden Wechsel zugunsten der Massen zu begraben.


Aus: Inprecor Nr. 421 (Februar 1998)
Übers.: Georg Rodenhausen

Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 318