Terrorurteil gegen Herri Batasuna

Die gesamte 23köpfige Führungsgruppe der baskischen Organisation ist am 1. Dezember zu 7 Jahren Gefängnis und jeweils 6000 DM Geldstrafe verurteilt worden. Vorgeworfen wird ihnen nichts als eine Meinungsäußerung.

Von Jean-Louis Michel

Man kann in der Vergangenheit oder auch jüngst Differenzen mit Herri Batasuna gehabt haben, mit ihrer Unfähigkeit, sich von verrückten Aktionen der ETA zu distanzieren, etwa der Ermordung von Miguel Angel Blanco als letztem Beispiel. Aber was jetzt in Madrid geschieht, ist die Bürgerkriegserklärung des spanischen Staates gegen einen ganzen Sektor des baskischen Volkes.

Herri Batasuna (Vereinigtes Volk) ist eine starke, legale politische Formation mit 650 Abgeordneten, davon 18 in Regionalparlamenten und zwei Vertretern aus dem Baskenland und aus Navarra im nationalen Parlament. Bei den letzten Regionalwahlen erhielt sie 12,2% der Stimmen im Baskenland. Es ist die Führung dieser Organisation, welche die Regierung Aznar vermittels ihr willfähriger Gerichte enthaupten will - und das ist genauso dumm wie unannehmbar.

Unannehmbar vor allem, weil der ganze vorgeschobene Vorwand nach einer geschickten Ausnützung aktueller Umstände aussieht. Die Führung von Herri Batasuna war angeklagt worden, auf ihren öffentlichen Versammlungen im Wahlkampf 1996 eine Videokassette benutzt zu haben, auf der man vermummte Vertreter der ETA sehen kann, die ihre Forderungen nach einer Amnestie für die Gefangenen, nach Rückzug der bewaffneten Kräfte des spanischen Staats aus dem Baskenland und für die Wiederangliederung Navarras an das autonome Baskenland unterstreichen. Kurz gesagt, ein verschleiertes Meinungsdelikt hinter der Anklage der "Zusammenarbeit mit einer kriminellen Organisation".

Unannehmbar auch, weil das Skandalurteil den Begriff "kollektive Verantwortung" übelsten Angedenkens in die Rechtsprechung einführt. Die 23 Leitungsmitglieder sitzen im Gefängnis für ein konstruiertes Delikt, ohne daß ihnen ihre Beteiligung daran nachgewiesen worden wäre. Ihre Verteidigung hat sich natürlich vergeblich auf dieses elementare Rechtsargument berufen. Dies hat praktisch große Bedeutung, weil unabhängig von jeder politischen Wertung, das Urteil dieses Gerichts von jedem "Demokraten" nur als eine Verweigerung von Gerechtigkeit verstanden werden kann, die einen schwerwiegenden Präzedenzfall in Europa darstellt.

Dumm ist das Urteil schließlich, weil es Kurs auf eine größere Provokation nimmt und Feuer an das baskische Pulverfaß zu legen droht. Der Teufelskreis von Repression-Attentaten-Repression könnte in noch schnellere Drehung versetzt werden. Dies unterstreicht den Willen Madrids, um jeden Preis natürlich mit der ETA zu kämpfen, aber auch mit einem nicht vernachlässigbaren Teil des baskischen Volkes. Es ist nicht ohne Risiko, eine Formation aufzulösen, egal welche, die mehr als zehn Prozent der Bevölkerung vertritt. Madrid zieht also die Zügel der "Unterdrückung" an, was im Baskenland als um so verabscheuungswürdiger empfunden wird, als die meisten spanischen Organisationen von der Rechten bis zur [sozialdemokratischen] PSOE ihre wilde Freude über den Schlag gegen Herri Batasuna äußern, ohne jede Rücksicht auf die eingesetzten Ausnahmemaßnahmen. Zu den wenigen glücklichen Ausnahmen von diesem Chor der Einigkeit gehört die Stellungnahme der Izquierda Unida (IU - Vereinigte Linke), die von einem "Schritt zurück vom Pfad der Befriedung" spricht und eine "Rechtsprechung zur Einschränkung der Meinungsfreiheit" kritisiert. Für den 15. Dezember ist ein Generalstreik im Baskenland angekündigt.


Gekürzt aus: Rouge, 4.12.1997
Übers.: Björn Mertens
Hintergrundinformationen zum Prozeß gegen Herri Batasuna im Internet unter http://www.contrast.org/mirrors/ehj/html/hb3.html.
Dieser Artikel erscheint in Inprekorr Nr. 315.