Palästina

Jassir Arafat: Symbol des Widerstandes

Am 11. November 2004 ist Jassir Arafat (der den PalästinenserInnen lange unter dem Namen Abu Amar bekannt war) im Hospital Percy de Clamart im Departement Hauts-de-Seine bei Paris verstorben. Er war die entscheidende politische Figur der Fatah (die vorherrschende politische Gruppierung der palästinensischen Nationalbewegung), sowie Vorsitzender der Organisation zur Befreiung Palästinas (PLO), seitdem sich diese Organisation nach dem Sechs-Tage-Krieg von ihrer ägyptischen Schutzmacht (unter Nasser) emanzipiert hat. Er wurde im Rahmen des Abkommens von Oslo 1993 zum Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde gewählt, und sein Name wird mit den vergangenen vierzig Jahren der Geschichte der Palästinenser verbunden bleiben.

Michel Warschawski

Noch vor zwei Jahren war ich vielleicht der einzige linke Israeli, der ihn nie getroffen hatte. Nicht aus Gründen eines Boykotts oder einer Aversion gegen den Vorsitzenden der palästinensischen Nationalbewegung, sondern weil ich zwar politische Diskussionen und Treffen von und mit AktivistInnen schätze, die protokollarischen Treffen und Einladungen mit den Großen der Welt jedoch fliehe.

Vor zwei Jahren beschloss ich, Arafat einen Besuch abzustatten, als er von meiner Regierung im von ihr verwüsteten Hauptquartier ausharrte. In seinem Gefangenenlager symbolisierte er einmal mehr das Los des ganzen Volkes. Und genau deshalb repräsentierte er mehr als jeder andere die palästinensische Nationalbewegung, war er Ziel des Hasses der Israelis und der Liebe der großen Mehrheit seines Volkes. Jenseits der Kritiken (die sehr zahlreich sind) an seiner naiven Verhandlungsführung mit den Israelis, an der bürokratischen Verwaltung der Gebiete durch die PLO und an den großen Korruptionsproblemen und der im Dunklen liegenden Verwaltung der Finanzen der Palästinensischen Autonomiebehörde ist und bleibt er in der Geschichte und im Herzen seines Volkes der Vater der Anerkennung der Palästinenser als Nation und der Vater des Kampfes für seine Freiheit und Unabhängigkeit.


Ein Mann der Verantwortung


Sicherlich war Arafat kein Nelson Mandela und noch weniger ein Ho Chi Minh, noch nicht einmal ein Gamal Abdel Nasser oder ein Ahmed Ben Bella. Aber, wie Yitzhak Frankental, der Zionist und praktizierende Jude, Aktivist des Komitees der Eltern der israelischen Opfer in einem Nachruf schrieb, verglichen mit den israelischen Politikern war er ein Riese. Er hat schmerzhafte Entscheidungen getroffen und sie gegen den Druck von allen Seiten verteidigt. In einer Zeit, wo sich die große Mehrheit der Politiker der ganzen Welt einzig nach Meinungsumfragen richtet, in einer Zeit, wo das abgegebene Versprechen in der Diplomatie keinerlei Wert mehr besitzt, war Jassir Arafat ein Führer, der verantwortliche Entscheidungen traf – und auch den Misserfolg in Kauf nahm.

Für die Palästinenser wird Jassir Arafat zumindest drei große Verdienste gehabt haben. Erstens hat er nicht geduldet, dass trotz des massiven Drucks und der Drohungen, ihn seine Haltung teuer bezahlen zu lassen, ein Bürgerkrieg unter den Palästinensern ausbrach. Dafür sah er sich eines richtiggehenden internationalen Boykotts ausgesetzt und wurde schließlich in seiner Muqata’a eingesperrt. Sodann hat er sich, trotz des von den imperialistischen Mächten ausgeübten Drucks und den scharfen Drohungen eines Ehud Barak (dem Ministerpräsidenten der Arbeitspartei, dessen Politik es Ariel Scharon ermöglichte, das Ruder der Regierung zu übernehmen) im Verlauf der Verhandlungen von Camp David, geweigert, den vom Palästinensischen Nationalkongress in Algier beschlossenen „historischen Kompromiss“ zu verwässern. Jener Kompromiss hatte zur Osloer Prinzipienerklärung geführt und war auf die Resolutionen der UNO (über die Räumung der besetzten Gebiete von 1967 durch Israel und über die Flüchtlinge) gegründet. Schließlich verteidigte er den Laizismus, eine Sicht des palästinensischen Staates, in dem es eine reale Koexistenz zwischen Männern und Frauen unterschiedlicher Konfessionen geben sollte, was in der arabischen Welt von heute durchaus keine Selbstverständlichkeit ist.

Für die Israelis war er der Mann, der auf der Grundlage eines höchst generösen Kompromisses und eines wirklichen Willens zur Versöhnung (der für viele bereits zu viel des Guten war) eine Legitimität als Nation und die Möglichkeit eines souveränen Staates in der arabischen Welt anbot. Die übergroße Mehrheit der Israelis war völlig unfähig, ihn zu verstehen. Eines Tages werden sie dies noch bereuen. Hoffen wir, dass es dann nicht zu spät sein wird.

Übersetzung: Paul B. Kleiser
Michel Warschawski war von 1971-1984 Herausgeber der marxistischen Zeitschrift Mazpen. 1984 gründete er in Jerusalem das Alternative Information Center (AIC), dessen Direktor er bis 1999 war. Seit 2001 vertritt er das AIC im International Council of the World Social Forum. Auf deutsch sind in diesem Jahr bei Nautilus in Hamburg seine beiden Bücher An der Grenze und Mit Höllentempo. Die Krise der israelischen Gesellschaft erschienen. (Anm. d. Übersetzers).



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr.