Ökologie

Von Bali nach Kopenhagen – zwei entscheidende Jahre für das Klima

Auf der Klimakonferenz von Bali sollten die Weichen für ein Kyoto-Nachfolgeabkommen gestellt werden. Es kam zur Konfrontation, und die Konferenz musste um einen dreizehnten Tag verlängert werden.

Daniel Tanuro

In seinem vierten Bericht, der Anfang November abgeschlossen wurde, hat der Weltklimarat (IPCC), erneut seine Analysen bekräftigt und drei Bedingungen aufgezählt, die zu erfüllen sind, um zu verhindern, dass die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde um mehr als 2 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit ansteigt:

  1. Der Ausstoß von Treibhausgasen durch die Industrieländer muss bis 2020 um 25 % bis 40 % verringert werden.

  2. Der Höchststand der Emissionen muss in den kommenden 10 bis 15 Jahren erreicht sein und dann fallen.

  3. Schließlich müssen sie bis 2050 um 50 % bis 85 % reduziert werden.

Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt würden, wenn also die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre den Wert von 450–490 ppmv in CO2-Äquivalenten ausgedrückt überschreiten würde, wäre das Risiko größer als 50 %, dass die Temperatur um mehr als 2 °C steigt, vielleicht sogar 4 °C oder mehr. Ein Anstieg dieser Größenordnung hätte kurz-, mittel- und langfristig katastrophale und teilweise unumkehrbare ökologische und soziale Konsequenzen. Diese von mehreren hundert Wissenschaftlern aus der ganzen Welt formulierte Diagnose wurde wenige Tage vor der für Anfang Dezember in Bali (Indonesien) einberufenen UN-Klimakonferenz bekannt. Um die Situation besser zu verstehen, soll kurz an den politisch-institutionellen Rahmen dieser Versammlung und ihre speziellen Ziele erinnert werden.

1992 wurde in Rio die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) beschlossen. Zwei Punkte aus diesem Dokument sind besonders wichtig:

  1. Es betont die Notwendigkeit, zu verhindern, dass die „anthropische” [menschengemachte – d. Üb.] Veränderung des Klimas ein „gefährliches” Niveau erreicht (ohne allerdings dieses Niveau genau festzulegen.

  2. Es stellt eine „gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung” aller Länder für den Klimawandel fest (was insbesondere bedeutet, dass die entwickelten Länder die Hauptverantwortlichen sind und daher die Hauptanstrengungen tragen müssen).

Die Rahmenkonvention wurde von allen Staaten unterzeichnet. Jedes Jahr findet eine „Vertragsstaatenkonferenz” der Unterzeichnerstaaten („COP” in der klimapolitischen Fachsprache) statt.

Im Rahmen der UNFCCC wurde 1997 in Kyoto ein Protokoll verabschiedet. Dieses Protokoll, dessen Ratifizierung die USA und Australien verweigert haben, erstreckt sich nur auf die Zeit von 2008 bis 2012. Darüber hinaus sind seine Ziele sehr begrenzt: 5,2 % Emissionsminderung durch die Industrieländer (theoretisch, praktisch sogar noch 1,7 % weniger). Die Staaten, die das Protokoll ratifiziert haben, halten spezielle Treffen ab („MOP” in der Fachsprache). In der Praxis werden COP und MOP zur selben Zeit und am selben Ort organisiert. Die Tagung in Bali war also eine doppelte Zusammenkunft: von COP und MOP.


Die Ziele von Bali


Um zu verstehen, worum es bei dieser Konferenz ging, muss man die zeitlichen Rahmenbedingungen betrachten. Für den Abschluss eines neuen Klimaabkommens, das ohne Lücke an das Kyoto-Protokoll anschließt, benötigen die Regierungen Zeit zum Verhandeln; danach benötigen die Parlamente Zeit zum Diskutieren und Ratifizieren. Der Zeitrahmen ist also sehr eng. Ziel von Bali war eine Einigung zwischen allen Seiten über eine „Roadmap”, mit anderen Worten über Programm, Prozedere, Zeitplan und Fristen der Diskussionen über ein Abkommen zum Kampf gegen den Klimawandel nach 2012. Diese Aufgabe versprach, sehr schwierig zu werden.

Die Hindernisse waren zahlreich und erheblich. Erstens widersetzt sich die Bush-Regierung seit Jahren allen quantitativen Reduktionszielen für Treibhausgase und verlangt, dass auch die großen Entwicklungsländer (Indien, China, Brasilien, Südafrika, Mexiko) verbindlichen Anstrengungen im Rahmen des Kampfs für das Klima unterworfen werden. Zweitens haben unter den Industrie- und „Übergangsländern” (den Ländern des früheren Ostblocks), die Kyoto ratifiziert haben, mehrere Regierungen entgegen offizieller Erklärungen den Fuß auf der Bremse und sehen die negative Rolle der USA gar nicht ungern. Drittens scheinen die großen Schwellenländer in den letzten Jahren von den sogenannten entwickelten Ländern nicht gedrängt worden zu sein, einer Klimastrategie zuzustimmen, die Einschränkungen für die wirtschaftliche Entwicklung mit sich bringen könnte Viertens fordern die ärmsten Länder, die zugleich am stärksten von der Erwärmung betroffen sind, Maßnahmen seitens der reichsten Länder, insbesondere zur Hilfe bei der Anpassung an ein Phänomen, für das sie nicht verantwortlich sind.


Welche Bilanz?


Während der zweiwöchigen Konferenz konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf das Kräftemessen zwischen der Europäischen Union (EU), unterstützt von den sogenannten „Entwicklungsländern” („Gruppe der 77 plus China”), auf der einen und den Vereinigten Staaten, unterstützt von einigen anderen Ländern, auf der anderen Seite. Die EU hat praktisch vorgeschlagen, dass das Ziel einer Emissionsminderung der Industrieländer um 25 % bis 40 % explizit in der „Roadmap” festgeschrieben wird. Die Vereinigten Staaten haben sich dem mit aller Kraft widersetzt. Kanada, Japan und Russland haben sie dabei unterstützt (der kanadische Umweltminister ließ sich auf Bali von Vertretern der Erdöl- und Kohlegesellschaften begleiten, nicht aber von Vertretern der NGOs). Australien, das sich kurz vor Eröffnung der Konferenz entschlossen hatte, das Protokoll zu ratifizieren, nahm eine Zwischenposition ein. Am Ende wurde in dieser Frage ein Kompromiss erreicht: die quantitativen Ziele des IPCC werden in der Roadmap nicht explizit erwähnt, aber der Text spricht von der „Dringlichkeit, auf den Klimawandel zu reagieren, wie es im vierten Bericht des IPCC ausgeführt ist”. Und in einer Fußnote werden genau die Seitenzahlen des Berichts genannt, wo die Ziele festgelegt sind.

Die Tatsache, dass diese quantitativen Ziele nicht direkt und explizit in der „Roadmap” wiedergegeben wurden, hat einige zu der Schlussfolgerung geführt, die Konferenz habe nichts gebracht und sei ein Sieg der Vereinigten Staaten. Diese Ansicht wurde besonders deutlich von George Monbiot im Guardian zum Ausdruck gebracht: „We have been suckered by the US, once again”, also etwa: „Wir sind von den USA verschaukelt worden, wieder einmal mehr)”. [1] Doch diese Analyse ist zu bezweifeln. Die Anerkennung der quantifizierten Empfehlungen des IPCC ist natürlich entscheidend, aber die Konzentration der Medien auf diese Frage hat eine Art Pseudodebatte ausgelöst. Tatsächlich wussten die Europäer genau, dass sie den Vertretern der Vereinigten Staaten ein solch ebenso spektakuläres wie symbolisches Ziel nicht aufzwingen könnten. Durch die Forderung, die quantifizierten Ziele, insbesondere das erste (Reduktion der Emissionen der Industrieländer um 25 % bis 40 % bis zum Jahre 2020), in den Text der „Roadmap” aufzunehmen, hat die EU die USA stark isoliert, so dass die Vertreter Washingtons mit Unterstützung der Länder des Südens unter maximalen Druck gesetzt wurden, dem sie letztlich nicht mehr Stand halten konnten.

Die Konferenz war also aus Sicht der Veranstalter kein Fehlschlag. Es wurde beschlossen, einen Nachfolgevertrag für Kyoto auszuarbeiten. Diese Entscheidung bindet alle Regierungen, auch die der Vereinigten Staaten. Ein Zeitplan wurde beschlossen: Der neue Vertragsentwurf soll im Dezember 2009 auf der fünfzehnten Vertragsstaatenkonferenz (COP 15) vorliegen. Der generelle Inhalt dieses Abkommens ist relativ eindeutig festgelegt: Es soll ein „langfristiges Ziel” zur „Stärkung der Umsetzung der Konvention” (UNFCCC) „mit dem Zweck der Erreichung ihrer Ziele” (Verhinderung einer gefährlichen Verschlechterung des Klimas) fixiert werden, und dies wird „erhebliche Verringerungen der globalen Emissionen”. erfordern.


Niederlage für die Bush-Strategie


Wenn man vom Gesichtspunkt des Schlagabtauschs zwischen dem Pro- und Contra-Kyoto-Lager oder zwischen EU und USA ausgeht, sind die Beschlüsse der Konferenz eher zu Gunsten der ersten ausgefallen. Neben der indirekten Einbeziehung der IPCC-Empfehlungen über den Umweg einer Fußnote sind in der Tat zwei Punkte hervorzuheben:

Diese Entscheidungen sind relativ überraschend. Man könnte denken – wie auch der Autor dieser Zeilen –, dass nichts Wichtiges geschehen wird, solange Bush im Weißen Haus sitzt. Stattdessen nimmt der Kompromiss von Bali eher die Wende der US-Klimapolitik vorweg, die man nach den nächsten Präsidentschaftswahlen in diesem Land erwartet. Um das zu erklären, müssen drei Faktoren berücksichtigt werden:

  1. Zunehmende Isolation der Bush-Strategie in den USA selbst. Genau zum Zeitpunkt der Eröffnung der Bali-Konferenz begann der US-Senat die Beratung der Warner-Lieberman-Gesetzesinitiative zum Klimawandel. Dieser Text, der nach Meinung des Economist [2] sehr wahrscheinlich Grundlage der künftigen Politik der USA auf diesem Gebiet werden dürfte, verlangt Emissionsminderungen in einer Reihe von Branchen, die 80 % der US-amerikanischen Wirtschaft umfassen, mit dem Ziel, die Emissionen der USA bis 2050 um 70 % zu senken. Es gibt nicht weniger als sechs Gesetzesinitiativen zum Kampf gegen den Klimawandel in den Vereinigten Staaten, und alle befürworten das, was Bush ablehnt: quantitative, verbindliche Reduktionsziele mit einem Zeitplan für deren Umsetzung. Was dahinter steckt, ist das Umschwenken der herrschenden Klasse, hauptsächlich bestimmter Schlüsselsektoren des „Big business”. Ein wichtiges Beispiel ist das Einschwenken des Verbands der Stromerzeuger Anfang 2007 auf die Idee einer verbindlichen Kontingentierung der Emissionen. Immer mehr Großunternehmen wollen Quoten und einen langfristigen Plan. „Wirtschaftslobbyisten fordern „Emissionsziele”, titelte die Financial Times zur Eröffnung der Konferenz von Bali [3]. Das Schreckgespenst eines Ruins der US-Wirtschaft ist dabei zu verblassen. Einerseits fürchten zahllose Unternehmen eine Vorherrschaft ihrer deutschen und japanischen Konkurrenten auf dem Markt der erneuerbaren Energien. Andererseits häufen sich die Studien, die zeigen, dass die Kosten einer Regulierungspolitik nicht überbewertet werden sollten. Laut einer Studie von Mc Kinsey (finanziert insbesondere von der Shell!) könnten die Vereinigten Staaten ihre Emissionen im Vergleich zu den Prognosen bis 2030 halbieren: mit minimalen Kosten, mit den vorhandenen Technologien und in 40 % der Fälle sogar mit Kosteneinsparungen. [4]

  2. Zunehmende Isolation der USA auf internationaler Ebene. Der im Programm nicht vorgesehene 13. Tag der Konferenz war in dieser Hinsicht spektakulär. Die US-amerikanische Obstruktion und Arroganz haben in der Tat heftigen Widerstand insbesondere der Vertreter der Länder des Südens provoziert. James Connaughton, Chef des Rates des Präsidenten für Umweltqualität (CEQ) hatte, als er einige Tage zuvor auf die fehlende amerikanische Führung im Kampf um das Klima angesprochen wurde, gegenüber Journalisten erklärt, dass „Führung bedeutet, dass die anderen sich einreihen und folgen” . Der Vertreter von Papua-Neuguinea hat darauf im Plenum geantwortet: „Wenn Sie nicht führen wollen, dann lassen Sie andere das übernehmen. Bitte machen Sie den Weg frei. „ In diesem Augenblick erreichte der Druck auf die Vereinigten Staaten seinen Höhepunkt und Bush lief Gefahr, den Preis dafür zu bezahlen. Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm im August 2007 hatte er seine Idee einer von ihm moderierten Konferenz der „großen Volkswirtschaften” zur Beratung einer „bottom-up”-Strategie im Kampf gegen den Klimawandel verabschieden lassen. Der US-Präsident hoffte nämlich, dass ihm dieses Treffen ermöglichen könnte, Allianzen mit Indien oder China gegen ein neues, zu enges Klimaabkommen auf Grundlage verbindlicher Emissionsminderungen zu knüpfen. Nun erklärten die Vertreter der EU in Bali, dass sie ohne Roadmap für ein neues Abkommen nicht an der Konferenz der „großen Volkswirtschaften” teilnehmen würden. Es ist wahrscheinlich, dass sich diesem europäischen Boykott auch die Schwellenländer angeschlossen hätten. Auf diese Weise hätte sich Bush aller Handlungsmöglichkeiten zur Förderung seiner Politik und Verteidigung der Interessen seiner Mandanten in der Klimafrage beraubt. Wichtiger Wendepunkt: das Eingreifen des Südens

  3. Die zunehmende Einbindung des Südens, insbesondere der großen Schwellenländer (Brasilien, Indien, China, Süd-Afrika). Der Ton von dieser Seite hat sich geändert. Mehrere Vertreter haben klar ihre Bereitschaft ausgedrückt, sich ernsthaft an gemeinsamen Anstrengungen zu beteiligen, sofern dies im Rahmen der „differenzierten Verantwortung” nach der Rahmenkonvention erfolgt. Dazu die Umweltministerin von Brasilien: „Selbst wenn die Entwicklungsländer nicht die historische Verantwortung für den Klimawandel tragen, müssen sie handeln.” Und der Vertreter Chinas: „Angesichts der beispiellosen Schwere, des Umfangs und der Tiefe der Auswirkungen des Klimawandels, kann er nicht durch die Anstrengungen der Industrieländer allein behoben werden.” [5] Der Christian Science Monitor [6] hat die Wende treffend zusammengefasst: „In der Vergangenheit haben die Industrieländer Verträge ausgearbeitet und die Ergebnisse den Entwicklungsländern präsentiert. Das hat sich nun geändert”. In der Tat! In Bali ist die „Gruppe der 77 plus China” (die tatsächlich 123 Entwicklungsländer zusammenfasst) den Vereinigten Staaten massiv entgegen getreten, insbesondere als diese einen Änderungsantrag zum Technologietransfer und zur Finanzierung der Anpassung an die Folgen des Klimawandels ablehnten.

Vor dem Hintergrund dieser drei Faktoren kann man nicht oft genug die Solidität der wissenschaftlichen Expertise und das beispiellose Gewicht, das sie heute auf die politischen Entscheidungsträger ausübt, betonen. Die bremsenden Regierungen (Vereinigte Staaten, Kanada, Japan, Russland, Neuseeland) können nicht mehr länger mit der „Unsicherheit” gegenüber dem Klimawandel argumentieren. Es ist bezeichnend, dass sie das in Bali nicht getan haben. Die vielen Interessenverbände der Unternehmer und der Konservativen, die Millionen Dollar in „klimaskeptische” Propagandakampagnen gesteckt hatten, haben die Schlacht verloren. Die skeptischen Regierungen befinden sich daher in einer unbequemen Position, weil sie nur noch wirtschaftliche oder geostrategische Einwände geltend machen können. Dies wird von der öffentlichen Meinung nicht akzeptiert, die mehr und mehr beunruhigt ist und Maßnahmen fordert. Letztlich ist die Bedrohung durch die Klimaveränderung so gravierend, dass sie nicht einmal in einem neoliberalen Kreis völlig ignoriert werden kann.


Neue Herausforderungen, neue Gefahren


Das Urteil von Hervé Kempf über Bali in Le Monde [7] scheint also sehr viel näher an der Realität als das von Monbiot: „Auftrag erfüllt”, schrieb Kempf. „… Das Grundmuster des sich für Kopenhagen abzeichnenden globalen Abkommens und die neue Haltung der Länder des Südens bedeuten, dass der Ball jetzt im Feld der reichen Länder ist. Es geht nicht mehr nur darum Zahlen zu verkünden, sondern man muss dazu übergehen, sie auch umzusetzen.” In der Tat. Die Blockade dieser Frage ist beendet. Mit Bali treten wir in eine Situation des Übergangs ein, die zu einer wirklich neuen Politik mit neuen Herausforderungen und neuen Gefahren führen kann. Das muss man berücksichtigen und sich darauf vorbereiten. Welche Herausforderungen, welche Gefahren? Dazu schweigt Hervé Kempf. Dagegen ist George Monbiot zu einem gewissen Grad zuzustimmen, wenn er das Abkommen als „schlimmer als Kyoto” bezeichnet, auch wenn er nicht ausführt, was an diesem Abkommen „schlimmer” wäre. Drei Aspekte sind hervorzuheben:

  1. Das Fehlen einer expliziten Erwähnung der quantitativen Empfehlungen des IPCC in der Roadmap ist nicht ganz ohne Folgen So bleiben trotz allem einige Kritikpunkte. Zum Beispiel bei der wichtigen Frage des Stichtags für die Reduzierung der Emissionen. Für die Vereinigten Staaten hieß es, die Warner-Lieberman-Gesetzesinitiative setze das Reduktionsziel auf 70 % hinauf ... aber im Vergleich zu 2005, nicht im Vergleich zu 1990. Arnold Schwarzenegger hat diesen Zaubertrick auch schon benutzt: Der kalifornische Klimaplan weist eine Reduktion um 25 % bis zum Jahr 2020 aus … aber im Vergleich zu den Emissionen im Jahr 2020 ohne Plan. Tatsächlich wäre dieses Ergebnis schlechter als das, was Kalifornien im Jahr 2012 hätte erreichen müssen, wenn es Kyoto ratifiziert hatte. Angela Merkel sprach beim G8-Gipfel in Heiligendamm sogar von 50 %, aber ohne ein Referenzdatum zu erwähnen. So ist die Europäische Union vielleicht jenseits medialer Leuchtkugeln gar nicht so unglücklich darüber, dass die quantifizierten IPCC-Empfehlungen in der „Roadmap” nicht ausdrücklich erwähnt werden … Höchste Wachsamkeit ist bei diesem Punkt geboten, wie auch bei anderen dieser Art.

  2. Die Betonung des liberalen Charakters der Klimapolitik fällt in den Entscheidungen und Diskussionen von Bali auf. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass ein wirklich neues globales Abkommen verhandelt werden wird. Es ist zwar ein Abkommen im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Aber ein neues Abkommen. Das bedeutet, dass einige relativ positive Aspekte des Kyoto-Protokolls [8] nicht mehr von vornherein als gesicherte Errungenschaft gelten können. Eine ganze Reihe von Fragen sind wieder offen. Zum Beispiel: die Förderfähigkeit von Nuklearprojekten im Rahmen des „Mechanismus für eine umweltgerechte Entwicklung (CDM)”, die Abschaffung der Strafen für die Nicht-Einhaltung von Verpflichtungen durch die Parteien, die Zusätzlichkeit des CDM im Vergleich zu den „inländischen” Anstrengungen zur Emissionsminderung usw. Es handelt sich also um äußerst wichtige Fragen. Ein Beispiel für die Infragestellung von Leitlinien aus Kyoto ist übrigens durch die Beschlüsse von Bali bereits konkret geworden. Laut Kyoto erzeugten tatsächlich nur Projekte für Neupflanzungen von Bäumen neue Emissionsrechte im Rahmen des CDM. Die Bali-Konferenz hat beschlossen, diesen Mechanismus auf den Schutz bestehender Wälder gegen Abholzung und sogar gegen ihre Schädigung auszudehnen. Der Weg in die Hölle ist hier wirklich mit guten, grünen Absichten gepflastert. Das wird von den Umweltverbänden nicht verstanden. Es ist natürlich nur zu begrüßen, wenn die Zerstörung der Tropenwälder im Amazonasgebiet in Südostasien und anderswo gestoppt wird. Aber man kann sich nicht freuen, wenn dieser Stopp neue Emissionsrechte erzeugt und dies so billig, dass die entwickelten kapitalistischen Ökonomien Reduktionsanstrengungen, die sie eigentlich unternehmen sollten, kostengünstig verschieben oder vermeiden können. Doch genau darum geht es, und der Schutz der Wälder ist nur ein Vorwand. Nach dem Stern-Report kostet ein durch den Schutz der bestehenden Wälder erzeugtes Recht für eine Tonne Kohlenstoff nur 5 US-Dollar (gegenüber 10 im Rahmen des Europäischen Systems für den Handel mit Verschmutzungsrechten). Die Weltbank hat bereits einen spezifischen Fonds für die Verwaltung der Rechte aus dem Schutz der Wälder gebildet. Angesichts solcher Summen wetten wir, dass die Rechte der indigenen Gemeinschaften, die in den Wäldern leben, keine große Rolle spielen werden. Wanderfeldbau und extensive Beweidung in den lichten Wäldern beispielsweise laufen bald Gefahr, als „Abholzung” oder „Schädigung” betrachtet zu werden. Es fehlt nicht an Beispielen, die das schon jetzt konkret zeigen. [9] Im gleichem Sinne wurden auf Bali Stimmen laut, auch der Export von Technologien zur Abscheidung und Sequestration von Kohlenstoff (CO2 wird in einem überkritischen Zustand in tiefe geologische Schichten eingeleitet) in Entwicklungsländer solle gleichermaßen Verschmutzungsrechte im Rahmen des CDM erzeugen. Dagegen sind Aufrufe zur Beendigung des Skandals, dass man Emissionsrechte günstig durch das Verbrennen von HFC-23 erlangen kann, ebenso unbeachtet geblieben, wie die Forderungen nach einer strukturellen Überprüfung des ganzen CDM-Systems, um Betrug, Korruption und Missbrauch ein Ende zu setzen. [10]


  3. Ernste Bedrohung für die Ärmsten


  4. Eine dritte Herausforderung und Gefahr betrifft die ärmsten Länder. Sie sind in großer Gefahr, die Kosten für ein Abkommen zwischen den Regierungen der entwickelten Länder und den herrschenden Klassen der großen Schwellenländer zahlen zu müssen. Die Diskussionen und Entscheidungen über den „Anpassungsfonds” sind hier sehr aufschlussreich. Der auf der Vertragsstaatenkonferenz (COP) in Nairobi 2006 gebildete Anpassungsfonds betrifft die, nach dem offiziellen Euphemismus, am wenigsten entwickelten Länder (LDC). Die LDC sind die Hauptopfer des Klimawandels und verfügen nicht über die finanziellen, technologischen und menschlichen Ressourcen, um sich an ihn anzupassen. In Nairobi war beschlossen worden, dass der Anpassungsfonds aus einer Abgabe von 2 % auf Projekte im Rahmen des CDM finanziert werden solle. Dieser Finanzierungsmechanismus ist in sich ungerecht, weil er die für die Anpassung der ärmsten Länder verfügbaren Budgets vom Investitionsumfang der Industrieländer in den Schwellenländern (wo sich der Großteil der CDM-Projekte befindet) abhängig macht, und nicht von den Bedürfnissen der bedrohten Bevölkerung in den am wenigsten entwickelten Ländern. Unter den gegenwärtigen Umständen sind die nach diesem Finanzierungsmechanismus zu erwartenden Budgets mehr als unzureichend; nach den Schätzungen der UNFCCC könnte der Fonds jährlich 300 Millionen US-Dollar bis 2030 sammeln. Zum Vergleich: Die Schäden durch den Wirbelsturm, der vor kurzem die Küsten von Bangladesh verwüstet hat, belaufen sich auf 4–5 Milliarden US-Dollar. Tatsächlich würde nach der Logik von Nairobi eine Erhöhung der Mittel des Fonds eine Ausweitung des CDM erfordern … also eine Infragestellung des Grundsatzes der Zusätzlichkeit des CDM im Vergleich zu den Reduktionsmaßnahmen in den entwickelten Ländern, ein Prinzip, das im Protokoll von Kyoto festgeschrieben wurde. Aber das ist nicht alles: Bali hat beschlossen, dass der Anpassungsfonds von der Globalen Umweltfazilität (GEF) gesteuert und die Weltbank am Management beteiligt werden soll. Die am wenigsten entwickelten Länder haben sich gegen diese Entscheidung gewandt, weil die GEF nach dem Prinzip „ein Dollar-eine Stimme” arbeitet, was bedeutet, dass die Kapitalgeber – die reichen Länder – eine entscheidende Rolle bei der Anpassungspolitik der ärmsten Länder spielen. Auf der Grundlage der Erfahrungen der am wenigsten entwickelten Länder mit der GEF kann man erwarten, dass diese Politik mindestens so ernste Schäden wie der Klimawandel selbst verursachen wird.


Praktische Schlussfolgerungen


Die Situation ist also sehr widersprüchlich. In gewisser Weise kann man sagen, dass der Kampf gegen den Klimawandel voranschreitet, aber dies auf zwei Gebieten gleichzeitig:

   
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Resolution des Internationalen Komitees der IV. Internationale zum Klimawandel, Inprekorr Nr. 438/439 (Mai/Juni 2008)
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Daniel Tanuro: Klimaschutz und Antikapitalismus, Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007)
Daniel Tanuro: Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive?, Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007)
Resolution des XV. Weltkongresses der IV. Internationale: Ökologie und Sozialismus (Februar 2003)

Aus der Sicht der politischen Praxis der antiliberalen und antikapitalistischen Kräfte ergeben sich zwei Schlussfolgerungen:

  1. Eine gesellschaftliche Mobilisierung für das Klima auf globaler Ebene ist nötiger denn je. Die Veranstaltungen, die in verschiedenen Ländern am 8. Dezember (und in Australien einen Monat zuvor) stattfanden, sind ein Beispiel und eine Stütze. Es geht darum, für den Aufbau einer breitest möglichen Front mit dem einfachen Ziel zu arbeiten, dass das in Vorbereitung befindliche Klimaabkommen die quantitativen IPCC-Empfehlungen vollständig umsetzen muss.

  2. Innerhalb dieser Einheitsmobilisierung ist es immer dringlicher, einen linken Pol aufzubauen, der die Klimafrage mit der Verteidigung der sozialen Gerechtigkeit und der Notwendigkeit zur Umverteilung des Reichtums koppelt. Zwischen Nord und Süd, aber auch innerhalb der Gesellschaften des Nordens und des Südens.

Zwei Jahre trennen uns von der Konferenz der Vertragsparteien in Kopenhagen im Jahr 2009. Diese zwei Jahre werden entscheidend sein. Für das Klima, aber auch für eine Alternative zur kapitalistischen Klimapolitik.

Daniel Tanuro, Agraringenieur und ökosozialistischer Umweltschützer, ist Ökologieredakteur von La Gauche (Monatszeitschrift der LCR-SAP, belgische Sektion der Vierten Internationale).

Übers.: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 440/441 (Juli/August 2008).


[1] Guardian, 17.12.2007.

[2] The Economist, 17.11.2007.

[3] „Business lobby demands emissions goals”, Financial Times, 12.12.2007.

[4] Business Week, 14.12.2007.

[5] Le Monde, 18.12.2007.

[6] Christian Science Monitor, 17.12.2007.

[7] Le Monde, 18.12.2007.

[8] Siehe „Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive?”, Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007), S. 17.

[9] Siehe „Les nouveaux habits verts de la domination”, auf der ESSF-Website: http://www.europe-solidaire.org/

[10] Zum HFC-23-Skandal siehe: „Truth about Kyoto: Huge Profits, Little Carbon Saved”, The Guardian, 2.6.2007.