Brasilien

Krise der Arbeiterpartei und Spaltung der Linken

Nach dem Ausschluss der Senatorin Heloísa Helena und von drei Parlamentsabgeordneten, die gegen die Rentenreform gestimmt hatten, im Dezember 2003 erlebte die Arbeiterpartei den Austritt Hunderter von Mitgliedern ihres linken Flügels, von denen ein großer Teil im Juni 2004 die Partei für Sozialismus und Freiheit (PSoL) gründete. Anlässlich des 5. Weltsozialforums im Januar 2005 in Porto Alegre brach die Krise im Inneren der PT erneut auf, und es wurde ein weiteres Mal die Spaltung ihrer linken Mitglieder offenbar, denen eine generelle Kritik an den zwei Jahren Politik der Lula-Regierung gemeinsam ist, die aber unterschiedliche Schlüsse betreffend ihre Mitgliedschaft daraus ziehen.

Jan Malewski

Vor dem WSF, im Dezember 2004, hatte ein Treffen der PT-Linken in São Paulo auf Initiative der zwei größten und ältesten Tendenzen der Linken stattgefunden: „Sozialistische Demokratie“ (DS) und „Linke Artikulation“ (AE). Diese Parteilinke vereinigt in sich die Mitglieder, die, während sie die Politik der Regierung und die Unterordnung der Partei unter die Regierung kritisieren, der Meinung sind, dass ihr Kampf innerhalb der Partei und der Regierung geführt werden muss. [...]

Mehr als hundert ehemalige AktivistInnen der PT haben das Manifest „Zeit für den Bruch“ publiziert, in dem sie die Parteimitglieder zum gemeinsamen öffentlichen Parteiaustritt aufrufen. Dieses Manifest, initiiert durch den Ökonomen Plinio de Arruda Sampaio Jr., Mitgründer der PT und laut Presse „legendäres historisches Mitglied“, und durch Jorge Luis Martins, Mitglied der nationalen Exekutivkommission der CUT (Gewerkschaftsdachverband), wurde von Intellektuellen, Gewerkschaftsführern, linken Organisationen bis hin zu sozialen Bewegungen, die mit der Befreiungstheologie verbunden sind, unterzeichnet. Sie haben angekündigt, dass zu erwarten ist, dass 400 bis 500 Mitglieder der PT sich in den nächsten Wochen anschließen würden. Auf Fragen der Presse erklärte Jorge Martins, dass die Gruppe während der letzten beiden Jahre glaubte, die Regierungspolitik von links beeinflussen zu können, „aber wir haben alle Kämpfe verloren“. „Die Rentenreform bürdet den Arbeitern noch mehr Opfer auf, das Konkursgesetz entband die Kapitalisten vom Risiko und die hohe Übertretung des Staatshaushalts nimmt der Regierung die Möglichkeit zu Investitionen.“ Andere Initiativen, wie die Reform der Arbeitsgesetzgebung, sind ein überdeutliches Zeichen dafür, dass die Regierung Lula das vom Expräsidenten Fernando Henrique Cardoso realisierte Modell vertieft, fasst Jorge Martins zusammen. Für Sampaio Jr. ist die Partei nach ihrer Übernahme der Amtsgeschäfte „unumkehrbar versackt“. „Die parteiinterne Demokratie funktioniert nicht, der Kampf ist vergeblich“, sagt er. Auf die Frage, welche Perspektiven einer Umgruppierung er für sich sehe, versichert er, dass er für die „Einheit der Linken“ kämpfen wolle, und dass er sich kurzfristig nicht auf die Seite einer Partei schlagen werde, auch wenn er sich der neuen PSoL nahe fühle.

Zur selben Zeit veröffentlichten mehr als 350 unabhängige oder an die Tendenzen AE, „Sozialistisches Forum“ und „Bewegung der sozialistischen Einheit“ angebundene PT-Mitglieder aus dem ganzen Land ein Manifest, in dem sie sich als „in Dissidenz“ innerhalb der PT betrachten und eine „öffentliche Fraktion“ konstituieren.

„Das Ziel [der PT] war es, Kräfte zu sammeln, um eine demokratische Volksregierung mit antimonopolistischem, antiimperialistischem und gegen den Großgrundbesitz gerichtetem Charakter zu bilden“ – so zu lesen in ihrem Manifest. „Diese Regierung sollte tiefgreifende Reformen anpacken, gerichtet auf die Befriedigung der Interessen und Bedürfnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung, und damit einen revolutionären Bruch und den Beginn eines sozialistischen Aufbaus, unseres strategischen Ziels, möglich machen. Im Laufe der Jahre stellten sich schwere Deformationen ein. Schritt für Schritt wurde der Kampf um Positionen im Staatsapparat wichtiger als die Organisierung der direkten sozialen und Arbeiterkämpfe. Die sozialen Aktivisten wurden vom Parteiapparat, der Verwaltung der Regierungsämter und der Parlamentsarbeit absorbiert und ebenso durch einen Institutionalisierungsprozess der Gewerkschaften, der damit endete, dass das, was einmal eine Taktik war, zu einem strategischen Ziel an sich wurde.(….) Die Wahl Lulas im Jahr 2002 war der Kulminationspunkt des strategischen Projektes der PT – an die Regierung zu kommen, um demokratische Reformen für das Volk zu realisieren – und der Kulminationspunkt ihrer konservativen Wendung, die die Frage der Regierungsfähigkeit und der Erhaltung des eroberten Terrains in ein Ziel an sich verwandelte. An der Macht angekommen mit einem zweideutigen Programm, das dem Volk Veränderungen versprach und den Märkten die Vertragssicherheit, fühlte sich Lula stark genug, um die Kontinuität der ökonomischen Politik Cardosos in einer Phase des konjunkturellen Abschwungs der sozialen Kämpfe abzusichern. Diese Haltung gab dem Neoliberalismus in Brasilien neuen Schwung. Die Regierung Chavez in Venezuela, die sich auf nichts als eine Volksorganisation stützen konnte, die sehr viel weniger stark war als die in Brasilien, hat gezeigt, dass es möglich ist, dem Imperialismus und den herrschenden Klassen die Stirn zu bieten“.

Diese Gruppe, der sich auch der Exabgeordnete Plinio de Arruda Sampaio, (der Vater des Obengenannten und gleichfalls einer der Gründer der PT) kündigte an, sich nicht weiter an die Disziplin der Partei zu halten, sich „radikal gegen die Politik der Regierung Lula, die die Rechte der Arbeiter angreift (wie die Gewerkschafts-, Arbeits- und Universitätsreform zeigen)“ zu wenden; sie werde auf einer nationalen Versammlung im kommenden Juli entscheiden, ob sie die Partei verlässt oder nicht.

Schließlich kündigten 50 Mitglieder der Tendenz „Sozialistische Demokratie“ (DS) in einem Text mit dem Titel „Der Stern strahlt nicht mehr“ [1] an, dass sie die PT verlassen und sich der PSoL anschließen würden. Ihrer Meinung nach „ist die PT nicht länger eine sozialistische Partei“, sondern „eine Partei, die von Bürokratismus und Korruption beherrscht wird“; „sie repräsentiert nicht länger die sozialen Bewegungen“; sie habe sich „in eine institutionalisierte Wahlpartei umgewandelt“, die einen „Transmissionsriemen der Regierung Lula“ darstelle. Sie meinen, dass „die PT-Linke sich darauf beschränkt, einen 'authentischen' Flügel der Partei darzustellen; dass ihre Zugehörigkeit zur PT nur Verwirrung unter den ArbeiterInnen und in den sozialen Bewegungen stiftet“, und dass „die PT nie wieder das sein wird, was sie während der 80er Jahre war.“ „Wir haben die PT verlassen und wir bleiben in der DS, weil wir nie die Vermischung derart unterschiedlicher Dinge akzeptieren werden“ – so schrieben sie in der Zusammenfassung ihres langen Textes und fügen hinzu: „Wir bleiben in der DS, und kämpfen für ihre Rekonstruktion als Strömung, die die Traditionen und das programmatische Erbe der Vierten [Internationale] aufrechterhält“.

23. Februar 2005
Jan Malewski ist Redakteur der französischsprachigen Inprecor und Mitglied des Exekutivbüros der 4. Internationale
Übersetzung: Thadeus Pato



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 402/403 (Mai/Juni 2005).


[1] Der Stern ist das Symbol der PT