Sri Lanka

Katastrophenhilfe und wirtschaftspolitische Interessen

Der nachfolgende Text ist die Wiedergabe eines Vortrags im Rahmen eines Symposiums über nationale Integration und wirtschaftlichen Wiederaufbau, das am 22.1.2005 in Anwesenheit von Wissenschaftsminister Prof. Tissa Vitharana in Colombo stattfand und von Premierminister Mahinda Rajapaksha eröffnet wurde. Der Autor beleuchtet die wirtschaftlichen und politischen Interessen, die hinter dem aktuellen Regierungsprogramm zur Bewältigung der Tsunami-Katastrophe stecken.

Vickramabahu Karunarathne

Das Thema dieses offenen Forums lautet „Entwicklung der Basisinfrastruktur und Katastrophenvermeidung in Entwicklungsländern“. Mir scheint es wichtig, auf die vom Regierungsbündnis nach der Tsunami-Katastrophe eingeschlagene Entwicklungsstrategie und die entstehende politische Struktur sowie den Einsatz von Militär zur Sicherung des Entwicklungsprozesses einzugehen. Ist diese Politik von irgendeiner Relevanz für die Katastrophenvermeidung, wie manche uns glauben machen möchten? Was sich beobachten lässt, ist die Absicht der Regierung, die sozioökonomischen Rahmenbedingungen radikal zu verändern. Werden damit die Getöteten wieder zum Leben erweckt?

Sofort nach der Flutwelle kamen spontan Menschen, um den Opfern zu helfen. Die Bevölkerung beteiligte sich unter der Leitung von Persönlichkeiten aus den Gemeinden und LokalpolitikerInnen an den Rettungs- und Aufräumarbeiten. Unterstützt wurden sie dabei von NGOs und Gemeindeorganisationen. Die staatliche Hilfe traf erst viel später ein. Das haben sowohl Präsidentin Chandrika Bandaranaike Kumaratunga als auch der frühere Premier und heutige Oppositionsführer, Ranil Vickremasinghe, eingeräumt.

In ihrer berühmten Rede vom 17. Januar 2005 sagte Präsidentin Chandrika: „… Es waren vor allem die einfachen Menschen, die den Opfern in außerordentlicher Bereitschaft auf vielerlei Weise geholfen haben. Noch zwei Tage nach der Einleitung von Maßnahmen waren wir nicht fähig, organisiert auf die Katastrophe zu reagieren. Genau genommen ging es nicht um Unfähigkeit, sondern um fehlende Vorbereitung.“ (Lankadeepa, 18.1.2005) Noch direkter drückte sich Ranil aus, der „gegenüber den auf Besuch weilenden Würdenträgern und Botschaftern darauf hinwies, dass es die Dorfeinrichtungen, die Vihara (geistige Verweilstätten), die Kirchen und Gemeindepolitiker waren, die nach der Katastrophe als erste vor Ort waren, und nicht die Regierung … “ (Sunday Times, 16.1.2005)

Nach den Rettungs- und Aufräumarbeiten sowie der medizinischen Versorgung kommt die Phase des Wiederaufbaus. Die obdachlosen Menschen müssen so schnell wie möglich wieder angesiedelt werden, um wieder ihr normales Leben aufgreifen zu können. Hier könnten die Regierung und andere einsetzen und sie mit neuer Technologie, neuer Ausrüstung und neuen Systemen versorgen. Oberste Priorität ist jedoch, den Menschen wieder ein weitgehend normales Leben zu ermöglichen. Die Regierung verfolgt jedoch genau das Gegenteil. Die große Mehrheit der obdachlos gewordenen Menschen sind Fischer und ihre Familien; ihr Anteil liegt vermutlich bei etwa 70 Prozent. Danach sind Handwerker und Angestellte der Tourismusbranche betroffen. Ihr Leben ist eng mit dem Meer und dem Küstenstreifen verbunden. Die Regierung kündigte an, dass sie den Fischerdörfern und anderen Gemeinden, die fast auf der gesamten Insel völlig weggespült wurden, nicht erlauben wird, sich wieder an der Küste anzusiedeln. Sie würden mindestens 300 Meter vom Meer entfernt angesiedelt. „An der Westküste werden auf einem Streifen von 100 Metern keine neuen Gebäudekomplexe erlaubt, an der Ostküste wurde die Distanz, ab der gebaut werden darf, auf 200 Meter ausgedehnt. Neue Städte müssen einen Kilometer von der Küste entfernt gebaut werden.“ In dem Bericht, der auf Dr. Samaranayake, Leiter der Küstenschutzabteilung (Coast Conservation Departement/CCD), zurückgeht, heißt es weiter: „Innerhalb des Küstenstreifens von 100 Metern werden nur Handels- und Fischhäfen sowie religiöse Strukturen erlaubt.“ (Sunday Observer 16.1.2005)

Prasanna Silva, Generaldirektor der Stadtentwicklungsbehörde (Urban Development Authority/UDA), bestätigte die Aussage, fügte aber hinzu: „Der zweite, 200 Meter breite Streifen würde aus Bäumen, Feldfrüchten und Hotelbauten sowie Restaurants bestehen. Die Flut könnte genutzt werden, um Aktivitäten umzusiedeln, die aus anderen Gegenden verlagert wurden.”

Fest steht, dass auch Fischer gezwungen sein werden, aus einer Distanz von über 300 Metern von der Küste aus zu arbeiten. Neben Umweltargumenten wird auch die Sicherheit der Fischerdörfer ins Feld geführt. Zudem wird behauptet, diese Leute litten heute unter einer pathologischen Angst vor dem Meer und müssten von der Küste ferngehalten werden. Die einzige Angst, die diese Menschen tatsächlich plagt, ist jedoch, ihren traditionellen Lebensraum zu verlieren, wenn sie dauerhaft an der Rückkehr gehindert werden. Viele haben keine klaren Besitzurkunden für das Land, auf dem sie gelebt haben. Sofern sie irgendein Dokument besaßen, wurde es durch denTsunami weggespült. Während unter den Opfern die Angst wächst, ihre Wohnsitze auf Dauer zu verlieren, zeugt die Regierungspolitik gegenüber den obdachlos gewordenen Menschen von einer klaren Diskriminierung der tamilisch sprechenden Gemeinschaft: Die 100-Meter-Regel gilt nur für die vom Tsunami betroffenen Regionen, nicht aber für den Westen und Nordwesten. Beschädigte Gebäude in diesen kaum betroffenen Regionen könnten sogar bis ans Meer reichen. Für die mehrheitlich von Singhalesischsprachigen bewohnte Südwestregion gilt ein Streifen von 100 Metern. Für den Norden sind es 200 Meter. Es heißt, diese Einteilung beruhe auf einer Höhenlinie von einem Meter. Wenn das der Grund ist, warum wird dann nicht diese Regel angewandt statt einer offensichtlichen Diskriminierung? In der bestehenden Form ist es eine in zweifacher Hinsicht diskriminierende Regel.

In den Nachrichten der Sunday Times vom 16.1.2005 ist zu lesen: „Tourismusbehörden schlagen der UDA und der CCD vor, dass unbeschädigte Hotels in der 100-Meter-Zone stehen bleiben dürfen, während teilweise beschädigtes Eigentum unter den UDA-Richtlinien wiederaufgebaut werden muss, sofern diese beibehalten werden, völlig zerstörtes Eigentum aus diesem Streifen transferiert und bereits zugesagte Bauprojekte in der eingeschränkten Zone erlaubt werden sollen.“ Neben früheren Nachrichten deuten diese Aussagen klar darauf hin, dass es bei den Umsiedlungen darum geht, die Strände und die Küstenregion von armen, kleinen Fischern zu säubern, sodass die große Tourismus- und Fischereiindustrie die Meeresreichtümer und Strände in Besitz nehmen können. Andererseits verfolgt die Regierung in ihrer Zusammenarbeit mit der Weltbank und den Geberländern wie USA und Japan die Strategie, die „Chance“ der Tsunami-Katastrophe zu nutzen, um auf das Programm „Sri Lanka wiederaufrichten“ zurückzukommen, das von der Bevölkerung verworfen worden war. In einer Nachricht der Sunday Times vom 16. Januar heißt es: „Bestehende Stadtentwicklungspläne werden angepasst und beschleunigt, um die Gelegenheit zu nutzen, die sich durch die Katastrophe bietet, und die beschädigte Infrastruktur durch modernere Annehmlichkeiten zu ersetzen. Für beschädigte Küstenstädte ist ein radikaler Wandel geplant.“ Diese Nachricht geht laut der Zeitung auf Saliya Vickramasuriya, den Vorsitzenden und Generaldirektor des Board of Investment/BOI, zurück. Der ausländischen Regierungen ausgehändigte Bericht listet andererseis zehn Distrikte als für Entwicklungsprojekte relevante Küstenregionen auf. Die entsprechenden Vorschläge lagen allerdings schon vor der Tsunami- Katastrophe vor. Die Regierung versucht also, die Flutkatastrophe zu nutzen, um erneut Megaprojekte auszugraben, die der Durchschnittsbevölkerung des Landes keinerlei Nutzen bringen und sie nur zu Ortswechsel, Armut und Bezahlung der Schuldenlast zwingen.

Die heutige Regierung kam mit dem Versprechen an die Macht, die Politik ihrer Vorgängerin zu ändern und einen radikalen Wechsel in der Wirtschaftspolitik zu vollziehen. In seiner ersten Rede zum Staatshaushalt meinte der Finanzminister sogar: „Die Vorgängerregierung stützte sich in ihrer Politik auf den Privatsektor und leitete einen Prozess der wirtschaftlichen Öffnung ein, beschleunigte die Privatisierung von Staatsbetrieben, den Rückzug des Staats aus dem öffentlichen Sektor und die Deregulierung der Wirtschaftstätigkeit … Unter der Strategie des Programms ,Sri Lanka wiederaufrichten‘ wird die Dorfbevölkerung dazu verdammt, ihr Dasein als HüttenbewohnerInnen in einer städtischen Umgebung zu fristen, ihr gesamtes Einkommen für Essen, Unterkunft und Transportkosten auszugeben und ihre Ersparnisse aufzubrauchen. Diese einseitige Strategie einer städtischen Wirtschaft, die die Nation vorwärts bringen soll, muss gestoppt werden. Statt dessen sollte die Nationalökonomie von einer ländlichen Wirtschaft gezogen werden, die sich auf die Ressourcen und Rohstoffe der Regionen stützt.“ So lautete die populistische Philosophie der Regierung. Doch schon damals wurden stillschweigend Megaprojekte weitergeführt. Mit dem Tsunami hat Finanzminister Dr. Sarath Amunugama seine populistische Maske fallen lassen. Pläne zur Privatisierung der Wasserversorgung, der Energiewirtschaft und -verteilung und der Erdölförderung und - verteilung liegen vor. Die populistische People’s United Liberation Front (Janatha Vimukthi Peramuna/JVP) verhielt sich bislang so, als würde sie die Show bestreiten. Doch nun muss die JVP feststellen, dass Chandrika mit befreundeten „Spezialisten“ Entscheidungen trifft, ohne sie auch nur in die Beratungen einzubeziehen. Der neue Begriff für „Sri Lanka wiederaufrichten“ heißt „Sri Lanka wieder aufbauen“. In der zu dieser Aufgabe auserkorenen Task Force findet sich die oberste Garde von SpitzenmanagerInnen, aber kaum wissenschaftliches oder technisches Fachpersonal. Das führte selbst in den bürgerlichen Kreisen zu Missstimmung. Kritik erntete dieses Komitee nicht nur seitens der JVP, sondern auch seitens mancher Minister. Auf der anderen Seite hat die wichtigste Oppositionspartei verkündet, sie werde den Wiederaufbauplan unterstützen. Das leitet über zur Frage der politischen Struktur, die im Zuge der Ausarbeitung und des Schutzes dieses Wiederaufbauprogramms entstehen könnte. Mit Hilfe des weltweiten Kapitals, das Ranil und Chandrika gemeinsam mobilisieren werden, könnte es ihnen gelingen, die Opposition für eine Zeitlang in Schach zu halten. Ranil fordert die Ausarbeitung eines nationalen Plans für die nächsten 15 Jahre. Es kursiert ein Vorschlag, die Wahl zu verschieben. Chandrika behauptete am 17. Januar, für die nächsten fünf Jahre stünden keine Wahlen an, wobei sie die kommenden Präsidentschaftswahlen unter den Tisch fallen ließ. Ebenso kündigte sie an, dass in der kommenden Phase Massenproteste nicht erlaubt würden. Die nationalen Ressourcen sollten wie beabsichtigt genutzt werden; dazu zählt auch der umstrittene Abbau der Phosphatvorräte in Eppawala durch Verkauf an einen transnationalen Konzern. Wer protestiert, wird zwar nicht ins Gefängnis gesteckt, doch „in Hotels festgehalten und abgespeist“. In 14 Distrikten ist bereits der Notstand ausgerufen und militärische Koordinatoren sind eingesetzt, um alle Aktivitäten zu überwachen. Ausländische einschließlich amerikanischer Truppen arbeiten mit den Militärberatern zusammen. Die Präsenz von Yankee- Truppen hat alle gesellschaftlichen Sektoren aufgerüttelt. Die amerikanische Militärführung war mindestens zwei Stunden vor Eintreffen der Flut über den Tsunami unterrichtet. Doch niemand dachte daran, uns zu informieren. Während der Katastrophe waren sie nicht präsent. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie Menschenleben retten können. Sie sind aber erst gekommen, nachdem der Schaden bereits angerichtet war. Zuerst hieß es, sie kämen für Rettungsarbeiten, dann für Aufräumarbeiten, nun heißt es, sie kämen für den Wiederaufbau. Tatsächlich sind sie hier, um Investitionen und die Geschäftstätigkeit zu schützen. Chandrika und Ranil können sich beide glücklich schätzen, ausländische Truppen hier zu haben, die jede Massenerhebung gegen das System niederschlagen können. Die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) gaben bekannt, sie wünschten keine amerikanischen Truppen im Tamilen- Gebiet. Weiter konnten sie nicht gehen, da sie die Yankee-Armee als Gegengewicht zur Singhala-Armee akzeptieren.

Unter Präsidentin Chandrika wurde die Regierung stark zentralisiert, was das Prinzip der Regionalisierung unterwandert. Die Entscheidungen werden auf höchster Ebene ohne Beratung mit dem Kabinett oder Einbezug des Parlaments getroffen. Den für Gesundheitsversorgung, Bildung, Landfragen und Ähnliches zuständigen Provinzräten werden keinerlei Aufgaben im Wiederaufbau übertragen. Die wenige Tage nach der Katastrophe eingerichteten Nationalen Operationszentren (CNO) und deren Komitees werden nicht genutzt, um die örtlichen oder regionalen Behörden zu beraten. Gäbe es die von den Tamilen geforderte Übergangsselbstverwaltung (ISGA), wären Dank dem dreistufigen Wahlmechanismus in der einen oder anderen Form alle Gemeinschaften und politischen Meinungen des Nordostens in den ISGA-Räten vertreten. Die Regierung bemühte sich weder darum, mit den Abgeordneten des Nordostens in einer Art von Adhoc- Komitee in den Dialog zu treten, noch sich offiziell mit den LTTE zu beraten. Und die am meisten betroffene muslimische Gemeinschaft ist gar nirgends vertreten. Sollte diese Situation anhalten, sind Konflikte vorprogrammiert.

Linke, fortschrittliche Kräfte müssen sich zusammentun und Widerstand leisten. Es ist zwecklos, auf einen starken Widerstand innerhalb des Regierungsbündnisses zu hoffen. Die JVP schwenkt auf eine rassistische, ethnische Opposition ein, die indirekt davon ausgeht, dass die Yankee-Truppen nützlich gegen die LTTE sein könnten. Dennoch gibt es erste Proteste von ArbeiterInnen, die das Regierungsprogramm zu hinterfragen beginnen. Auch von Freiberuflern sind erste kritische Stellungnahmen zu hören. Wir müssen unseren Protest erheben

Übersetzung: Tigrib



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 400/401 (März/April 2005).