Weltsozialgipfel in Porto Alegre

Nach dem Erfolg die gleichen Verlegenheiten

Ernesto Herrera

Ohne Zweifel. Der Gegenwind bleibt zurück und der Horizont klärt auf.

Vor nur einigen Jahren, als die liberale Konterrevolution mit all ihrer Arroganz über den Planeten fegte, wäre ein Weltsozialforum von solcher Größe und solcher Wirkung undenkbar gewesen.

Die enorme Mobilisierung in Porto Alegre zeigt daher ebenso wie breit, radikal und vielfältig der Widerstand gegen die kapitalistisch-imperialistische Globalisierung ist, als auch, in welcher Krise die konservative Hegemonie steckt.

Das Szenarium des Kampfes verändert sich in eine günstige Richtung, indem sich erneut ein Internationalismus - solidarisch und kämpferisch - entwickelt. Im gleichen Takt wie die sozialen Gegensätze nimmt die politische Unregierbarkeit zu.

Vor allem in der sogenannten Dritten Welt.

Ohne Zweifel aber ist die Bildung von neuen und entscheidenden Kräfteverhältnissen noch nicht abgeschlossen. Die Dilemmata bestehen weiterhin und müssen gelöst werden: Wie können die Kämpfe und der zivile Ungehorsam in eine neue, organisierte Bewegung übersetzt werden? Wie kann man von einer Allianz gegen die "neoliberale Globalisierung" hin zu alternativen und antikapitalistischen Vorschlägen kommen?

Und wie kann letztlich die Breite einer sozial und politisch heterogenen Zusammensetzung mit der nötigen programmatischen Rigorosität erfasst werden?

Daher hat jede illusionäre Erwartung an ein Experiment ähnlich dem, das Marx und Engels mit der Ersten Internationale unternommen haben, nichts zu tun mit der Wirklichkeit des Weltsozialforums - unter anderem deshalb, weil uns mehr als ein Jahrhundert voneinander trennt.

GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE

Es fanden verschiedene Foren gleichzeitig statt. So eines im Camp der Bauern, der Ureinwohner und der Jugendlichen. Die Stimmung aufgeheizt, aufsässig, aufrührerisch.

Es wurde jede Methode des Kampfs thematisiert und vom "Übergehen zur Aktion" gesprochen. Eine gute Portion Utopie beherrschte das Ganze.

Vom Klassenschützengraben der Landlosenbewegung aus wurden der "Angriff auf das Privateigentum" und radikalere Punkte in die Debatte geworfen. Tageszeitungen und Fernsehen leisteten Propagandaarbeit: Die "Intoleranz" der Expropriateure stand den Ärmsten und am meisten Ausgegrenzten zur Seite.

Anders dagegen in den Workshops. Hier zielten die Diskussionen und der Austausch auf konkrete und sofortige Forderungen hin. Die Stars glänzten weniger und die sozialen, radikalen und gewerkschaftlichen AktivistInnen aus der Basis beanspruchten das Wort für sich.

Die Verpflichtung (und auch der Druck), mögliche Alternativen zu entwerfen, verdrängte die großen Geschichtenerzähler. Parteipolitik fehlte dabei oder wurde kritisiert. Genauso wie in den Camps.

Dann die Konferenzen mit den angekündigten Themenachsen: Neuorganisation der Produktion, gerechter Handel, Regulierung der Zirkulation des Finanzkapitals und die Agrarfrage.

Massenhafte Teilnahme; theoretisch fundierte Ausführungen; Debatten; Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung unter den Vortragenden - nicht wenige Fragen aus dem Publikum. Bei diesem anfänglichen Hin und Her drückten sich das Politisch-Programmatische und die Auseinandersetzung mit einem "alternativen Projekt" am stärksten aus.

Die Frage nach der Demokratie nahm hier eine vorrangige Stellung ein. Das ist verständlich, wurde das Forum doch in der Wiege der basisdemokratischen Versuche mit dem "partizipativen Staatshaushalts" verwirklicht.

Logisch: Die Gemeinsamkeiten und Gefühle waren unterschiedlich. Und dieser Aspekt brachte Reichtum und Spannung in das Forum. Am motivierendsten waren Forderungen, die die vorherrschende wirtschaftliche Ordnung überwinden wollten, wie z. B. die Forderung nach völliger Streichung der Auslandsschulden der Dritten Welt und der Einführung der Tobin Tax, einer Steuer auf alle internationalen Finanztransaktionen. (Diese erreichen zur Zeit bis zu zwei Mrd. Dollar täglich)

Auch weniger konkrete Forderungen wie "gerechter Handel" und "ökologische Schulden", die die reichen Länder zahlen sollten, um "die Ungleichheit zu verringern", gab es. Die Argumente zugunsten dieser "Maßnahmen von globaler Auswirkung" gründeten sich auf allgemeine und dramatische Diagnosen. Die Schuld der Länder des Südens beträgt heute 2 Mrd. Dollar. Das ist viermal so viel wie 1980, obwohl sie schon das Sechsfache des ursprünglichen Wertes bezahlt haben.

Bei diesem Thema tat sich der Beitrag von Eric Toussaint hervor. Er ist der Präsident des "Komitees für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt" (CADTM). Eric Toussaint sparte nicht mit Kritik an Lula und an den Führungspersonen und UmweltaktivistInnen der Linken, die eine "Überprüfung" statt der Abschaffung der Schulden vorschlagen.

Eine sehr breite Zustimmung fand das NEIN zu genetisch veränderten Produkten. Hier konnten sowohl die um die ökologischen Risiken und um die Gesundheit der VerbraucherInnen Besorgten als auch die Bauern, die gegen die Monopolisierung von Saatgut durch einige wenige transnationale Firmen kämpfen, einbezogen werden.

Auch Freihandel und Privatisierungen wurden als Verursacher von Arbeitslosigkeit, größerer Ungleichheit und schlechterem Zugang zu öffentlichen Diensten generell abgelehnt.

Andere Vorschläge reichten von einer Öffnung der Grenzen für ArbeiterInnen bis hin zur Anerkennung von Wasser und Saatgut als Menschheitserbe und damit als unprivatisierbar.

Aber auch andere Wege und Ideen wurden aufgezeigt. Ein Aufschrei richtete sich gegen landwirtschaftliche Subventionen, die die Märkte der reichen Länder abschotten und die Preise der Hauptexportartikel des Südens niedrig halten.

Die Landwirte, die in Armut leben und durch die Internationale Organisation "Vía Campesina" ("Weg der Bauern") vertreten waren, beschlossen, gegen eine Einfuhr von Lebensmitteln, die ihrer Arbeit schadet, aktiv zu werden.

"Die Landwirtschaft ist kein Geschäft" und die Lebensmittel dürfen nicht wie Waren behandelt werden; sie sind ein Menschenrecht - so argumentierten die Anführer dieser Bewegung, z.B. der Brasilianer Egidio Brunetto, der aus Honduras stammende Rafael Alegría und der Franzose José Bové.

Die Trennlinie zwischen Radikalen und Gemäßigten wurde zum Beispiel zwischen denjenigen, die die Abschaffung von IWF, Weltbank und der OMC forderten, und den "Realisten", die sich für eine Reform derselben einsetzten, deutlich. Zu ersteren gehörte der Philippine Walden Bello, zu den letzteren der Brasilianer Luciano Coutinho.

Ein weiteres Beispiel für die Radikalen sind auch die BefürworterInnen eines allgemeinen Mindesteinkommens als Recht für alle und während des ganzen Lebens. Gleichzeitig wird so mit der dominanten Kultur gebrochen, die besagt, dass nur die Arbeit eine Bezahlung rechtfertigt.

Hinter vielen Vorschlägen erkannte man deutlich das Aufeinanderprallen zweier Strategien des Widerstandes: Auf der einen Seite diejenigen, die, gegen die Institutionen oder an ihnen vorbei auf eine Vereinigung der Kräfte und auf radikalen zivilen Widerstand mit der Perspektive der "Volksmacht" setzten; auf der anderen Seite die, die an einen schrittweisen Wandel durch eine Vertiefung der Demokratie, der Partizipation und, letztendlich, an eine pragmatische und realistische Strategie der "Regierungskultur" glaubten.

Auch die Frage nach dem sozialen Subjekt wurde aufgeworfen.

Viele bezogen sich auf die "Zivilgesellschaft", obwohl, wie François Houtart bemerkte, die Gesellschaft immer noch in Klassen unterteilt ist.

Klar: Auch Buhrufe und Ablehnungsbekundungen gab es. Vor allem, als die Regierungsminister der französischen Sozialistischen Partei bei einigen Veranstaltungen und Diskussionen auftauchten.

Jean-Pierre Chevènement musste sich die Verlesung eines Briefes anhören, in dem er angeklagt wurde, verantwortlich für ein Gesetz gegen die Immigranten zu sein. Der Brief war von einer Gruppe von Aktivisten und Aktivistinnen unterschrieben, an deren Spitze Alain Krivine, Abgeordneter des Europaparlaments und leitende Persönlichkeit der LCR (französische Sektion der IV. Internationale), stand.

Auch François Huwart erhielt, was er verdiente, weil er der "Vertreter eines Landes" war, das "seine landwirtschaftlichen Produkte zum Nachteil der Dritten Welt subventioniert" und "Länder in Afrika bombardiert".

Oft stand der utopische Blick von einigen, die mittelfristige Ziele verfolgten, im Gegensatz zu den dringlichen Anliegen anderer, wie z.B. die Aktivitäten gegen den Plan Colombia und gegen die Beschleunigung des Projektes "Freihandelszonen Panamerikas", ALCA ("Area de Libre Comercio de las Américas").

Und natürlich war da auch die antiimperialistische Solidarität mit der kubanischen Revolution.

Eine Delegation der bewaffneten revolutionären Kräfte Kolumbiens - Armee des Volkes (FARC-EP) zog die Aufmerksamkeit und den solidarischen Enthusiasmus von Hunderten von Teilnehmern, vor allem jungen politischen Aktivisten, auf sich.

Javier Cifuentes, Mitglied der Internationalen Organisation zur Organisierung Aufständischer, betonte die Bedeutung des WSF:

"Wir stimmen mit seinen Idealen überein. Wir glauben, dass eine bessere Welt möglich ist. Das ist auch der Kampf der FARC in Kolumbien. Auch wir sind hier, um den ,Plan Colombia' zu verurteilen und die Aufmerksamkeit auf die amazonische Frage zu lenken. Die Brasilianer dürfen nicht erlauben, dass sich die Vereinigten Staaten das Amazonasgebiet unter den Nagel reißen."

Zugleich beharrten Gewerkschaften und soziale Netzwerke auf der Wichtigkeit, Front gegen die Wiederkolonisierungsprojekte der Vereinigten Staaten zu machen.

Die "Kontinentale Soziale Allianz" ("Alianza Social Continental") rief zur Teilnahme am "2. Gipfel der Völker" auf, der vom 16. bis zum 21. April in Québec, Kanada stattfinden wird. Und sie rief dazu auf, Strategien des Widerstands gegen ALCA weiter zu diskutieren und fügte hinzu, dass "ein erster Schritt in diese Richtung die Mobilisierungen in Buenos Aires parallel zum Treffen der Handelsmister des ALCA Anfang April" sein werden.

Eine "abschließende Erklärung" oder ein "Schlußdokument" gab es nicht. Diese Entscheidung ist vernünftig. Die politische und soziale Vielfalt beim WSF hätte die Abfassung einer solchen Erklärung sehr schwierig gemacht. Und die aberhundert Debatten, Überlegungen und Vorschläge wären in nur einem Dokument nicht zur Geltung gekommen. Daher wurden verschiedene Erklärungen abgefasst: der sozialen Bewegungen, des parlamentarischen Forums, der Workshops des Weltfrauenmarsches, usw.

Aber eines findet sich in allen: Ein Infragestellen der Eliten und der Hegemonie des Kapitals. Und es finden sich das Bedürfnis und der Vorsatz, eine breite Allianz gegen die "neoliberale Globalisierung" zu schaffen, weiterzumachen und den Widerstand und die organisierte Mobilisierung zu stärken.

Dieser Wandel fand sich sogar in der gemeinsamen Erklärung der Parlamentarier. Sie klagten nicht nur die "Wiederkolonisierung der Welt" an, sondern schlossen sich sogar verschiedenen Kampagnen an, die sich "gegen die Verschuldungsmechanismen und für die Streichung der unmoralischen Schuldenlast der armen Länder; für die Besteuerung spekulativer Kapitalbewegungen durch Steuern des Typs Tobin; für die Abschaffung von Steuerparadiesen" richteten.

Andererseits haben die Parlamentarier auch weiterhin Illusionen in "eine tiefgehende Reform der WHO und der internationalen Finanzinstitutionen". Aber ihre Schlusserklärung ist, generell gesehen, trotzdem begrüßenswert. Natürlich bleibt abzuwarten, ob die Mehrheit dieser Senatoren und Abgeordneten, die, zumindest im Fall von Lateinamerika und der Karibik, mehrheitlich Parteien des Foro de São Paulo (Forum von São Paulo) angehören und die mit der Zeit den Weg des institutionellen Pragmatismus eingeschlagen haben, sich letztlich dazu aufraffen, in ihren Parlamenten für die Abkommen in Porto Alegre zu kämpfen.

Bezüglich der Frauen wurde das "NEIN zur aktuellen neoliberalen und kapitalistischen Globalisierung" und das "JA zu solidarischen Alternativen" wiederholt; die "sexistische Globalisierung, die die massive und anwachsende Feminisierung der Armut hervorhebt und die vielfältigen Formen der Gewalt gegen Frauen steigert", wurde angeklagt. Generell aber wurde die Frauenfrage in die zentralen Achsen des Forums nur wenig integriert. Die Beiträge von Buenaventura de Souza und Frei Betto wenigstens verbanden das politische emanzipatorische Projekt mit einer multikulturellen und feministischen Dimension.

EINE ANDERE WELT IST MÖGLICH - ABER WAS FÜR EINE?

Es klingt sehr Eindrucksvoll: "NGOs rücken auf Kosten der Linke vor." So der Titel einer Notiz in der Tageszeitung Folha de São Paulo (28.1.01). Ihre Argumente sind die beinahe völlige Abwesenheit von Ausdrücken wie "Sozialismus" oder "Revolution" und eine "niedrige ideologische Intensität". Sind die politischen Fahnen pulverisiert?

Bernard Cassen, Director von Le Monde Diplomatique und einer der bedeutesten Organisatoren des WSF, sagte es als Einstieg: "Wir sind hier, um Ideen zu diskutieren. Danach müssen wir nach Wegen suchen, wie wir sie in Kämpfe umsetzten können. In einigen Jahren werden wir soweit sein, dass wir Maßnahmen vorschlagen können". (Tageszeitung Zero Hora, Porto Alegre, 24.1.01) Er fügte hinzu, dass er "mehr interessiert an konkreten Aktionen von organisierten Bewegungen" sei, als an "einer Polarisierung zwischen rechts und links". Das habe, so sagte er, "an Sinn verloren".

Fast im gleichen Sinne sprach Ignacio Ramonet in seinem Artikel "Porto Alegre" (Le Monde Diplomatique, Januar 2001). Das Weltsozialforum sei nicht dazu da, um "wie in Seattle, Washington oder Prag zu protestieren, (...) sondern um - diesmal in konstruktivem Sinn - zu versuchen, einen theoretischen und praktischen Rahmen zu schaffen, der es erlaubt, einer neuen Globalisierung entgegen zu sehen und zu unterstreichen, dass eine andere, weniger unmenschliche und dafür solidarischere Welt möglich ist."

Aber es gab auch Proteste und Mobilisierungsvorschläge in Porto Alegre.

Außerdem gab es- wenn auch nur in kleinem Rahmen - den Beginn einer theoretischen und programmatischen Auseinandersetzung. Natürlich war sie lückenhaft in einigen Punkten, wie dem Verweis auf die Klassendimension, dem Widerspruch Arbeit-Kapital und der sozialen Aneignung der Produktionsmittel.

So wird Unsicherheit darüber deutlich, welches die Vorbedingungen für einen theoretischen Rahmen sind, der politische Abgrenzung und Klarheit über die Beschaffenheit der "anderen Welt, die möglich ist," schafft.

Und tatsächlich, wenn sich die "Antiglobalisierungs-Bewegung" nur auf die verabschungswürdigsten Auswirkungen des kommerziellen Austausches, auf den Horror der Auslandsverschuldung und auf die Bedingungen, die von Institutionen wie der WHO, der Weltbank und dem IWF auferlegt werden, beschränken würde, würde sie bei solchen Problemen, die mit dem Ungleichgewicht im "Funktionieren des Marktes" zusammenhängen, stecken bleiben. Die Kritik am Marktfetischismus und an der Vermarktung aller menschlichen und sozialen Beziehungen verlöre so einen Großteil ihrer Wirkung.

Ein anderes Dilemma, in dem die Bewegung gegen die kapitalistisch-imperialistische Globalisierung und auch das WSF selbst stecken, ist, wie es auch François Chesnai, Claude Serfati und Charles-André Udry unterstreichen, "die Schaffung neuer Verhältnisse zwischen Lohnabhängigen und Bauern aus verschiedenen Ländern. Neue Verhältnisse, die die Anonymität und die Äußerlichkeit des kommerziellen Austauschs verringern oder vielmehr soweit unterdrücken würden, daß die internationale Arbeitsteilung und der Welthandel sich in den Ausdruck eines Verhältnisses verwandeln könnten, wo die Produzenten die Bedingungen ihrer Existenz und ihrer Arbeit selbst kontrollieren könnten". (siehe: Die Zukunft der "Antiglobalisierungsbewegung". Erste Überlegungen zur Sicherung ihrer theoretischen Grundlagen. Auf Spanisch in der Zeitschrift zur Sozialen Beobachtung von Lateinamerika, Buenos Aires, Januar 2001, veröffentlicht.)

"Eine wirkliche kritische Gegenmacht" aufzubauen, wie Pierre Bourdieu sagt, und die Perspektive für eine radikale Umwandlung und Selbstbestimmung zu schaffen, worauf Chesnais, Serfati und Udry immer wieder insistieren, "muß daher bei der Möglichkeit, die Waren, das Wertgesetz und die Lohnarbeit in Frage zu stellen und zu schwächen, ansetzen. Das wäre die Antwort auf die verallgemeinerte Konkurrenz, in die alle Elemente des Kapitals (des variablen Kapitals, d.h. der Lohnabhängigen und der Arbeitslosen) zueinander gesetzt sind und die die gesamte Gesellschaft durchtränkt."

Die Breite und Radikalität der Kämpfe (anders als in den Siebzigern, als sie hochpolitisch waren und eine starke sozialistische Komponente hatten) stellen sich nicht nur gegen die Anpassungspläne "nach neoliberalem Modell" und den sich daraus ergebenden Konsequenzen der "sozialen Atomisierung".

Sie nehmen in ihren täglichen Kampf auch die Macht- und Eigentumsverhältnisse auf: Wenn sie eine Fabrik einnehmen, in Großgrundbesitz eindringen, Häuser besetzen oder einen Piratenradiosender installieren, stellen sie die etablierte Ordnung in Frage - das heißt, immer dann, wenn die Leute von unten sich das Recht herausnehmen, das, was ihnen vom Kapital weggenommen wurde, wiederzuverlangen. Ohne Zweifel - jeder Kampf, auf seine Art und manchmal nur am Rande, bringt auch die Frage nach den Machtverhältnissen auf den Tisch.

Das erfordert Organisationsinstrumente und eine politische Strategie (und zwar dringend!). Der Widerstand gegen die kapitalistisch-imperialistische Globalisierung ist ein hervorragendes Experimentierfeld für Kampferfahrung und für die politischen, theoretischen und programmatischen Auseinandersetzungen einer internationalen Bewegung, die, wie das WSF, den Anspruch hat, eine Alternative zur Globalisierung des Kapitals zu schaffen.

Und mehr noch, weil es seitens einiger Teile die Versuchung gibt, die Widerstandsbewegung zu "entpolitisieren" und sie auf ein antineoliberales "Zweck-" Bündnis zu reduzieren, dessen Zielrichtung nicht auf die Bourgeausie und ihre Regierungsapparate, die der Herrschaft dienen, geht. In einigen - sicherlich extremen - Fallen spricht man sogar von einer Wiedererlangung von Rechten anstatt davon, sie auszuweiten oder neue und andere zu schaffen. Und dass diese Bewegung "anders" sei, weil sie sich "gegen den Fortschritt", wenigstens gegen den neoliberalen, ausspricht.

CHIAPAS, SEATTLE UND DIE "REBELLISCHE INTERNATIONALE"

Im August 1997 gab es das "Erste Treffen Für die Menschlichkeit und gegen den Neoliberalismus". Von der EZLN einberufen, wurde dort - laut Subcomandante Marcos - versucht, eine Bewegung aufzubauen, in die "alle Welten" passen sollten.

Tausende von AktivistInnen und SympathisantInnen der Zapatisten kamen in Chiapas zusammen. Mehrheitlich soziale Bewegungen und NGOs. Das Politische wurde hart in Frage gestellt. Man sprach von einer "Internationale der Hoffnung". Ein Samen wurde ausgesät, wenn auch der Versuch nicht auskeimte.

Vor allem deshalb, weil es sich um eine Solidaritätsbewegung handelte, die sich stark auf die Kämpfe an einem bestimmten Ort bezog. Der internationale Kontext war sehr ungünstig und der Graben zwischen dem Sozialen und dem Politischen hatte seine größte Ausdehnung erreicht.

Seattle veränderte dieses Bild. Vor allem, weil dort der soziale Widerstand weltweit sichtbar gemacht worden war und weil ein Präzedenzfall geschaffen worden war: Das multilaterale Investitionsabkommen konnte gestoppt werden.

Die Proteste und Aufstände gegen die Globalisierung wurden seit Seattle kontinuierlicher und sorgten für das Fiasko der "Milleniumsrunde" im November-Dezember 1999.

Wenig vorher gab es Genf und Köln. Später kamen London, Bangkok, Davos, Washington, Genua, Prag und Nizza. Die Chronologie ist beeindruckend und übt auf diejenigen, die sich im "Rückzug", den "Niederlagen" und im "ideologischen Zurückweichen" verankert hatten, Druck aus - in bestimmten Fällen, um ihre Entmoralisierung und Anpassung an das System zu rechtfertigen; in anderen, um die eigene politische Ohnmacht und Unfähigkeit, die Veränderungen in der Wirklichkeit und der Dynamik des Klassenkampfes zu synchronisieren, zu verbergen.

In beiden Fällen wogen die Steine der Berliner Mauer schwer auf den Schultern.

Auch Lateinamerika war bei diesen Prozessen des Widerstandes und der Gegenoffensive dabei. Schon vor Seattle. Schlag auf Schlag gab es Streiks, Erhebungen und Bewegungen der Bevölkerung. Regierungen fielen, und die Instabilität war und ist das Kennzeichen der Region.

Der Graben zwischen sozialer Polarisierung und politischem Ausdruck schloss sich allmählich. Das drückt unwiderlegbar der politische Fortschritt der Linken in Uruguay, Brasilien, Ecuador, El Salvador und Nicaragua aus. Ebenso der Kampf für die Menschenrechte und gegen die Straflosigkeit, der letzte großartige Sieg der Bewegung der Indios in Ecuador oder die auf dem ganzen Kontinent stattfindende Mobilisierung gegen den Plan Colombia.

Währenddessen ergreifen die Zapatisten aufs neue die Initiative und bereiten ihren Marsch nach Mexiko-Stadt vor.

Jedenfalls ist es offenkundig, dass die Vorraussetzungen für ein Wiedererstehen der radikalen Linken und ein programmatischer antikapitalistischer Wiederaufbau greifbarer geworden sind, wenn nur die politischen Ziele und theoretischen Begriffe geklärt werden.

Das Weltsozialforum wurde von einigen TeilnehmerInnen und JournalistInnen als die neue "rebellische Internationale" bezeichnet. Seine wichtigsten Organisatoren und Vertreter sind davon nicht überzeugt. Das nächste Treffen (Porto Alegre 2002) wird zeigen, ob man in dieser Richtung weiterkommt oder ob, ganz im Gegenteil, das Forum zu einem "gegenglobalisierenden" Gesprächspartner für die "neoliberale Globalisierung" wird.

Übersetzung aus dem Spanischen: Larissa R.
Weiterer Artikel zum Thema: Die Vierte Internationale auf dem Forum



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 354 (April 2001).