500.000 streiken in Dänemark

Der größte Teil des privaten Arbeitsmarkts in Dänemark ist am Montag, den 27. April in den Streik getreten - der größte Konflikt seit den großen Streiks 1985. In der Urabstimmung hatte sich eine Mehrheit über die Empfehlung der meisten Gewerkschaftsführer im Industrie-, Transport- und Baubereich hinweggesetzt und das Verhandlungsergebnis zwischen Unternehmern und Gewerkschaften abgelehnt. Dieser Artikel beschreibt die Situation bei Streikbeginn

Von Anders Lange und Katrine Toft Mikkelsen

Zwar handelt in Dänemark jeder Gewerkschaftssektor eigene Tarifverträge aus, doch kann der Schlichter verfügen, daß die Abstimmungen zusammengefaßt werden, wenn Unternehmer und Gewerkschaften es wünschen - was hier der Fall war. Der Sinn dieser Regelung ist, das Niederstimmen eines Verhandlungsergebnisses und damit einen Streik zu erschweren. Doch diesmal scheiterte das Manöver, weil es große Wut und eine starke Mobilisierung unter den Vertrauensleuten und Arbeitern der größten und wichtigsten Gewerkschaften gab: Metal, SiD (für ungelernte Arbeiter) und KAD (für Frauen). Die Mitglieder dieser Gewerkschaften haben dann zum Beispiel die Arbeiter in der grafischen Industrie mit in den Streik gezogen, obwohl diese mehrheitlich für das Verhandlungsergebnis gestimmt hatten.

Es hat eine landesweite Kampagne für ein Nein gegeben. Ausgehend vom Transportgewerbe, der Metallindustrie und der Bauwirtschaft gelang es ihr, genug Menschen dafür zu gewinnen, das Verhandlungsergebnis abzulehnen. Bei einer Beteiligung von mindestens 40% der Gewerkschaftsmitglieder reicht eine einfache Mehrheit zur Ablehnung, sonst müssen 25% der Mitglieder[1] dagegen stimmen.

Der wichtigste Grund für die Ablehnung des Verhandlungsergebnisses war, daß viele Arbeiterinnen und Arbeiter die Forderung nach einer sechsten bezahlten Urlaubswoche unterstützten, was den Urlaub auf insgesamt sechs Wochen im Jahr bringen würde. Das Ergebnis kam dem nicht einmal nahe. Im Baubereich sollten die Beschäftigten 1½ Tage frei bekommen bei einer Bezahlung von maximal 100 Kronen (ca. 25 DM) pro Stunde, was unter dem Durchschnittsverdienst liegt. In der Metallindustrie ließen sich die Unterhändler der Gewerkschaft darauf ein, Heiligabend zum freien Tag zu erklären, wo viele Leute sowieso schon Urlaub haben und der außerdem nur in fünf von sieben Jahren auf einen Arbeitstag fällt.

Diese Resultate lösten eine mächtige Wut aus, da die dänische Wirtschaft eine der am besten funktionierenden in Europa ist und viele Arbeiterinnen und Arbeiter seit 1985 bis vor wenigen Jahren in ihren Forderungen sehr zurückhaltend waren. Erst in den letzten Jahren sind die Löhne wieder etwas gestiegen, da sie im Industriesektor dezentral ausgehandelt wurden. Arbeitszeit und Mindestlohn wurden hingegen zentral verhandelt, so daß die Beschäftigten jetzt auch hier Verbesserungen sehen wollen.

Ein anderer Grund für die Ablehnung war, daß viele gegen den Zirkus protestieren, der alle zwei Jahre die Verhandlungen über die Tarifverträge begleitet: Drei Monate lang sieht man jeden Abend ernste Männer mittleren Alters im Fernsehen, die erklären, wie schwierig das alles ist und dann mit derart schlechten Ergebnissen herauskommen. Die Menschen haben das Gefühl, überhaupt keinen Einfluß mehr zu haben.

Der dritte Grund ist, daß viele Gewerkschaftsführer das Bedürfnis verspüren zu beweisen, daß sie noch gebraucht werden. Der Gewerkschaftsapparat ist unter Druck von unten, seit immer mehr Unternehmen lieber dezentral mit ihren jeweiligen betrieblichen Gewerkschaftsvertretungen verhandeln. Gleichzeitig sind die Gewerkschaften unter Druck von oben, da EU-Direktiven in die Tarifverträge einfließen. Über sie gibt es nichts zu verhandeln, und der Aktionsraum der Gewerkschaftsführer wird so immer kleiner.

Schließlich wurden die Regeln für Abstimmungen über Tarifverträge verändert, was nicht heißt, daß sie jetzt demokratisch wären. Aber es ist einfacher geworden, ein Verhandlungsergebnis abzulehnen, was den Handlungsspielraum für den fortschrittlichen Teil der Gewerkschaften erweitert hat.

Auch haben viele Leute dagegen protestiert, daß die Unternehmer im Industriebereich Verhandlungen in der Transport- und Bauwirtschaft verhinderten. Dies ist eine zentralisierte Kontrolle, die kaum jemand versteht: warum dürfen sich die Industrieunternehmer in die Verhandlungen im Transport- und Baubereich einmischen? Das wirkt besonders unlogisch, da doch die Abstimmungsergebnisse zusammengerechnet werden.

Dem offiziellen Dänemark fällt es schwer zu akzeptieren, daß das Verhandlungsergebnis abgelehnt wurde. Die Berichterstattung in den Medien ruft Erinnerungen an den 2. Juni 1992 wach, als Dänemark gegen den Maastrichter Vertrag stimmte (dies war auch das Jahr, in dem Dänemark die Fußballweltmeisterschaft gewann, aber das ist eine andere Geschichte). Die Reaktion führender Politiker und Kommentatoren war: "Was lief falsch?", "Wie konnte das passieren?".

Besonders prickelnd ist das alles, weil am 28. Mai die Volksabstimmung über den Amsterdamer Vertrag stattfindet. Eine schwierige Situation für den sozialdemokratischen Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen, weil viele sozialdemokratische Wählerinnen und Wähler gegen eine (weitere) Integration in die EU sind. Gleichzeitig gibt es viele, bei denen die Opposition gegen die EU eigentlich ein Protest dagegen ist, daß das ganze Establishment - führende Politiker, die Presse, die Unternehmer, die Gewerkschaftsführer - für die EU ist.

Wenn Gewerkschaften und Unternehmerverbände, wie es im Augenblick aussieht, keine Lösung finden und keinen neuen Tarifvertrag aushandeln, muß die Regierung intervenieren. Dies könnte wahrscheinlich Mitte oder Ende Mai passieren. Aber es darf auch nicht zu spät sein, denn die Regierung kann weder einen Streik noch Proteste gegen ein Eingreifen in den Streik allzu kurz vor dem Referendum am 28. Mai gebrauchen.

Es ist für die Unternehmer entscheidend, daß eine Lösung des Konflikts nicht mehr kostet als das ursprünglich ausgehandelte Abkommen, wie es für die Beschäftigten entscheidend ist, wenigstens den Einstieg in die sechste Urlaubswoche zu schaffen. Ansonsten wird es schwierig werden, den Streik zu beenden.

In dieser Situation bemüht sich der fortschrittliche Teil der Gewerkschaften um einen aktiven Streik: Landesweite Aktionstage, Demonstrationen und Vertrauensleutetreffen werden vorgeschlagen. Am Dienstag, den 28. April ist die erste Großdemonstration in Kopenhagen. Am Mittwoch gibt es ein nationales Vertrauensleutetreffen in Odense.

Weitere Informationen folgen.


Aus: FI-press-l, 28.4.1998
Übers.: Björn Mertens

Kontakt: Socialistisk Arbejderparti, Tel: 0045-31 39 79 48, Fax: 0045-35 37 32 17, E-Mail: <socinf@inet.uni2.dk>

Dieser Artikel erscheint in Inprekorr Nr. 320.

Ein weiterer Artikel berichtet über das Ende des Streiks.



[1] Bei einer Beteiligung von unter 40% der Mitglieder erfordert dies eine übergroße Mehrheit der Abstimmenden.