Dänemark

Parlamentarischer Durchbruch der radikalen Linken

Mit 3,1 Prozent der Stimmen erzielte die rot-grüne Einheitsliste bei den dänischen Parlamentswahlen am 21. September sechs von 175 Mandaten. Damit ist die radikale Linke erstmals seit 1987 wieder im Folketing vertreten. Von den Abgeordneten (darunter nur eine Frau) kommen zwei von der dänischen KP, zwei von den Linkssozialisten (VS), zwei von der ehemals maoistischen KAP und einer von der dänischen Sektion der Vierten Internationale (SAP).

Åge Skovrind

Haupttrend der Wahlen war eine Polarisierung und ein großer Sieg für die rechtsliberale Venstre unter Führung des früheren Außenministers Uffe Ellemann Jensen: sie gewann 13 Sitze hinzu. Seit 1993 regiert der Sozialdemokrat Poul Nyrup Rasmussen mit drei kleinen bürgerlichen Mittelparteien – und seitdem steht er unter Beschuß der Venstre. Obwohl die Regierungsparteien zusammen 14 Sitze und damit die Mehrheit verloren haben (die Christliche Partei verfehlte die 2-Prozent-Hürde und flog ganz heraus) wird Rasmussen weiter Ministerpräsident bleiben.

Im Wahlkampf versuchten die drei bürgerlichen Oppositionsparteien (Venstre, Konservative und Fortschrittspartei) sich als Alternative zur sozialdemokratisch geführten Regierung zu präsentieren. Dabei wurde die nationalistische, ultra-rechte Fortschrittspartei erstmals als möglicher Koalitionspartner akzeptiert.

Die drei Parteien forderten eine harte Austeritätspolitik: Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Sozialleistungen, Privatisierung öffentlicher Institutionen und Einschränkungen der Rechte von ImmigrantInnen und Flüchtlingen. Ihr Hauptvorwurf an die Regierung war die steigende Staatsverschuldung. Aber es gelang ihnen nicht, ein gemeinsames politisches Programm zu entwickeln und ihr Zusammenhalt wurde im Laufe des Wahlkampfes immer schwächer.

Die Regierungsparteien verbanden ihre Warnungen vor der Gefahr einer Rechtswende mit dem Verweis auf den beginnenden Wirtschaftsaufschwung. Während der letzten Monate ist die Arbeitslosenrate tatsächlich leicht gesunken, obwohl sie mit offiziell 12,5 Prozent immer noch eine der höchsten in der Europäischen Union ist. Unter diesen Umständen war das Ergebnis eine Enttäuschung für die Sozialdemokratie.


Rückkehr der Radikalen Linken


Seit 1987 war die Socialistisk Folkepartiet (SF) die einzige im Parlament vertretene Kraft links von der Sozialdemokratie. Die SF versucht schon seit Jahren, besonders aber seit ihrem Eintreten für den Vertrag von Maastricht, Teil einer Koalitionsregierung zu werden oder wenigstens etwas „wirklichen“ Einfluß zu bekommen. Das Gegenteil geschah: Am 21. September verlor die SF zwei ihrer 15 Sitze, viele ihrer WählerInnen gingen zur Enhedslisten – de rød-grønne (Einheitsliste – die Rot-Grünen).

Der Erfolg der rot-grünen Einheitsliste hat mehrere Ursachen:


Eine neue Kraft entsteht


Seit 1987 die Venstresocialisterne (Linkssozialisten, VS) unter die Sperrgrenze fielen, war die radikale Linke nicht mehr im Parlament vertreten. Zwei Jahre später bildeten drei Organisationen gemeinsam die Einheitsliste: VS, kommunistische Partei (DKP) und Socialistisk Arbejderpartiet (SAP, dänische Sektion der Vierten Internationale). Die Mitgliederzahl von VS und DKP nahm damals stark ab und die stalinistische Fraktion trennte sich von der DKP. Inzwischen hat sich die Einheitsliste zu einer unabhängigen Organisation ohne besondere Rechte der beteiligten Parteien entwickelt, obwohl ihre führenden Mitglieder zugleich Mitglied der Gründungsparteien sind oder bis vor kurzem waren.

      
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Interview mit Jette Gottlieb und Søren Søndergaard: „Das schaffen wir nicht alleine“, Inprekorr Nr. 277 (November 1994)
Åge Skovrind: Gibt es jemals einen „guten Haushalt”?, Inprekorr Nr. 305 (März 1997)
Dossier: Linke und Regierungsfrage
 

Die Einheitsliste hat ein ziemlich detailliertes parlamentarisches Reformprogramm beschlossen, das eine Politik des sozialen Wandels mit einer Politik der Lösung der großen nationalen und internationalen ökologischen Probleme kombiniert. Im Wahlkampf standen Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden, stärkere Besteuerung der Reichen, Kampf gegen die Militarisierung und gegen die Øresund-Brücke sowie eine Umorientierung zu öffentliche Verkehrsmitteln und ökologischer Landwirtschaft im Vordergrund.

Dennoch hat die Einheitsliste heute kein umfassendes strategisches Konzept. Das heißt, sie ist in Wirklichkeit eine Kooperation verschiedener strategischer Konzeptionen. Es gibt auch unterschiedliche Positionen über die Zukunft der Liste, ob sie sich zu einer richtigen Partei entwickeln oder ein breites Bündnis bleiben soll.

Nicht unerwartet haben die Zeitungen ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die inneren Differenzen der Einheitsliste gerichtet. Sie haben ihr das Fehlen eines kohärentes Programms vorgeworfen und ihr das baldige Auseinanderbrechen prophezeit. Bestimmt werden jetzt in der Liste neue Debatten beginnen, aber auf weit höherem Niveau als zuvor und mit viel weitreichenderen Konsequenzen. Jetzt geht es darum, die neuen Möglichkeiten zu nutzen und die sozialen Bewegungen dabei zu unterstützen, Aktionen gegen die Unternehmer und die Politik der Regierung zu entwickeln.


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 277 (November 1994).


[1] Nach der Ablehnung der Europäischen Union in der Volksabstimmung 1992 wurde in Neuverhandlungen ein „Kompromiß“ erreicht, der sich zwar in der Substanz nicht vom abgelehnten Maastrichter Vertrag unterschied, aber von (fast) allen Parteien als großer Durchbruch nationaler Interessen gepriesen wurde – und in einer zweiten Volksabstimmung 1993 eine knappe Mehrheit bekam (siehe Inprekorr Nr. 260).
[2] Eine aus der Seeleutegewerkschaft hervorgegangene, teils linke, teils rassistische Formation.
[3] Diese und eine Reihe weiterer Gruppen schafften mit ihrer schwachen Mitgliederstruktur nicht, die erforderliche Anzahl Unterschriften zu sammeln.