PDS-Debatte

"Wir müssen dieses vagabundierende Kapital konfiszieren"

Interview mit Jakob Moneta

 Die PDS ist ja heute sicher nicht mehr die soziale Vertetung einer Bürokratie, wie es die SED als Staatspartei früher war. Was ist sie denn, diese PDS?

Ich habe das von Hans-Jürgen gelesen, der einer der wirklich gescheiten Leute ist in unserem Lager, der analytisch begabt ist, und ich hätte genau dasselbe gesagt, es ist ein "Reformismus sui generis", ein historisch neuartiger Reformismus. Was ist neuartig daran? Erstmal müssen wir ihn ja in Vergleich setzen mit all den Parteien, die im Osten entstanden sind, und es gibt keine einzige Partei im Osten, die sich erstens so deutlich auseinandergesetzt hat mit ihrer eigenen Geschichte, die trotzdem auch den Marxismus den Marxismus nicht einfach beiseitegschoben hat, sondern versucht, mit marxistischen Kategorien heranzugehen an diese Analyse. Zweitens, was leider weder er noch die Hallenser bemerken, daß es die erste sozialistische Partei ist – außer der PT in Brasilien – die in ihrem Statut Fraktionen erlaubt; nicht nur erlaubt, sondern vergiß nicht, daß z.B. die "Kommunistische Plattform" ja offiziell ein Budget bekommt, genau wie ich in der AG Gewerkschaftspolitik als Verantwortlicher. Das ist neuartig, das ist vernünftig, das ist das, was wir immer verlangt haben als Linke. Aber man muß natürlich auch wissen, wenn eine solche Partei tatsächlich alle Strömungen in sich vereinigt, gibt es sowohl sozialdemokratisch-reformistische Strömungen als auch kommunistische Strömungen als auch Menschen, die eigentlich uns nahe sind, indem sie unsere Analyse durchaus akzeptieren. Aber was ich bedaure ist, daß wir eben nicht eingetreten sind in diese Partei, was uns die Möglichkeit gegeben hätte, uns an diesem ganzen Umwandlungsprozeß, an dem theoretischen Prozeß auch zu beteiligen. Das fehlt, das kann ich nicht alleine machen.

Ich habe auf meinem Gebiet versucht etwas zu machen, was auch relativ erfolgreich war. Insofern, als wir tatsächlich gezeigt haben, daß diese Partei auf der Seite derer steht, die bereit sind für ihre Interessen, für die Arbeiterklasse zu kämpfen: die Betriebsräteinitiative, das Problem Bischofferode, daß ich immer wieder gefordert habe, was auch getan worden ist, alle diese Streikbewegungen – es gab ja große Streikbewegungen mit Betriebsbesetzungen, viel mehr als im Westen – daß wir sie unterstützen müssen, daß das unser Anliegen ist, das hat sich doch durchgesetzt, und es ist interessant, daß heute in Umfragen immer wieder herauskommt, daß die PDS als die Partei betrachtet wird, die soziale Interessen vertritt. Das hängt natürlich damit zusammen.

Ich meine, unser Beitrag wäre wichtig gewesen, gerade auf theoretischem Gebiet, wo ungeheure Lücken bestehen. Ich hab zum Beispiel eine alte Arbeit von mir über die Volksfront, die ich 1977 veröffentlicht hatte, ausgerechnet unter dem Namen "Anna Armand", die habe ich jetzt Leuten gegeben, die etwas davon verstehen; ich hoffe auch, daß sie vielleicht Interesse haben, sie zu veröffentlichen, und ich merke, sie kennen den Verlauf der Volksfront gar nicht, sie wissen gar nicht, was das war. Einheitsfront statt Volksfront, das was sie heute beispielsweise machen, daß sie die Kohlregierung ablösen wollen und bereit sind, eine SPD/Grüne-Regierung zu tolerieren, ist praktisch das, was wir als Einheitsfront verlangt haben.

 Wie würdet ihr euch gegenüber einer "rot-grünen" Regierung verhalten?

Ich glaube, die meisten von uns wissen, daß eine "rot-grüne" Regierung nicht das tun wird, was wir von ihr fordern. Was fordern wir im Augenblick? Wir sagen: Es ist nicht wahr, daß die Schaffung von Arbeitsplätzen, um die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen, nicht möglich ist, daß es dafür keine finanziellen Mittel gibt. Wir bringen immer wieder die Frage des Spekulationskapitals ins Spiel. Das sind ja ungeheure Summen, eine Billion pro Tag, die da über die Börsenticker läuft. Der Gysi hat mal ausgerechnet, wenn man nur zehn Pfennig pro hundert Mark kassieren würde als Steuer, wären das 500 Milliarden Mark, also die Gelder sind da. Und wir sagen: Wir wären bereit, eben diese Umschichtung zu machen, und dafür eben Wohnungen zu bauen, Arbeitsplätze zu schaffen im Bereich von Umweltschutz, Pflegebereich, Sozialbereich, Bildungsbereich usw. Das werden SPD und Grüne natürlich nicht machen, das ist ganz klar. Es gibt keine sozialdemokratische Regierung, die jemals versucht hat, auf diese Weise Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

 Das durchzusetzen würde je sicher einen härteren Konflikt erfordern mit dem Kapital mit den Banken. Diskutiert ihr in der PDS auch, wie die nächsten Schritte aussehen müßten, um das durchzusetzen?

Gysi sagt immer: "Ich würde den Mut haben, aber wir kommen ja heute nicht an die Regierung!" Ich glaube ihm das, aber wir müssen erstmal diese Regierung ablösen, die heute da ist. Und die Millionen, die heute Wähler der SPD und der Grünen sind, müssen einfach ihre praktische Erfahrung machen. Der große Vorteil wäre dann, im Gegensatz zu anderen Ländern, daß eine Linke da ist, die eine Alternative aufzeigt, zumindest eine innerkapitalistische Alternative, die uns natürlich an bestimmte Grenzen des Kapitalismus führt, das ist mir auch klar.

Aber deswegen müßten wir doch genau über diese nächsten Schritte heute schon reden. Daß eben auch eine PDS-Alleinregierung das nicht schaffen könnte, daß die Banken von innen kontrolliert werden müßten, von den Bankangestellten.

Ja, bloß das Problem heute ist die Frage der Umsetzung. Wir sagen, wir würden diese Umschichtung der Geldmassen vornehmen, aber wir kommen heute nicht an die Regierung. Wir können aber dann die Schritte, die sie machen, jeweils an unserem Programm messen. Das ist das entscheidende, damit den Leuten überhaupt einmal aufgeht: es gibt eine Alternative, bloß wagen sie diese Alternative nicht. Das kann uns weiterbringen, so weit würde ich heute gehen. Ich weiß nicht, wie weit man sonst gehen kann, das muß man in der Praxis erproben.

Das Problem ist einfach, wie weit werden sich die wirklichen Kämpfe und der Widerstand der Gewerkschaften vor allen Dingen entwickeln. Wir sind bereit, diesen Widerstand zu unterstützen, bloß muß ich sagen: Wir können ihn nicht provozieren, wir sind weder eine Macht innerhalb der Gewerkschaften, noch können wir allein außerhalb der Gewerkschaften so etwas machen, was wir gar nicht versuchen. Sondern das Problem ist: Wie weit wird sich da etwas herausbilden, was man unterstützen kann, um einen Schritt weiterzugehen.

Aber – und es stimmt durchaus, was Hans-Jürgen sagt – daß zum Beispiel in den Kommunen das Problem anders aussieht. Bloß in welcher Periode der Geschichte konnte man auf der kommunalen Ebene irgendwelche sozialistischen Vorstellungen entwickeln? Das wird immer ein Problem bleiben. Aber es stimmt, daß es dort Menschen gibt, vielleicht sogar in den Ländern, die bereit sind, eine Koalitionsregierung einzugehen – wogegen ich strikt wäre. Wenn man heute mit Sozialdemokraten und Grünen eine Koalitionsregierung machen würde auf der Länderebene, das würde uns nichts bringen, außer sie wären tatsächlich bereit, unsere politischen Vorstellungen mit zu übernehmen, was im Augenblick nicht der Fall ist.

 Vom VW-Vorstand bis zu den Grünen besteht Einigkeit darin, daß Problem der Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung zu lösen, aber auf Kosten derer, die heute noch Arbeit haben, also Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Wie stellt sich die PDS zu diesem Modell?

Ich habe das Modell bei VW sehr genau verfolgt und von vorneherein gesagt: Wir können uns nicht widersetzen, wenn eine Belegschaft so etwas akzeptiert. Unsere Kritik darf nicht an die Belegschaft oder an den Betriebsrat dort gehen. Wir haben den Betriebsrat eingeladen und er hat mit uns darüber diskutiert, in welcher Situation er war. Das Problem war, entweder Entlassung von 30.000 Arbeitern oder das Akzeptieren dieser Regelung, die sie zurecht als Solidarität betrachtet haben: Sie verzichten auf einen Teil ihres Lohnes, um diese 30.000 Arbeitsplätze zu retten. Auf der betrieblichen Ebene anders handeln zu wollen, wäre abenteuerlich. Unsere Kritik muß sich an die Gewerkschaftsführung richten, was ich auch gemacht habe, das heißt, daß wir sagen müssen: Das löst nicht das Problem der Arbeitslosigkeit. Das einzige was heute noch hilft, ist ein genereller Angriff der Gewerkschaften und nicht der von einzelnen Betrieben auf eben diese Regierungspolitik, mit dem Ziel, daß man tatsächlich dieses vagabundierende Kapital konfisziert, möchte ich sagen. Zum Teil sagen das sogar führende Gewerkschafter, die Engelen-Kaefer hat in einem Interview im Neuen Deutschland davon gesprochen, daß man an diese Geldmittel herankommen müßte, um wirklich neue Arbeitsplätze zu schaffen, die im Kapitalismus nicht rentabel sind. Das muß man von vorneherein sagen: Wenn es für den Kapitalismus rentabel wäre, würde er es natürlich selber machen. Und es ist für ihn nicht bezahlbar heute, in Umweltschutz oder bezahlbaren Wohnungsbau oder auf sozialem Gebiet zu investieren. Das ist nicht mehr rentabel, und das muß man eben sagen. Soweit zu gehen, das ist nicht nur meine Auffassung, das ist praktisch auch Auffassung der Partei.

 1990 konnte man ja davon sprechen, daß die CDU die Partei der ostdeutschen Arbeiterklasse war. Wie sind heute die Beziehungen der PDS zu den Betrieben?

Ja genau, ich habe ja 1990 kandidiert in Thüringen und wir haben gar nicht gewagt, Flugblätter vor den Betrieben zu verteilen. Du warst damals völlig isoliert, gerade von der Arbeiterklasse, das hat sich ganz entscheidend geändert. Erstmal waren wir in allen Streikbewegungen, da wo wir Leute hatten, da waren wir eben präsent. Es hat sich aber auch hinterher herausgestellt, daß ein Teil der Aktiven, ohne daß wir es wußten, Mitglieder der PDS waren. Sie haben selber eben viel mehr inneres Bedürfnis und Erfahrung gehabt, um sich da einzuklinken.

Und heute ist diese Mauer weg. Im Osten ist es uns tatsächlich gelungen, einen Teil der Arbeiterklasse wiederzugewinnen, zumindest als Wählerschicht. Denn sonst sind diese 20% überhaupt nicht zu erklären, die wir bei den Wahlen bekommen haben.

Im Westen ist es natürlich etwas anders, wobei ich das Gefühl habe – vielleicht täusche ich mich auch – daß sich da etwas ändert. Bis hinein in Kreise von Gewerkschaftssekretären und Bevollmächtigten, und nicht nur IG Metall, spürst du, daß die Leute aufmerksam zuhören. Sie werden sicherlich nicht innerhalb ihrer Gewerkschaft eintreten für die PDS, aber ich bin überzeugt davon, daß viele von ihnen PDS wählen.

Ich muß sagen, die Veränderung des Kräfteverhältnisses, gerade im Wahlsektor, hat uns einen Kredit eingebracht. Es ist nicht wahr, wenn der Hans-Jürgen sagt, daß die liberale Presse uns geholfen hat. Die Frankfurter Rundschau hat immer Anti-PDS geschrieben. Seit den letzten Wahlen ist eine Änderung zu spüren; sie merken, sie können sich von dieser Strömung nicht ganz isolieren.

      
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Ich möchte noch einen Satz sagen über das ND, seine Bedeutung. Zum erstenmal haben wir wirklich eine Tageszeitung, in der auch theoretische Fragen diskutiert werden, in der die Meinungen aufeinanderprallen – manchmal ganz heftig, berechtigterweise – und ich finde, es ist einfach ein Skandal, daß unsere Leute das nicht ausnutzen. Es gibt eine ganze Reihe Dinge, wo man sich einklinken kann, wo man durch Lesebriefe und anderes wirklich Meinung bilden kann. Es gab ein Treffen über die Novemberrevolution, und die haben dann ein Blatt herausgegeben, mit einer ganzen Reihe von Arbeiten, und die haben ohne weiteres auch das, was ich vorher darüber geschrieben habe – in der SoZ und überall – aufgenommen. Ich habe mal im SoZ-Magazin geschrieben gehabt über Jugoslawien in der Auseinandersetzung mit konkret um die nationale Frage, das will die Kommunistische Plattform jetzt veröffentlichen. Also, sie sind offen, sie sind für diese Diskussion. Das ist etwas, was auch neu ist. Zum Beispiel habe ich damals diesen Artikel von Ernest, den ich bekommen hatte, weitergegeben. Der hat damals eine große Rolle gespielt, spielt sie heute noch – er hat doch als erster über dieses vagabundierende Kapital geschrieben und die eine Billion, das hast du heute in jeder Rede. Wir haben uns früher angebrüllt und haben uns "Verräter" genannt und nicht miteinander wirklich diskutiert, wie das heute geschieht. Und das ist ein neues Faktum, was wir wirklich mal berücksichtigen müssen.

Jakob Moneta ist langjähriges Mitglied der Vierten Internationale und gewerkschaftspolitischer Sprecher der PDS.



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 275 (September 1994).